Bereitschaftsdienst kann mit dem Grundgehalt vergütet werden, solange der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro erreicht wird, so das BAG am Mittwoch. Patrick Mückl begrüßt das Urteil wegen der zusätzlichen Rechtssicherheit, die es bringt.
Bereitschaftsdienst wird häufig als Zusatzbelastung empfunden. Doch ist er seit Einführung des Mindestlohngesetzes (MiloG) auch gesondert zu vergüten? Das Bundesarbeitsgericht (BAG) verneinte diese Frage am Mittwoch – solange das Grundgehalt rechnerisch den gesetzlichen Mindestlohn abdeckt (Urt. v. 29.06.2016, Az. 5 AZR 716/15). Relevant ist das nicht nur für Mitarbeiter im Bereitschaftsdienst, sondern etwa auch für die Überstundenvergütung.
Nach § 1 Abs. 1 MiLoG haben Arbeitnehmer einen gesetzlichen Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber. Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG beträgt die Höhe des Mindestlohnes zurzeit 8,50 Euro brutto je Zeitstunde. Die Mindestlohnkommission hat jüngst für eine Anhebung um 0,34 Euro brutto ab dem nächsten Jahr plädiert.
Der Mechanismus 8,50 Euro brutto "je Zeitstunde" klingt einfach, hat aber in der Praxis zahlreiche Diskussionen ausgelöst. Diskutiert wird nicht nur die Vergütung von Überstunden, sondern auch Sonderformen der Arbeit wie zum Beispiel Bereitschaftsdienst, Arbeitsbereitschaft und Rufbereitschaft. Die Intensität und Häufigkeit hängt natürlich von der Beschäftigungsbranche ab; besonders häufig kommen die genannten Sonderformen der Arbeit in der Taxi- und Botenbranche, in der Ver- und Entsorgungswirtschaft sowie in der Gesundheitsbranche vor.
Eine der frühesten Streitfragen zum MiLoG
Insofern wundert es nicht, dass eines der ersten Urteile zum MiLoG zu Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst getroffen wurde (ArbG Aachen, Urt. v. 21.04.2015, Az. 1 Ca 448/15h). Diese Entscheidung hat nicht nur das LAG Köln (Urt. v. 15.10.2015, Az. 8 Sa 540/15) bestätigt, sondern nun auch der 5. Senat des BAG. Kern des Rechtsstreits war die Frage: Stellen Bereitschaftszeiten nicht nur eine Sonderform der Arbeit dar, sondern müssen sie auch gesondert nach § 1 Abs. 1, 2 MiLoG vergütet werden?
Im entschiedenen Fall hatte ein im Rettungsdienst beschäftigter Mitarbeiter, dessen tarifliche Vergütung 2.680,31 Euro (brutto) zuzüglich Zulagen bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden betrug, unter Berufung auf das MiLoG eine zusätzliche Vergütung für Be-reitschaftszeiten gefordert.
Begründet hatte er dies damit, dass laut dem einschlägigen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD-V) die Wochenarbeitszeit unter Berücksichtigung von Bereitschaftszeiten bis zu 48 Wochenstunden betragen könne. Aus den tarifvertraglichen Regelungen ergebe sich aber, dass er lediglich eine Arbeitszeit von 39 Stunden bezahlt bekäme, die Bereitschaftszeiten nicht. Bereitschaftsdienst müsste ihm infolge der Geltung des MiLoG seit dem 1. Januar 2015 mit zusätzlichen 8,50 Euro brutto pro Stunde vergütet werden.
Bereitschaftsdienst ist mit dem Grundgehalt abgegolten
Wie das BAG zutreffend bestätigt hat, haben sowohl das ArbG Aachen als auch das LAG Köln die Klage zu Recht abgewiesen. Die Entscheidungsbegründung des BAG liegt zwar noch nicht vor; die Pressemitteilung des BAG lässt aber vermuten, dass sich das Gericht den Vorinstanzen angeschlossen hat.
Zur Begründung hatten diese zunächst darauf hingewiesen, dass sich aus dem TVöD-V nicht ergebe, dass Bereitschaftszeiten nicht mit der sogenannten Tabellenvergütung, also dem regelmäßigen Grundgehalt, vergütet würden. Im Gegenteil: Der Tarifvertrag enthalte ein Regelungssystem, wonach im Fall des Klägers – ohne Berücksichtigung noch hinzukommender Zulagen – bereits 2.680,31 Euro brutto als Grundgehalt gezahlt werde. Hierfür schulde der Kläger eine Arbeitszeit von grundsätzlich 39 Stunden, unter Berücksichtigung von Bereitschaftszeiten maximal 48 Stunden pro Woche.
Dass es sich bei Bereitschaftszeiten um vergütungspflichtige Arbeitszeit handelt, hatte das BAG bereits vor Inkrafttreten des MiLoG in seinem Urteil vom 19. November 2014 zum Mindestentgelt nach § 2 der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche angenommen (Az. 5 AZR 1101/12). Diese Bewertung hat der 5. Senat des BAG nun in Bezug auf den gesetzlichen Mindestlohn nach dem MiLoG ausdrücklich bestätigt.
2/2: Hauptsache 8,50 Euro die Stunde
Darüber hinaus hat das BAG in seinem Urteil richtiger Weise klargestellt, dass die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs in Bezug auf Bereitschaftszeiten durch das Grundgehalt auch im Lichte des MiLoG unproblematisch zulässig ist, solange rechnerisch aufgrund des monatlichen Grundgehalts jedenfalls ein Betrag von 8,50 Euro brutto "je Zeitstunde" gezahlt wird.
Dementsprechend ist ein Tarifvertrag, der die nach dem Arbeitszeitgesetz zulässige Höchstarbeitszeit von 48 Wochenstunden ausschöpft und hierfür eine Vergütung von rechnerisch 8,50 Euro brutto oder mehr pro Stunde vorsieht, mit dem MiLoG vereinbar. Dies gilt auch dann, wenn der Tarifvertrag lediglich infolge einer Bezugnahme im Arbeitsvertrag für den Arbeitnehmer gilt.
Ausgehend von der Vergütung des Klägers nach dem TVöD-V im konkreten Fall ergab sich ein Stundenlohn in Höhe von mindestens 12,84 Euro brutto, der weit oberhalb der Erfordernisse des MiLoG liegt. Die Klage wurde daher in allen Instanzen zu Recht abgewiesen.
Bedeutung für die betriebliche Praxis
Implizit bestätigt die Rechtsprechung damit, dass es sich bei der gesetzlichen Vorgabe eines Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro brutto "je Zeitstunde" lediglich um die gesetzliche Regelung eines Berechnungsfaktors handelt.
Wichtig ist dies insbesondere für die Überstundenvergütung. Denn Konsequenz dieser Bewertung ist, dass Überstunden nicht zusätzlich zu einem den Mindestlohn übersteigenden Grundgehalt mit 8,50 Euro brutto je Stunde vergütet werden müssen, solange sie rechnerisch auf der Grundlage eines Rechenfaktors von 8,50 Euro brutto je Zeitstunde im Grundgehalt enthalten sind.
Unabhängig davon muss die Praxis genau darauf achten, welche Sonderform der Arbeit in Rede steht. Denn die zum Bereitschaftsdienst entwickelten Grundsätze lassen sich zum Beispiel nicht auf die Rufbereitschaft übertragen (vgl. BAG, Urt. v. 31.9.2001, Az. 6 AZR 214/00). Rufbereitschaft ist – vorbehaltlich abweichender arbeitsvertraglicher oder tariflicher Vorgaben – nicht an sich, sondern lediglich insoweit als "Zeitstunde" i.S.d. § 1 MiLoG zu vergüten, wie tatsächlich gearbeitet wird, das heißt für die Dauer eines erfolgten Arbeitsabrufs.
Das Urteil des BAG vom Mittwoch trägt insoweit weiter zur Rechtssicherheit für die betriebliche Praxis bei. Mit Spannung abzuwarten bleibt in diesem Zusammenhang, ob das BAG die Entscheidung genutzt hat, zur umstritten Frage Stellung zu nehmen, welche Vergütungsbestandteile den Mindestlohn zu erfüllen geeignet sind. Das wird sich aus den zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht veröffentlichten Entscheidungsgründen ergeben. Das LAG Hamm (Urt. v. 22.04.2016, Az.: 16 Sa 1627/15) hat jüngst jedenfalls angenommen, Leistungszulagen seien auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechenbar.
Der Autor Dr. Patrick Mückl ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Noerr LLP in Düsseldorf. Er ist Mitherausgeber und -autor eines Standardwerks zum Mindestlohngesetz und berät Unternehmen in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts, insbesondere bei (strategischen) Umstrukturierungen und Restrukturierungen.
Dr. Patrick Mückl, Vergütung für Bereitschaft durch das Grundgehalt: Der Mindestlohn ändert nichts . In: Legal Tribune Online, 30.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19851/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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