Das Recht will Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen und religiöse Gruppen schützen. Rechtsanwalt Dr. René Rosenau geht der Frage nach, wann "schwul", "Jude" oder "behindert" dennoch eine Beleidigung sein kann.
Kann der zweckentfremdende Gebrauch von im Grundsatz wertneutralen Eigenschafts- und Minderheitenbezeichnungen wie z.B. "schwul", "behindert" oder "Jude" zu einer Persönlichkeitsrechtsverletzung des Betroffenen führen? Das ist eine noch immer nicht abschließend geklärte Frage im Äußerungsrecht.
Problematisch sind diese Fälle, weil es natürlich nicht zu beanstanden ist, wenn eine Person homosexuell ist, eine körperliche/geistige Einschränkung hat oder der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehört. Gruppenangehörige verwenden die betreffenden Bezeichnungen oftmals zur Selbstcharakterisierung und mit Stolz – darauf wies ebenfalls das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) schon hin, das zu klären hatte, inwiefern die Bezeichnung als "Jude" herabsetzend sein kann.
Auch das Grundgesetz verlangt die Gleichbehandlung von Homosexuellen, Juden und Menschen mit Behinderung bzw. vergleichbaren persönlichen Eigenschaften, die sie von der (vermeintlichen) Mehrheitsgesellschaft abheben. Eine Diskriminierung deswegen wird einfachgesetzlich sanktioniert. Angesichts dessen ist fraglich, ob sich ein Gericht nicht in Widerspruch zu diesen Wertungen begäbe, wenn es gleichwohl die Bezeichnung eines anderen als z.B. "schwul" verbieten würde.
YouTuber A.B.K beleidigt KuchenTV
Kürzlich hat das Oberlandesgericht (OLG) Köln in einem solchen Fall entschieden, dass die Bezeichnung "schwul" als herabwürdigende Äußerung in Betracht kommt, deren Verbreitung der Betroffene gerichtlich untersagen lassen kann (OLG Köln, Beschl. v. 26.04.2022, Az.: 15 W 15/22). Vorausgegangen war der Entscheidung der Rechtsstreit der beiden bekannten YouTuber KuchenTV und A.B.K, die jeweils über 1 Mio. Follower haben.
KuchenTV – der in diesem Verfahren vom Autor dieses Textes vertreten wurde – war rechtlich gegen A.B.K vorgegangen, weil dieser einen Videoausschnitt veröffentlicht hatte, in dem KuchenTV auf offener Straße von einem Unbekannten als "schwul" und "Bastard" bepöbelt worden war. KuchenTV ist nach eigenem Bekunden heterosexuell, was er auch öffentlich kommuniziert. Das angerufene Landgericht (LG) Köln erließ die beantragte einstweilige Verfügung allerdings nur wegen der Beleidigung "Bastard" (LG Köln, Beschl. v. 04.03.2022, Az.: 28 O 65/22, insoweit rechtskräftig). Der Bezeichnung "schwul" maß das LG Köln hingegen keine wertmindernde Bedeutung bei.
Der Pressesenat des OLG Köln sah dies anders: Es liege auf der Hand, dass der durchschnittliche und unbefangene Betrachter die Äußerung – sofern er sie nicht als eine unwahre Tatsachenbehauptung verstehe – in dem zu beurteilenden Kontext als Beleidigung auffassen werde. Dieses Verständnis werde dadurch verstärkt, dass der Unbekannte KuchenTV wenige Sekunden später ebenfalls als "Bastard" grob beleidige. Äußerungsrechtlich sorgt die Entscheidung in einem Grenzbereich für zumindest etwas mehr Klarheit, wirft jedoch auch weiterführende Fragen auf.
Die Schlagzeile "Kultur: Ein Jude?" landete vor dem BVerfG
Befasst man sich eingehender mit der Thematik, so fällt auf, dass es nur eine Handvoll Entscheidungen gibt, die sich mit dem rechtlichen Umgang mit im Ausgangspunkt wertneutralen Bezeichnungen befassen, obwohl Begriffe wie "behindert" und "schwul" – jedenfalls nach dem subjektiven Empfinden des Autors – bedauerlicherweise fast schon inflationär von Jugendlichen und jungen Erwachsenen als Herabwürdigung oder Ausdruck der Missbilligung ("das ist voll schwul") verwandt werden.
Als besonders infam erweist sich dabei, dass durch die Verwendung solcher Begriffe als Beleidigung nicht nur der Betroffene, sondern zugleich all diejenigen herabgewürdigt werden, die tatsächlich schwul, körperlich eingeschränkt oder z.B. der jüdischen Glaubensgemeinschaft zugehörig sind. Augenscheinlich haben viele Betroffene gleichwohl Hemmungen, sich gegen solche Äußerungen mit straf- und/oder zivilrechtlichen Mitteln zur Wehr zu setzen, wahrscheinlich, weil sie befürchten, andernfalls dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, selbst Vorurteile zu haben.
Im Zusammenhang mit § 130 StGB (Volksverhetzung) hatte sich das BVerfG mit der Bezeichnung eines anderen als "Jude" zu befassen, sah darin im konkreten Sachverhalt allerdings keine Herabsetzung (BVerfG, Beschl. v. 06.09.2000, Az.:1 BvR 1056/95). In dem Fall ging es um eine Schlagzeile aus dem Regensburger Wochenblatt von 1992 ("Kultur: Ein Jude?"), die laut Karlsruhe zwar unsensibel ist, aber im Kontext mit einem neutralen Bericht über Kandidaten für das Amt des Kulturreferenten nicht strafbar. Der bloßen Bezeichnung einer Person als "Jude" sei insbesondere nicht zu entnehmen, dass es sich bei dem Betroffenen um ein "unterwertiges Glied der Gemeinschaft" handele. Anderes könne im Einzelfall gelten, insbesondere, wenn sich der Äußernde mit der nationalsozialistischen Rassenideologie identifiziere oder seine Äußerungen sonst damit in Zusammenhang stünden.
"Fußballtypische" Reaktion auf enge Manndeckung?
In einer im Jahr 2019 getroffenen Entscheidung wertete das sächsische Sportgericht die Frage "Bist du schwul oder was?" als gerade noch "fußballtypische" Reaktion auf eine enge Manndeckung. Es fehle daher an einem sportwidrigen Verhalten.
Zu der Bezeichnung "alter Mann" führte das OLG Hamm wiederum aus, dass eine dem Betroffenen gegenüber erhobene Tatsachenbehauptung oder verwendete Bezeichnung, die zutreffend bzw. nach allgemeinem Verständnis neutral zu verstehen sei, in der Regel nicht als Beleidigung angesehen werden könne. Ein abweichendes Ergebnis komme nur dann in Betracht, wenn die Bezeichnung eine über die bloße Kennzeichnung hinausgehende abwertende Konnotation aufweise (OLG Hamm, Beschl. v. 26.09.2016, Az. 1 RVs 67/16).
Aus Sicht des LG Tübingen kommt auch der Bezeichnung "homosexuell" keine beleidigende Bedeutung (mehr) zu (LG Tübingen, Urt. v. 18.07.2012, Az. 24 Ns 13 Js 10523/11). Schon rein empirisch sei zweifelhaft, ob die Bezeichnung "homosexuell" eine Herabwürdigung enthalte. Entscheidend sei, dass sich das Strafrecht in einen Widerspruch zum Antidiskriminierungsgrundsatz begäbe, wenn es die Bezeichnung "homosexuell" als ehrmindernd einordnen würde. "Homosexuell" verhalte sich insoweit nicht anders als sonstige Bezeichnungen für die sexuelle Präferenz wie "bi-" oder "heterosexuell". Dies gelte unabhängig davon, ob der Betroffene der jeweiligen Personengruppe angehöre.
Wunschdenken statt Schulhof-Realität
Den Begründungsansatz des LG Tübingen machte sich auch die Pressekammer des LG Köln zu eigen, als sie über die von KuchenTV beantragte Verbotsverfügung zu entscheiden hatte: Das Gericht sah sich gehindert, die Bezeichnung "schwul" als Beleidigung zu qualifizieren, weil eine solche Wertung dem Gleichheitsgrundsatz widerspreche.
Bemerkenswert ist, dass das LG Köln noch einige Wochen zuvor kein Problem damit hatte, die Verbreitung der Aussage "Sie sieht einfach aus wie die behinderte Schwester von XY" in einer ähnlich gelagerten Sachverhaltskonstellation zu verbieten (LG Köln, Beschl. v. 07.10.2021, Az. 28 O 346/21, nicht rechtskräftig), obwohl das Grundgesetz natürlich auch die Benachteiligung wegen einer Behinderung ausdrücklich verbietet. Den Hinweis, dass die Äußerung in erster Linie von Personen wahrgenommen werde, für die das Wort "schwul" nach wie vor eine Beleidigung darstelle, ließ das LG Köln ebenfalls nicht gelten. Falls es eine solche Personengruppe überhaupt gebe, stelle diese kaum das "unvoreingenommene und verständige Durchschnittspublikum" dar, aus dessen Sicht die Äußerung zu bewerten sei.
Gerade bei der zuletzt genannten Erwägung wird man dem LG Köln durchaus vorwerfen können, das eigene Wunschdenken einer realitätsgetreuen Beurteilung der herrschenden sprachlichen Verhältnisse, in denen Begriffen wie "schwul", "behindert" oder "Jude" nicht nur von politischen Randgruppen ein abwertendes Verständnis beigemessen wird, vorgezogen zu haben.
Als eindeutiger Beleg für die zuletzt aufgestellte Annahme kann etwa der von dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland Dr. Josef Schuster 2019 gehaltene Vortrag mit dem Titel "'Du Jude' als Schimpfwort auf dem Schulhof?" herangezogen werden, in dem die Frage, ob es verwunderlich sei, dass das Wort "Jude" auf dem Schulhof als Schimpfwort benutzt werde, vom Referenten mit der Aussage "Ehrlich gesagt: Leider nicht." beantwortet wird.
Entsprechende Quellen lassen sich ohne größere Schwierigkeiten auch für den Bereich Homophobie oder für Begriffe recherchieren, die Menschen mit Behinderung betreffen. Blenden Gerichte – selbst wenn die dahinter liegenden Motive sicherlich ehrenvoll sein mögen – diesen Umstand aus, so wird ein Ergebnis erreicht, das dem Gewollten, nämlich der Gleichstellung, letztlich abträglich ist. Denn hierdurch wird gerade derjenige begünstigt, der denkt, dass es in Ordnung sei, andere als "behindert", "schwul" oder "Jude" zu beleidigen.
Es kommt auf den Kontext an – das gilt sogar für die Bezeichnung als "Frau"
Die Entscheidung des OLG Köln wirft die weiterführende Frage auf, welche im Ausgangspunkt wertneutralen Begriffe darüber hinaus die Eignung aufweisen, um als Beleidigung verwandt zu werden. Wo ist die Grenze zu ziehen? Kann es beispielsweise eine Herabwürdigung darstellen, wenn eine andere Person als "Frau" bezeichnet wird?
Einen ersten Anhaltspunkt kann in diesem Zusammenhang sicherlich der "Schulhof-" oder auch "Bahnsteigtest" liefern: Wird man auf dem Schulhof oder Bahnsteig von einem Fremden "Bist du behindert, oder was?" gefragt, so dürfte den meisten klar sein, dass sich der Fragensteller keineswegs freundlich nach etwaigen körperlichen Beeinträchtigungen des Gegenübers erkundigen möchte.
Es gibt also bestimmte grundsätzlich wertneutrale Begriffe, die sich von vornherein besonders eignen, um außerhalb eines rein beschreibenden Kontexts als Herabwürdigung eingesetzt zu werden. Der Grund besteht darin, dass es dem Verwender in so einem Fall ersichtlich darauf ankommt, den mit der jeweiligen Bezeichnung klischeehaft verbundenen, überkommenen, vermeintlich negativen Wesenszug (z.B. behindert=geistig/körperlich benachteiligt; jüdisch=geldgierig; schwul=verweichlicht; polnisch=dem Diebstahl zugeneigt) hervorzuheben. Dies gilt prinzipiell unabhängig davon, ob der Adressat der Bezeichnung tatsächlich Mitglied der betreffenden Gruppe ist oder nicht.
Maßgeblich ist stets der konkrete Kontext: Obgleich rund 50 Prozent der Weltbevölkerung Frauen sind, kann es äußerungsrechtlich daher eine Beleidigung darstellen, wenn ein Fußballspieler von den gegnerischen Fans als "Frau" bezeichnet wird. Aus der Sicht des unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums ist nämlich ganz klar zu erkennen, dass es den Äußernden gerade nicht darum geht, das Geschlecht des Fußballspielers zu qualifizieren, sondern diesen als unmännlich/verweichlicht herabzuwürdigen.
Auch das OLG Köln hat in seiner Entscheidung die herausragende Bedeutung des Kontexts für die äußerungsrechtliche Einordnung einer Aussage hervorgehoben. Es ist demnach alleine der konkrete Zusammenhang, der aus einem grundsätzlich wertneutralen Begriff eine gerichtlich zu verbietende Persönlichkeitsrechtsverletzung machen kann.
Der Autor Dr. René Rosenau, LL.M., ist Rechtsanwalt in der auf Medienrecht spezialisierten Kanzlei HÖCKER Rechtsanwälte PartGmbB mit Sitz in Köln.
"Schwul", "Jude", "behindert": . In: Legal Tribune Online, 15.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49046 (abgerufen am: 04.10.2024 )
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