Insgesamt standen 79 Namen auf der Liste, die die Präsidentin des bayerischen Landtags am Freitag veröffentlichte. Es waren die Namen der Abgeordneten, die Ehepartner oder Kinder auf Kosten des Staates beschäftigt hatten. Die einen warnen nun davor, dass der Eindruck der Vetternwirtschaft entstehen könnte; die anderen befürchten ein Sonderrecht, das Angehörige diskriminiert.
Der bayerische Landtag habe ein Korruptionsproblem, heißt es. Dabei haben die Abgeordneten ihre Pflichten als Parlamentarier nicht verletzt und sich – nach allem, was bisher bekannt ist – auch nicht strafbar gemacht. Dass sie nun dazu gedrängt werden, Arbeitsverhältnisse mit ihren Angehörigen aufzulösen, begründet ein problematisches Sonderrecht für Abgeordnete, meint Michael Kubiciel.
Seit den Affären um die Freundschaften des früheren Bundespräsidenten Wulff und die Vortragshonorare des Kanzlerkandidaten Steinbrücks sind die Stichworte politische Korruption, Abgeordnetenbezüge und Transparenz in aller Munde. In der Phase aufziehender Wahlkämpfe im Bund und in Bayern überbieten sich die Oppositionsparteien mit Vorschlägen, die Regeln über die Abgeordnetenbestechung zu verschärfen, die Nebeneinkünfte von Abgeordneten zu veröffentlichen und internationale Antikorruptionsübereinkommen zu ratifizieren.
Auch die Koalition im Bund ist zumindest etwas in Bewegung geraten, signalisieren doch einige Angehörige der Regierungsfraktionen die Bereitschaft, den Tatbestand der Abgeordnetenbestechung noch in diesem Sommer anzupassen.
Legalität, Klugheit und Legitimität
In der hitzigen Atmosphäre des Vorwahlkampfs war keine kühle und rationale Reaktion zu erwarten, als bekannt wurde, dass Abgeordnete der CSU, der SPD und von Bündnis90/Die Grünen ihre Angehörige auf Kosten des Freistaats bis in die jüngere Vergangenheit und Gegenwart beschäftigt hatten. Während die einen über Korruption, vulgo: Amigo- und Vetternwirtschaft, schimpften, waren andere darum bemüht, das Thema so schnell wie möglich politisch "abzuräumen". Dabei ist die eine Reaktion so überzogen wie die andere.
Denn abgeordnetenrechtlich war die Weiterbeschäftigung der Angehörigen dank einer Übergangsregelung für "Altfälle" rechtens. Damit fehlt zugleich der primärrechtliche Anknüpfungspunkt für eine strafrechtliche Haftung, etwa über den Untreue-Tatbestand. An der rechtlichen Bewertung ändert die Höhe der Vergütung, die in Einzelfällen für Aufregung sorgte, übrigens nichts – unter einer Voraussetzung: Dass die Leistungen, welche die Abgeordneten und ihre Angehörigen dem Landtagsamt in Rechnung stellten, auch tatsächlich in dem angegebenen Umfang erbracht worden sind.
Hätte die Ehefrau keinen Telefondienst am Wochenende geleistet, hätte der Sohn keine EDV-Wartungsarbeiten an Papas Landtagscomputer durchgeführt, hätte der Schwager nicht das Wahlkreisbüro betreut – dann wäre dies strafrechtlich eindeutig als Betrug zu bewerten. Sollte dies mit Wissen des Abgeordneten geschehen sein, wäre dieser der Beihilfe zum Betrug schuldig, gegebenenfalls läge sogar Mittäterschaft vor. Doch ist dies bislang nicht behauptet worden, und man muss für unsere Demokratie hoffen, dass derartiges auch nicht geschehen ist.
Nach allem, was wir heute wissen, war die Beschäftigung der Angehörigen damit sowohl abgeordnetenrechtlich als auch strafrechtlich legal. Politisch unklug war sie dennoch. Denn wir, die Wähler, haben uns angewöhnt, an Politiker moralische Maßstäbe zu stellen, die für uns selbst, als Angestellte, Unternehmer oder Beamte, nicht gelten. Denn zweifellos ist es rechtlich zulässig und moralisch akzeptabel, wenn die Zahnärztin ihren Ehemann mit Abrechnungen betraut, der Fleischer seine Frau als Verkaufskraft beschäftigt oder der Sohn des Regierungspräsidenten Dienst in einer Fachabteilung tut. Für Abgeordnete und ihre Angehörigen soll dies nicht gelten – und dies ist, wenn nicht verfassungswidrig, so doch hart an der Grenze zur Legitimität.
Der Verdacht der Vetternwirtschaft – revisited
Denn das Verbot, seine Angehörigen (weiter) zu beschäftigten, ist wie jeder staatliche Grundrechtseingriff rechtfertigungsbedürftig. Ministerpräsident Seehofer hat zur Begründung des Verbots den – im Alltag so oft zitierten wie verletzten – Satz "Das tut man nicht" bemüht. Doch reicht der Hinweis auf die Sozialmoral in einem liberalen Rechtsstaat, der zwischen Recht und Moral unterscheidet, zur Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs nicht aus. Gewichtiger scheint hingegen der Verdacht der Vetternwirtschaft, der in der politischen und medialen Diskussion häufig geäußert wird: Der Angehörige habe nur als Angehöriger die fragliche Anstellung finden können, sei also gleichqualifizierten Nicht-Angehörigen in unzulässiger Weise vorgezogen worden. Das mag im Einzelfall so gewesen sein, muss aber nicht den Regelfall abbilden, an dem sich eine gesetzliche Regelung zu orientieren hat.
Denn für die Beschäftigung der Ehefrau, des Sohnes oder des Schwagers gibt es – gerade im politischen Bereich – sehr gute Gründe: Angehörige genießen in aller Regel einen erheblichen Vertrauensvorschuss gegenüber Bewerbern "von außen". Und Vertrauen ist bekanntlich in der Politik das wichtigste und zugleich knappste Gut. Auch dürften Angehörige – wiederum im Regelfall – eine deutlich ausgeprägtere Grundloyalität gegenüber dem Abgeordneten und seiner politischen Arbeit haben als Personen, die hauptsächlich das Interesse am Broterwerb oder die Hoffnung auf eine eigene politische Karriere an der Seite des Parlamentariers antreibt.
So gesehen, ist die Beschäftigung von Angehörigen rational nachvollziehbar – und zwar nicht nur aus finanziellen Gründen. Vor allem aber: Wenn man eine Vettern- oder Amigowirtschaft konsistent bekämpfen wollte, müsste man auch die Einstellung von Partei- oder Studienfreunde, Bekannten aus Stadt, Dorf oder Verein und vieles mehr verbieten. Dies ist weder praktisch justiziabel noch rechtsethisch zu rechtfertigen.
Der Verdacht der Vetternwirtschaft ist mithin viel zu pauschal und diffus, um einen weitreichenden Eingriff in die Berufsfreiheit der Angehörigen und die Mandatsfreiheit der Parlamentarier zu rechtfertigen. Was als Legitimationsgrund bleibt, ist nicht weniger diffus, aber immerhin empirisch tragfähig: die Annahme, Parlamentarier und ihre Angehörige träfe eine Sonderpflicht, das Vertrauen in die Gemeinwohlorientierung der Abgeordneten und in die Funktionsweise unserer parlamentarischen Demokratie zu stabilisieren. Ironischerweise führte dann das Verwandtschaftsverhältnis nicht zu der von den Kritikern vermuteten Bevorzugung, sondern zu einer Benachteiligung von Ehefrauen und Kindern.
Der Autor PD Dr. Michael Kubiciel lehrt deutsches und europäisches Strafrecht, Strafrechtsvergleichung und Rechtsphilosophie an der Universität Regensburg. Er hat in der Vergangenheit inter- und supranationale Organisationen wie den Europarat, die UN und die EU-Kommission in Antikorruptionsfragen beraten. Er gibt hier ausschließlich seine eigene Meinung wieder. In diesem Sommersemester vertritt er einen Lehrstuhl für Strafrecht an der Universität zu Köln.
Georg Schmid, der Fraktionsvorsitzende der CSU im bayerischen Landtag, war das erste politische Opfer der Affäre um Abgeordnete, die ihre Verwandten beschäftigen. Genauere Regeln braucht aber nicht nur Bayern, sondern jedes Parlament. In Zukunft sollte auch die Kosten für eine Beschäftigung von Verlobten, Geschwistern und Enkeln nicht die Staatskasse übernehmen, meint Sebastian Roßner.
Das Recht der Abgeordneten ist nicht immer übersichtlich. Georg Schmid, der nach der Landtagswahl 2008 sogar kurze Zeit Ambitionen auf das Ministerpräsidentenamt angemeldet hatte, stolperte über eine Norm, die im Verborgenen blüht: über § 2 S. 2 des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Abgeordnetengesetzes vom 8. Dezember 2000. Eine harmlos wirkende Übergangsvorschrift.
Hintergrund ist der jetzige Art. 8 des Bayerischen Abgeordnetengesetzes (BayAbgG). Dieser sieht vor, dass ein Abgeordneter vom Staat verlangen kann, die Kosten zu erstatten, die für parlamentarische Mitarbeiter entstehen. Die Höhe der erstattungsfähigen Kosten bestimmt dabei das Haushaltsgesetz.
Eindruck der Vetternwirtschaft vermeiden
Eine nunmehr schon knapp 13 Jahre zurückliegende Reform des Abgeordnetengesetzes nahm dann Verträge mit Ehepartnern, Verwandten ersten Grades und Personen, die im ersten Grade mit den Abgeordneten verschwägert sind, von der Möglichkeit der Erstattung aus. Diese Regelung verfolgt zwei Zwecke: Sie will erstens verhindern, dass durch besondere persönliche Nähe Konstellationen entstehen, in denen typischerweise die Gefahr besteht, dass staatliche Mittel zweckentfremdet werden. Es geht also darum, einer abstrakten Gefahr vorzubeugen, ohne dass bereits ein konkretisierter Korruptionsverdacht bestehen müsste. Und zweitens soll das Ansehen des Parlaments geschützt werden, indem der Eindruck der Vetternwirtschaft vermieden wird.
Der erwähnte § 2 des Änderungsgesetzes macht für bereits bestehende Verträge zwischen bayerischen Landtagsabgeordneten und ihren Mitarbeitern eine Ausnahme von diesem Erstattungsverbot. Es ist eine Übergangsregelung für Altfälle, die Bestandsschutz bieten sollte, und zwar für die auf das Einkommen angewiesenen Mitarbeiter ebenso wie für die Abgeordneten, die eingearbeitete Kräfte nicht ohne weiteres ersetzen können.
Mangelnde Sensibilität
Überraschend stellte sich heraus, dass nun bald 13 Jahre nach der Gesetzesänderung immer noch 17 Abgeordnete von der Übergangsregelung Gebrauch machen. Sie halten sich damit zwar an die Buchstaben, nicht aber an den Geist der Regelung. Dieses Verhalten von immerhin etwa neun Prozent der Abgeordneten des bayerischen Landtages zeugt von mangelnder Sensibilität für die mit einem Mandat verbundene besondere öffentliche Verantwortung.
Dies sollte jedoch nicht von den Schwächen der Regelungen selbst ablenken. Evident ist, dass die Übergangsregelung hätte befristet werden müssen. Aber auch der Umfang des eigentlichen Erstattungsverbots in Art. 8 Abs. 1 S. 2 BayAbgG wirft Fragen auf. Weil nur Verwandte ersten Grades erfasst sind – also Eltern und Kinder – können Abgeordnete etwa ihre Geschwister oder Enkel beschäftigen und sich die Kosten aus den öffentlichen Kassen erstatten lassen. Das ist zu eng gefasst; eine Änderung tut Not und wurde von der bayerischen Politik auch bereits angekündigt.
Auch Kosten für Beschäftigung des Verlobten sollten nicht erstattet werden
Allerdings ist politisch bedenklicher Familiensinn kein Problem, das nur im weiß-blauen Freistaat und nicht etwa auch im preußischen Berlin vorkommen könnte: Eine Abgeordnete des Bundestages hatte über 30 Monate ihren Verlobten als Mitarbeiter beschäftigt. § 12 Abs. 3 S. 3 f. Abgeordnetengesetz des Bundes (AbgG) untersagt, sich die Kosten für die Beschäftigung von Verwandten, Verheirateten (sowie eingetragenen Lebenspartnern) und Verschwägerten erstatten zu lassen.
Allerdings ist diese Norm so unbestimmt (wie weit reichen Verwandtschaft und Verschwägerung im Sinne der Norm?), dass der Gesetzgeber für Einzelheiten auf Ausführungsbestimmungen des Ältestenrates des Bundestages verweist. Diese nehmen ihrerseits wiederum Bezug auf die Personengruppen, die nach § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 der Zivilprozessordnung aus persönlichen Gründen das Zeugnis verweigern dürfen. Dazu zählen auch Verlobte.
Nach den Ausführungsbestimmungen hätte das Gehalt für den Verlobten also nicht vom Bundestag erstattet werden dürfen. Juristisch maßgeblich ist jedoch die Aufzählung in § 12 Abs. 3 S. 3 f. AbgG, die offenbar abschließend gemeint ist. Das heißt, die Erstattung war rechtens. Dennoch muss man die Frage stellen, ob nicht auch diese Fälle wegen der typischerweise großen persönlichen Nähe zwischen den Beteiligten von der Kostenerstattung ausgeschlossen sein sollten. Jedenfalls müsste der Gesetzgeber selbst genau bestimmen, welche Personengruppen das Erstattungsverbot erfassen soll, anstatt dies dem Ältestenrat des Bundestages zu überlassen.
Opposition im Interessenkonflikt
Da es vergleichbare Normen in allen Bundesländern gibt, könnte es durchaus sein, dass weitere Fälle rechtlich und politisch problematischer Beschäftigungsverhältnisse auftauchen.
Die bisher maßvolle Empörung der Öffentlichkeit über das bekannt gewordene Verhalten einer Reihe von Politikern ist gerechtfertigt. Sie darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass es um eine spezielle Situation geht: Die Erstattungsverbote des Abgeordnetenrechts gehören zwar inhaltlich in die lange Reihe der Vorschriften, die verhindern sollen, dass Entscheidungen über öffentliche Gelder oder den Gebrauch hoheitlicher Gewalt verzerrt werden. Vergaberechtliche Vorschriften gehören ebenso hierher wie etwa die Normen über die Befangenheit von Richtern oder Gemeinderäten.
Aber die Besonderheit liegt darin, dass Abgeordnete parlamentsrechtliche Normen in eigener Sache erlassen und teilweise auch vollziehen. Das erhöht die Gefahr von Defiziten bei der innerparlamentarischen Kontrolle, die in erster Linie Aufgabe der Opposition ist, denn in materieller Hinsicht sitzen die Abgeordneten in einem Boot. Die Opposition ist so auf dem Feld der Politikfinanzierung durch einen Interessenkonflikt darin geschwächt, Regierung und Parlamentsmehrheit zu kontrollieren.
Die bayerische Beschäftigungsaffäre ist ein gutes Beispiel dafür. Von Dezember 2000 bis April 2013 war auch von der Opposition wenig zu vernehmen in Sachen parlamentarischer Arbeitsbeschaffung für Verwandte. Soweit die innerparlamentarische Kontrolle aus systematischen Gründen versagt, müssen die Medien die Öffentlichkeit aktivieren. Besonderes Augenmerk sollten Journalisten dabei auf die Regelungen über die finanzielle Versorgung der Politiker und ihrer Parteien sowie der mit den Parteien verbundenen Organisationen, wie etwa den Fraktionen oder den parteinahen Stiftungen werfen.
Der Autor Dr. Sebastian Roßner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel und Sebastian Roßner, Pro & Contra Verwandten im Abgeordnetenbüro: Legitime Beschäftigung oder Amigowirtschaft? . In: Legal Tribune Online, 07.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8680/ (abgerufen am: 11.12.2023 )
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