Betriebsräte können mitbestimmungspflichtige Projekte von Arbeitgebern verhindern – und das ist auch gut so. Missbräuchlichen Blockadehaltungen aber hat das BAG erstmals Grenzen gesetzt. Die Entscheidungen erklärt Roland Klein.
Ohne eine Einigung mit dem Betriebsrat kann der Arbeitgeber die Lage der Arbeitszeit nicht festlegen. Tut er es dennoch, kann der Betriebsrat Unterlassung verlangen, bis beide Seiten sich geeinigt haben. Doch was soll der Arbeitgeber tun, wenn der Betriebsrat jede Einigung zum Dienstplan verhindert, der Betrieb aber weiterlaufen muss – wie im Krankenhaus? Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat jetzt in einem wichtigen, nun veröffentlichten Grundsatzurteil darauf eine Antwort gegeben, die Eingang in alle Kommentare finden dürfte BAG, Beschl. v. 12. März 2019, Az. 1 ABR 42/17).
Das Mitbestimmungsrecht im Betriebsverfassungsgesetz kennt verschiedene Formen, über Unterrichtungs- und Anhörungsrechte bis zum Zustimmungserfordernis. Ein besonders scharfes Schwert in der Hand des Betriebsrats stellt der § 87 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) dar. Soweit es um Themen geht, die unter die dort in Abs. 1 aufgezählten Tatbestände fallen, muss der Arbeitgeber eine Einigung mit dem Betriebsrat herbeiführen, notfalls entscheidet die Einigungsstelle. Dies gilt etwa bei der Dienstplangestaltung nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG oder bei der Einführung neuer Software nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.
Streit bedeutet Zeitverlust
Seit der Entscheidung des BAG vom 3. Mai 1994 (Az. 1 ABR 24/93) ist zudem anerkannt, dass der Betriebsrat die Unterlassung vom Arbeitgeber verlangen kann, soweit dieser sich trotz fehlender Einigung über das Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG hinwegsetzt und eine an sich mitbestimmungspflichtige Maßnahme einfach anordnet.
Wie aber gelangt der Arbeitgeber zu einer Einigung? Nicht immer sind die Parteien einigungsbereit, nicht selten auch zerstritten. Der Gesetzgeber sieht für diesen Fall den Spruch einer Einigungsstelle vor, die zwangsweise vom Arbeitsgericht eingesetzt werden kann. Diese Lösung greift aber nur mit erheblichem Zeitverlust, wenn der Betriebsrat von dem ihm zur Verfügung stehenden Rechten Gebrauch macht, sich nicht freiwillig auf eine Einigungsstelle einlässt und die zwangsweise Einsetzung einer Einigungsstelle durch ein Arbeitsgericht mit Rechtsmitteln angreift. Dies kann dazu führen, dass ein Arbeitgeber bestimmte Maßnahmen überhaupt nicht mehr zeitgerecht umsetzen kann, wenn er das Mitbestimmungsrecht einhalten will.
Monatlich neue Verweigerung
Dieses Problem stellte sich einem Krankenhausbetreiber in Niedersachsen. Dieser stellte monatlich Dienstpläne für das medizinische und pflegerische Personal auf und legte sie dem Betriebsrat mit der Bitte um Zustimmung vor. Der Betriebsrat lehnte diese Dienstpläne regelmäßig in weiten Teilen ab. Er teilte pauschal mit, diese seien tarif-und gesetzeswidrig. Termine für Beratungen lehnte er ab, ebenso die freiwillige Einsetzung einer Einigungsstelle. Nachdem die Einigungsstelle durch ein Arbeitsgericht eingesetzt worden war, legte er wiederholt Rechtsmittel ein und weigerte sich, vor Rechtskraft des Einsetzungsbeschlusses in der Einigungsstelle Beisitzer zu benennen und zu verhandeln.
Da die Dienstpläne nur monatlich aufgestellt werden konnten, wiederholte sich dieses Spiel jeden Monat aufs Neue. Nach einigen Monaten ging der Arbeitgeber dazu über, die Dienstpläne gegenüber seinen Mitarbeitern trotz der fehlenden Einigung bekanntzugeben und diese nach Dienstplan einzusetzen.
Der Betriebsrat rief das Arbeitsgericht an, machte eine Verletzung seines Mitbestimmungsrechts geltend und verlangte Unterlassung der Bekanntmachung nicht mitbestimmter Dienstpläne. Ferner verlangte er die Unterlassung von nicht mitbestimmten Abweichungen von den bekanntgemachten Dienstplänen.
Arbeitgeber verstieß zwar gegen Mitbestimmungsrechte…
Das BAG wies die Anträge zurück und begründete dies mit rechtsmissbräuchlichem Verhalten des Betriebsrats. Dieses liege vor, wenn sich eine Partei, hier der Betriebsrat, auf eine formale Rechtsposition berufe, die sie durch betriebsverfassungswidriges Verhalten erlangt habe.
Formal sei der Betriebsrat im Recht: Das BAG bekräftigte das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, welches bislang nicht vollumfänglich ausgeübt worden sei. Auch bekräftigte das BAG den Anspruch auf Unterlassung gemäß § 87 BetrVG, sofern ein Arbeitgeber Maßnahmen mitbestimmungswidrig umsetze, was im vorliegenden Fall strenggenommen der Fall sei.
Der Betriebsrat habe auch keine Beisitzer für die Einigungsstelle benannt. Gemäß § 76 Abs. 5 S. 3 BetrVG konnte die Einigungsstelle daher frühestens nach Ablauf der Rechtsmittelfrist tätig werden, die nach § 100 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) zwei Wochen beträgt. Auch von der Rechtsbeschwerde nach § 100 ArbGG habe der Betriebsrat mehrfach Gebrauch gemacht, sodass die Einigungsstelle erst mit erheblichem zeitlichen Verzug tätig werden konnte.
Diese formale Rechtsposition habe der Betriebsrat aber unter Verstoß gegen seine Pflichten aus dem BetrVG erlangt: Der Betriebsrat habe sich beharrlich jeder Einigung verschlossen, ohne dafür einen erkennbaren sachlichen Grund angegeben zu haben. Der pauschale Hinweis auf angebliche tarif- oder gesetzeswidrige Inhalte der jeweils vorgelegten Dienstpläne sei nicht ausreichend. Im konkreten Fall sei das Verhalten des BR vielmehr darauf hinausgelaufen, auf die Wahrnehmung des Mitbestimmungsrechts weitgehend zu verzichten.
…doch Betriebsrat handelte rechtsmissbräuchlich
Der Arbeitgeber unterliege als Krankenhausbetreiber demgegenüber gesetzlichen Pflichten der Behandlung von gesetzlich versicherten Patienten nach § 39 und 108 SGB V. Die Strategie des Betriebsrats mache ihm die Erfüllung dieses Auftrags unmöglich, obwohl er von sich aus alles versucht habe, das Mitbestimmungsrecht zu erfüllen.
Daher sei das Verhalten des Betriebsrats rechtsmissbräuchlich. Es verstoße gegen seine Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit und zur Ausübung des Mitbestimmungsrechts. Dies gelte entsprechend, soweit sich der Betriebsrat auf den Anspruch auf Unterlassung auf § 23 Abs.2 BetrVG berufe.
Auch die weiteren Ansprüche auf Einhaltung der nicht mitbestimmten Dienstpläne wurden abgelehnt. Der Unterlassungsanspruch solle der Vermeidung mitbestimmungswidriger Zustände dienen; der Betriebsrat könne nicht verlangen, dass Dienstpläne ohne seine Mitbestimmung nicht erlassen werden, und zugleich geltend machen, dass die Abweichung von nicht mitbestimmten Dienstplänen von seiner Zustimmung abhängig sei; kurz gesagt, der Betriebsrat handelte nach Überzeugung des BAG nicht nur treuwidrig, sondern auch widersprüchlich.
BAG setzt erstmals Grenzen
Der Beschluss des BAG ist bemerkenswert. Das Gericht hat zum ersten Mal erkennbare konzeptionelle Schwächen des Einigungsstellenverfahrens wie auch des von der Rechtsprechung entwickelten Unterlassungsanspruchs zum Anlass genommen, deren Ausnutzung durch den Betriebsrat Grenzen zu setzen. Wer sich auf sein Mitbestimmungsrecht berufe, dürfe dessen Ausübung nicht einfach ablehnen.
Den pauschalen Hinweis des Betriebsrats auf angebliche Gesetzes- und Tarifwidrigkeit der vorgelegten Dienstpläne hat das BAG – anders als die Vorinstanz (Landesarbeitsgerichts Niedersachsen, Beschl. v. 17. Juli 2017, Az. 8 TaBV 42/16) – nicht gelten lassen. Es sei Sache des Betriebsrats, die Ablehnung nachvollziehbar zu begründen und sich nicht mit pauschalen Hinweisen zu begnügen. Jedenfalls rechtfertige dies nicht die Verweigerung der Verhandlungen in Verbindung mit Unterlassungsansprüchen. Das Landesarbeitsgericht hatte noch den Arbeitgeber in der Pflicht gesehen, entsprechende Vorhalte vollständig auszuräumen, bevor sich dieser auf Rechtsmissbrauch berufen könne.
Blockadestrategien unter Inanspruchnahme der gesetzlichen Verfahrensregeln sind also auch in Zukunft nicht ausgeschlossen. Der Betriebsrat muss aber wenigstens eine nachvollziehbare Begründung geben, wenn er sich allen Versuchen einer Einigung verschließen und zugleich dem Arbeitgeber verbieten will, nicht mitbestimmte Maßnahmen im Betrieb umzusetzen.
Damit stärkt der Beschluss im Ergebnis die Einigungsstelle. Hier zwingt das BAG beide Seiten zur (frühzeitigen) Mitarbeit. Wer von den Betriebsparteien nicht mitarbeitet, der kann daraus keine Vorteile ableiten. Es ist dem Gedanken der Mitbestimmung nicht gedient, wenn sie dazu führt, dass verhandlungsbereite Arbeitgeber die Einigungsstelle anrufen, aber dennoch den Betrieb nicht aufrechterhalten können, etwa weil die Schichteinteilung oder die Einführung des nächsten Software-Updates blockiert werden. Im Sinne einer konstruktiven Mitbestimmung ist der Beschluss daher zu begrüßen.
Dr. Roland Klein, Partner, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Schomerus Steuerberater Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer mbB, Berlin. Er berät sowohl gewerbliche wie auch gemeinnützige und karitative Arbeitgeber und Non-Profit Organisationen.
BAG zu konzeptionellen Schwächen des Einigungsstellenverfahrens: . In: Legal Tribune Online, 08.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36199 (abgerufen am: 10.12.2024 )
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