Konträr zur ständigen Rechtsprechung des Fünften sollen nach Ansicht des Zehnten Senats des BAG unbillige Weisungen des Arbeitgebers nicht befolgt werden. Der Fünfte schließt sich nun an. Mit unerfreulichen Folgen, meint Günther Heckelmann.
Bereits der Anfragebeschluss des Zehnten Senats am Bundesarbeitsgericht (BAG) vom 14. Juni 2017 (Az. 10 AZR 330/16 (A)) entfachte in der juristischen Literatur eine intensive Diskussion über mögliche Folgen einer Rechtsprechungsänderung zu unbilligen Weisungen durch den Arbeitgeber. Der Zehnte Senat äußerte die Rechtsauffassung, unbillige Weisungen durch den Arbeitgeber müssten vom Arbeitnehmer nicht befolgt werden.
Am Dienstag nun hat der Fünfte Senat mitgeteilt, er hielte an seiner bisherigen Auffassung nicht länger fest. Die Entscheidung ist von großer Praxisrelevanz und bedeutet eine Zäsur in der Rechtsprechungslinie des Fünften Senats.
Divergenzvorlage entbehrlich
Der Fünfte Senat hatte bisher angenommen, dass sich ein Arbeitnehmer über eine unbillige Ausübung des Weisungsrechts - sofern sie nicht aus anderen Gründen unwirksam sei - nicht hinwegsetzen dürfe. Er müsse vielmehr nach § 315 Abs. 3 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) über die Bestimmung der Leistung durch eine Partei die Gerichte für Arbeitssachen anrufen.
Wegen der das Arbeitsverhältnis prägenden Weisungsgebundenheit sei der Arbeitnehmer an die durch die Ausübung des Weisungsrechts erfolgte Konkretisierung vorläufig gebunden, bis durch eine rechtskräftige Entscheidung die Unverbindlichkeit der Leistungsbestimmung feststehe (BAG Urt. v. 22. 02.2012, Az. 5 AZR 249/11). Laut Mitteilung des BAG hat der Fünfte Senat nun auf die Anfrage mitgeteilt, dass er an dieser Rechtsauffassung nicht mehr festhält. Damit ist eine Divergenzvorlage vor dem Großen Senat des BAG entbehrlich.
Wirkung auf Kündigung unklar
Gegenstand des Verfahrens beim Zehnten Senat, welches den Stein ins Rollen brachte, war die Versetzung eines Arbeitnehmers von seinem bisherigen Arbeitsort Dortmund an den Standort Berlin. Nachdem sich der betroffene Arbeitnehmer trotz zweimaliger Abmahnung geweigert hatte der Versetzungsanordnung Folge zu leisten, wurde sein Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos gekündigt.
Mit seiner nunmehr vor dem Zehnten Senat anhängigen Klage wehrte sich der Arbeitnehmer sowohl gegen die Versetzung als auch gegen die Abmahnungen und machte darüber hinaus vorenthaltene Vergütung geltend. Die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung wurde in einem separaten Verfahren geltend gemacht und ist zur Zeit noch beim Zweiten Senat anhängig (Az. 2 AZR 329/16). Nachdem die Instanzgerichte die Unrechtmäßigkeit der Versetzung feststellten und insbesondere das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm (Urt. v. 17.03.2016, Az. 17 Sa 1660/15) gegen die Rechtsprechungslinie des Fünften Senats Stellung bezog, schloss sich auch der Zehnte Senat dieser Auffassung an.
Mit dem Antwortbeschluss ist nun der Weg für den Zehnten Senat frei, abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Fünften Senats zu urteilen. Welche Auswirkungen die Verweigerung einer unbilligen Weisung auf die Wirksamkeit einer wegen Nichtbefolgung ausgesprochenen außerordentlichen fristlosen Kündigung hat, ist indes noch nicht geklärt. Damit wird sich der Zweite Senat im anhängigen Kündigungsrechtsstreit befassen müssen, weshalb das letzte Wort zu dieser Thematik noch nicht gesprochen ist.
2/2: Rechtsunsicherheit und Belastung des Arbeitsverhältnisses
Zuvor war die Sachlage klar: Der Arbeitnehmer hatte einer Weisung zu folgen, ansonsten drohte ihm der Verlust seines Vergütungsanspruchs und im schlimmsten Fall die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses. Nach der bevorstehenden Rechtsprechungsänderung des Zehnten Senats trägt der Arbeitnehmer das Abschätzungsrisiko, will er der angeblich unbilligen Weisung nicht unter Vorbehalt bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung nachkommen. Stellt sich nach einer häufig mehrere Monate dauernde arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung heraus, dass die Weisung doch wirksam war, muss er auch die arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung tragen.
Aber selbst wenn sich am Ende die Unbilligkeit der Weisung herausstellt, wird das Arbeitsverhältnis in aller Regel irreparabel beschädigt sein. Der Arbeitnehmer wird nach einem langen Rechtsstreit bei ausgesprochener außerordentlicher Kündigung über einen längeren Zeitraum freigestellt gewesen und damit nicht mehr in den Arbeitsablauf integriert sein. In der Praxis werden die Arbeitsvertragsparteien danach nicht mehr erfolgreich zusammenarbeiten können und am Ende wird häufig die (einvernehmliche) Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehen. Gewonnen hat damit keine Seite etwas.
Besser Klärung im einstweiligen Rechtschutz
Das häufig gegen die Rechtsprechung des Fünften Senats vorgebrachte Argument der unsachgemäßen, weil langen Verfahrensdauer vor den Arbeitsgerichten und des damit fehlenden Rechtsschutzes gegen unbillige Weisungen verfängt demgegenüber nicht. Gerade Versetzungen wie im vorliegenden Fall erfolgen nicht von heute auf morgen, sondern werden in der Regel unter Beachtung einer angemessenen Ankündigungsfrist ausgesprochen.
Genau für diese Fälle sieht das Gesetz das einstweilige Verfügungsverfahren vor, in dem eine schnelle Klärung der Verbindlichkeit der Weisung erfolgen kann. Da jede Partei im ersten Rechtszug nur ihre eigenen Kosten trägt und viele Arbeitnehmer rechtschutzversichert sind, bleiben die Kosten überschaubar. Für den betroffenen Arbeitnehmer ist es regelmäßig zumutbar für die Dauer des einstweiligen Verfügungsverfahrens der Weisung in jedem Fall nachzukommen. Berücksichtigt man die Möglichkeit, durch einstweiligen Rechtsschutz schnell eine Entscheidung zu erhalten, sind durch dieses Instrument die Interessen beider Parteien des Arbeitsvertrages ausgewogen berücksichtigt.
Ausnahme: Evident unrechtmäßige Arbeitgeberweisungen
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die im Arbeitsvertrag regelmäßig nur grob umrissene Arbeitsleistung im Rahmen des Direktionsrechts durch Weisungen im Arbeitsalltag konkretisiert wird. Im Lichte der Rechtsprechung des BAG kann es nun dazu kommen, dass zwar rechtmäßige, aber unliebsame Weisungen solange verweigert werden, bis eine gerichtliche Klärung eingeholt wurde. Das widerspricht dem auch in § 106 Gewerbeordnung (GewO) verankerten arbeitsrechtlichen Grundsatz der Leistungskonkretisierung durch Weisung.
Unter diesen Gesichtspunkten wäre es daher begrüßenswert gewesen, die frühere Ansicht des Fünften Senats grundsätzlich beizubehalten und die Folgepflicht des Arbeitnehmers nur in offensichtlichen Fällen von unbilligen Weisungen zu verneinen. In solchen Fällen sollte der Arbeitnehmer nicht verpflichtet sein, bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Billigkeit der Weisung an diese gebunden zu sein. Dieser Ansatz verfolgt eine interessengerechtere Risikoverteilung unter Berücksichtigung der Grundsätze des Arbeitsvertragsrechts. Man darf gespannt sein, wie sich der Zweite Senat zu dieser Frage positioniert.
Der Autor Günther H. Heckelmann ist auf das Arbeitsrecht spezialisierter Anwalt und Partner bei Baker McKenzie in Frankfurt.
Günther Heckelmann, Unverbindlichkeit unbilliger Arbeitgeberweisungen: Senat gibt Rechtsprechung auf . In: Legal Tribune Online, 20.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24613/ (abgerufen am: 30.09.2023 )
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