Ein intergeschlechtlicher Mensch bewarb sich in Schleswig-Holstein als Gleichstellungsbeauftragte. Den Job bekam eine Frau. Auch da die Stelle nicht geschlechtsneutral ausgeschrieben war, gab es eine Entschädigung. Nun ist das BAG dran.
Das Bundesgleichstellungsgesetz (BGleichG) hat die Gleichstellung von Frauen und Männern zum Ziel und soll "bestehende Benachteiligungen auf Grund des Geschlechts, insbesondere Benachteiligungen von Frauen", beseitigen und künftige Benachteiligungen verhindern. So ist es dort in § 1 BGleichG normiert. Eine ähnliche Norm gibt es in Schleswig-Holstein. Die Stellen sollen nach den Regelungen mit Frauen besetzt werden. Mindestens eine diverse Person hält diese Regelung aber für verfassungswidrig, weil nur Frauen adressiert werden.
Auch ein Kreis in Schleswig-Holstein hatte eine Stelle für eine Gleichstellungsbeauftragte ausgeschrieben und ausschließlich an Frauen adressiert. Neben einigen Frauen bewarb sich diese Person (Pronomen "sie" für Person), die als Pseudohermaphrodit, mithin als intergeschlechtlicher Mensch, geboren wurde. Sie hat einen Hochschulabschluss als Magistra Juris/Master of Laws, LL.M., und war mehrere Jahre akademisch-wissenschaftlich im höheren Dienst an zwei Universitäten tätig. In der Bewerbung führte die Person aus, sie stehe für die friedliche Koexistenz beider Geschlechter in einer Person. Auf diese Weise überwinde sie "die uralte feindliche Variante, in der Mann und Frau Gegner sind und es über Jahrhunderte darum ging, zu beweisen, dass Frau die unterlegene Ausgabe Mensch und der Hermaphrodit die kumulative Vereinigung der Nachteile aus beiden Geschlechtern ist".
Der Kreis lud die Person zum Vorstellungsgespräch ein und entschied sich dann für eine Frau als Gleichstellungsbeauftragte. Im folgenden gerichtlichen Verfahren begründete die Verwaltung detailliert, warum sie sich für die Frau entschieden habe: Diese habe umfassendere Antworten auf die allen gleich gestellten Fragen gegeben, bessere Ideen für das Vorgehen in der Region gehabt und insgesamt seien die Erfahrungen stimmiger für die Stelle.
Die Person sieht jedoch schon in der Stellenausschreibung das Indiz für eine Diskriminierung. Mit dieser Argumentation und ihrer anschließenden Klage war sie vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Elmshorn und auch vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein (Urt. v. 14.06.2023, Az. 4 Sa 123 öD/22) weitgehend erfolgreich. Jetzt befasst sich am Donnerstag nach Revision durch den Kreis das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit dem Fall (Az. 8 AZR 214/23). Die Beklagte wird in dem Verfahren in der dritten Instanz vom Wuppertaler Rechtsanwalt Torsten Herbert vertreten, die Person von Sonja Hiegemann von der Kanzlei Müller-Knapp Hjort Wulff in Hamburg.
LAG: Gleichstellungsbeauftragte muss keine Frau sein
Für das LAG stand fest: Hier lag eine Diskriminierung wegen des Geschlechts vor, § 3 Abs. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Bei einer geschlechterdiskriminierenden Stellenausschreibung geht die Vermutung dahin, dass tatsächlich eine Diskriminierung vorliegt. Der Kreis hat laut LAG nicht hinreichend dargelegt, dass dies nicht gegeben gewesen sei, § 22 AGG.
Die Diskriminierung sei auch nicht ausnahmsweise gerechtfertigt, § 8 Abs. 1 AGG. Weder der konkrete Stellenzuschnitt noch die gesetzliche Regelung in § 2 Abs. 3 Kreisordnung Schleswig-Holstein (KrO-SH) berechtigten zur Annahme, "dass wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit und den Bedingungen ihrer Ausübung allein das weibliche Geschlecht eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt". Art. 3 Abs. 2 GG rechtfertige zwar im binären Verhältnis zwischen Mann und Frau eine kompensatorische Förderung von Frauen, sei "aber nicht geeignet, auch im Geschlechterverhältnis zwischen Frauen und Personen dritten Geschlechts den Frauen eine günstigere Behandlung zu verschaffen", so das LAG.
Arbeitsrechtler: "Gesetzgeber kann sich seine Rechtfertigungsgründe nicht selber schaffen"
Für Professor Dr. Gregor Thüsing steht fest: "Der nationale Gesetzgeber kann sich seine Rechtfertigungsgründe nicht selber schaffen – erst recht nicht der Landesgesetzgeber", so der Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn. Entscheidend sei gar nicht 'Bundesrecht bricht Landesrecht', sondern der alleinige Maßstab sei das Europarecht. "Im Verfahren Tanja Kreil hatte der Europäische Gerichtshof vor vielen Jahren bereits deutlich gemacht, dass selbst eine Regelung des Grundgesetzes (kein Dienst von Frauen an der Waffe) europarechtlich wertlos ist, wenn es der Sache nach keinen Rechtfertigungsgrund gibt", erinnert Thüsing (Urt. v. 11. Januar 2000, Az. C-285/98).
Für den Arbeitsrechter kommt es also auf die Frage an: Kann auch ein Mann oder eine intergeschlechtliche Person diese Tätigkeit verrichten? "Wer sich die Aufgaben anschaut, die das Schleswig-Holsteinische Recht hierfür vorsieht, wird diese Frage wohl bejahen müssen. Wichtig ist, wie klar die Erwartungen der 'Kundschaft' auf eine weibliche Person ausgerichtet sind und wie weit wir eine solche Kundenerwartung als Rechtsordnung akzeptieren wollen", so Thüsing. Das eine sei eine ungeklärte, tatsächliche Frage, das andere eine ungeklärte, rechtliche Frage. Es sei sicherlich zu salopp, zu sagen: Kinderbücher müssen nicht von Kindern geschrieben werden, und ein Ornithologe muss kein Vogel sein. Aber: Das BAG habe in der Vergangenheit bereits entschieden, dass die nordrhein-westfälische Gleichstellungsbeauftragte eben keine Frau sein muss (BAG, Urt. v. 12.11.1998, Az. 8 AZR 365/97).
Der Arbeitsrechtsprofessor meint, Gleichstellungsbeauftragte seien für alle Geschlechter da. Gegebenenfalls werde das BAG den Fall dem EuGH vorlegen, um größere Klarheit zu erbitten. In der Vergangenheit habe es von dieser Möglichkeit durchaus Gebrauch gemacht.
BAG zu Diskriminierung von intergeschlechtlicher Person: . In: Legal Tribune Online, 16.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55646 (abgerufen am: 04.12.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag