Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung bestimmen. Das umfasst auch einen Schichtwechsel, so das BAG. Und zwar auch aus gesundheitlichen Gründen ohne betriebliches Eingliederungsmanagement, erklärt Michael Fuhlrott.
Viele Arbeitnehmer sind vermutlich dankbar, nicht nachts arbeiten zu müssen. Der Kläger, der sich am Mittwoch in Erfurt gegen seine Versetzung in die Wechselschicht wehrte, arbeitete jedoch gerne als Maschinenbediener in der Nachtschicht. Er tat dies schon seit 2005.
Seine Nachtschicht begann arbeitstäglich um 21.00 Uhr und endete um 5.00 Uhr morgens. Als zusätzlichen Freizeitausgleich erhielt der Arbeitnehmer rund 17 arbeitsfreie Tage. Außerdem wurde die Tätigkeit in der Nacht mit Zuschlägen belegt, die den Verdienst steigerten, so dass der Kläger ein monatliches Gehalt von rund EUR 4.100 brutto monatlich erzielen konnte.
Nachdem er in der Vergangenheit mehrfach für längere Zeiträume erkrankt war, bestellte der Arbeitgeber ihn nach Rückkehr aus einer mehrwöchigen Krankheitszeit zu einem Personal- und Krankenrückkehrgespräch ein. In Abstimmung mit dem Betriebsrat versetzte er ihn sodann von der Nachtschicht in die Wechselschicht. Diese besteht aus wechselnden Einsätzen in der Frühschicht (5.00 Uhr bis 13.00 Uhr) und der Spätschicht (13.00 Uhr bis 21.00 Uhr). Tarifliche Zulagen wegen ungünstiger Arbeitszeiten werden dort nicht bzw. nur in geringem Ausmaß gezahlt.
Lieber Nacht- als Tagschicht
Der Arbeitnehmer war mit dieser Arbeitsanweisung nicht einverstanden und wehrte sich gerichtlich gegen seine Versetzung in die Tagschicht.
Der Arbeitgeber begründete vor Gericht die Maßnahme, die er auf sein Direktionsrecht stützt, einerseits damit, dass er erkrankte Arbeitnehmer in der Wechselschicht einfacher ersetzen könne, da dort mehr Arbeitnehmern eingesetzt würden. Andererseits sei der geänderte Einsatz auch im Sinne des Klägers, da ein Zusammenhang der Arbeitsunfähigkeitszeiten mit den Belastungen der Nachtschicht nicht ausgeschlossen sei. Im Arbeitsvertrag seien zudem keine Schichten festgelegt.
Das erstinstanzlich erkennende Arbeitsgericht (ArbG Pforzheim, Urt. v. 20.8.2015, 6 Ca 154/15) fand diese Argumentation überzeugend und wies die Klage des Maschinenbedieners ab. Die Versetzung sei wirksam, der Kläger müsse diese befolgen.
LAG: Nicht ohne Betriebliches Eingliederungsmanagement
Der wollte sich aber nicht geschlagen geben und legte hiergegen Berufung ein. Die Aussage des Geschäftsführers im Personalgespräch, ihn künftig "täglich sehen zu wollen", sei schikanös und nicht Ausfluss eines berechtigten Interesses. Die Versetzung sei daher nicht mehr vom arbeitgeberseitigen Direktionsrecht gem. § 106 Gewerbeordnung (GewO) umfasst.
Der Arbeitgeber hätte seine Bedürfnisse, die persönlichen Lebensumstände, die Vermögens- und Einkommensverhältnisse und seine Unterhaltspflichten nicht ausreichend berücksichtigt. Zudem sei es eine reine Mutmaßung seinerseits, dass sich der Einsatz in der Wechselschicht als gesundheitsfördernd erweise.
Das Gegenteil sei vielmehr der Fall: Durch den regelmäßigen Wechsel von Früh- und Spätschicht werde seine Gesundheit viel stärker belastet als bei einem durchgehenden Einsatz in der Nachtschicht. Der Arbeitgeber hätte dies zuvor gründlich prüfen müssen. Dies habe er aber nicht getan, wie auch die fehlende Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) nach seiner Rückkehr zeige.
Diese Argumentation hielt das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (Urt. v. 22.11.2016, 15 Sa 76/15) für überzeugend und gab dem Kläger – insbesondere wegen fehlender Durchführung eines BEM - Recht.
2/2: Was genau ist ein BEM?
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement ist Arbeitsrechtlern bisher insbesondere aus dem Bereich der krankheitsbedingten Kündigung bekannt. Es findet seine Grundlage in § 84 Abs. 2 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) und ist für den Arbeitgeber verpflichtend, wenn ein Arbeitnehmer krankheitsbedingte Fehlzeiten von mehr als 6 Wochen im Jahr aufweist. Mit dem Erkrankten sollen dann – ggf. unter Beteiligung von Betriebsarzt und Betriebsrat – in einem Gespräch Möglichkeiten gesucht werden, wie weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.
Obwohl sich die Regelung im SGB IX befindet, das grundsätzlich nur für schwerbehinderte Arbeitnehmer gilt, ist das BEM nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2007 (BAG, Urt. v. 12.07.2007, Az. 2 AZR 716/06) Ausdruck des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzips und daher bei jedem Arbeitnehmer anwendbar.
Ein Arbeitgeber, der eine krankheitsbedingte Kündigung ohne vorherige ordnungsgemäße Durchführung eines BEMs ausspricht, wird daher regelmäßig vor dem Arbeitsgericht scheitern, weil er nicht alles Mögliche getan hat, um die Kündigung zu vermeiden.
BAG: BEM keine Voraussetzung für Versetzung
Anders aber im Fall des Maschinenbedieners, der in die Wechselschicht versetzt wurde. Auf seine Revision gegen die Erweiterung des BEM durch das LAG gaben die obersten deutschen Arbeitsrichter am Mittwoch dem Arbeitgeber Recht (Urt. v. 18.10.2017, Az. 10 AZR 47/17).
Ein betriebliches Eingliederungsmanagement sei keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung einer Versetzung. Das gelte auch dann, wenn die Versetzung auf krankheitsbedingte Gründe gestützt werde, entschieden die Erfurter Richter.
Wichtig sei vielmehr allein die Prüfung aller Umstände des Einzelfalls. Hierzu habe das LAG keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Das BAG verwies die Sache daher zur erneuten Verhandlung an die Vorinstanz zurück.
Keine Allzweckwaffe
Die Rechtsprechung hat in den vergangenen Jahren die Anforderungen an das betriebliche Eingliederungsmanagement stets verschärft. Es ist ein wichtiger Baustein in der betrieblichen Gesundheitsprävention. Dort hat es einen wichtigen Platz.
Eine Ausweitung auf andere Regelungsbereiche – wie sie noch das LAG befürwortet hatte – ist aber weder sinnvoll noch notwendig. Der Arbeitnehmer ist ausreichend geschützt, da sowohl er selbst als auch der Betriebsrat eine Versetzung auf ihre Billigkeit und Rechtmäßigkeit vor den Arbeitsgerichten prüfen können. Die Entscheidung der höchsten deutschen Arbeitsrichter ist daher überzeugend.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Professor für Arbeitsrecht und Studiendekan des Bereichs Wirtschaftsrecht und Human Resources Management an der Hochschule Fresenius sowie Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Römermann Rechtsanwälte AG in Hamburg.
Michael Fuhlrott, Krankheitsbedingte Versetzung auch ohne Betriebliches Eingliederungsmanagement: Arbeitgeber kann Schichtwechsel einseitig anordnen . In: Legal Tribune Online, 18.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25109/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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