Manchmal kommt die Zukunft schneller, als man denkt. Noch dieses Jahr wollen deutsche Hersteller autonome Fahrzeuge öffentlich erproben. Die rechtlichen Fragen wird man in den Griff kriegen, meint Kay Nehm, doch die ethischen bleiben unlösbar.
Führerloses Fahren ist von einer Utopie zu einer binnen weniger Jahre bevorstehenden Realität geworden. Was 1885 mit dem Benz Patent-Motorwagen begann, könnte im 2. Jahrhundert des motorisierten Verkehrs als auto-mobile Fortbewegung seine Vollendung finden. Kaum eine Woche, ohne dass Hersteller oder Zulieferer durch entsprechende Ankündigungen von sich reden machen. Soeben hat ein Konsortium deutscher Hersteller den Kartendienst Here gekauft. Knapp 3 Milliarden sind Kampfansage und Versprechen zugleich. Angesichts dieses Kraftaktes verstummen Zweifel an der technischen Realisierbarkeit.
Die Konkurrenz schläft nicht. Unternehmen wie Google und Apple verfügen neben technischem Potential über praktisch unbegrenzte Ressourcen. Auch können sie darauf bauen, dass sich die amerikanische Rechtsordnung ungern durch internationale Vereinbarungen und schon gar nicht durch Restriktionen des deutschen Datenschutzes binden lässt.
Rechtliche Entwicklung muss mit technischer Schritt halten
Die Wettbewerbsfähigkeit der Automobilindustrie als Rückgrat der deutschen Wirtschaft sollte der Politik nicht gleichgültig sein. Doch könnte die derzeitige Diskrepanz zwischen technischer Innovation und rechtlichen Rahmenbedingungen kaum größer sein. Versuche, die nationalen und internationalen Regelwerke des vergangenen Jahrhunderts auf die Visionen automatisierten Fahrens umzubiegen, sind bei noch so spitzfindiger Auslegung zum Scheitern verurteilt.
Automatisiertes Fahren ist das Angebot alternativer Fahrzeugnutzung. Ob, wann und in welchem Maße von ihm Gebrauch gemacht wird, entscheidet der Fahrer. Deshalb bedarf es neben den fortbestehenden Regeln des verantwortlichen Fahrens bereichsspezifischer Normen, um dem Tatendrang der Industrie rechtsstaatliche Wege zu weisen, die Rechte beteiligter Grundrechtsträger zu wahren und die systemimmanenten Risiken gerecht zu verteilen.
Wie viel Verantwortung trägt der Mensch, wenn er nicht fährt?
Der partielle Übergang der Verantwortung vom Fahrer auf ein Programm verlagert den straßenverkehrsrechtlichen Verhaltenskodex auf das verwaltungsbehördliche Zulassungsrecht. Dazu muss der Gesetzgeber Farbe bekennen, wie weit die Technik über den Menschen bestimmen darf.
Automatisiertes Fahren erfordert die Verarbeitung aller für Fahrzeug und Umgebung relevanten Daten einschließlich der Interaktion mit anderen Verkehrsteilnehmern. Entscheidend ist somit nicht, wem die Daten gehören, sondern wer sie zu welchen Zwecken und zu welchen Bedingungen nutzen darf.
Weltweite Standardisierung ist eine wesentliche Voraussetzung des wirtschaftlichen Erfolges. Nach dem Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr hat der Fahrzeugführer das Geschehen jederzeit zu beherrschen und die Technik gegebenenfalls zu übersteuern. Allerdings ist dieser Ansatz schon heute angesichts vielfältiger Assistenzsysteme fragwürdig geworden. Erste Schritte, ihn aufzugeben, sind eingeleitet, benötigen jedoch ihre Zeit.
Schadens- und Strafrecht weitgehend anwendbar
Die zivilrechtliche Haftung wird sich weitgehend am bestehenden nationalen Recht orientieren können. Die Hersteller haften nach dem Produkthaftungsgesetz, der Halter bleibt für den ordnungsgemäßen Zustand des Fahrzeuges verantwortlich und steht nach dem StVG für die Betriebsgefahr ein. Der Fahrer unterliegt den Regeln des BGB zur unerlaubten Handlung.
Gleiches gilt für die strafrechtliche Verantwortlichkeit unter Einschluss der verwaltungsbehördlichen Ahndung nach dem OWiG. Die strafrechtliche Produkthaftung greift nach der Rechtsprechung des BGH selbst in Fällen organisierter Unverantwortlichkeit. Auch ein Versagen von Halter und Fahrer lässt sich nach geltendem Recht unschwer beurteilen.
Allerdings kommt eine Bestrafung mangels einer Handlung nicht in Betracht, wenn der Fahrzeugführer das automatisierte Fahren nach den technischen Vorgaben und nach der Verkehrslage regelkonform aktiviert hat. Da das Schuldprinzip durch Verlagerung der Verantwortung auf das Fahrzeug nicht ausgehebelt wird, droht nur Bestrafung, wenn der Fahrer in technisch nicht definierten Situationen die Warnung des Systems ignoriert und die Rücknahme der Verantwortung unterlässt.
2/2: Black Box fürs Auto wird unverzichtbar sein
Die Verlagerung von Verhaltensregeln auf technische Zulassungsnormen wird die Aufklärung von Unfallursachen erschweren. Ob Zivil- oder Strafrecht, stets ist zu ermitteln, in welchem Modus sich das Fahrzeug befunden hat und welche Daten dem Fahrzeug zur Verfügung standen. Zur sachverständigen Bewertung aller im Zeitfenster des Unfalls relevanten Daten wird die verbindliche Einführung eines Unfalldatenschreibers unverzichtbar sein.
Soweit die vielversprechende Perspektive. Angesichts der Komplexität des hochautomatisierten Fahrens kann die Frage der Zuverlässigkeit der Systeme nicht ausgeblendet werden. Keine technische Entwicklung ohne Risiken. Bei aller berechtigten Skepsis muss daran erinnert werden, dass rund 90 Prozent aller Unfälle auf menschlichen Unzulänglichkeiten beruhen. Maschinen bieten ein hohes Maß an Sicherheit, benötigen keine Schrecksekunde und entscheiden nach vorgegebenen Regeln. Die technikunterstützte Verminderung fahrerischer Defizite bietet deshalb realistische Chancen, die Zahl der Verkehrsopfer nennenswert zu senken.
Allerdings sollten wir das automatisierte Fahren nicht pauschal für sicher erklären und technisches Versagen ohne Weiteres als höhere Gewalt akzeptieren. Zur gesellschaftlichen Akzeptanz bedarf es der Einsicht, dass auch eine hochentwickelte Technik an ihre Grenzen stößt.
Anders als im Flugzeug sind redundante Systeme im Kraftfahrzeug keine Lösung. Zwar überlappen die verschiedenen Komponenten einander und kontrollieren sich damit gegenseitig, verkehrsfeindliche Eingriffe durch Hacker werden sich jedoch kaum verhindern lassen. In diesem Fall bedarf es entsprechender Warnsignale und der sofortigen Übergabe an den Fahrzeugführer.
Ethische Konflikte kann und darf ein Algorithmus nicht lösen
Kritisch ist insbesondere der Umgang mit Verkehrsstörungen, die sich durch Algorithmen nur eingeschränkt oder gar nicht definieren lassen. Die sichere Unterscheidung von spielenden Kindern und einer Kartonage mag technisch lösbar sein, ethisch fundierte Entscheidungen wird man dem System jedoch nicht abverlangen können. Gerät das Fahrzeug in eine Situation, in der sich die Technik unvermeidbar zwischen Unfallfolgen mit einem oder mehreren Opfern entscheiden müsste, kommt nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Abschuss entführter oder anderweitig als Waffe missbrauchter Flugzeuge ein Automatismus nicht in Betracht. Was dem Gesetzgeber untersagt ist, kann der Technik nicht kraft Gesetzes überlassen werden.
Auch dies ist jedoch kein Grund, automatisiertes Fahren generell abzulehnen. Allerdings ist die Konsequenz, die Steuerung in derartigen ethischen Konfliktlagen an den Fahrzeugführer zurückzugeben, mit deutlichen Nachteilen verbunden. Der Übergabevorgang, die Schrecksekunde und die Beurteilung eines komplexen Verkehrsgeschehens benötigen Zeit, die zur Umsetzung verkehrsgerechter und ethisch verantwortbarer Entscheidungen gerade in kritischen Verkehrslagen nicht zur Verfügung steht.
Ohnedies dürfte das Ideal einer technisch wie ethisch optimalen Bewältigung eines komplexen Verkehrsgeschehens angesichts der Unzulänglichkeit rationaler Entscheidungsprozesse Theorie bleiben. In Gefahrsituationen reagieren wir entsprechend unserer Lebenserfahrung und unserem fahrerischen Können nach unterschiedlichen Wertvorstellungen. Der tragische Konflikt, sich zwischen gleichwertigen Rechtsgütern entscheiden zu müssen und damit so oder so schuldig zu werden, ist weder vom Menschen noch von einer Maschine aufzulösen. Das vollendete auto-mobile Fahren wird somit in letzter Konsequenz eine Utopie bleiben müssen.
Der Autor Kay Nehm ist Generalbundesanwalt a.D. und Präsident des Verkehrsgerichtstages.
Kay Nehm, Selbstfahrende Autos: Augen zu im Straßenverkehr . In: Legal Tribune Online, 14.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16585/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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