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19608

BAG zu Kettenbefristungen im Wissenschaftsbetrieb: Lex Uni: Sieben Ver­träge in 22 Jahren wohl recht­mäßig

von Dr. Thomas Griebe und Dr. Sabrina Fasholz

09.06.2016

Befristeter Arbeitsvertrag

© seen0001 - Fotolia.com

Über 22 Jahre ein befristeter Vertrag nach dem anderen - das könnte rechtsmissbräuchlich sein. Ist es aber nicht, wenn die Befristungen der wissenschaftlichen Qualifikation dienen, urteilte das BAG.

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Für Wissenschaftler gelten besondere Befristungsmöglichkeiten…

Die mehrfache Befristung von Arbeitsverträgen für Wissenschaftler an Hochschulen ist nicht zwingend rechtswidrig. Sie könnten grundsätzlich einen institutionellen Rechtsmissbrauch darstellen. Das ist aber auch bei Kettenverträgen über einen langen Zeitraum dann regelmäßig nicht der Fall, wenn sie der Qualifikation der Wissenschaftler dienen, so das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 08.06.2016, Az: 7 AZR 259/14).

Die Klägerin war über 22 Jahre - von 1989 bis 2011 - durchgehend an der Universität Leipzig beschäftigt. Während der ersten vier Befristungsverträge war sie promotionsbegleitend und sodann zum Erwerb ihrer Habilitation als wissenschaftliche Mitarbeiterin beschäftigt. Von 1996 bis 2007 folgte eine Verbeamtung auf Zeit als wissenschaftliche Assistentin. Danach schlossen sich für die Zeit bis 2011 zwei auf den Sachgrund der Drittmittelfinanzierung gestützte befristete Arbeitsverträge an.

Die Vorinstanz, das sächsische Landesarbeitsgericht (LAG), hatte geurteilt, dass „eine rechtsmissbräuchliche Ausnutzung der Befristungsmöglichkeit im Hochschulbereich indiziert ist, wenn jemand als Arbeitnehmer oder Beamter auf Zeit ununterbrochen 22 Jahre und 2 Monate beschäftigt war“. Und damit der Klage, mit der die Wissenschaftlerin die Unwirksamkeit der zuletzt vereinbarten Befristung geltend gemacht hatte, stattgegeben.

Befristung kann rechtsmissbräuchlich sein

Weite Teile der Ausführungen des BAG schlagen zunächst in dieselbe Kerbe. Die Befristung eines Arbeitsvertrags könne sich trotz Sachgrunds als institutioneller Rechtsmissbrauch darstellen und damit unwirksam sein. Dabei könnten Anhaltspunkte wie eine lange Gesamtdauer des Beschäftigungsverhältnisses oder eine außergewöhnlich hohe Anzahl von aufeinander folgenden befristeten Arbeitsverträgen den Rechtsmissbrauch indizieren.

Diese Grundsätze gelten laut BAG auch dann, wenn man nicht den zulässigen zweijährigen Zeitraum der Befristung nach § 14 Abs. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) zugrunde legt, sondern die erweiterten Möglichkeiten des Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) heranzieht. § 2 Abs. 1 WissZeitVG sieht Befristungen von bis zu sechs Jahren für die Erlangung des Doktorgrades und grundsätzlich weitere sechs Jahre für die Habilitation vor.

Selbst der danach zulässige Zeitraum von sechs Jahren nach Abschluss der Promotion im Juli 1995 war allerdings bei der Klägerin im Jahr 2011 bereits um ein Vielfaches überschritten.

…insbesondere für die wissenschaftliche Qualifikation der Mitarbeiter

2/2: Endscheidend ist nur der letzte Vertrag

Indes, die weitschweifigen Ausführungen zu einem nur potenziell möglichen Rechtsmissbrauch werden der Klägerin wohl nicht zu ihrem beanspruchten Recht auf einen Dauerarbeitsplatz verhelfen. Denn ein Arbeitsgericht überprüft unter der Abfolge mehrerer befristeter Arbeitsverträge stets nur die letzte erfolgte Befristung auf ihre Rechtmäßigkeit.

Der befristete Abschluss des letzten Arbeitsvertrags stelle sich nach Auffassung des BAG nicht als rechtsmissbräuchlich dar, da ein erheblicher Zeitraum der befristeten Beschäftigung der wissenschaftlichen Qualifizierung der Klägerin gedient habe.

LAG muss weiteren Sachgrund noch prüfen

Die Befristung von Arbeitsverträgen in der Wissenschaft ist nach § 2 Abs. 2 WissZeitVG auch dann zulässig, wenn die Beschäftigung aus Drittmitteln finanziert wird. Eine abschließende Entscheidung über die Entfristung der Wissenschaftlerin traf das BAG deswegen nicht, weil die Vorinstanz noch abschließend zu prüfen habe, ob die Befristung durch den Sachgrund der Drittmittelfinanzierung gerechtfertigt war.

Die Tendenz aber ist vorgegeben: Sollte sich die Befristung für die letzten zwei Jahre als rechtmäßig erweisen, gelten die 20 Jahre zuvor gleichsam als „water under the bridge“. Damit hätte der Freistaat Sachsen die Befristung nach 22 Jahren ununterbrochener Beschäftigung zurecht auslaufen lassen.

Die Autoren Dr. Thomas Griebe und Dr. Sabrina Fasholz sind Anwälte in der Kanzlei für Arbeitsrecht vangard in Hamburg.

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Zitiervorschlag

Dr. Thomas Griebe und Dr. Sabrina Fasholz, BAG zu Kettenbefristungen im Wissenschaftsbetrieb: Lex Uni: Sieben Verträge in 22 Jahren wohl rechtmäßig . In: Legal Tribune Online, 09.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19608/ (abgerufen am: 02.06.2023 )

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