Streiken die Lotsen, steht der Flugverkehr still. Die Schäden tragen die Fluglinien, obwohl sie nicht selbst bestreikt werden. Dagegen klagten sie durch alle Instanzen. Und verloren. Warum, erklären Kara Preedy und Verena Oechslen.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied am Dienstag in zwei sehr ähnlichen Fällen darüber, ob von Arbeitskämpfen mittelbar Betroffene einen Anspruch auf Schadensersatz haben. In beiden Fällen verklagten Fluggesellschaften die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) auf den Ersatz von Schäden, die ihnen aufgrund eines Unterstützungsstreiks bzw. Streikankündigungen entstanden waren.
Im ersten Fall ging es um einen rund fünfstündigen Unterstützungsstreik am Stuttgarter Flughafen und Schäden in Höhe von ca. 35.000 Euro. Im zweiten Fall wurden die Schäden – um die 3,2 Millionen Euro – mit der bloßen Ankündigung eines Streiks begründet, der noch vor seinem Beginn wieder abgesagt wurde. Bereits der Streikaufruf der GdF hatte Stornierungen und personalintensive Maßnahmen notwendig gemacht. Notfallpläne wurden erarbeitet, Informationen bereitgestellt und (potenziell) Betroffene benachrichtigt. Tatsächlich ging es den klagenden Fluggesellschaften in dem Verfahren aber wohl hauptsächlich "ums Prinzip" und um zukünftige Schäden.
Die Fluglinien sahen sich als die wahren Gegner des Streiks und fuhren zur Anspruchsbegründung schwere Geschütze auf: Neben einem Anspruch wegen Missachtung der Friedenspflicht warfen sie der GdF eine Verletzung ihres Eigentums an den Flugzeugen, einen Eingriff in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vor.
Im Ergebnis konnte das die Erfurter Richter nicht überzeugen. Diese schlossen sich den Vorinstanzen an und wiesen die Revision als insgesamt unbegründet ab (BAG, Urt. v. 25.08.2015, Az. 1 AZR 754/13, 875/13).
Der Vorwurf: gezielte Schädigungsabsicht
Dass sich Arbeitskämpfe nicht nur beim unmittelbar bestreikten Unternehmen auswirken, ist für sich genommen noch nicht ungewöhnlich. Der Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) beispielsweise führte sowohl bei Privatpersonen als auch bei Gewerben, die auf Transportleistungen der Bahn angewiesen waren, zu enormen finanziellen Schäden. Auch ein Streik bei einem Zuliefererbetrieb in der Automobilindustrie kann aufgrund der üblichen just-in-time-Produktion die weiterverarbeitenden Betriebe empfindlich treffen. Diese mittelbaren Folgen sind bei Arbeitskämpfen häufig unvermeidbar. Sie können aber auch enormen Druck aufbauen.
Die Rechtsprechung geht grundsätzlich davon aus, dass es zum Wesen des Streiks gehört, dass auch Dritte geschädigt werden können. Die Tatsache, dass Gewerkschaften diesen Umstand in ihr Kalkül miteinbeziehen und dies auch durchaus beabsichtigen mögen, löst noch keine Ansprüche der Drittbetroffenen aus.
Die klagenden Fluggesellschaften wollten diese Argumentation im konkreten Fall nicht gelten lassen. Sie warfen der GdF vor, sie habe den Arbeitskampf tatsächlich nicht gegen die Flugsicherungsgesellschaft, sondern gegen sie geführt – und das in vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigungsabsicht. Als eigentlicher Gegner des Streiks fühlten sie sich vor allem, weil sie der Ansicht waren, dass die Flugsicherungsgesellschaft selbst keine wirtschaftlichen Schäden zu befürchten hatte: Diese konnte aufgrund des "Vollkostendeckungsprinzips" Gebührenausfälle schlicht auf die Fluglinien umlegen.
2/2: Auf die wirtschaftliche Betroffenheit kommt es nicht an
Diese wirtschaftliche Betroffenheit reicht entgegen der Überzeugung der klagenden Fluggesellschaften nicht aus, um einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb anzunehmen, urteilte bereits das Hessische LAG. Das BAG folgte der Vorinstanz und wies die Revision zurück.
Ein Eingriff in den Gewerbebetrieb muss unstrittig betriebsbezogen sein. Das setzt nach Auffassung der Rechtsprechung auch voraus, dass die mit dem Eingriff – hier dem Arbeitskampf – verbundene Schadensgefahr über eine "sozialübliche Behinderung" hinausgehen muss. Die Nutzung von Start-und Landebahnen gehört aber nach Auffassung des Hessischen LAG gerade nicht zum Gewerbebetrieb, sondern ist als Gemeingebrauch anzusehen. Die Argumentation derAirlines, sie seien aufgrund der Besonderheiten des Flugverkehrs auf die Leistungen der Flugsicherung angewiesen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Sie hatten den Arbeitskampf als sozialadäquat hinzunehmen, so die Erfurter Richter. Betriebsbezogen ist der Eingriff nur hinsichtlich des bestreikten Unternehmens – unabhängig davon, wer die Kosten trägt.
Von besonderer Brisanz war die Entscheidung vor allem, weil es um enorme Haftungsrisiken für die Gewerkschaften ging. Würde durch jeden Arbeitskampf unmittelbar in die Gewerbebetriebe der Drittbetroffenen eingegriffen, könnte bereits eine kleine Fahrlässigkeit hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Streiks zu gewaltigen Schadensersatzansprüchen führen, die Arbeitnehmervertreter in den finanziellen Ruin treiben oder ihnen zumindest die Bereitschaft zu Arbeitskämpfen nehmen. Eine anders lautende Entscheidung des BAG hätte auch nicht mehr nur die GdF betroffen, sondern Auswirkungen auf alle Branchen gehabt. Das BAG stellte stattdessen fest, dass auch ein Streik, dessen Rechtmäßigkeit nicht klar feststehe, keinen betriebsbezogenen Eingriff in das Gewerbe eines Drittbetroffenen darstellt.
Ansprüche von Drittbetroffenen kaum denkbar
Selbst wenn das Gericht einen betriebsbezogenen Eingriff bejaht hätte, wäre ein Anspruch zumindest im Fall der streikenden Fluglotsen zu verneinen gewesen. Dieser würde weiter nämlich voraussetzen, dass der Eingriff auch rechtswidrig und schuldhaft war. In beiden Verfahren hatte die GdF aber einstweilige Verfügungsverfahren zur Frage der Rechtmäßigkeit der Streiks gewonnen. Selbst wenn der Streik sich im Nachgang als rechtswidrig herausstellen sollte, hätte die Gewerkschaft jedenfalls nicht fahrlässig gehandelt – die Rechtsprechung verlangt einer Gewerkschaft keine bessere Rechtskenntnis ab als mehreren Arbeitsrichtern.
Auf die Friedenspflicht konnten die Fluglinien sich als Drittbetroffene vorliegend ebenfalls nicht berufen. Sie seien schon gar nicht in ihren Schutzbereich miteinbezogen, so die Vorinstanz.
Selbst wenn es durchaus naheliegt, dass die GdF die Betroffenheit der Fluggesellschaften bewusst einsetzte, wäre auch dieses Verhalten von einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nach Ansicht der Gerichte weit entfernt. Selbst wenn der Arbeitskampf rechtswidrig wäre, würde dies für die Sittenwidrigkeit noch nicht ausreichen. Die guten Sitten sind vielmehr ein „rechtsethisches Minimum“. Eine Unterschreitung dieses Minimums wäre bei Arbeitskämpfen nur in kaum vorstellbaren Extremfällen anzunehmen.
Das BAG geht in seinem Urteil davon aus, dass die von Streiks mittelbar Betroffenen die Gewerkschaften "in der Regel" nicht haftbar machen können. Im Ergebnis können Drittbetroffene sich also wohl nur bei offensichtlich rechtswidrigen, unverhältnismäßigen Arbeitskämpfen berechtigte Hoffnung auf Schadensersatz machen. In allen anderen Fällen bleibt ihnen nur der schwache Trost, dass sie auf diese Weise ihren Beitrag zur Tarifautonomie leisten.
Die Autorin Dr. Kara Preedy ist Partnerin der Kanzlei Pusch Wahlig Legal, Verena Oechslen ist dort wissenschaftliche Mitarbeiterin. Pusch Wahlig Legal berät nationale und internationale Unternehmen und Führungskräfte in allen Fragen des Arbeitsrechts.
BAG lehnt Entschädigung für Drittbetroffene ab: Fluglotsengewerkschaft muss nicht für Streikschäden zahlen . In: Legal Tribune Online, 25.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16704/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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