Die wenigsten Arbeitgeber zahlen gern Urlaubsabgeltung für jemanden, dem sie gekündigt haben. Über solche Urlaubsansprüche bei Kündigung und vorsorglicher Freistellung zur Urlaubsabgeltung hat am Dienstag das BAG entschieden und seine Rechtsprechung geändert. Jan Tibor Lelley über ein für Arbeitgeber wichtiges Urteil, mit dem Erfurt sich an Europa anpasst und sich dennoch selbst treu bleibt.
Es schien ein Fall zu sein, wie er sich jeden Tag dutzendfach vor deutschen Arbeitsgerichten zuträgt: Einem langjährigen Mitarbeiter wird fristlos und hilfsweise fristgemäß gekündigt. Die Arbeitgeberin möchte vermeiden, dem Gekündigten eine Urlaubsabgeltung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch vorhandene Urlaubsansprüche zu zahlen.
Denn an sich schreibt § 7 Abs. 4 BUrlG genau das vor: Kann Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht genommen werden, ist er finanziell abzugelten. Das Ende des Arbeitsverhältnisses durch fristlose Kündigung hindert den Arbeitnehmer naturgemäß daran, den Urlaub zu nehmen, das Unternehmen müsste also die Urlaubsabgeltung zahlen.
Aber man weiß sich zu helfen und schreibt in das Kündigungsschreiben, für den Fall der Wirksamkeit der hilfsweisen fristgemäßen Kündigung stelle man den Gekündigten unter Anrechnung sämtlicher Urlaubs- und Überstundenansprüche unwiderruflich von der Erbringung der Arbeitsleistung frei. So hätte die Arbeitgeberin, wenn schon nicht die für den Fall einer unwirksamen fristlosen Kündigung nachzuzahlende Vergütung für die ordentliche Kündigungsfrist - das gefürchtete Annahmeverzugsrisiko -, doch wenigstens eine finanzielle Urlaubsabgeltung gespart.
Der einheitlich-zweigliedrige Urlaubsbegriff des EuGH
Doch schon in der Berufungsinstanz beim Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm kamen Probleme auf. Anders als die erste Instanz sahen die Westfalen mit einem Verweis auf Europarecht den Urlaubsanspruch durch die Freistellung im Kündigungsschreiben nicht als erfüllt an.
Die Landesarbeitsrichter stellten dabei neben der Freistellung vor allem auf die Zahlung des Entgelts zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs ab. Das entspricht der gesetzlichen Vorgabe in §§ 1 und 11 Bundesurlaubsgesetz (BurlG): Erholungsurlaub ist bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht. Die Bezahlung erfolgt durch Urlaubsentgelt in Höhe des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes der letzten dreizehn Wochen vor Urlaubsantritt.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) legt seit 2006 den Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG bzw. der Vorgängerrichtlinie 93/104/EG so aus, dass der Anspruch auf Urlaub als Freistellung von der Arbeitspflicht und der Anspruch auf Urlaubsentgelt zwei Seiten einer Medaille sind; es soll sich um einen einheitlichen, einzigen Anspruch handeln (EuGH, Urt. v. 16.03.2006, Az. C-131/04, Rn. 58 - Robinson Steel, zur Richtlinie 93/104/EG; Urt. v. 20.01.2009, Az. C-350/06 -Schulz-Hoff, zur Richtlinie 2003/88/EG).
Nach diesem sogenannten einheitlich-zweigliedrigen Urlaubsbegriff setzt die Erfüllung des Urlaubsanspruchs immer einen Doppelschlag voraus. Die Arbeitgeberin muss den Arbeitnehmer zum einen für den Urlaubszeitraum von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung freistellen (Freistellungskomponente). Zum anderen muss sie auch das Urlaubsentgelt in der vom BUrlG festgelegten Höhe zahlen. (Entgeltkomponente). Erst beides zusammen führt zum Erlöschen des Urlaubsanspruchs durch Urlaubsgewährung (§ 362 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB).
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) war es traditionell genau umgekehrt: Denn seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts ging man in Erfurt davon aus, dass die Arbeitgeberin im Kündigungsfall vorsorglich Urlaub erteilen könne, nämlich immer für den Fall einer unwirksamen ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung in einem Kündigungsschutzprozess (BAG, Urt. v. 28.01.1982, Az. 6 AZR 571/79; Urt. v. 08.03.1984, 6 AZR 600/82). Auch das LAG Hamm hatte sich auf diese Rechtsprechung gestützt.
2/2: BAG neu: Erst Freistellung und Zahlung ergeben Urlaub
Seit dem 10. Februar 2015 ist alles anders: Das BAG geht nun nicht mehr davon aus, dass die Freistellungserklärung im Kündigungsschreiben reicht, um den Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub zu erfüllen. Denn es fehlt die neben der Freistellung nötige vorbehaltlose Zusage von Urlaubsentgelt, so der 9. Senat am Dienstag. Und ohne Entgelt keine Erfüllungswirkung: „Deshalb gewährt ein Arbeitgeber durch die Freistellungserklärung in einem Kündigungsschreiben nur dann wirksam Urlaub, wenn er dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt“, heißt es in der Pressemitteilung aus Erfurt (BAG, Urt. v. 10.02.2015, Az. 9 AZR 455/13) Das steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH zum bezahlten Mindestjahresurlaub und dessen Abgeltung bei Ende des Arbeitsverhältnisses.
Die sich jetzt abzeichnende neue Rechtsprechung ist auch keine völlige Überraschung. Schon in einem Urteil aus 1979 hat das BAG den einheitlich-zweigliedrigen Urlaubsbegriff vertreten. Auch damals ging es um eine ordentliche Kündigung, überholt von einem nachträglichen und außerordentlichen Beendigungstatbestand.
Der seinerzeit zuständige 6. Senat hielt fest, ein Urlaubsanspruch lasse sich nur während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses in Form von Freizeit „durchführen“. Und ein Urlaub im Sinne des BUrlG liege überhaupt nur vor, wenn ein Arbeitnehmer Freizeit und gleichzeitig das nach § 11 Abs. 2 BUrlG unabdingbare Urlaubsgeld erhalte (BAG, Urt. v. 09.01.1979, Az.6 AZR 647/77).
Aber: per Abgeltungsklauseln auch weiter ausschließbar
Der Arbeitgeberin wurde nach dieser Rechtsprechung empfohlen, den Kündigungstermin um die noch offenen Urlaubstage nach hinten zu schieben, freizustellen und Urlaubsentgelt, also Arbeitsentgelt zu zahlen. Nur so könne man eine Urlaubsabgeltung abwenden. Mit einer fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses aber, das leuchtet ein, ist das nicht vereinbar. Hier muss es dann folgerichtig bei noch offenen Ansprüchen immer zu einer finanziellen Urlaubsabgeltung kommen.
Dem Kläger in Erfurt half diese erneute Wende der Rechtsprechung übrigens nicht. Seine Revision vor dem BAG hat er am Dienstag trotzdem verloren. Dabei griff der 9. Senat auf den erstinstanzlich im parallelen Kündigungsverfahren geschlossenen Vergleich mit Ausgleichsklausel zurück. Die Parteien wollten dort alle Ansprüche aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis abschießend regeln. Also war auch der im Revisionsverfahren streitige Urlaubsabgeltungsanspruch schon erledigt. Vor dem LAG hatte dieser Vergleich mit Ausgleichsklausel eigenartigerweise noch keine Rolle gespielt.
Der Autor Dr. Jan Tibor Lelley, LL.M. ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Buse Heberer Fromm Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB.
Jan Tibor Lelley, BAG zur Freistellung bei fristloser Kündigung: Urlaub = Freizeit + Entgelt . In: Legal Tribune Online, 11.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14657/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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