BayObLG zum "Netzwerk Embryonenspende": Frei­sprüche für Medi­ziner auf­ge­hoben

Gastbeitrag von Maximilian Amos

04.11.2020

Das BayObLG sieht im Handeln des Netzwerks Embryonenspende strafbare Reproduktionsmedizin. Moderne Medizin kollidiert mit einem alten Gesetz. Und wirft die Frage auf, wann Leben beginnt. 

Für Hans-Peter Eiden war die Vorstellung eines weiteren Strafverfahrens ein Albtraum. Nach sechs Jahren ist der Mediziner die Prozedur leid, das Damoklesschwert einer Straftat wollte er endlich loswerden. Nun hat er Klarheit über die rechtliche Beurteilung seines Wirkens im Netzwerk Embryonenspende, dessen Gründer und 1. Vorsitzender er ist. Allerdings nicht so, wie er sie sich gewünscht hat.  

Am Mittwoch hat der 6. Senat des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLG) der Revision der Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch für Eiden und zwei ebenfalls angeklagte Mediziner durch das Landgericht (LG) Augsburg in Teilen stattgegeben (Urt. v. 04.11.2020, Az. 206 StRR 1461/19). "Das ist ein sehr harter Schlag. Das ist mein Lebenswerk. Viele Jahre meines Lebens sind zunichte gemacht“, erklärte Eiden kurz nach der Urteilsverkündung gegenüber LTO. "Ich habe Menschen zum Leben verholfen und werde als Straftäter behandelt."

Nach dem Urteil des BayObLG ist es strafbar, die zur künstlichen Befruchtung eingefrorenen Eizellen einer Frau später aufzutauen, um damit die Schwangerschaft einer anderen Frau herbeizuführen, sofern sich die Zellen noch im sogenannten 2-PN-Stadium befinden. Das LG Augsburg hatte Eiden und seine Mitangeklagten, wie zuvor auch das Amtsgericht (AG) Dillingen noch freigesprochen, dabei allerdings eine andere Begründung gewählt als die erste Instanz. Um all das zu verstehen, muss man etwas tiefer in die Materie der Eizellspende einsteigen.

Moderne Medizin

Der 2013 gegründete Verein mit dem Namen Netzwerk Embyronenspende ermöglichte es Frauen, die keine eigenen Kinder bekommen können, durch beteiligte Ärzte mit implantierter Samenzelle eingefrorene funktionstüchtige Eizellen zu erhalten. Diese stammten aus Spenden von Paaren, die bei einem Reproduktionsmediziner eine künstliche Befruchtung hatten vornehmen lassen. Bei diesem Vorgang wird das Spermium des Mannes in vitro („im Glas“) mit der Eizelle der Frau zusammengebracht. Durch diese sog. Imprägnation enthält die Eizelle nun das weibliche wie auch das männliche Genmaterial, die sich jeweils zu einem sogenannten Vorkern formen. Dieses Stadium wird 2-PN-Stadium genannt. Nach ca. 18 bis 24 Stunden verschmelzen die Kerne schließlich miteinander, was sie juristisch zu einem Embryo macht.

Weil bei einem solchen Vorgang immer mehrere imprägnierte Eizellen eingefroren werden, um im Fall eines Fehlschlags auf weitere zurückgreifen zu können, bleiben danach oft  funktionsfähige Eizellen im Vorkernstadium übrig, die, sofern wieder aufgetaut, auch in einer anderen Frau ein Kind heranwachsen lassen können. 

Die mit dem Netzwerk Embryonenspende verbundenen Mediziner stellten es den Frauen frei, diese Eizellen entweder vernichten zu lassen oder sie an Frauen zu spenden, die selbst nicht über funktionsfähige Eizellen verfügen. Wenn sie sich für Letzteres entschieden, schlossen sie einen Freigabe-Vertrag mit dem behandelnden reproduktionsmedizinischen Zentrum. 

Trifft auf ein 30 altes Gesetz

Spenderin und Empfängerin lernten sich dabei nicht persönlich kennen. Für die Vermittlung der Eizellen berechnete der Verein den Frauen lediglich 150 Euro, um den Aufwand zu decken, er finanziert sich nur aus Mitgliedsbeiträgen. Eiden betonte im Gespräch mit LTO den "altruistischen" Aspekt des Vorgangs. Eine kommerzielle Eizellspende, wie sie in manchen Ländern  praktiziert wird, ist in Deutschland nämlich unstreitig verboten.

Das Problem bei dieser nicht-kommerziellen Art der Weiterverwendung von imprägnierten Eizellen ist das Embryonenschutzgesetz (ESchG). Dessen § 1 Abs. 1 Nr. 2 untersagt bei Strafe, "eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt".

Hiermit wollte der Gesetzgeber im Jahr 1990 dem Phänomen einer "gespaltenen Mutterschaft" entgegenwirken. Die Möglichkeit, dass ein Kind eine genetische und eine biologische Mutter haben könnte, sah man als Gefährdung des Kindeswohls an. Noch nicht befruchtete Eizellen, die von der Frau, von der sie stammen, nicht mehr gebraucht werden, werden daher regelmäßig vernichtet.

Die Frage: Wann geschieht die Befruchtung? 

Die Staatsanwaltschaft war der Ansicht, dass es strafbar sei, bereits imprägnierte Eizellen im Vorkernstadium aufzutauen, um sie für eine andere Frau nutzbar zu machen: Findet – so die Argumentation der Anklage – die Befruchtung erst ihren Abschluss, wenn die Eizelle wieder aufgetaut wird, dann geschieht sie nicht mehr mit dem Ziel, eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt, sondern um sie einer anderen Frau einzupflanzen. Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG wäre damit erfüllt. Die Staatsanwaltschaft erhob daher gegen die Vorstandsmitglieder des Vereins Anklage wegen missbräuchlicher Anwendung von Fortpflanzungstechniken und Beihilfe dazu.

Das Problem ist also der Zeitpunkt der Befruchtung. Und über diesen gab es im Laufe der Jahre durchaus verschiedene Auffassungen. Findet die Befruchtung schon mit dem Zusammenbringen von Spermium und Eizelle ihren Abschluss? Oder wird sie erst durch das Auftauen und die daraus folgende Verschmelzung vollendet? Das ESchG beantwortet dies nicht eindeutig. 

Die Mediziner wollten sich keinem rechtlichen Risiko aussetzen und baten die emeritierte Strafrechtsprofessorin Monika Frommel um Rat. Sie kam daraufhin in einem Gutachten zu dem Ergebnis, dass das Handeln der Ärzte rechtlich einwandfrei sei. Eine Befruchtung geschehe bereits vor dem Einfrieren und daher noch mit der Zielrichtung einer Schwangerschaft bei der Frau, von der sie stamme. Dabei stützte sie sich auch auf die medizinische Definition der Bundesärztekammer, die in ihren Leitlinien an zwei Stellen das Erreichen des 2-PN-Stadiums als Fertilisation (Befruchtung) bezeichnet. 

Darum sprachen AG und LG frei 

Aufgrund dieses Gutachtens hatte das AG Dillingen in erster Instanz einen Verbotsirrtum zugunsten der Mediziner angenommen, da diese nach Einschätzung einer renommierten Expertin nicht von einer Strafbarkeit ihres Handelns hätten ausgehen müssen. 

Die Rechtsprofessorin Frommel war selbst zwischenzeitlich Mitglied des Vereinsvorstandes und ist in einem abgetrennten Verfahren, das bislang der heutigen Entscheidung harrte, ebenfalls wegen Beihilfe angeklagt. Das LG Augsburg hingegen hatte Frommels Argumentation im Wesentlichen übernommen und das Handeln der Ärzte für objektiv nicht strafbar befunden, da eine Befruchtung tatsächlich schon vor dem Einfrieren geschehen sei.

Anders als Frommel sah es dagegen schon länger ein beträchtlicher Teil der medizinrechtlichen Literatur und auch das Oberlandesgericht Karlsruhe (Urt. v. 17.06.2016, Az. 14 U 165/15). Tatsächlich tun sich im Gesetz zahlreiche Widersprüche auf, will man das Erreichen des Vorkernstadiums noch nicht als Befruchtung werten. Das LG Augsburg bewertete diese Widersprüche aber als dem überkommenen und nicht an moderne medizinische Realitäten angepassten Gesetz geschuldet und sprach die Ärzte ebenfalls frei. 

Angeklagter Eiden: "Das versteht kein Mensch"

Dies sah der Senat am BayObLG nun anders. Es handele sich beim Auftauen und Weiterkultivieren einer 2-PN-Eizelle um ein "künstliches Befruchten" im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG. Die Befruchtung einer Eizelle sei nicht schon durch das Einbringen der Samenzelle geschehen, sondern vollziehe sich über einen Zeitraum von bis zu 24 Stunden bis zur Entstehung eines Embryos. Werde eine solche noch nicht fertig befruchtete Eizelle nun aufgetaut, um die Schwangerschaft einer anderen Frau herbeizuführen, sei dies strafbar, wohingegen die Übertragung eines bereits entstandenen Embryos straflos bleibe.

Eiden zeigte aus seiner medizinischen Perspektive wenig Verständnis für diese Auslegung: "Das versteht kein Mensch. Wenn man nun einen Tag später einfriert, ist es legal." Dass man nicht einfach grundsätzlich später einfriert, hat medizinische Gründe, wie er im Gespräch mit LTO erläuterte. Nur in Fällen, in denen es schwerer sein kann, eine Schwangerschaft herbeizuführen – etwa bei Frauen um die 40 Jahre –, wird zur Absicherung der Entwicklung der Eizelle erst später eingefroren. Diese Embryos dürfen nun auch weiter gespendet werden, was allerdings das Spendenpotenzial erheblich reduziert. 

Hinsichtlich der angeklagten Fälle, in denen es sich noch nicht um Embryos handelt, hob der Senat somit die Freisprüche auf und verwies die Sache zurück an das LG. Dieses soll nun klären, welche Vorstellungen sich die Angeklagten vom Zustand der Zellen gemacht hätten. Auch bedürften die Tatsachen, aufgrund derer nach Ansicht des Berufungsgerichts zusätzlich ein Verbotsirrtum vorliegen sollte, weiterer Klärung.

Doch für Eiden ging es immer um eine Grundsatzfrage, nämlich die, wie mit beginnendem Leben verfahren werden soll. "Das ist Leben, das sich entwickeln kann, wenn man es lässt. Und dafür gibt es nun ein Vernichtungsgebot." Hoffnung auf eine gesetzgeberische Intervention, wie sie in der Wissenschaft schon verschiedentlich angeregt wurde, hegt Eiden wenig. "Momentan ist nicht sichtbar, dass der Gesetzgeber sich in absehbarer Zeit damit befassen möchte", meint er. Im August 2019 hat die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP hin noch bestätigt, am Verbot der Eizellspende festzuhalten. Aus Sicht von Eiden spielt dabei auch eine Rolle, dass die Lobby für Reproduktionsmedizin nicht sehr groß sei: "Die Betroffenen bewegen sich in einem Tabu-Bereich. Die gehen nicht auf die Straße". 

Zitiervorschlag

BayObLG zum "Netzwerk Embryonenspende": . In: Legal Tribune Online, 04.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43325 (abgerufen am: 13.10.2024 )

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