BAG zur Abweichung vom Equal-Pay-Grundsatz: Nur ein bis­schen Bezug­nahme geht nicht

von Dr. Daniel Hund, LL.M. (NYU)

17.10.2019

Entweder ganz oder gar nicht: Das BAG hat Inbezugnahmeklauseln für eine Abweichung vom Equal-Pay-Grundsatz für unzureichend erklärt, wenn gleichzeitig individuelle Vereinbarungen im Arbeitsvertrag geregelt sind. Das Urteil erklärt Daniel Hund.

Darf ein Arbeitsvertrag auf einen Tarifvertrag Bezug nehmen und auf diesem Weg vom Grundsatz "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" abweichen? Nur, wenn die Inbezugnahme wirksam ist, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 16.10.2019, Az. 4 AZR 66/18). Das sei beim klagenden Beschäftigten eines Zeitarbeitunternehmens nicht der Fall. Der Arbeitsvertrag enthalte zu viele wesentliche inhaltliche Abweichungen von den in Bezug genommenen Tarifverträgen, die nicht ausschließlich zugunsten des Leiharbeitnehmers wirken.

Geklagt hatte ein Leiharbeitnehmer gegen seinen Arbeitgeber, ein Zeitarbeitsunternehmen. Der Mann war als Kraftfahrer an einen Kunden seines Arbeitgebers überlassen worden. In dem dafür geschlossenen Arbeitsvertrag waren verschiedene Tarifverträge zwischen der Tarifgemeinschaft des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) in Bezug genommen worden. Danach hatte der Leiharbeitnehmer Anspruch auf ein geringeres Gehalt als vergleichbare Stammarbeitnehmer im Entleiherbetrieb.

Eine solche Vereinbarung ist gesetzlich zulässig, wenn sie für maximal neun Monate getroffen wird und aufgrund eines Tarifvertrages erfolgt, auf den im Arbeitsvertrag wirksam Bezug genommen wird (§ 8 Abs. 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)/§ 10 Abs. 4 S. 2 AÜG a.F.). Der Leiharbeitnehmer verlangte jedoch die Lohndifferenz zwischen seiner Vergütung und der von der Stammbelegschaft. Die Inbezugnahme sei intransparent, es sei u.a. nicht klar, welche Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sein sollen. Außerdem weiche sein Arbeitsvertrag in so vielen wesentlichen Punkten von den tarifvertraglichen Regelungen ab, dass nur sein individueller Vertrag anwendbar sei.

Die Entscheidung des BAG war mit Spannung erwartet worden, weil die generelle Wirksamkeit solcher Inbezugnahmeklauseln in der Literatur umstritten ist und solche Klauseln häufig in Leiharbeitsverträgen enthalten sind. Im Falle der Unwirksamkeit einer solchen Vereinbarung können Zeitarbeitsunternehmen zur Nachzahlung von Gehältern und Sozialversicherungsbeiträgen verpflichtet sein.

Keine Inbezugnahme bei individuellen Abweichungen

Das BAG hat – anderes als die Vorinstanzen - zugunsten des Leiharbeitnehmers entschieden und das Urteil des LAG Bremen aufgehoben. Die Begründung könnte viele Zeitarbeitsunternehmen in Schwierigkeiten bringen: Das BAG sieht in der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme keine Vereinbarung, aufgrund derer vom Equal-Pay-Grundsatz abgewichen werden darf. Denn der Arbeitsvertrag enthalte in einigen Klauseln inhaltliche Abweichungen von den in Bezug genommenen Tarifverträgen, die nicht ausschließlich zugunsten des Leiharbeitnehmers wirken. Systematik und Zweck der Regelung des § 9 Nr. 2 AÜG a.F. (mittlerweile geregelt in § 8 Abs. 2 AÜG) setze aber eine vollständige Anwendung eines für die Arbeitnehmerüberlassung einschlägigen Tarifvertrags voraus.*

In der Literatur wird bisher zudem diskutiert, ob die Wirksamkeit einer Inbezugnahme der Tarifwerke der DGB Gewerkschaften mit der IGZ schon deshalb zu verneinen ist, weil daran auf Gewerkschaftsseite mehrere Gewerkschaften beteiligt sind. Grund ist die Rechtsprechung des BAG, wonach die Inbezugnahme eines Tarifwerks, das sich aus mehreren im Verweisungszeitpunkt inhaltsgleichen, aber in Zukunft möglicherweise unterschiedlichen Tarifsystemen zusammensetzt, unwirksam ist (BAG, Urt.v. 13.03.2013, Az. 5 AZR 954/11). Denn nach dem BAG ist es für einen Leiharbeitnehmer im Falle eines solchen mehrgliedrigen Tarifwerks nicht transparent, welchen konkreten Tarifvertrag sein Arbeitsvertrag in Bezug nimmt.

Folgen: Gehaltsnachzahlung und höhere Versicherungsbeiträge

Die vom BAG vertretene Auffassung, dass nur eine vollständige Anwendung bzw. Inbezugnahme eines für die Arbeitnehmerüberlassung einschlägigen Tarifvertrags eine Abweichung vom Equal-Pay-Grundsatz erlaubt, entspricht der wohl herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung.

Bemerkenswert ist, dass das BAG eine solche vollständige Inbezugnahme in diesem Fall deshalb verneint hat, weil der Arbeitsvertrag einzelne Abweichungen vom in Bezug genommenen Tarifwerk zuungunsten des Arbeitnehmers vorsah – obwohl in der Inbezugnahmeklausel formal durchaus eine vollständige Inbezugnahme gesehen werden konnte.

Für Zeitarbeitsunternehmen, die einzelvertragliche Abweichungen von formal vollständig in Bezug genommenen Tarifverträgen zuungunsten des Arbeitnehmers in ihren Arbeitsverträgen haben, kann diese Begründung des BAG zum Problem werden. Sie können sich ggf. Ansprüchen ihrer Arbeitnehmer auf Zahlung der Differenz zum Gehalt von vergleichbaren Stammarbeitnehmern im Entleiherbetrieb ausgesetzt sehen – und das nicht nur für die Zukunft, sondern auch für die Vergangenheit.

Auch kann mit entsprechenden Ansprüchen auf Equal Pay eine Pflicht zur Abführung höherer Sozialversicherungsbeiträge einhergehen - für die Vergangenheit sogar einschließlich der Arbeitnehmeranteile und Säumniszinsen. Für Zeitarbeitsunternehmen, die vom Equal-Pay-Grundsatz (auch) in Zukunft abweichen wollen, bedeutet die Entscheidung des BAG, mit Regelungen im Arbeitsvertrag zur Inhalten, die im Tarifvertrag typischerweise geregelt werden, vorsichtig umzugehen, um nicht eine Abweichung von dem in Bezug genommenen Tarifwerk und damit eine nicht vollständige Inbezugnahme zu riskieren. Man darf jedenfalls auf die schriftliche Urteilsbegründung des BAG gespannt sein.

Der Autor Dr. Daniel Hund, LL.M. (NYU) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht sowie Partner bei der Kanzlei Beiten Burkhardt in München.

*Abschnitt präzisiert am 17.12.2019

Zitiervorschlag

Dr. Daniel Hund, LL.M. (NYU) , BAG zur Abweichung vom Equal-Pay-Grundsatz: Nur ein bisschen Bezugnahme geht nicht . In: Legal Tribune Online, 17.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38231/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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