Wird ein Betrieb aus der Insolvenz im Rahmen eines Betriebsübergangs herausgekauft, gibt das regelmäßig Ärger: Wer nämlich zahlt den Mitarbeitern dann ihre Betriebsrente? Tanja Kurtzer erläutert, wie das BAG diese Frage entschieden hat.
Wer für Betriebsrentenansprüche haftet, wenn der Arbeitgeber insolvent wird, ist im deutschen Recht klar geregelt: der Pensions-Sicherungs-Verein aG (PSV). Wie verändert sich aber die Haftung, wenn der Betrieb aus der Insolvenz per Betriebsübergang herausgekauft wird? Wofür haftet dann der Erwerber? Etwa für die gesamte Versorgungszusage? Oder kommt es zu einer Teilung der Haftung zwischen PSV und Erwerber?
Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) haftet der PSV für alle Betriebsrentenansprüche, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. Der Erwerber haftet hingegen nur für die Ansprüche, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erdient wurden. Zu diesem Ergebnis gelangte das BAG stets über eine Auslegung des § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aufgrund der besonderen Verteilungsgrundsätze des Insolvenzverfahrens. § 613a BGB sieht nach seinem Wortlaut eigentlich eine Haftung des Erwerbers auch für Ansprüche vor der Insolvenzeröffnung vor.
Als das BAG dem EuGH jüngst die Frage vorlegte, ob diese Haftungsverteilung mit dem Europarecht vereinbar ist, hatten nicht wenige befürchtet, der EuGH könne diese klaren Grundsätze aus den Angeln heben. Der EuGH billigte aber mit Entscheidung vom 9. September 2020 (Az. C-674/18, C-675/18) im Wesentlichen das bisherige deutsche System und verwies zur weiteren Prüfung an das BAG zurück.
Diese Prüfung hat das BAG nun am Dienstag (Urt. v. 26.01.2021, Az. 3 AZR 139/17) vorgenommen: Erwerber eines insolventen Betriebs können aufatmen. Ihre Haftung für vorinsolvenzliche Betriebsrentenansprüche wird nicht erweitert, selbst wenn der PSV für solche Ansprüche nicht bzw. nicht voll eintritt, so die Erfurter Arbeitsrichter.
Wie viel Betriebsrente gibt es – und wer zahlt welchen Anteil?
Streitgegenstand vor dem BAG war die Höhe einer Betriebsrente. Zwei Männer waren bei demselben Unternehmen beschäftigt. Dieses hatte ihnen eine Versorgungszusage gegeben, die vorsah, dass sich die Höhe der Betriebsrente nach der zurückgelegten Dienstzeit und dem Endgehalt an einem bestimmten Stichtag vor dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis bestimmt.
Unglücklicherweise wurde später im März 2009 über das Vermögen des Unternehmens das Insolvenzverfahren eröffnet. Im April 2009 ging der Betrieb per Betriebsübergang auf den von den Männern jetzt beklagten Unternehmer über. Einer der beiden Männer – mittlerweile pensioniert – bekam vom Betriebserwerber eine Betriebsrente in Höhe von 145 Euro pro Monat für die Betriebszugehörigkeit nach der Insolvenz. Der PSV zahlte diesem Mann zusätzlich eine Betriebsrente in Höhe von 817 Euro pro Monat für die Zeit davor.
Bei der Berechnung legte der Unternehmer, der den Betrieb aus der Insolvenz herausgekauft hatte, zwar das zum maßgeblichen Stichtag vor dem Versorgungsfall bezogenen höhere Gehalt zugrunde. Er ließ aber den gesamten vor der Insolvenz erdienten Teil der Betriebsrente außer Betracht. Der PSV setzte dagegen das bei Insolvenzeröffnung bezogene niedrigere Gehalt des Klägers an. Der pensionierte Ex-Mitarbeiter verlangte vor dem BAG deshalb von der Erwerberin eine höhere Betriebsrente, berechnet auf Basis des höheren Gehalts minus dem Betrag, den er vom PSV erhält.
Der zweite klagende Mann hatte bei Insolvenzeröffnung noch nicht das damals erforderliche Alter erreicht und daher noch keine unverfallbare Anwartschaft. Nach dem Betriebsrentengesetz (BetrAVG) hat er deshalb keinen Anspruch gegen den PSV und verlangt nun die Betriebsrente von dem beklagten Betriebserwerber in voller Höhe einschließlich des Teils, der vor Insolvenzeröffnung erdient wurde.
Die beiden Kläger waren mit ihrer Ansicht übrigens nicht allein, denn das BAG hatte 20 weitere, im Wesentlichen gleichgelagerte Fälle zu entscheiden.
Das Problem mit dem Festschreibeeffekt
Doch wieso wirkt sich die Insolvenz des ehemaligen Arbeitgebers überhaupt auf die Höhe der Betriebsrente aus, wenn doch der PSV für alle Anwartschaften bis zur Insolvenzeröffnung haftet und der Betriebserwerber danach? Das liegt am Endgehaltsbezug der Versorgungszusage. Die Betriebsrente des pensionierten Mannes berechnete sich nach dessen Gehalt vor dem Renteneintritt. Für Gehaltssteigerungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (sog. Dynamik) hat der PSV aber gemäß § 7 Abs. 2a BetrAVG nicht einzustehen (Festschreibeeffekt). Deshalb kommt es bei endgehaltsbasierten Zusagen zur Haftungslücke.
Die Betriebsrentenanwartschaft des anderen Klägers war bei Insolvenzeröffnung aufgrund seines damals jungen Lebensalters noch nicht gesetzlich unverfallbar. Für verfallbare Anwartschaften muss der PSV nach dem Gesetz nicht einstehen, wenngleich der Erwerber für Anwartschaften nach Insolvenzeröffnung auch in diesen Fällen haftet. Auch hier kam es also zu einer Haftungslücke. Das BAG hatte daher schon im Jahr 2018 den EuGH gefragt, ob es europarechtskonform ist, dass in solchen Fallgestaltungen weder der Erwerber noch der PSV diese Haftungslücken schließen müssen.
Im Kern ging es in der Vorlage des BAG aus dem Jahr 2018 um zwei Fragen. Einerseits, ob die Einschränkung der Haftung des Erwerbers über die teleologische Reduktion des § 613a BGB gegen die Betriebsübergangsrichtlinie verstößt (2001/23 EG). Andererseits, ob diese Einschränkung und der gesetzlich geregelte Festschreibeeffekt bei der PSV-Einstandspflicht mit Art. 8 der Insolvenzrichtline (2008/94/EG) vereinbar sind.
Der EuGH entschied daraufhin im September 2020, dass die teleologische Reduktion des § 613a BGB durch das BAG mit der Betriebsübergangsrichtlinie zu vereinbaren ist, wenn bezüglich des Teils, für den der Erwerber nicht haftet, ein Schutzniveau besteht, dass zu dem aus Art. 8 RL 2008/94/EG gleichwertig ist. Zuvor hatte der EuGH bereits entschieden, dass dieses Schutzniveau erst unterschritten werde, wenn die Kürzung mehr als 50 Prozent beträgt oder der Arbeitnehmer nach der Kürzung unter die Armutsgefährdungsschwelle fällt.
Damit sorgte bereits der EuGH für ein wenig Entspannung, da befürchtet worden war, dass der Erwerber bei Unternehmenstransaktionen aus der Insolvenz nun auch für den gesamten bis zur Insolvenz erdienten Versorgungsanspruch haften könnte. Dieses Thema war damit vom Tisch.
Wer haftet, wenn große Teile der Rente entfallen?
Der Festschreibeeffekt bei der Haftung des PSV ist laut Entscheidung des EuGH aus 2020 nur dann mit der Richtlinie zu vereinbaren, wenn auch hier der Mindestschutz nach Art.8 RL 2008/94/EG sichergestellt ist. Verliert ein Arbeitnehmer also mehr als 50 Prozent seiner Betriebsrente oder fällt er unter die Armutsgefährdungsgrenze, ist dieser Mindestschutz verletzt.
Ob der Mindestschutz des Art. 8 RL 2008/94/EG verletzt wurde, wenn die Betriebsrente nach den Vorgaben des EuGH berechnet wird, war nun durch das BAG zu prüfen. Der EuGH stellte erneut – wie schon in seinem Urteil zum Insolvenzschutz von Pensionskassenzusagen – fest, dass ein Verstoß gegen Art. 8 RL 2008/94/EG unter bestimmten Voraussetzungen zu einem Direktanspruch gegen den Träger der Insolvenzsicherung führen kann. Deshalb wurde mit Spannung erwartet, wie das BAG diesmal zu dem Direktanspruch Stellung nehmen würde.
Nach der Entscheidung aus 2020 war auch noch nicht klar, ob sich etwas an der Haftungsverteilung ändern würde. Nach diesem EuGH-Urteil stand nur fest, dass die Haftung des Erwerbers und die Haftung des PSV eingeschränkt werden dürfen, sofern der Mindestschutz gewährleistet wird. Gerade deshalb kam der Umsetzungsentscheidung des BAG vom Dienstag eine hohe Bedeutung zu.
Für den Erwerber bleibt alles beim Alten, für den PSV nicht ganz.
Nach der Ehrenrunde über Luxemburg steht nun fest: Für den Erwerber bleibt alles wie gehabt. Er muss die Haftungslücke in keinem der entschiedenen Fälle schließen. Dieses Ergebnis ist unionsrechtskonform, der vom EuGH geforderte Mindestschutz ist durch die Haftung des PSV sichergestellt.
Für den PSV gibt es aber eine kleine Änderung: Erstmals trifft das BAG die Aussage, dass Betriebsrentnern bezüglich des Mindestschutzes ein ungeschriebener Direktanspruch gegen den PSV zusteht. Dass die beiden klagenden Männer mit einem Direktanspruch gegen den PSV nun die Haftungslücke schließen können, ist damit aber noch nicht gesagt. Denn auch der PSV muss nur sicherstellen, dass der durch den EuGH geforderte Mindestschutz im oben genannten Umfang gewährleistet ist. Das ist vorliegend wohl der Fall.
Was ist nun mit Anwartschaften, die noch verfallen können?
Bisher hat das BAG nur seine Pressemitteilung zu der Entscheidung veröffentlicht. Das Schicksal verfallbarer Anwartschaften thematisiert es darin mit keinem Wort. Wir erfahren lediglich, dass der Anwartschaftskläger auch unterliegt. Aus welchem Grund, bleibt offen.
Gemäß § 7 Abs. 2 BetrAVG - bestätigt durch das BAG in ständiger Rechtsprechung - hat der PSV für diese Anwartschaften nicht einzustehen, sie gehen unter. Das hatte der EuGH in seinem Urteil vom 9. September 2020 nur dann als rechtmäßig erachtet, wenn ein Mindestschutz in Höhe von 50 Prozent der zugesagten Betriebsrenten und kein Unterschreiten der Armutsgefährdungsgrenze gewährleistet sind.
Dazu macht die Pressemitteilung jedoch keine Angaben - und spannt uns zu dieser spannenden Frage (und einer ggf. nötigen Änderungen des Betriebsrentengesetzes) weiter auf die Folter.
Die Autorin Tanja Kurtzer ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Counsel (HR.Law) bei ARQIS in München, sowie Mitglied deren Pensions Group. Kurtzer ist spezialisiert auf betriebliche Altersversorgung und berät nationale und internationale Unternehmen an den Schnittstellen von Arbeitsrecht und Betriebsrentenrecht.
BAG zum Betriebsübergang in der Insolvenz: . In: Legal Tribune Online, 27.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44107 (abgerufen am: 15.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag