Druckversion
Sonntag, 24.09.2023, 23:21 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/bag-arbeitgeber-gehalt-entgeltgleichheit-transparenz-job-diskriminierung-geld-agg/
Fenster schließen
Artikel drucken
44047

BAG entscheidet über Entgelttransparenzgesetz: End­lich Zähne für den Papier­tiger?

Gastbeitrag von Prof. Dr. Nora Markard, MA (King's College London)

20.01.2021

Waage mit einem rosa und einem blauen Männchen auf gleicher Höhe.

fotomek - stock.adobe.com

Showdown für das Entgelttransparenzgesetz: Das BAG muss entscheiden, ob die Gehaltsauskunft als Indiz für eine AGG-Diskriminierung gelten kann - mit deutlichen Folgen für die Rechtsdurchsetzung bei der Entgeltgleichheit, meint Nora Markard.

Anzeige

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Juni 2020 verschaffte der preisgekrönten Frontal21-Journalistin nach fünf Jahren ihren ersten gerichtlichen Sieg. 2015 hatte sie das ZDF verklagt, weil sie herausgefunden hatte, dass ihre männlichen Redaktionskollegen mehr verdienten als sie, ohne dass sich dies mit rationalen Faktoren wie Berufserfahrung oder Qualifikation widerspruchsfrei erklären ließ. Sie verlangte Gleichbezahlung; um ihre Klage korrekt beziffern zu können, begehrte sie zudem – in der ersten Stufe – offizielle Gehaltsauskunft. 

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg befand, es werde ihr auch mit der Gehaltsauskunft nicht gelingen, den Anscheinsbeweis der Diskriminierung zu führen. Denn dass die Männer mehr verdienten, ohne dass erkennbar sei warum, genüge ebenso wenig wie die von ihr vorgetragenen Indizien für eine Kultur der Diskriminierung beim ZDF. Es brauche mehr. Die Revision ließ der 7. Senat des BAG nicht zu.

Für wen gilt das Entgelttransparenzgesetz?

Aber die Klägerin hatte zusätzlich auch ein neues Gesetz mobilisiert. Nachdem das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) 2017 in Kraft getreten war, hatte die Klägerin vor dem LAG auch hiernach Auskunft begehrt. Dieses Gesetz soll es Beschäftigten unbürokratisch ermöglichen, den Gehalts-Median des anderen Geschlechts zu erfragen, wenn es mindestens sechs Vergleichspersonen gibt.

Allerdings erfasst das Gesetz "Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen" und erwähnt (anders als das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das AGG) nicht ausdrücklich die "arbeitnehmerähnlichen Beschäftigten". Als "Fest-Freie" sei die Klägerin aber gerade keine Arbeitnehmerin, so das LAG. 

Die Klägerin legte Revision ein. Sie argumentierte, da das EntgTranspG Europarecht umsetze, müsse der weite unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff gelten, der auch Fest-Freie umfasse.

Milchzähne für das EntgTranspG

Zuständig für die Revision war der 8. Senat des BAG. Dort sitzt mit Dr. Regine Winter eine Spezialistin in Sachen Entgeltgleichheit, die zudem eine Abordnung als Rechtsreferentin beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) hinter sich hat und das Europarecht damit von innen kennt. 

Und der Senat gab der Klägerin auf voller Linie Recht. Weder der alte § 612 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) noch die "für die juristische Methodik des deutschen Rechts 'außergewöhnliche' Art der Normierung einer Anspruchsgrundlage" im AGG habe das Europarecht bisher ausreichend umgesetzt. Daher müsse auch beim EntgTranspG der weite unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff gelten. Mehr noch: Aus Effektivitätsgründen ist es egal, ob die Anfrage an den Arbeitgeber oder den Betriebs- oder Personalrat geht.

Über Verfahren und Kriterien der Entgeltfindung muss die Klägerin nun sofort Auskunft erhalten. Für den Median der Kollegengehälter muss das LAG noch bestätigen, dass sie ausreichend viele Vergleichspersonen benannt hat. Sicherheitshalber hat das BAG ihm hierfür noch ein paar "weiterführende Hinweise" mit auf den Weg gegeben, z.B. dass ihr Auskunftsrecht wirklich das gesamte Bruttogehalt umfasst, auch die Sachleistungen.

Mehr war aus diesem Fall in Sachen EntgTranspG nicht herauszuholen; der "Papiertiger" hat nun zumindest Milchzähne bekommen. Das Hauptproblem bleibt freilich, dass das Gesetz keine Folgen vorsieht, wenn der Median zeigt, dass die Männer mehr verdienen.

Echte Zähne: Der Median als Indiz für Diskriminierung?

Denn was mit diesem Median eigentlich anzufangen sein soll, ist bisher nicht klar – hier könnte aber das Europarecht dem EntgTranspG noch wirklich Biss verleihen.

Denn nach Europarecht dreht sich die Beweislast um, wenn dem ersten Anschein nach eine Diskriminierung vorliegt; so setzte es auch § 22 AGG um. Und der EuGH hat klargestellt, dass es als Indiz genügt, wenn die Männer mehr verdienen. Dann ist es am Arbeitgeber, sich vom Verdacht der Geschlechtsdiskriminierung zu entlasten, indem er zeigt, dass die Gehaltsunterschiede rational begründet sind und nicht auf Diskriminierung beruhen.

Nicht nur das LAG Berlin-Brandenburg stellte im ZDF-Fall strengere Anforderungen. Auch das LAG Niedersachsen ging in dem Fall einer Abteilungsleiterin davon aus, dass es noch kein Indiz für Diskriminierung sei, wenn die männlichen Abteilungsleiter in dem Unternehmen mehr verdienen; im Fall der dortigen Klägerin sogar 8 Prozent mehr – im Median.

Nun muss das BAG entscheiden, ob dieser Median die Beweiserleichterung des § 22 AGG auslösen kann. Wäre das der Fall, gerieten Arbeitgeber allein durch den Median unter Rechtfertigungsdruck; vor Gericht müssten sie nachweisen, dass eine Gehaltsdifferenz nicht auf dem Geschlecht beruht. Für die Klägerinnen, die ja keinen Einblick in die Einzelheiten der fremden Gehaltsvereinbarungen haben und daher auf investigative Indizienrecherchen angewiesen sind, wäre das eine riesige Erleichterung. Das EntgTranspG hätte plötzlich Biss.

Klar ist jedenfalls, dass es spannend wird. Denn zuständig ist – anders als für die Diskriminierungsfragen im ZDF-Verfahren – auch hier wieder der 8. Senat (Az. 8 AZR 488/19).

Die Autorin Prof. Dr. Nora Markard, MA (King’s College London) ist Inhaberin des Lehrstuhls für Internationales Öffentliches Recht und Internationalen Menschenrechtsschutz an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Sie ist Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Journalistin berät, sie aber nicht anwaltlich vertritt.

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

BAG entscheidet über Entgelttransparenzgesetz: Endlich Zähne für den Papiertiger? . In: Legal Tribune Online, 20.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44047/ (abgerufen am: 28.09.2023 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Arbeitsrecht
    • Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
    • Bundesarbeitsgericht (BAG)
    • Gehalt
    • Gleichstellung
    • Individual-Arbeitsrecht
  • Gerichte
    • Bundesarbeitsgericht (BAG)
28.09.2023
Diskriminierung

KG verhandelt Regeln für Badebekleidung:

"Oben ohne" für alle?

Der Sicherheitsdienst eines Wasserspielplatzes forderte eine Frau auf, ihre nackten Brüste zu bedecken. Eine hiergegen gerichtete Klage wies das LG Berlin ab. Nun geht es beim KG weiter: vollständige Bikini-Pflicht oder "Free the nipple"?

Artikel lesen
20.09.2023
Strafvollzug

Nach Urteil des BVerfG zum Verdienst im Strafvollzug:

Arbeits­gruppe für recht­mä­ßige Gefan­ge­nen­löhne

Ein Stundenlohn von 1,37 Euro: In Thüringer Gefängnissen ist das derzeit Alltag. Doch nutzt das auch der Resozialisierung von Häftlingen? Das BVerfG hat den Ländern Hausaufgaben aufgegeben, die nun gemacht werden müssen.

Artikel lesen
28.09.2023
Asyl

Asylrecht zum Mitreden Teil 2:

Diese Leis­tun­g­an­sprüche haben Asyl­su­chende wir­k­lich

Kostenlose Wohnung, Krankenversicherung, Urlaub im Herkunftsland: Den Geflüchteten geht es in Deutschland sehr gut, meint nicht nur Friedrich Merz. Doch wie sieht die (rechtliche) Lebenswirklichkeit von geflüchteten Menschen tatsächlich aus?

Artikel lesen
28.09.2023
Nachrichten

VG Münster nennt Bewerbungsverfahren 'manipulativ':

NRW-Jus­tiz­mi­nister darf nicht Wunsch­kan­di­datin durch­setzen

Der Besetzungsstreit um den Präsidentenposten am OVG NRW zieht sich weiter in die Länge. Das VG Münster entschied nun, dass die Auswahl einer Bewerberin rechtswidrig war. Der Justizminister habe seine Wunschkandidatin bevorzugt behandelt.

Artikel lesen
26.09.2023
Vaterschaft

BVerfG verhandelt Vaterschaftsanfechtung:

Ein Kind, drei Eltern?

Ein leiblicher Vater kämpft um sein Recht, auch als rechtlicher Vater anerkannt zu werden. Ob das BVerfG seiner Verfassungsbeschwerde stattgeben wird, ist offen. Nicht ausgeschlossen, dass der Erste Senat den ganz großen Wurf wagt.

Artikel lesen
27.09.2023
Glücksspiel

Sammelkarten-Hype auf Twitch & Co.:

Frag­wür­dige Geschäfte mit Pika­chus, Gegen­zau­bern und blau­äu­gigen weißen Dra­chen

Pikachu kennen alle. Es gibt aber nicht nur Pokemon, der Sammelkartenmarkt ist dank vieler großer Namen ein Milliardengeschäft geworden. Mit ihm kommen dubiose Geschäftsmodelle, die juristisch klärungsbedürftig sind, zeigt Andreas Höpner.

Artikel lesen
TopJOBS
Wis­sen­schaft­li­che*r Mit­ar­bei­ter*in / Dok­to­rand*in (m/w/d)

Becker Büttner Held , Ham­burg

Re­fe­ren­da­re (m/w/d)

DLA Piper UK LLP , Köln

(Se­nior) As­so­cia­te (w/m/d) Ar­beits­recht

Taylor Wessing , Mün­chen

Rechts­re­fe­ren­da­re (m/w/d)

SammlerUsinger , Ber­lin

Se­nior Di­gi­tal Pro­duct Ma­na­ger - WKO (m/w/d)

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Hürth

Probe­rich­te­rin/Probe­rich­ter (w/m/d)

Ministerium für Justiz, Gleichstellung und Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommern , Schwe­rin

Werk­stu­dent für LTO-News­desk (m/w/d)

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Hürth

Re­fe­ren­dar*in / Dok­to­rand*in (m/w/d)

Becker Büttner Held , Ham­burg

Alle Stellenanzeigen
Veranstaltungen
International Register Law Conference

05.10.2023, Bonn

Zeitsparend und einfach diktieren mit dem Smartphone: volle Flexibilität und Mobilität

05.10.2023

Essentials – Die moderne Anwaltskanzlei

05.10.2023

E-Kommunikation auf höchstem Niveau

05.10.2023

Sichtbarkeit bei Google, anwalt.de, LinkedIn und Co.

05.10.2023, München

Alle Veranstaltungen
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH