Jahresbericht des BAG für 2024: Trend der sin­kenden Ver­fahren setzt sich fort

von Tanja Podolski

12.03.2025

Weniger Fälle, mehr Erledigungen, kürzere Verfahrensdauer: Das BAG hat die Zahlen für das vergangene Jahr vorgestellt. Die wichtigen Themen waren und sind Nachtarbeitszuschläge, Überstunden- und Betriebsratsvergütung.

Auch die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts (BAG) verfolgt die Sondierungen von CDU/CSU und SPD. Demnach soll sich nämlich auch im Arbeitsrecht eine Menge tun. "Nach dem Papier soll von der Tageshöchstarbeitszeit auf die Wochenarbeitszeit übergegangen werden", sagte Inken Gallner am Mittwoch in Erfurt mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen. Unionsrechtlich sei eine solche Flexibilisierung möglich, meint sie. Auch die Überlegungen für ein Tariftreuegesetz und den Mindestlohn haben Gallner und die anderen Richter:innen in Erfurt im Blick. Doch um diese Vorhaben ging es am Mittwoch nur am Rande. Noch sie sind nicht konkret und keine Fälle für das BAG. 

Die Vergütung der Betriebsräte bei VW aber ist ein akuter Fall – und der wird am 20. März in Erfurt verhandelt werden, kündigte Gallner an. Der Siebte Senat wird über die Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds entscheiden, der als gelernter Industriemechaniker bei dem Autokonzern anheuerte. 

Seit Jahren stellen sich grundsätzliche Fragen in derartigen Fällen, denn die Betriebsräte müssen grundsätzlich so bezahlt werden, als wenn sie die gleichen Karriereschritte wie ihre einstigen Kollegen gemacht hätten. Gallner erinnerte an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wegen strafrechtlicher Vorwürfe in diesem Kontext und an eine Arbeitsgruppe, deren Vorschlag schließlich zu einer Gesetzesänderung führte

In dem nun am BAG angekommenen Fall haben beide Seiten Revision eingelegt. "Die Vorinstanzen hatten der Klage des Betriebsratsmitglieds weitgehend stattgegeben", so Gallner. Das Thema beschäftigt nicht nur das BAG: Fälle zur Betriebsratsvergütung sind noch in allen Instanzen anhängig, betonte Gallner. 

Wieder weniger Eingänge am BAG

Insgesamt ist die Zahl der Eingänge beim BAG um 76 Verfahren (und damit um 5,46 Prozent) auf 1.315 zurückgegangen, nachdem die Eingangszahlen im Jahr 2023 noch um 9,87 Prozent gestiegen waren (2023: 1.391 Sachen). 26,77 Prozent der Eingänge (352 Sachen) betrafen Revisionen und Rechtsbeschwerden im Beschlussverfahren (ein Plus von 6,67 Prozent gegenüber 2023). Weitere 66,46 Prozent der Eingänge entfielen auf Nichtzulassungsbeschwerden (874 Sachen), diese Zahl ist damit um 10,36 Prozent zurückgegangen (im Vorjahr waren es 975 Sachen). 2023 war es genau andersherum, da war die Anzahl der Sachen in Revisionen und Rechtsbeschwerden im Beschlussverfahren gesunken und die der Nichtzulassungsbeschwerden (2023 plus 21,72 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr) gestiegen. 

Auf einer längeren Zeitspanne betrachtet gehen damit auch beim BAG die Eingangszahlen zurück – das ist weitgehend ein Trend bei den Bundesgerichten, auch wenn das Bundessozialgericht (BSG) kürzlich berichten konnte, dass diese Entwicklung bei ihm im vergangenen Jahr aussetzte. Am allgemeinen Trend ändert das aber nichts. 

Beim BAG lagen die Eingangszahlen etwa im Jahr 2020 noch bei 2.041 Sachen. "An den vier obersten Bundesgerichten, neben dem BAG am Bundesfinanzhof, Bundesverwaltungsgericht und Bundessozialgericht, gehen seit 2013 die Zahlen zurück, am BFH sogar seit 2008", so Gallner. Diese Tendenz bemängeln die Bundesgerichte seit Jahren, denn geringe Fallzahlen nehmen zum Beispiel die Möglichkeit, als Bundesgericht Rechtsfortbildung zu betreiben. 

Massenphänomen Nachtarbeit

Eine derartige Rechtsfortbildung gelang etwa in einem Fall, der vom BAG weiter ans Bundesverfassungsgericht gegangen war und den dieses im Januar entschied. Es ging um Coca-Cola und die Tarifautonomie. Das Unternehmen hatte in seinem Tarifvertrag festgelegt, dass Nachtarbeit und Nachschichtarbeit unterschiedlich vergütet werden. Das BAG sah einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Grundgesetz (GG) – das BVerfG in dieser Entscheidung wiederum einen Verstoß gegen die Tarifautonomie aus Art. 9 GG und machte in seinem Urteil grundlegende Ausführungen zur unmittelbaren und mittelbaren Grundrechtsbindung im deutschen Recht. 

"Die Nachtarbeitsfälle sind ein Massenphänomen", führte Gallner am Mittwoch aus, es gebe noch über 6.000 Fälle zu diesem Thema in der gesamten Arbeitsgerichtsbarkeit. Mit der Entscheidung aus Karlsruhe seien "auf 73 Seiten Senatsbeschluss und einem Sondervotum, das aber zum gleichen Ergebnis kommt, grundlegende Fragen geklärt ", so Gallner. Sie freue sich darüber. 

Mehr Erledigungen in kürzerer Zeit

Im Jahr 2024 erledigten die Richter:innen am BAG 1.602 Sachen und sind damit wieder auf einem sehr hohen Stand (2023: 1.503; 2022: 1.283, 2021: 1.599, 2020: 2.266).Damit überstieg die Zahl der Erledigungen die der Eingänge um 287 Verfahren. 

Von den erledigten Revisionen und Rechtsbeschwerden hatten unter Berücksichtigung der Zurückverweisungen 197 Erfolg, das entspricht einer Erfolgsquote von 38,48 Prozent gegenüber 19,13 Prozent (114 Sachen) im Vorjahr. Von den Nichtzulassungsbeschwerden waren 54 Beschwerden (5,36 Prozent - im Vorjahr 40 und damit entsprechend 4,82 Prozent) erfolgreich. Anhängig waren am Ende des Berichtsjahres noch 526 Sachen (Vorjahr: 813); davon sind 312 Revisionen (Vorjahr 480).

Die durchschnittliche Dauer der beim BAG erledigten Verfahren hat sich verkürzt. Sie betrug im abgelaufenen Geschäftsjahr acht Monate und 26 Tage (im Vorjahr neun Monate und sechs Tage). Die Erledigungsdauer hat damit aber längst nicht wieder den Stand von 2022 erreicht, als die Richter:innen am BAG ihre Verfahren in durchschnittlich fünf Monaten und vier Tagen erledigten. 

Erfurt Gastgeber für 75. Deutschen Juristentag

Noch in diesem Jahr steht im Juni in Erfurt wieder das Europarechtliche Symposium an, das das BAG im Jahr 2024 mit den Feiern zum 70-jährigen Bestehen des Gerichts verbunden hatte. Im kommenden Jahr, im September 2026, so betonte Gallner schon jetzt, werde in Erfurt zudem der 75. Deutsche Juristentag stattfinden. 

Bis dahin sind dann vielleicht auch einige der Verfahren entschieden, die schon seit vielen Jahren mehrere Gerichte befassen. Das betrifft insbesondere Fragen zum Kirchenarbeitsrecht: Der Fall Vera Egenberger, bei dem es um die Einstellung einer Bewerberin ohne Religionszugehörigkeit ging, liegt noch immer am BVerfG. Den Fall einer Kündigung aufgrund eines Kirchenaustritts hatte das BAG im vergangenen Jahr dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Wann diese Entscheidungen ergehen, so Gallner, "ist nicht absehbar". 

Zitiervorschlag

Jahresbericht des BAG für 2024: . In: Legal Tribune Online, 12.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56780 (abgerufen am: 14.03.2025 )

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