Klaus Günter Annen, der Betreiber von babycaust.de, wurde wegen Volksverhetzung angezeigt. An diesem Dienstag muss er vor Gericht, aber nur wegen Beleidigung. Doch die Diskussion um die Holocaust-Verharmlosung geht weiter.
Er ist der wohl bekannteste Abtreibungsgegner Deutschlands. Klaus Günter Annen kämpft seit über zwei Jahrzehnten mit blutigen Bildern toter Föten und mit scharfer Polemik ("Abtreibung ist Mord, es gibt dafür kein anderes Wort") gegen die Straflosigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen.
Seine Webseite heißt www.babycaust.de und auch sonst greift er regelmäßig zu Holocaust-Vergleichen. Wer die Webseite öffnet, liest gleich in roter Schrift: "Der Holocaust der Nazis ist der Inbegriff des Grauens im Dritten Reich. Gibt es eine Steigerungsform der grausamen Verbrechen? Ja es gibt sie. Gestern KZs, heute OPs."
Annens Holocaust-Vergleiche haben schon oft die Gerichte beschäftigt. Aber es gibt noch keine Entscheidung zur Frage, ob Annen dabei den Holocaust verharmlost, was gem. § 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch (StGB) als Volksverhetzung strafbar wäre, oder ob er sonst eine Volksverhetzung begeht.
Strafrechtlich ging es bisher immer um die Beleidigung einzelner Ärzt:innen. Und zivilrechtlich machten betroffene Ärzt:innen Unterlassungsansprüche geltend. Der persönliche Bezug entstand zum Beispiel, weil Annen Flugblätter vor konkreten Praxen verteilt. Außerdem listet er auf seiner Seite alle ihm bekannten Ärzt:innen und Kliniken namentlich auf, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Bisher gibt es vier wichtige und teilweise divergierende Entscheidungen zu Annens Holocaust-Vergleichen: Der Bundesgerichtshof (BGH) und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) haben sich bereits mit Annen befasst, ebenso der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg.
"Babycaust"-Parole vor dem BGH und dem BVerfG
Im Jahr 2000 entschied der BGH, Urteil vom 30. Mai 2000, Az.: VI ZR 276/99 dass die Parole "damals: Holocaust, heute: Babycaust" vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sei (Urt. v. 30. Mai 2000, Az.: VI ZR 276/99). Angesichts der heutigen Reizüberflutung seien "einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen." Annen versuche "in erster Linie in provokativer Weise" Aufmerksamkeit für sein Anliegen zu erzielen.
Die eigentliche Aussage Annens sei, so der BGH, dass "ein Staat, der das Töten des ungeborenen Lebens zulasse, den Boden der Menschenrechte verlasse und seine Demokratie in Frage stelle". Ein derartiger Beitrag zur politischen Willensbildung sei selbst dann zu tolerieren, "wenn die geäußerte Meinung extrem erscheint".
Dagegen billigte 2006 das BVerfG in einem anderen Fall (der aber die gleiche Parole betraf) eine strafrechtliche Verurteilung Annens wegen Beleidigung (Beschl. v. 24. Mai 2006, Az.: 1 BvR 49/00 u.a.). Entscheidender Unterschied dürfte wohl sein, dass es im BGH-Fall um den Unterlassungsanspruch einer Klinik ging und im BVerfG-Fall ein Arzt beleidigt wurde.
Ein Holocaust-Vergleich ging dem EGMR zu weit
2015 konnte Annen einen Erfolg beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg erzielen. Annen wehrte sich gegen ein von deutschen Gerichten ausgesprochenes Verbot, Flugblätter zu verteilen, in denen es u.a. hieß: "Die Ermordung der Menschen in Auschwitz war rechtswidrig, aber der moralisch verkommene NS-Staat hatte den Mord an den unschuldigen Menschen erlaubt und nicht unter Strafe gestellt." Darunter fand sich ein Link auf die Seite www.babycaust.de und damit auch auf die dort enthaltene Liste von Abtreibungsärzt:innen. Laut EGMR (Urt. v. 26. November 2019, Az.: 3690/10) müsse diese Aussage nicht als Vergleich der betroffenen Ärzte mit dem NS-Regime gedeutet werden (Urt. v. 26. November 2019, Az.: 3690/10). Sie könne auch als Hinweis auf die Tatsache zu verstehen sein, "dass das Recht von der Moral abweichen kann." Diese Begründung wurde in Deutschland kritisiert, vor allem da die Judenvernichtung nicht nur moralisch, sondern auch seinerzeit strafrechtlich als Mord beurteilt werden musste.
Drei Jahre später erlitt Annen jedoch einen Rückschlag in Straßburg. An einem Tag wurden gleich vier seiner Beschwerden abgelehnt. In einem der Verfahren ging es auch wieder um Holocaust-Vergleiche. So hatte Annen im Netz geschrieben: "Den Babycaust mit dem Holocaust gleichzusetzen würde bedeuten die heutigen Abtreibungsmorde zu relativieren." Und: "KZ-Kommandanten oder Mörder von Ungeborenen, sind zwei Erscheinungsformen von kriminellen Menschen! Diese 'Sumpfblüten' haben denselben genetischen Code". Das ging nun auch dem EGMR zu weit, hier stimmte der EGMR den deutschen Gerichten zu, dass Annen "die ärztliche Tätigkeit von Dr. Z. mit den durch nichts zu rechtfertigenden Gräueltaten, die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus gegen die Juden verübt wurden, gleichgesetzt habe" (Urt. v. 20. September 2018, Az.: 70693/11). Die deutsche Justiz habe daher von Annen zurecht Entschädigungszahlungen verlangt.
Ärztin Hänel gegen Annen
Die Gießener Ärztin Kristina Hänel war einst von Annen angezeigt worden, weil sie auf ihrer Webseite darüber informierte, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Ihre spätere Verurteilung nach § 219a StGB brachte eine Diskussion in Gang, die wohl bald zur Abschaffung dieses Paragraphen führt.
Annen hat sich wohl deshalb ganz besonders auf Hänel eingeschossen. In einem Artikel auf seiner babycaust-Seite schrieb er 2019 mit Bezug auf Hänel: "Das Tor von Auschwitz wird von vielen unserer heutigen Mediziner wieder weit aufgestoßen." Hänel verklagte Annen beim Landgericht Hamburg wegen dieser und anderer Äußerungen zivilrechtlich auf Schadensersatz.
Das Landgericht Hamburg verurteilte Annen zur Zahlung von 6.000 Euro an Ärztin Hänel (Versäumnisurteil v. 24. August 2020, endgültiges Urteil v. 15. Januar 2021, Az.: 324 0 290/19). Hänels Persönlichkeitsrecht überwiege hier die Meinungsfreiheit Annens.
Volksverhetzung kommt ins Spiel
In der Berichterstattung über den Hamburger Prozess ging es nun aber nicht mehr ausschließlich um die Ehre von Hänel und anderer von Annen angegriffener Ärzt:innen. Nun kam auch die Perspektive der NS-Opfer und ihrer Angehörigen ins Spiel.
So warf das deutsche Auschwitz-Komitee Annen vor, dass er "auf menschenverachtende und für die Opfer verletzende Weise den Holocaust" relativiere und "die von den Nazis Ermordeten" verhöhne. Die Bildungsstätte Anne Frank forderte: "Wer Schwangerschaftsabbrüche mit der systematischen Verfolgung und Vernichtung von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus gleichsetzt und Ärztinnen und Ärzte mit faschistischen Mördern, muss gestoppt werden".
Das Institut für Weltanschauungsrecht (ifW), erstattete im Februar 2021 eine Strafanzeige gegen Annen, nicht nur wegen Beleidigung, sondern auch wegen Volksverhetzung in Form der Verharmlosung des Holocaust gem. § 130 Abs. 3 StGB.
Die Staatsanwaltschaft lehnt ab
Da Klaus Günter Annen im baden-württembergischen Weinheim wohnt, landet das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Mannheim. Diese lehnt eine Strafverfolgung wegen Volksverhetzung ab. Annen versuche mit seinen provozierenden Holocaust-Vergleichen vor allem Öffentlichkeit für seine Abtreibungskritik zu bekommen. Es finde keine Bagatellisierung des Holocausts in quantitativer oder qualitativer Hinsicht statt. Vielmehr werde der Holocaust auf Annens Webseite als "Inbegriff des Grauens" und als "grausames Verbrechen" bezeichnet. Annen finde zwar das Abtreiben von Föten noch schlimmer, das sei aber keine Verharmlosung des Holocausts, sondern eine maßlose Übertreibung bezüglich der Schwangerschaftsabbrüche.
Die Staatsanwaltschaft beantragte deshalb nur einen Strafbefehl wegen Beleidigung gegen Annen. Unter anderem hatte er Kristina Hänel als "Auftragsmörderin" bezeichnet. Das Amtsgericht Weinheim erließ den Strafbefehl am 29. Juni 2021. Annen erhob jedoch Einspruch.
Am heutigen Dienstagnachmittag wird am Amtsgericht Weinheim die mündliche Verhandlung stattfinden – ohne die eigentlich interessante Frage der Volksverhetzung
Judensterne mit "Ungeimpft"-Aufschrift, "Holocaust auf dem Teller" bei Peta
Es dürfte allerdings nur eine Frage der Zeit sein, bis eine andere Staatsanwaltschaft den Gedanken aufgreift. Schließlich wird derzeit auch bei einem weiteren Thema die vermeintliche Holocaust-Verharmlosung von der Justiz aufgegriffen.
Seit sich Impfgegner gelbe Judensterne mit der Aufschrift "ungeimpft" anstecken, um gegen ihre Ausgrenzung zu protestieren, wird auch hier diskutiert, ob eine Holocaust-Verharmlosung vorliegt. Eine zentrale Frage war hier bislang, ob sich die Judenstern-Symbolik vor allem auf die Entrechtung und Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung im NS-Staat bezieht oder ob der Judenstern sinnbildlich auch für den Massenmord in den KZs steht. Die bayerische Justiz tendiert inzwischen zur letzteren Auffassung.
Vor einigen Jahren sorgte auch die radikale Tierrechtsorganisation Peta für Empörung. Deren geplante Wanderausstellung "Der Holocaust auf Deinem Teller" sollte gegen die millionenfache Tötung von Tieren für den menschlichen Verzehr protestieren. Sie wurde jedoch vom Landgericht Berlin wegen Verstoß gegen die Würde der Holocaust-Opfer untersagt. Dabei ging es zwar um Zivilrecht und nicht um den strafrechtlichen Vorwurf der Volksverhetzung, aber die Fragestellungen waren ganz ähnlich.
Eine Verfassungsbeschwerde von Peta hatte nur bedingt Erfolg. Das BVerfG (Beschluss vom 20. Februar 2009, Az.: 1 BvR 2266/04) sah zwar nicht die Menschenwürde verletzt, denn die Kampagne setze nicht die KZ-Häftlinge mit Nutztieren gleich, sondern stelle nur das Leiden als "gleich gewichtig" dar (Beschl. v. 20. Februar 2009, Az.: 1 BvR 2266/04). Damit sei aber das Persönlichkeitsrecht der heute in Deutschland lebenden Juden verletzt. Dieses habe in der konkreten Abwägung Vorrang vor der Meinungsfreiheit. Denn nach der Werteordnung des Grundgesetzes sei menschliches Leben höherrangig als die Belange der Tiere.
Die Menschenwürde der Ärzt:innen
Für die Frage, welche Aussagen als Holocaust-Verharmlosung strafbar sind, dürfte entscheidend sein, dass das BVerfG § 130 Abs. 3 StGB nicht als allgemeines Gesetz sieht, weil es gezielt gegen die Affirmation der NS-Gewalt- und Willkürherrschaft gerichtet ist (Beschl. v. 22.06.2018, Az.: 2083/15). Die Norm ist deshalb eng auszulegen. Nicht jeder Holocaust-Vergleich kann daher als "Verharmlosung" strafbar sein, sondern nur solche Vergleiche, die eine NS-affirmative Tendenz in sich tragen.
Neben der Verharmlosung des Holocaust (§ 130 Abs. 3 StGB) enthält die Norm jedoch auch den klassischen Volksverhetzungs-Tatbestand in Absatz 1. Und hier sollte sich der Blick dann doch wieder auf die Ärtz:innen richten, die bereit sind, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Sie sind ein "Teil der Bevölkerung", gegen den Klaus Günter Annen "zum Hass aufstachelt". Möglicherweise verletzt er durch seine beschimpfenden NS-Vergleiche auch ihre Menschenwürde. Es gäbe also zwei Tatbestands-Alternativen, die hier in Betracht kommen.
Kristina Hänel hat dies gut zusammengefasst: "Indem Klaus Günter Annen die Verbrechen des Holocaust in einen direkten Vergleich mit Schwangerschaftsabbrüchen stellt, stachelt er zu Hass und Gewalt gegen die betroffenen Ärztinnen und Ärzte auf. Er suggeriert damit, dass ein gewaltsamer Widerstand, der damals moralisch integer und geboten war, womöglich heute gegen uns Ärztinnen und Ärzte auch integer und geboten sein könnte. Letztlich legitimiert er damit scheinbar etwaige gewalttätige Angriffe gegen uns und setzt durch seine aggressiven Emotionalisierungen Hemmschwellen herab."
Darüber sollte auch die Staatsanwaltschaft Mannheim noch einmal nachdenken.
Parole von Abtreibungsgegner Annen: . In: Legal Tribune Online, 15.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47543 (abgerufen am: 14.11.2024 )
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