BAG zur Krankschreibung aus dem Ausland: Glei­cher Beweis­wert, gen­auso erschüt­terbar

von Tanja Podolski

15.01.2025

Einem im Ausland ausgestellten Krankenschein kommt der gleiche Beweiswert zu wie einer hierzulande ausgestellten AU, hat das BAG klargestellt. Doch auch dabei gilt: Die Gesamtschau der Umstände kann den Beweiswert erschüttern.

Man kann auch im Urlaub krank werden. Bekommt man daraufhin vom Arzt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung, umgangssprachlich nur "AU" oder "Krankenschein") ausgestellt, kann es für diese Tage die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall geben. Womöglich gilt das aber nicht für den klagenden Mann in dem Fall, den das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun entscheiden musste (Urt. v. 15.01 2025, Az. 5 AZR 284/24). Denn der hat sich ¬ unter anderem ¬ trotz ärztlich verordneter Ruhe mit dem Auto auf die Rückreise von Tunesien nach Deutschland begeben.

Der in diesem Fall klagende Mann arbeitet seit 22 Jahren bei seinem Arbeitgeber, verdient als Lagerarbeiter dort inzwischen rund 3600 Euro brutto. Schon in den Jahren 2017, 2019 und 2020 legte er in direktem zeitlichem Zusammenhang mit seinem Urlaub AU-Bescheinigungen vor. So war es auch im Jahr 2022, was letztlich zum Rechtsstreit führte: Seinen Urlaub hatte der Mann vom 22. August bis zum 9. September, doch am 7. September legte er seinem Arbeitgeber die AU vor, die ihm ein tunesischer Arzt ausgestellt hatte. 

Daraus ergab sich – wie es notwendig ist – nicht nur eine Krankheit, sondern eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 30. September. Der Arzt schrieb, der Mann müsse wegen schwerer Ischialbeschwerden strenge häusliche Ruhe einhalten und sei nicht reisefähig. Der Mann buchte dennoch bereits am Folgetag das nötige Ticket für die Fähre und trat am 29. September mit dem Auto die Heimreise nach Deutschland an. Der Arbeitgeber akzeptierte die ärztliche Bescheinigung nachträglich nicht und verweigerte die Lohnfortzahlung für den gesamten September.

Ob das richtig war, wird nun das Landesarbeitsgericht (LAG) München erneut bewerten müssen. Das LAG hatte dem Mann auf dessen Klage hin zwar die Lohnfortzahlung zugesprochen (Urt. v. 16.05.2024, Az. 9 Sa 538/23). Es hatte aber dabei nicht alle erforderlichen Aspekte berücksichtigt, urteilte nun das BAG und hob die Entscheidung der Vorinstanz auf. Denn das LAG habe zwar jeden einzelnen Aspekt des Falles richtig gewürdigt, es fehle aber an der gebotenen Gesamtschau, entschied der Fünfte Senat unter Vorsitz von Dr. Rüdiger Linck.

Gesamtschau der Umstände erschüttert Beweiswert der ausländischen AU

Der Senat stelle klar, dass auch einer AU-Bescheinigung aus dem Nicht-EU-Ausland grundsätzlich der gleiche Beweiswert zukomme wie einer hiesigen. Notwendig sei dafür, dass der ausländische Arzt zwischen einer Krankheit und einer Arbeitsunfähigkeit differenziere.

Hier aber sei eine Arbeitsunfähigkeit für 24 Tage attestiert worden, ohne eine erneute Vorstellung beim Arzt anzuordnen. Schon am Tag nach der Arztkonsultation habe der klagende Mann sein Fährticket gekauft. Die beschwerliche Heimreise mit dem Auto habe er dann während der verordneten Ruhezeit angetreten. Zudem sei diese Arbeitsunfähigkeit unmittelbar im Zusammenhang mit dem Urlaub nicht die erste dieser Art gewesen, sondern die vierte. "Diese Gegebenheiten mögen für sich betrachtet unverfänglich sein", so der Senat. Doch in der erforderlichen Gesamtschau aller Umstände könne es anders aussehen: Da begründen sie laut BAG "ernsthafte Zweifel am Beweiswert der AU-Bescheinigung". Diese Würdigung der Gesamtumstände habe das LAG vernachlässigt.

Ist der Beweiswert einer AU erschüttert, führt das zu einer Beweislastumkehr. Das heißt, der klagende Mann trägt in diesem Fall die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Diese wiederum ist die Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Ob der Mann also wirklich Geld bekommt, wie das LAG zunächst entschieden hatte, wird das LAG überdenken und dabei die Maßstäbe des BAG anlegen müssen.

Das BAG hatte in jüngerer Vergangenheit mehrfach Entscheidungen zu AU-Bescheinigungen getroffen. So entschied der Senat erst im September 2024, dass der Beweiswert einer AU auch dann erschüttert sein kann, wenn zwischen der Übergabe der Kündigung und der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. (BAG, Urt. v. 18.09.2024, Az. 5 AZR 29/24). Mit dieser Entscheidung hat der Fünfte Senat seine Rechtsprechung noch weiter ausgedehnt. Schon im Vorjahr hatte er entschieden, dass der Beweiswert einer AU bei einer passgenauen Krankschreibung zum Ende der Kündigungsfrist erschüttert werden kann (BAG, Urt. v. 13.12.2023, Az. 5 AZR 137/23).

Zitiervorschlag

BAG zur Krankschreibung aus dem Ausland: . In: Legal Tribune Online, 15.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56341 (abgerufen am: 12.02.2025 )

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