Nach einer Kündigung entscheiden sich manche Arbeitgeber, den betroffenen Kollegen freizustellen. Urlaubsansprüche werden dabei meist angerechnet. Aber Überstunden müssen womöglich ausgezahlt werden. Michael Fuhlrott zu dem Urteil des BAG.
Ist eine Kündigung erst auf dem Tisch, verschlechtert sich das Betriebsklima regelmäßig spürbar. Trotzdem muss man – je nach Kündigungsfrist – womöglich noch monatelang zusammenarbeiten. Unter Umständen gefällt diese Vorstellung auch dem Arbeitgeber nicht. Er befürchtet eine mäßige Motivation, höhere Arbeitsunfähigkeitszeiten oder auch negative Auswirkungen auf Kundenbeziehungen oder auf Kollegen – und entscheidet sich, den Arbeitnehmer "nach Hause zu schicken". Juristisch formuliert: Ihn von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der vertragsgemäßen Vergütung einseitig freizustellen.
Freistellung nicht immer erlaubt
Je nachdem ob diese Freistellung vorläufig, bis auf weiteres oder dauerhaft bis zum Beendigungsdatum erfolgt, spricht man von einer widerruflichen bzw. unwiderruflichen Freistellung. Da – so schon das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Jahr 1985 (Beschl. v. 27.2.1985, Az.: GS 1/84) der Arbeitnehmer "durch Ausübung der vertragsgemäßen Tätigkeit seine Persönlichkeit" entfaltet und "sich die Achtung und Wertschätzung der Menschen seines Lebenskreises zu erwerben oder zu erhalten" vermag, ist eine Freistellung per se aber nur dann erlaubt, wenn das Freistellungsinteresse des Arbeitgebers das Beschäftigungsinteresse des Mitarbeiters überwiegt.
Nach einer Kündigung ist das jedoch in den meisten Fällen der Fall. Während der Arbeitnehmer bei einer unwiderruflichen Freistellung Planungssicherheit hat und weiß, dass er nicht mehr im Betrieb erscheinen muss, hat der Arbeitnehmer bei einer nur widerruflichen Freistellung das Damokles-Schwert der Wiedereinbestellung zur Arbeitsleistung über sich hängen. Da er folglich nicht die restliche Zeit bis zur Beendigung verplanen kann, ist auch durch die Rechtsprechung anerkannt, dass nur eine unwiderrufliche Freistellung etwaige noch bestehende Resturlaubsansprüche des Arbeitnehmers erledigen kann (so etwa jüngst BAG, Urt. v. 20.8.2019, Az.: 9 AZR 468/18).
Und was passiert mit den Überstunden?
Gelten diese Grundsätze auch, wenn noch Überstunden abzugelten sind? Das hatte nun das BAG zu beurteilen – und eine durchaus überraschende Entscheidung gefällt (Urt. v. 20.11.2019, Az.: 5 AZR 578/18): Überstunden erlöschen nicht durch Freistellung.
In dem Fall ging es um eine Arbeitnehmerin, die seit Januar 2014 als Sekretärin einer Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft angestellt war, mit einem monatlichen Bruttogehalt von 3.250 Euro. Im September 2016 kündigte ihr der Arbeitgeber außerordentlich fristlos. Die Sekretärin klagte dagegen und einigte sich schließlich mit dem Arbeitgeber im November 2016 auf einen Vergleich: Demnach sollte das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Januar 2017 enden.
Zum Zeitpunkt der Kündigung wies das Gleitzeitkonto der Sekretärin ein Zeitguthaben von 67,10 Stunden auf. Diese Stunden wollte die Klägerin nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgezahlt haben, sie verlangte dafür rund 1.300 Euro brutto.
Im Vergleich hatten die Arbeitsvertragsparteien eine unwiderrufliche Freistellung "von der Pflicht der Erbringung der Arbeitsleistung bis einschließlich 31.01.2017 unter Fortzahlung der vereinbarten Vergütung" vereinbart. Ferner wurden "Urlaubsansprüche der Klägerin für 2016 und 2017 (…) mit der Freistellung in Natur gewährt." Die findige Arbeitnehmerin argumentierte, dass die Regelung nur Urlaubsansprüche umfasse, da diese ausdrücklich genannt seien. Ihr Überstundenguthaben sei hingegen hierdurch nicht erledigt.
Sieg vor dem ArbG, Niederlage vor dem LAG
Hiermit konnte sie auch das erstinstanzlich zur Entscheidung über die Zahlungsklage berufene Arbeitsgericht Münster (Urt. v. 28.9.2017, Az.: 2 Ca 572/12) überzeugen: Der Wortlaut des Vergleichs sei insoweit unergiebig. Auch die Interessenlage bei Vergleichsabschluss spreche nicht für eine Erfüllung der Freizeitausgleichsansprüche. Denn bei einem Prozessvergleich handele es sich rechtlich um einen Erlassvertrag, sodass die Klägerin während der Freistellung von der Arbeitspflicht befreit sei.
Die Freistellungsvereinbarung habe nicht in erster Linie der Erfüllung von Ansprüchen der Klägerin gedient, sondern der Regelung der Arbeitsverpflichtung für den verbleibenden Zeitraum des Arbeitsverhältnisses. Zudem wäre ein Antrag auf Freizeitausgleich erforderlich gewesen, um das Arbeitszeitkonto auf diese Weise abzubauen. Das Verlangen der Klägerin sei auch nicht treuwidrig, noch seien die Ansprüche der Klägerin verfallen. Diese Entscheidung überzeugte den Arbeitgeber nicht, der seinerseits Berufung einlegte.
Das LAG Hamm (Urt. v. 19.6.2018, Az.: 12 Sa 218/18) gab dann auch den Wirtschaftsprüfern Recht. Es hob das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Zahlungsklage ab. Es sei zwar richtig, dass der Wortlaut des Vergleichs hinsichtlich der Behandlung von Überstunden unergiebig sei. Rechtlich sei aber zwischen Urlaubsanspruch und einem Anspruch auf Freizeitausgleich zu unterscheiden. Während beim Urlaub der Arbeitgeber keinen Anspruch darauf habe, gewährten Urlaub abzubrechen oder zu unterbrechen, handele es sich beim Abbau eines zugunsten des Arbeitnehmers bestehenden Zeitsaldos in der Regel um eine Weisung zur Verteilung der Arbeitszeit. Diese könne der Arbeitgeber einseitig qua Direktionsrecht treffen. Daher habe es hinsichtlich der Erledigung von Urlaub einer ausdrücklichen Regelung der Parteien bedurft.
BAG: Überstunden erlöschen nicht durch Freistellung
Die Regelung des einen (Urlaubsabgeltung) und das Weglassen einer Regelung des anderen (Freizeitausgleichsansprüche) lasse daher mangels Vergleichbarkeit nicht zwingend den Schluss zu, die Freizeitausgleichsansprüche sollten durch die Freistellung nicht erledigt werden. Die aus dem Vergleich sprechende Interessenlage lasse aber den Schluss zu, dass die Parteien alle offenen Punkte zu antizipieren und zu erledigen. Dies gelte damit auch für die Überstunden – auch ohne diesbezügliche explizite Regelung.
Das sahen die höchsten deutschen Arbeitsrichter anders. Die Revision der Sekretärin vor dem BAG war erfolgreich. Der Arbeitgeber muss nun die eingeklagten Überstunden bezahlen.
Eine Freistellung in einem gerichtlichen Vergleich erfülle den Anspruch des Arbeitnehmers auf Freizeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos nur dann, wenn in dem Vergleich hinreichend deutlich zum Ausdruck komme, dass mit der Freistellung auch ein Positivsaldo auf dem Arbeitszeitkonto ausgeglichen werden solle. Die vorliegende Klausel, wonach der Arbeitnehmer unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt werde, genüge dem nicht, argumentierten die Bundesrichter. Der Arbeitnehmer müsse erkennen, dass der Arbeitgeber ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Freizeitausgleich freistellen wolle. In dem hier geschlossenen Vergleich sei weder ausdrücklich, noch konkludent hinreichend deutlich festgehalten, dass die Freistellung auch dem Abbau des Arbeitszeitkontos dienen solle.
"Alle wechselseitigen Ansprüche erledigt"?
Die Entscheidung verdeutlicht eindringlich, wie wichtig sorgfältige Formulierungen bei Aufhebungsverträgen und gerichtlichen Vergleichen sind. Arbeitgeber sollten sämtliche offene Ansprüche ausdrücklich regeln, um weitere Streitigkeiten zu vermeiden .
Mit Blick auf etwaige noch bestehende Überstunden bedeutet dies, dass sie durch Gewährung der Freistellung ausdrücklich angeordnet werden können. Alternativ kann es sich anbieten, in den Vergleich eine sog. Generalquittung – auch umfassende Erledigungsklausel genannt – aufzunehmen, wonach mit der Erfüllung des Vergleichs alle wechselseitigen Ansprüche erledigt sind. Zwar gibt es auch Ansprüche, die unverzichtbar sind, die allermeisten Zahlungsansprüche lassen sich damit aber erledigen.
Geschieht dies nicht, droht die einverständlich gefundene Einigung später schnell hinfällig zu werden.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei FHM – Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB - sowie Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg.
BAG zu Freistellung nach Kündigung: . In: Legal Tribune Online, 20.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38815 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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