Automatisiertes Fahren und Strafrecht: Wenn Technik tötet

Gastbeitrag von Carsten Staub

04.09.2019

Tödliche Unfälle von Tesla-Testfahrzeugen, ein Spurhalteassistent, der zwei Menschen das Leben kostet. Wer trägt die Schuld, wenn die Technik versagt? Wer fährt, wenn das Auto steuert? Carsten Staub über aktuelle Ansätze auf neuem Terrain.

Es ist entspannter geworden um das ehemalige Hype-Thema des automatisierten Fahrens. Aus Sicht einer interessierten Öffentlichkeit zu Recht, schließlich dürften noch Jahrzehnte vergehen, bis sich automatisiert fahrende Fahrzeuge im Straßenverkehr durchgesetzt haben werden, Laut einer Prognos-Studie 2018 im Auftrag des ADAC wird frühestens ab 2050 eine größere Zahl von ihnen im gesamten deutschen Straßennetz - also nicht nur auf Autobahnen - unterwegs sein.
Aus Sicht von Praktikern und Juristen aber ist genau jetzt die Zeit, sich mit den Fragen zu befassen, welche die automatisiert fahrenden Fahrzeuge aufwerfen werden. Spätestens seit den tödlichen Unfällen mit Tesla-Testfahrzeugen in den USA ist vor allem die Frage nach der Sicherheit und nach der Haftung in den Mittelpunkt gerückt.

In Deutschland hat im Jahr 2017 die vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte Ethik-Kommission Automatisiertes und Vernetztes Fahren einige wesentliche Kernaussagen getroffen. Eine der prominentesten Fragestellungen in Bezug auf selbstfahrende Fahrzeuge lautet: Was soll die Maschine in einem unausweichlichen Dilemma tun, zum Beispiel also, wenn sie Menschen töten würde, egal, wie sie agiert? Nach Ansicht der Kommission soll Sachschaden immer vor Personenschaden gehen, eine Aufrechnung von Menschenleben ist untersagt. Und in jeder Fahrsituation muss klar geregelt und erkennbar sein, wer zu welchem Zeitpunkt für die Fahraufgabe zuständig ist; und das muss dokumentiert und gespeichert werden.
Aber nicht erst die bekannte Frage nach dem Dilemma beschäftigt Juristen. Schon jetzt muss man sich fragen: Wer trägt die Schuld, wenn automatisiert fahrende Fahrzeuge einen Unfall verursacht? Wen wird man zur Verantwortung ziehen?

Schon jetzt kann Technik töten

Solche Fragen werden sich nicht erst in 30 Jahren stellen. Bis zum echten selbstfahrenden Kraftfahrzeug unterscheidet man fünf Stufen. Schon auf der ersten aber kann Technik so versagen, dass sie zu - möglicherweise tödlichen - Unfällen führt. Das zeigt ein Verkehrsunfall, der sich bereits im Jahr 2012 in Alzenau bei Aschaffenburg ereignete.

Ein mit Spurhalteassistent ausgerüstetes Fahrzeug fuhr infolge eines Schlaganfalls des Fahrzeugführers mit hoher Geschwindigkeit in den Ort. Dabei wurden eine Frau und ihr Kind getötet. Der Fahrer hatte zuvor das Steuer verrissen, so dass das Fahrzeug unter normalen Umständen in einem Gebüsch vor dem Ortseingang zum Stehen gekommen wäre. Der Spurhalteassistent aber führte das Fahrzeug wieder zurück auf die Straße - und dann hinein ins Dorf.

Die Staatsanwaltschaft hat eine strafrechtliche Verantwortung des Fahrzeugführers mangels zurechenbarer Handlung als Täter ausgeschlossen, ebenso eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Herstellers, weil Schutzvorrichtungen für derartige Fälle fehlten.

Fünf Stufen bis zum selbstfahrenden Auto

Aus Veröffentlichungen einer Mehrzahl mit dem Thema befasster Gruppen, z.B. VDA, BMVI, ADAC, Techniker und Juristen haben sich Pflichten und Rechte bei automatisiert fahrenden Fahrzeugen in einem Stufenmodell gebildet. Auf Level eins muss der Fahrer ständig sein Fahrzeug beherrschen und haftet für Verkehrsverstöße und Schäden. Einzelne Assistenzsysteme unterstützen ihn bei bestimmten Fahraufgaben. Auf dem zweiten Level, dem teilautomatisierten Fahren, bleibt es bei diesen Pflichten des Fahrers, aber unter definierten Bedingungen hält das Fahrzeug die Spur, bremst und beschleunigt.

Beim hochautomatisierten Fahren, Level drei, fährt der Pkw in vom Hersteller vorgegebenen Anwendungsfällen selbständig. Der Fahrer darf sich vorübergehend von Fahraufgabe und Verkehr abwenden, muss aber auf Anforderung durch das System kurzfristig übernehmen. Er haftet nur, wenn er dieser Aufforderung nicht nachkommt.

Zum Passagier wird der Fahrer ab Level vier, dem vollautomatisierten Fahren. Er kann die Fahrzeugführung komplett abgeben, das Fahrzeug bewältigt Fahrten auf bestimmten Strecken wie auf Autobahnen oder in Parkhäusern völlig selbstständig. Es darf dann auch ohne Insassen fahren, Passagiere dürfen auch schlafen. Das System erkennt seine Grenzen so rechtzeitig, dass es regelkonform einen sicheren Zustand erreichen kann. Die Passagiere haften während der vollautomatisierten Fahrt nicht für Verkehrsverstöße oder Schäden.

Auf dem fünften Level, dem echten autonomen Fahren gibt es nur noch Passagiere ohne Fahraufgabe, die Technik im Auto bewältigt alle Verkehrssituationen. Regelverstöße werden nicht den Fahrzeuginsassen angelastet.

Wer macht sich strafbar?

Der Gesetzgeber hat im Juni 2017 mit dem neuen § 1a Straßenverkehrsgesetz (StVG) den Betrieb eines Kraftfahrzeugs mittels hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktion für zulässig erklärt, wenn die Funktion bestimmungsgemäß verwendet wird und deren technische Ausrüstung und die Zulassung definiert.

Wichtig ist Abs. 4 der Vorschrift. Er definiert als Fahrzeugführer auch denjenigen, der eine hoch- oder vollautomatisierte Fahrfunktion aktiviert und verwendet, auch wenn er das Fahrzeug nicht eigenhändig steuert. § 1b StVG legt die Rechte und Pflichten des hoch- oder vollautomatisiert fahrenden Fahrzeugführers fest: Er darf sich vom Straßenverkehr abwenden, muss aber dabei "wahrnehmungsbereit" bleiben, so dass er das Steuer sofort wieder übernehmen kann.

Rechtsprechung dazu gibt es mangels praktischer Fälle noch nicht. So ist noch längst nicht final geklärt, ob und wie sich der Fahrer, aber auch andere Menschen strafbar machen, die Ursachen für einen späteren Unfall setzen. Das kann zum Beispiel auch Hersteller, Konstrukteure, Programmierer des Fahrzeugs, in den Datentransfer involvierte Technikdienstleister betreffen. Diese bezeichnet man in der Diskussion als Menschen der Chain of Supply.

Das deutsche Rechtssystem knüpft Strafbarkeit an einen Handlungsbegriff, der auf menschliches Verhalten oder Unterlassen abzielt. Damit scheidet – profan, aber richtig – die strafrechtliche Verantwortlichkeit des automatisierten Kraftfahrzeugs, der Hardware und der Software sowie aller sonstiger Komponenten aus. Auch eine Strafbarkeit eines Unternehmens der Automobilwirtschaft als Kapitalgesellschaft kommt zumindest nach geltendem Recht nicht in Betracht.

Der Kfz-Führer führt nicht mehr

Die bekannten Tatbestände des Verkehrsstrafrechts knüpfen vom Wortlaut her bzgl. des Täters an den Begriff des Kraftfahrzeugführers an. Bei der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 229 StGB* bzw. der fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB zeigt die Praxis, dass sich im Regelfall der Kraftfahrzeugfahrzeugführer strafbar macht.

Der Bundesgerichtshof hat sich zuletzt 2014 mit dem zentralen Begriff des Kraftfahrzeugführers befasst, also vor Erlass der neuen §§ 1a, 1b StVG zur Fahrzeugführereigenschaft beim automatisierten Fahren im Jahr 2017. In der Entscheidung Fahrlehrer beim Handyverstoß legte er fest, dass „Führer eines Kraftfahrzeugs ist, wer es unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung setzt oder unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrtbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenkt"  (BGH, Beschl. v. 23.09.2014, Az. 4 StR 92/14). Wer dagegen nicht einen Teil der wesentlichen Einrichtungen des Fahrzeugs bediene, führe dieses im maßgeblichen Zeitpunkt nicht.

Beim automatisierten Fahren sind damit Sachverhalte denkbar, in denen der Mensch, der sich in einem Fahrzeug befindet, nicht mehr Kraftfahrzeugführer ist, wenn er Wesentliches zur Fortbewegung der Technik überlässt. Zudem könnte es bei Teilung der notwendigen Funktionen mehr als einen Kraftfahrzeugführer geben.

Die Menschen entlang der Lieferkette

Die Menschen der Chain of Supply können sich nicht als Kraftfahrzeugführer strafbar machen. Sie setzen das Kfz nicht in Bewegung, lenken nicht und bedienen auch nicht. Sie handeln auch niemals, außer in denkmöglichen Fällen von Cyberkriminalität, vorsätzlich, denn ihr Ziel ist die Konstruktion eines möglichst markttauglichen Produktes, also gerade nicht die Herbeiführung von Unfällen bzw. die Schädigung von Dritten.

Für sie verbliebe allenfalls eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung oder wegen fahrlässiger Tötung. Renommierte Strafrechtler schlagen vor, an die Rechtsfigur der strafrechtlichen Produkt- bzw. Produzenten-Haftung anzuknüpfen. Danach ist der Hersteller oder Händler von Produkten, deren bestimmungsgemäßer Einsatz entgegen berechtigten Erwartungen die Gefahr eines Schadens begründet, zur Schadenabwendung verpflichtet.

Im Rahmen solcher Verfahren kann ein Richter auch dann zur Überzeugung gelangen, dass das Produkt für einen Schaden ursächlich sei, wenn die Sachverständigen sich darüber nicht einig sind. So könnte schon eine zweifelsfreie Mitverursachung ausreichen, um die Kausalität zu begründen.

Solche Strafverfahren sind jedoch sehr anspruchsvoll für Justiz und Verteidigung. Sie dauern oft sehr lange und führen zumindest in den Augen der Öffentlichkeit  zu unbefriedigenden Ergebnissen. Und schließlich kann der Verantwortliche für einen Sorgfaltspflichtverstoß in der Automobilwirtschaft, die üblicherweise stark arbeitsteilig organisiert ist, manchmal gar nicht ausgemacht werden.  

Wer Technik nutzt, nimmt ihre typischen Risiken in Kauf

Außerdem gibt es zumindest im Moment noch gar keinen allgemeinen objektiven Sorgfaltspflichtmaßstab oder Standards für Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit. Und natürlich gibt es schlicht keinen absoluten Schutz vor allen möglichen Gefahren. Technik ist niemals völlig sicher. Wer sie nutzt, nimmt entsprechende Risiken  - im Sinne der Sozialadäquanz– bewusst in Kauf.

Schließlich wird die Sorgfaltspflicht begrenzt durch den Vertrauensgrundsatz und den Grundsatz des erlaubten Risikos. Demnach handeln die Hersteller riskanter technischer Produkte nicht fahrlässig, wenn nach der in der Rechtsgemeinschaft vorherrschenden Meinung der mit ihnen verbundene Nutzen so groß ist, dass man  Schädigungen in Kauf nimmt. Die Nutzer autonomer Systeme werden mehr und mehr darauf vertrauen, dass man sich auf das automatisierte Fahren verlassen darf und sich dabei anderen Beschäftigungen zuwenden kann.

Fest steht, dass die technische Entwicklung nicht aufzuhalten ist und dass der klassische Autofahrer immer mehr fahrerische Verantwortung an die Technik abgeben wird. Das hat unvermeidlich zur Folge, dass die Verantwortlichen für diese Technik in den Fokus strafrechtlicher Verantwortlichkeit rücken. Und zwar neben dem oder anstelle des Fahrers.

Es wird insgesamt viel juristisches Neuland betreten werden müssen. Und nach den gesellschaftlich anerkannten Prinzipien von Schuld und Sühne darf es keine unerträglichen Strafbarkeitslücken geben. Diese neuen Herausforderungen sind anhand der bestehenden Rechtsordnung zu meistern, bevor der Ruf nach dem Gesetzgeber laut wird.  

Der Autor Carsten Staub ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht und Strafrecht in der Kanzlei Brück Rechtsanwälte in Mettmann bei Düsseldorf. Er ist Autor im Formularbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht, 5. Aufl. 2019 zum Thema Verteidigung im Bußgeldverfahren bei Fuhrunternehmen sowie Kommentator zu § 6 Pflichtversicherungsgesetz in Halm/Kreuter/Schwab, Kommentar zu den Allgemeinen Kraftfahrtbedingungen, 3.Aufl. 2019.

Mit den strafrechtlichen Aspekten des autonomen Fahrens beschäftigt er sich auch am Donnerstagabend bei den Wolters Kluwer ExpertTalks bei Reinvent Law in Frankfurt a.M. Eine Last-Minute-Anmeldung ist noch möglich.

* Anm. d. Red.: Korrigiert am 05.09.2019, 10:16 Uhr

Zitiervorschlag

Automatisiertes Fahren und Strafrecht: Wenn Technik tötet . In: Legal Tribune Online, 04.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37445/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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