Viele Arbeitgeber setzen bei Neueinstellungen auf befristete Arbeitsverträge. Das geht nur, wenn der Arbeitnehmer noch nie zuvor dort beschäftigt war. Dieses "nie zuvor" hat das BAG nun einmal mehr neu definiert, zeigt Michael Fuhlrott.
Befristungen von Arbeitsverträgen sind für Unternehmen ein reizvolles personalpolitisches Gestaltungsinstrument. Der neue Mitarbeiter kann zunächst einmal erprobt werden, die nur befristete Einstellung einer Vertretung für eine längerfristig erkrankte Arbeitnehmerin blockiert keine weitere Stelle und die einjährige Elternzeit eines Mitarbeiters lässt sich so galant durch einen temporären Einsatz eines Kollegen auffangen.
Für den Arbeitnehmer hingegen sind befristete Verträge nachteilig. Zwar kann er auch bei einer befristeten Beschäftigung gem. § 1 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nach einem halben Jahr Tätigkeit in den Genuss von Kündigungsschutz kommen. Dieser hilft ihm allerdings nicht viel, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund der vereinbarten Befristung ohnehin in absehbarer Zeit endet. Um den Arbeitnehmer zu schützen, knüpft das Arbeitsrecht daher Befristungen an bestimmte Bedingungen. Es unterscheidet dabei in § 14 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) zwischen der sachgrundlosen Befristung (§ 14 Abs. 2 TzBfG) und der Befristung mit Sachgrund (§ 14 Abs. 1 TzBfG).
Über das Verbot der sachgrundlosen Befristung hat am Mittwoch wieder einmal das Bundesarbeitsgericht geurteilt (BAG, Urt. v. 21.8.2019, Az. 7 AZR 452/17). Seit 2011 gibt es diverse Entscheidungen aus Erfurt, die Arbeitsrichter mussten ihre Rechtsprechung zuletzt nach Mahnungen aus Karlsruhe korrigieren. Und haben nun doch einmal mehr ihre eigene Linie fortgeschrieben.
Sachgrundlose Befristung: das Gesetz und das BAG
Für eine sachgrundlose Befristung bedarf es keiner besonderen Rechtfertigung. Es braucht also keines Vertretungsbedarfes wegen Krankheit oder nur vorübergehende bzw. saisonal zu erbringende Tätigkeiten. Unternehmen, die einen ihnen zuvor unbekannten Mitarbeiter einstellen wollen, greifen gerne auf diese Art der Befristung zurück.
Um Missbrauch durch den Arbeitgeber zu verhindern, ist die sachgrundlose Befristung nur für maximal insgesamt zwei Jahre zulässig. Die Befristungsabrede muss zudem vor Arbeitsbeginn schriftlich gefasst sein und die Befristung darf innerhalb des Zweijahreszeitraums maximal dreimal verlängert werden. Insbesondere ist eine befristete sachgrundlose Einstellung gem. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG aber unzulässig, "wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat". So sollen unerwünschte Befristungsketten vermieden werden.
Das BAG, das sich oft mit Befristungsfragen zu befassen hatte, fand diese gesetzliche Vorgabe aber zu streng. Es entschied daher bereits 2011 (BAG, Urt. v. 06.04.2011, Az. 7 AZR 716/09), dass eine sachgrundlose Befristung auch dann möglich sei, wenn der Arbeitnehmer vor mehr als drei Jahren schon einmal beim selben Arbeitgeber beschäftigt war. Die Gefahr von Befristungsketten bestehe dann nicht mehr, so die Erfurter Richter. Ein Zeitraum von drei Jahren, der der regelmäßigen zivilrechtlichen Verjährungsfrist des § 195 BGB entspricht, sei sachgerecht.
BAG-Rechtsprechung befolgt, trotzdem verloren
Auf diese Rechtsprechung berief sich auch der Arbeitgeber, der mit der Entfristungsklage konfrontiert wurde, über die am Mittwoch das BAG entschied. Er hatte seine ihn jetzt verklagende Mitarbeiterin bereits rund 22 Jahre vor dem aktuell streitigen Arbeitsverhältnis, nämlich vom 22. Oktober 1991 bis zum 30. November 1992 beschäftigt. Zum 15. Oktober 2014 stellte er die Arbeitnehmerin dann erneut ein und vereinbarte schriftlich eine sachgrundlose Befristung bis zum 30. Juni 2015, was die Parteien später noch um ein Jahr, bis zum 30. Juni 2016, verlängerten.
Nach Ablauf der Befristung wollte die Arbeitnehmerin aber weiterbeschäftigt werden. Sie berief sich darauf, dass bereits der Wortlaut in § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG eindeutig sei. Dieser spreche für ein zeitlich unbeschränktes Anschlussverbot. Mit dem Begriff "bereits zuvor" habe sich der Gesetzgeber eines sprachlichen Ausdrucks bedient, dem keine zeitliche Begrenzung innewohne.
Vor dem erstinstanzlich entscheidenden Arbeitsgericht Neumünster (Urt. v. 15.6.2016, Az. 1 Ca 358 b/16) blieb sie mit ihrer Argumentation erfolglos. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, das über die Berufung zu verhandeln hatte, gab der Arbeitnehmerin dagegen Recht und sah die Befristung als unwirksam an (Urt. v. 27.7.2017, Az. 4 Sa 221/16). Dies wiederum sah der Arbeitgeber nicht ein und rief mit seiner Revision das BAG an.
BVerfG vs. BAG
Zwischenzeitlich bekam die Arbeitnehmerin Rückenwind durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Dieses hatte über mehrere Verfassungsbeschwerden befristet beschäftigter Arbeitnehmer zu entscheiden, deren Entfristungsklagen das BAG unter Verweis auf seine Rechtsprechung abgewiesen hatte, weil ihre Vorbeschäftigungen lange zurücklagen. Auch vereinzelte Arbeitsgerichte, die dem BAG ihre Gefolgschaft versagen wollten, hatten das BVerfG angerufen.
Die klagenden Arbeitnehmer machten vor den Verfassungsrichtern geltend, dass die bundesarbeitsgerichtliche Auslegung des Gesetzeswortlauts den klaren Wortlaut des Gesetzes überschreite. Nie zuvor heiße "niemals vorher" und nicht lediglich "vor mehr als drei Jahren". Das BVerfG schloss sich dieser Argumentation an (Beschlüsse vom 6.6.2018, Az. 1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14). Richterliche Rechtsfortbildung dürfe den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht übergehen und durch ein eigenes Regelungsmodell ersetzen, mahnten die Karlsruher Richter.
Die Reaktion aus Erfurt
Das BAG änderte daher bei nächster Befassung mit der Sache, im Januar 2019, seine Rechtsprechung. In seinem Urteil aus Januar 2019 (Urt. v. 23.01.2019, Az. 7 AZR 733/16) stellte das BAG daher fest, dass die bisherige Drei-Jahres-Grenze nicht aufrechterhalten werden könne.
Allerdings machte der 7. Senat klar, dass er es auch nach dem Urteil des BVerfG für möglich hält, im Wege einer verfassungskonformen Auslegung den Anwendungsbereich des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG einzuschränken.
Dies sei sogar geboten, wenn das Verbot der sachgrundlosen Befristung unzumutbar werde und damit die Berufsfreiheit beeinträchtige. In diesem Sinne unzumutbar könne das Befristungsverbot sein, wenn die Vorbeschäftigung sehr lange zurückliege, ganz anders geartet gewesen oder nur von kurzer Dauer gewesen sei. Den in dieser Entscheidung aus Januar 2019 bestehenden Zeitraum der Vorbeschäftigung von rund acht Jahren sah das BAG aber noch nicht als ausreichend an.
BAG aktuell: "Nie zuvor" meint nicht vor mehr als 22 Jahren
Anders entschied das BAG nun in seiner aktuellen Entscheidung von Mittwoch. Eine Beschäftigung rund 22 Jahre zuvor liege sehr lange zurück. In einem solchen Fall könne der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag wirksam ohne Sachgrund befristen. Die Erfurter Richter stellen weiter auf die Unzumutbarkeit ab.
Zwar sei nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG die Befristung eines Arbeitsvertrags ohne sachlichen Grund im Grundsatz nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Allerdings müssten die Fachgerichte durch verfassungskonforme Auslegung den Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einschränken, soweit das Verbot der sachgrundlosen Befristung unzumutbar sei. Unzumutbar in diesem Sinne sei es z.B., wenn nicht die Gefahr bestehe, dass strukturell unterlegene Beschäftigte durch Kettenbefristungen ausgenutzt würden. und wenn das Verbot der sachgrundlosen Befristung auch nicht erforderlich sei, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten.
Eine sachgrundlose Befristung sei danach möglich, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lange zurückliege. Und rund 22 Jahre seien sehr lang.
Nun doch wieder Befristungen bei Vorbeschäftigung?
Einige Arbeitgeber dürften angesichts der aktuellen Entscheidung aufatmen. Abzuwarten bleibt aber, ob der Senat der Praxis handhabbare Kriterien an die Hand geben wird, die eine verlässliche Beurteilung der Wirksamkeit einer Befristungsabrede ermöglichen.
Aus der bislang nur vorliegenden Pressemitteilung ergibt sich nur, dass 22 Jahre Abstand genügen. Wie viele Jahre aber ausreichen und wie viele noch nicht, ist der Erklärung nicht zu entnehmen. Und man darf bezweifeln, dass die Urteilsgründe mehr Klarheit schaffen werden. Da das BAG starre Grenzen oft im Rahmen einer Abwägung mit mehreren wertungsmäßigen Faktoren kombiniert, spricht viel dafür, dass auch diese Entscheidungen stark einzelfallbezogen bleiben und keine allgemeingültige Aussage treffen wird.
Abhilfe schaffen könnte und sollte hier der Gesetzgeber. Der hat eine Neuregelung des Befristungsrechts mit schärferen Kriterien für sachgrundlose Befristungen laut dem Koalitionsvertrag auf dem Zettel. Passiert ist nach Ablauf der Hälfte der Legislaturperiode aber noch nichts. Jenseits von Fragen politischer Machbarkeit geben die gerichtlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben wenig Anlass, in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode auf mehr gesetzgeberische Initiative zu hoffen.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Kanzlei FHM – Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB (www.fhm-law.de) sowie Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg.
BAG zur sachgrundlosen Befristung bei Vorbeschäftigung: . In: Legal Tribune Online, 22.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37183 (abgerufen am: 01.12.2024 )
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