Nach der Eskalation in Heidenau fordert auch die Gewerkschaft der Polizei Bannmeilen um Flüchtlingsheime. Michael Winkelmüller bezweifelt, dass das zum Schutz der Menschen geboten ist – und verfassungsrechtlich überhaupt zulässig.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) schlägt vor, dass es in einem Radius von einem Kilometer um Flüchtlingsheime herum generell verboten werden soll, zu demonstrieren. Nur mit einer solchen Bannmeilen-Regelung seien Angriffe wie jüngst in Dresden, Heidenau oder anderenorts zu verhindern. Eine derartige Schutzzone sei außerdem ein Zeichen des Staates an Flüchtlinge, dass alles versucht werde, um Übergriffe zu verhindern.
Verfassungsrechtlich ist klar, dass eine solche generelle Regelung eine Gesetzesänderung erfordern würde. § 15 Versammlungsgesetz (VersG) ermächtigt die Behörden derzeit nur zu einer Ermessensentscheidung im Einzelfall, nicht aber zu generellen Verbotsregelungen.
Ein solches allgemeines Verbot von Demonstrationen um Flüchtlingsheime herum wäre auch verfassungswidrig. Es würde das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Grundge-setz (GG) unverhältnismäßig beschränken.
Bannmeilen um einzelne Orte nach geltendem Recht
Das Instrument der sogenannten "Bannmeilen", in denen das Demonstrationsrecht eingeschränkt ist, existiert im deutschen Recht bekanntlich bereits. Es gibt zwei verschiedene Arten von Bannmeilen.
In denen um den deutschen Bundestag, den Bundesrat und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sowie um die Gesetzgebungsorgane der Länder sind öffentliche Versammlungen grundsätzlich verboten (§ 2 des Gesetzes über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes, § 16 Abs. 1 Versammlungsgesetz). Wenn eine Beeinträchtigung der Tätigkeit der Staatsorgane nicht zu befürchten ist, sind Ausnahmen auf Antrag zuzulassen.
Die zweite Form von gern als Bannmeilenbezeichneten Sperrbezirken wurde 2005 einge-führt. Sie ergänzt die allgemeine versammlungsrechtliche Verbotsklausel, nach der die zu-ständige Behörde eine Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen kann, wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet ist (§ 15 Abs. 1 VersG).
Das kann seit 2005 vor allem dann geschehen, wenn die geplante Versammlung an Orten wie zum Beispiel dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin stattfinden soll, also an Plätzen, die als "Gedenkstätten von historisch herausragender, überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnern."
Hintergrund war die Zunahme rechtsextremistischer Versammlungen, die sich laut Gesetzesbegründung "in Themenwahl, Veranstaltungsort und Ausgestaltung immer stärker an das Gepräge historischer Aufmärsche des NS-Regimes angleichen". Versammlungen können seitdem leichter verboten werden, wenn zu befürchten ist, dass sie die Würde der Opfer des NS-Regimes beeinträchtigen würden (§ 15 Abs. 2 VersG).
Versammlungsverbote würden extrem ausgeweitet
Ein generelles Verbot von Versammlungen an bestimmten Orten – und damit auch vor Flüchtlingsheimen – macht aber auch diese zehn Jahre alte Vorschrift nicht möglich. Eine dafür nötige Gesetzesänderung müsste ihrerseits Art. 8 Abs. 2 Grundgesetz (GG) beachten. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit "nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit" zulässig (BVerfGE 69, 315, 348; st. Rspr.).
Flüchtlinge genießen selbstverständlich staatlichen Schutz, die Verfassung schützt ihre Men-schenwürde, ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit sowie ihre Freiheit (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 GG). Dennoch wäre ein generelles Versammlungsverbot vor Flüchtlingsheimen unverhältnismäßig.
Zum einen würde es auch legitime Versammlungen ausschließen. Zum anderen sind die bis-lang geregelten Bannmeilen bewusst äußerst begrenzt. Bannmeilen um Flüchtlingsheime würden die für Demonstrationen gesperrten öffentlichen Bereiche in bislang nicht gekanntem Maße ausweiten. Und eine weitere Ausdehnung auf andere Stätten läge nahe: Auch Synagogen, Moscheen, Kirchen oder forensische Kliniken könnten zeitweise besonderen poli-zeilichen Schutz benötigen. Mehr und mehr würde das grundsätzlich freie Demonstrations-recht in ein grundsätzliches Verbot mit Erlaubnisvorbehalt umgewandelt.
Vor allem aber ist eine generelle Bannmeile nicht nötig, um Flüchtlinge zu schützen.
2/2: Viele Versammlungen hätten aufgelöst werden können
Eine Bannmeilen-Regelung müsste, um eine Beschneidung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit zu rechtfertigen, zum Schutz der Flüchtlinge erforderlich sein. Die bestehenden Gesetze bieten aber genug Möglichkeiten, um Bedrohungen, Beleidigungen und Gewalt gegenüber Flüchtlingen wie in Dresden und Heidenau zu verhindern.
Versammlungen sind grundsätzlich anzumelden (§ 14 VersG). Die mit der Anmeldung ver-bundenen Angaben sollen den Behörden die notwendigen Informationen vermitteln, damit sie sich ein Bild darüber machen können, was einerseits für einen möglichst störungsfreiem Verlauf der Veranstaltung veranlasst werden muss und was andererseits zum Schutz Dritter sowie des Allgemeininteresses erforderlich ist.
Von dieser Anmeldepflicht sind nur sogenannte Spontandemonstrationen, die sich aus aktuellem Anlass augenblicklich bilden, verfassungsrechtlich ausgenommen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985- Brokdorf II). Als "Flashmob" über soziale Netzwerke organisierte Demonstrationen fallen nicht darunter, sondern sind organisierte und damit anmeldepflichtige Zusammenkünfte.
Viele der Versammlungen, die in den vergangenen Wochen stattgefunden haben, waren bereits gesetzlich verboten und hätten von den Behörden aufgelöst werden können (§ 15 Abs. 3 VersG ). Ihre Organisatoren haben sich bewusst den notwendigen Auflagen entzogen und damit vor den Flüchtlingsheimen eine besondere Gefährdungslage geschaffen. Die Erwartung, dass ein weiteres gesetzliches Verbot beachtet würde, erscheint nicht gerechtfertigt.
Es braucht keine Bannmeile, um Flüchtlinge zu schützen
Wurde eine Versammlung angemeldet und hat die örtlich zuständige Behörde berechtigte Anhaltspunkte, dass diese die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden wird, kann sie diese verbieten (§ 15 Abs. 1 VersG). Das geht bereits, wenn von den Angaben der Anmeldung abgewichen oder den Auflagen zuwidergehandelt wird (§ 15 Abs. 3 VersG). Erst recht kann die Behörde die Versammlung verbieten, wenn sie Anhaltspunkte dafür hat, dass aus der Versammlung heraus Straftaten wie Beleidigung, Bedrohung, Landfriedensbruch, Körperverletzung oder gar schwere Brandstiftung begangen werden. Auch insoweit reichen die bestehenden gesetzlichen Grundlagen aus, um Ausschreitungen wie die in den vergangenen Wochen vor Flüchtlingsheimen zu verhindern.
Stattdessen: konsequente Gefahrenabwehr und Strafverfolgung
Es braucht ein angemessenes Gefahrenabwehrkonzept sowie den unbedingten politischen Willen, Ausschreitungen gegenüber Flüchtlingen zu verhindern. Dazu gehört selbstverständlich eine ausreichende Präsenz und Ausstattung der Polizei- und Ordnungskräfte vor Ort.
Entscheidend ist es weiter, dass konsequente Polizeitaktik ein Klima, in dem Gesetzesverstöße aus der Masse heraus ohne größeres Risiko begangen werden können, vorn vornherein konsequent verhindert.
Dazu gehört es auch, Straftaten und Ordnungswidrigkeiten konsequent zu verfolgen und durch Personalienfeststellungen und Videoaufnahmen zu Beweiszwecken (§ 12a VersG), aber auch per Auswertung von Aufrufen in sozialen Medien die Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Dafür muss es nicht erst zu Straftaten gegen Flüchtlinge kommen: Bereits auf die Durchführung einer nicht angemeldeten Versammlung, auf wesentliche Abweichungen von der Anmeldung und auf Verstöße gegen Auflagen stehen für die Leiter der Demonstration Freiheitsstrafen (§§ 24, 25 VersG). Die Teilnahme an einer vollziehbar verbotenen Versammlung stellt eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 29 VersG).
Auch wenn mit den Mitteln des Strafrechts naturgemäß nur nachträglich auf begangene Straftaten reagiert wird, ist die generalpräventive Wirkung einer konsequenten Strafverfolgung anerkanntermaßen im polizeilichen Gefahrenabwehrkonzept zu berücksichtigen.
Wenn – wie ausweislich von Presseberichten in Heidenau – Videoaufnahmen trotz erkennbarer Gefährdungen nicht gemacht wurden und trotz erheblicher Ausschreitungen nur eine Person, nämlich ein Journalist, verhaftet wird, zeigt das eine unzureichende und ermessens-fehlerhafte Ausnutzung des gesetzlich eröffneten Maßnahmenpotentials. Den Ruf nach Ge-setzesverschärfungen und generellen Grundrechtseinschränkungen rechtfertigt es nicht.
Der Autor Dr. Michael Winkelmüller ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner bei Redeker Sellner Dahs Rechtsanwälte am Standort Bonn.
Michael Winkelmüller, Bannmeilen um Flüchtlingsheime?: Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit würde verletzt . In: Legal Tribune Online, 27.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16729/ (abgerufen am: 02.12.2023 )
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