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"Ich fahre schwarz" an der Mütze: Zettel schützt vor Strafe – nicht?

von Dr. Sascha Böttner

11.08.2014

ICE

Bild: Thomas Herter / Deutsche Bahn AG

Das Personal der Deutschen Bahn stieß in einem ICE von Köln nach Frankfurt auf einen dreisten Schwarzfahrer. Ganz offen stand auf einem Zettel an seiner Mütze "Ich fahre schwarz". Ob er sich die Bahnfahrt dennoch "erschlichen" hat, muss nun das Bonner LG in zweiter Instanz entscheiden. Neu ist die Idee nicht – und die Antwort trotzdem nicht eindeutig, erklärt Sascha Böttner.

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Seelenruhig stieg am 11. November 2011 ein Mann ohne Bahnticket in den ICE von Köln nach Frankfurt. Statt eine Fahrkarte zu lösen, bekannte er sich mittels eines Zettels an seiner Mütze: "Ich fahre Schwarz" war darauf zu lesen. Kurz hinter Siegburg stießen Kontrolleure der Deutschen Bahn auf den 32-Jährigen.

Die Bahn-Mitarbeiter ließen sich vom Zettel jedoch nicht beeindrucken und erstatteten Anzeige wegen des Erschleichens von Leistungen i.S.d. § 265a Strafgesetzbuch (StGB) gegen den Berliner.

Nachdem das Amtsgericht (AG) Siegburg ihn zu einer Geldstrafe in Höhe von 200 Euro verurteilte, muss sich im Berufungsverfahren nun das Landgericht (LG) Bonn mit dem Fall auseinandersetzen. Die entscheidende Frage lautet: "Erschleicht" sich jemand eine Leistung, auch wenn er offen bekannt gibt, dass er keine Gegenleistung erbringen wird?

Bereits vor über 40 Jahren beschäftigten sich deutsche Gerichte mit dieser Frage. Das Bayerische Oberste Landesgericht stellte 1969 fest, dass keine Erschleichung vorliege, wenn der Fahrgast den Mitarbeitern beim Betreten des Verkehrsmittels offen und ausdrücklich bekannt gibt, dass er schwarz fährt (Beschl. v. 21.02.1969, Az. RReg 3a St 16/69). In dem bayerischen Fall ging es jedoch um offen ausgetragene Protestaktionen gegen Fahrpreiserhöhungen, bei denen die Beteiligten ihre fehlende Zahlungsbereitschaft unmissverständlich demonstrierten. Im Mützen-Fall könnte das anders aussehen.

Schwarzfahren ist kein heimliches Delikt

Die Rechtsprechung verlangt für die Erfüllung des Tatbestandes nämlich keine "Heimlichkeit". Es reicht aus, wenn die Person sich mit dem "Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt". Dies soll bereits dann gegeben sein, wenn ein unauffälliges und unbefangenes Auftreten vorliegt. Sicherungen oder Kontrollen umgehen muss man nicht.

Was genau das bedeutet, darüber ist sich die Rechtsprechung allerdings nicht einig. So verlangt zum Beispiel das OLG Naumburg, dass für einen objektiven Beobachter der Anschein ordnungsgemäßer Erfüllung des Vertrags erregt wird (Beschl. v. 06.04.2009, Az. 2 Ss 313/07). Eben diesen Anschein kann aber ein Zettel mit der Aufschrift "Ich fahre schwarz" zerrütten. Mit dieser Begründung wurde im Jahr 2013 bei einem ähnlichen Sachverhalt wie im Siegburger Mützen-Fall ein Beschuldigter vom AG Eschwege freigesprochen (Urt. v. 21.11.2013, Az. 71 Cs - 9621 Js 14035/13).

Anders hat dies im Jahr 2011 das Kammergericht Berlin gesehen (KG Berlin, Beschl. v. 02.03.2011, Az. (4) 1 Ss 32/11 (19/122)). Ein Zettel an der Kleidung reicht nach Ansicht der Berliner Richter nicht aus, um den Anschein der Ordnungsmäßigkeit zu erschüttern. Einerseits kann man ein solches Schild im Einzelfall übersehen, beispielsweise  wenn man die Person nur von der Seite betrachtet, andererseits könnte man einen solchen Zettel aber auch als bloße Provokation gegen die Verkehrsbetriebe deuten.

Bereits zuvor hat das Landgericht Hannover (Urt. v. 12.08.2008, Az. 62 c 30/08) ein T-Shirt mit der Aufschrift "Rechtlicher Hinweis: Ich habe den Fahrpreis nicht bezahlt und bin deshalb Schwarzfahrer" als nicht ausreichend erachtet. Die Kammer war der Ansicht, dass es nicht auf den Anschein der Ordnungsmäßigkeit gegenüber den Mitfahrern ankomme, sondern gegenüber den vom Beförderungsunternehmen eingesetzten Personen. Vor Fahrtantritt hätte somit dem Zugführer oder anderen Kontrolleuren das T-Shirt gezeigt werden müssen. Allerdings hätten die den Schwarzfahrer dann wohl kaum mitgenommen.

Auch wenn das nicht ganz unumstritten ist, beseitigt ein Zettel mit "Ich fahre schwarz" nach herrschender Rechtsprechung also die Strafbarkeit wegen Erschleichens von Leistungen nicht.  Es ist kaum davon auszugehen, dass das LG Bonn das anders sehen wird.

Strafbarkeit abschaffen oder kostenloser Nahverkehr?

Die strafrechtliche Sanktionierung des  Schwarzfahrens wird immer wieder ganz generell in Frage gestellt. Erst kürzlich forderte die Fraktion der Berliner Piraten, die strafrechtliche Verfolgung  einzustellen. Denn auch heute werden zum Teil noch Freiheitsstrafen wegen wiederholten Schwarzfahrens ausgeurteilt.

Auch andere Stimmen aus der Politik denken offen über die Abschaffung des Tatbestandes nach. Stattdessen könnte das Schwarzfahren zukünftig als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeldern geahndet werden.

Ein anderes Konzept verfolgt die Stadt Osnabrück. Diese lässt durch eine Machbarkeitsstudie aktuell überprüfen, ob sie nicht komplett auf einen fahrscheinlosen Nahverkehr umsteigen könnte. Die Kosten würden dann auf alle Bürger der Stadt umgelegt werden. Auch die Städte Tübingen, Köln, Erfuhrt und Bonn denken über die Einführung einer ÖPNV-Flatrate nach.

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen fordert dagegen vor allem eine Erhöhung des sogenannten erhöhten Beförderungsentgeltes von 40 auf 60 Euro. Dies wird nämlich auf jeden Fall fällig. Durch das Einsteigen in das Verkehrsmittel wird ein Vertragsschluss durch schlüssiges Handeln herbeigeführt. Der Verband schätzt, dass alleine im Nahverkehr durch Schwarzfahrer Einnahmen zwischen 250 und 300 Millionen Euro jährlich den Nahverkehrsunternehmen entgehen. Die Verkehrsminister der Länder haben bezüglich der Erhöhung eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht. Nun müssen sich Bundestag und Bundesrat mit dem Thema beschäftigen.

In Bonn übrigens kann die Kammer sich noch ein wenig Zeit lassen, bevor sie sich des Schwarzfahrers annimmt. Das Berufungsgericht muss nach Angaben des Kölner Stadtanzeigers zuerst noch über einen Befangenheitsantrag des Angeklagten entscheiden. Der Vorsitzende Richter habe nämlich den gewünschten Rechtsbeistand des Beschuldigten nicht zugelassen. Er soll kein Rechtsanwalt und bereits vorbestraft sein. Bis zur Entscheidung über den Befangenheitsantrag ist das Verfahren unterbrochen worden.

Der Autor Dr. Sascha Böttner ist Fachanwalt für Strafrecht in Hamburg und Neumünster. Sowohl in Fachaufsätzen als auch in der anwaltlichen Praxis hat er sich schon häufig mit dem Erschleichen von Leistungen befasst.

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Dr. Sascha Böttner, "Ich fahre schwarz" an der Mütze: Zettel schützt vor Strafe – nicht? . In: Legal Tribune Online, 11.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12851/ (abgerufen am: 22.09.2023 )

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