Die Urteilsgründe zur Kreuzerlass-Entscheidung liegen vor. Einerseits stellt der VGH München fest, dass Kreuze in Behörden die Neutralität verletzen. Klagen dagegen sind aber unzulässig oder unbegründet. Das war gewollt, meint Christian Rath.
Es geht hier nicht um eine uralte bayerische Tradition. Dass in bayerischen Behörden Kreuze hängen müssen, hat Markus Söder als frisch ins Amt gekommener Ministerpräsident erst im Frühjahr 2018 durchgesetzt. Dass ein halbes Jahr später in Bayern Landtagswahl war, dürfte dabei auch eine Rolle gespielt haben.
Im April 2018 beschloss die bayerische Landesregierung den sogenannten Kreuzerlass: "Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen." So steht es seither in § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO).
Formell gilt die Regelung nur für echte Landesbehörden. Doch die AGO enthält in § 36 eine (allgemeine) Empfehlung, dass sich auch Gemeinden, Landkreise und andere juristische Personen des öffentlichen Rechts an diese Geschäftsordnung halten mögen.
Lauter Protest
Gegen Söders Manöver gab es sofort lauten Widerspruch. Vermutlich war das vom Medienprofi Söder sogar intendiert, weil erst die Proteste den Kreuzerlass so richtig bekannt machten. Speerspitze des Protestes war der bayerische Bund für Geistesfreiheit (BfG), eine religionskritische Organisation, die gemeinsam mit 25 Privatpersonen, darunter der Liedermacher Konstantin Wecker, vor Gericht zog. Der Erlass verletze die staatliche Neutralität, die Kreuze sollen abgenommen werden, so die Klagen.
Die bayerische Staatregierung lehnte dies jedoch ab. Sie sah die Neutralität nicht verletzt. Der bayerische Staat identifiziere sich hier nicht mit der christlichen Religion. Das Kreuz stehe vielmehr für ein "Bekenntnis zur christlich-abendländischen Tradition".
In drei unterschiedlichen prozessualen Konstellationen landete der Fall beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) München, der im Mai diesen Jahres mündlich verhandelte. Anfang Juni wurde zwar der Ausgang der Verfahren bekannt - die Klagen waren erfolglos (Urt. v. 01.06.2022, Az. 5 N 20.1331 und 5 B 22.674) -, doch eine Begründung lag zunächst nicht vor.
Kreuzerlass ist illegal - aber kaum angreifbar
Diese Begründung hat der VGH nun veröffentlicht (ergänzt um einen Beschluss in gleicher Sache: Beschl. v. 23.08.2022, Az. (5 ZB 20.2243)). Und das volle Urteil liest sich dann doch deutlich differenzierter als es der nackte Tenor im Juni erwarten ließ.
So erklärte der VGH den Kreuzerlass faktisch für illegal. "Die Anbringung von gut sichtbaren Kreuzen im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes verstößt gegen die Pflicht zur weltanschaulich-religiösen Neutralität", heißt es ganz eindeutig in dem Urteil. Das Kreuz sei "Symbol einer religiösen Überzeugung" und nicht nur Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur. Eine solche "Profanisierung des Kreuzes" würde auch dem Selbstverständnis des Christentums entgegenlaufen.
Und weil die Symbole anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht in gleicher Weise ausgestellt werden, bedinge der Kreuzerlass "eine sachlich nicht begründete Bevorzugung des christlichen Symbols", betonen die Richter:innen.
Klagen ändern nichts
Allerdings kann die Einhaltung der verfassungsrechtlcihen Neutralitätspflicht, so der VGH, weder vom Bund für Geistesfreiheit noch von Privatpersonen eingeklagt werden. Deshalb hatten die Klagen keinen Erfolg.
Die Klagen der 25 Einzelpersonen waren schon unzulässig, weil § 28 AGO als Verwaltungsvorschrift ohne Außenwirkung gilt. Die Norm könne also keine subjektiven Rechte verletzen. Die Klage des BfG dagegen wurde zwar als zulässig eingestuft, sie scheiterte aber in der Begründetheit. Es liege kein Eingriff in Grundrechte vor.
In Frage kam hier natürlich vor allem die negative Religionsfreiheit. Jeder hat gründsätzlich das Abwehrrecht, vom Staat nicht religiös missioniert und indoktriniert zu werden. Das Kreuz im Eingangsbereich einer Behörde sei aber nur ein "passives Symbol ohne missionierende Wirkung". Deshalb liege kein Eingriff in die Religionsfreiheit der Behördenbesucher:innen vor. Diese seien nur flüchtig mit dem Kreuz konfrontiert.
Immerhin hat der VGH wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zugelassen. Der Bund für Geistesfreiheit kann dann insbesondere noch prüfen lassen, ob er als Weltanschauungsmeinschaft gegenüber den Kirchen benachteiligt wurde.
Die einfachste Lösung des Konflikts wäre natürlich, wenn sich die bayerische Staatsregierung das Urteil zu Herzen nähme und die Kreuze wieder abhängen ließe. Aber es ist leider keine Selbstverständlichkeit mehr, dass der Staat sich an Gerichtsurteile hält. Das hat schon die Debatte um die Vollstreckung von Urteilen gegenüber Behörden gezeigt - und wird sich hier - ohne Rechtsbefehl im Tenor - sicherlich nicht bessern.
Kein Schutz gegen Verwaltungsvorschriften
Es ist jedenfalls äußerst unbefriedigend, wenn ein Gericht die Rechtslage exakt beschreibt und der Verursacher des rechtswidrigen Zustands genau weiß, dass die Richter:innen nichts ausrichten können oder wollen.
So war es schon dreist von Söder, die Kreuzpflicht nur als Verwaltungsvorschrift zu beschließen. Schon dieses Manöver verkürzte den Rechtsschutz massiv. Individuen können nicht bei Verwaltungsgerichten klagen. Auch eine Popularklage am Bayerischen Verfassungsgerichtshof wurde als unzulässig abgelehnt (Beschl. v. 03.04.2020, Az. Vf. 8-VII-18). Ja selbst ein Antrag auf abstrakte Normenkontrolle (etwa des Bremer Senats oder der Thüringer Landesregierung) beim Bundesverfassungsgericht wäre nicht möglich. Gegen Verwaltungsvorschriften läuft der Rechtsschutz weitgehend leer.
Dabei ist schon fraglich, ob hier nicht eine gesetzliche Regelungzwingend gewesen wäre. Ist die Anordnung, in allen Behörden Kreuze aufzuhängen, nicht "wesentlich" genug? Aber mangels Rechtsschutz kommt Söder auch damit durch, sich diesem Rechtsschutz gezielt zu entziehen.
Allerdings zeigt der Umgang mit den BfG-Rechtsmitteln, dass die Überwindung der Zulässigkeits-Schwelle den Klagen noch lange nicht zum Erfolg verhilft.
Eine Falsche Individualisierung
Entscheidender Punkt in der VGH-Argumentation ist das Abstellen auf die individuellen Behörden-Besucher:innen. Natürlich sind diese durch das Kreuz an der Wand nicht relevant beinflusst, wenn sie das Glaubenszeichen überhaupt bemerken. Es ist eben keine Situation wie im Gerichtssaal oder im Klassenzimmer, wo die Menschen Stunden um Stunden mit Blick auf das Kreuz zubringen müssten.
Die Wirkung, die Söder erzielen wollte, war aber keine, die aus dem vorbeihastenden Kontakt im Gesundheitsamt Ansbach herrrührt. Die von ihm erzielte Wirkung zielte auf die gesamte bayerische Gesellschaft. Indem er anordnete, dass in über tausend staatlichen Behörden Kreuze aufgehängt werden, setzte er ein Signal, das vor allem medial als Akt der Staatsregierung wahrgenommen und vermittelt wurde.
Es geht dabei nicht nur um eine kollektive Großwirkung, sondern auch um eine Dauerwirkung. Wer irgendwann im Gesundheitsamt an einem Kreuz vorbeiläuft, denkt vermutlich weniger an Jesus Christus, sondern vielmehr an Söder, der die Chuzpe hatte, einfach das zentrale christliche Symbol für seine politischen Zwecke zu vereinnahmen.
Es geht auch um gesellschaftlichen Frieden
Bestenfalls bleibt das Manöver als wenig erfolgsträchtiger Alleingang von Ministerpräsident Söder in Erinnerung. Immerhin waren auch die Kirchen nicht begeistert, dass das Kreuz Jesu von Söder zur bayerischen Folklore und Traditionspflege banalisiert wurde.
Andererseits leben wir in einer multireligiösen Gesellschaft, die, wie jeder weiß, nicht ohne Spannungen ist. Einwanderer:innen sollen integriert werden und sich willkommen fühlen. Gleichzeitig muss der Staat massiv gegen fanatische und gewaltorientierte religiöse Fundamentalist:innen vorgehen.
Dass ein Ministerpräsident - und zwar als Politiker einer C-Partei - in dieser heiklen Situation christliche Symbole vereinnahmt und dem Staat als Outfit verpasst, ist mehr als leichtsinnig. Die staatliche Neutralität sichert die Gleichbehandlung der Religionen nicht nur um der Gleichheit willen, sondern auch um den gesellschaftlichen Frieden zu wahren.
Insofern wäre es sehr zu begrüßen, wenn das Bundesverwaltungsgericht in der Revision den Bund für Geistesfreiheit und seinen Anspruch auf Gleichbehandlung gleichsam zum Wächter über die staatliche Neutralität machen würde - so dass am Ende doch eine Verletzung subjektiver Rechte und eine entsprechende staatliche Handlungspflicht festgestellt würde.
Urteilsgründe zur Kreuzerlass-Entscheidung liegen vor: . In: Legal Tribune Online, 06.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49546 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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