Die Autobahnen in Deutschland sind kaputt, für die Reparaturen fehlt das Geld. Prof. Dr. Michael Uechtritz erklärt, wie nach Ansicht einer Expertenkommission die Löcher gefüllt werden könnten: durch eine Infrastrukturgesellschaft.
Die Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft bei den deutschen Autobahnen und Bundesstraßen immer weiter auseinander. Seit Beginn der 90er Jahre hat sich die Diskrepanz zwischen den für die Finanzierung der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung zur Verfügung gestellten Haushaltsmitteln einerseits und dem tatsächlichen Mittelbedarf für eine vernünftige Substanzerhaltung oder sogar dem weiteren Ausbau der Bundesverkehrswege verschärft.
Das Geld aus dem Bundeshaushalt reiche einfach nicht aus, erklärte schon im Jahr 2000 die eigens ins Leben gerufene "Kommission Verkehrsinfrastrukturfinanzierung". Die Bodewig-Kommission hat diese Erkenntnis im Jahr 2013 bestätigt.
Im vergangenen Jahr setzte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel schließlich eine Expertenkommission ein. Diese sollte Handlungsempfehlungen zur Stärkung privater und öffentlicher Investitionen in Deutschland ausarbeiten sollte. Ungefragt lieferten diese Experten eine Lösung für die Beseitigung des Investitionsstau bei den Bundesfernstraßen gleich mit: Es wäre die Einrichtung einer Infrastrukturgesellschaft für die Bundesfernstraßen (Verkehrsinfrastrukturgesellschaft) - Bau, Instandhaltung und Betrieb der Bundesfernstraßen sollen auf diese übertragen werden.
Vorreitermodell in Österreich: privatrechtliche Gesellschaft in Bundesbesitz
Die Expertenkommission verweist auf das entsprechende Modell in Österreich, wo die ASFINAG als privatrechtliches Unternehmen im Bundesbesitz Betrieb und Erhalt des Fernstraßennetzes übernommen hat.
Die Expertenkommission hat vorgeschlagen, der Verkehrsinfrastrukturgesellschaft ausreichende Einnahmequellen zur Verfügung zu stellen. Angeregt wird ein Systemwechsel. Anstelle der überwiegenden Haushaltsfinanzierung soll bezahlen, wer die Straßen nutzt und die Beiträge direkt zurück in die Straßenfinanzierung fließen. Ein bestimmtes Organisationsmodell schlägt die Kommission nicht vor. Sie benennt aber die Möglichkeit eines 100-prozentigen Bundesbesitzes, wie es auch in Österreich existiert. Alternativ erwähnt die Expertenkommission die Möglichkeit einer Minderheitsbeteiligung Privater an einer solchen Gesellschaft.
Im Kern enthalten die Vorschläge der Expertenkommission also folgende Elemente, mit denen die Unterfinanzierung von Bundesfernstraßen und Bundesautobahnen angegangen werden soll:
Es geht zunächst um eine Finanzierung außerhalb der öffentlichen Haushalte. Die Finanzierungsverantwortung für die Bundesautobahnen, die bisher dem Bund obliegt, soll auf die neu zu gründende Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft übergehen. Diese soll erst mal aus Bundesmitteln finanziell ausgestattet werden und dann eigene Einnahmequellen erhalten und eigene Kredite aufnehmen dürfen.
2/2: Vorschlag: Einnahmen aus PKW-Maut
Der Kommission schwebt vor, die erforderlichen Mittel überwiegend oder ausschließlich aus Nutzungsentgelten zu generieren. Ein Wechsel auf eine überwiegende Nutzerfinanzierung erfordert jedoch nicht zwingend, dass der Fernstraßenbau keine Aufgabe des Bundes mehr ist. Die Übertragung der Einnahmekompetenz auf eine derartige Gesellschaft bewirkt für sich genommen auch noch nicht, dass mehr Geld für die Straßen zur Verfügung steht. Indirekt tritt dieser Effekt aber ein, wenn hierdurch die Zweckbindung der Nutzungsentgelte sichergestellt wird.
Der Gesetzgeber hat allerdings auch unabhängig von der Existenz einer solchen Gesellschaft die Option, die bereits existierende Finanzierung durch die LKW-Maut auszudehnen. In Ansätzen soll dies durch die Pkw-Maut erfolgen, deren Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union aber zweifelhaft ist. Die Ausweitung der Mautfinanzierung soll eine verursachergerechte Verteilung der Kosten ermöglichen. Dieser Vorschlag verdient Zustimmung. Er steht aber im Widerspruch zur Scheu der Politik vor einem entsprechenden Modell: Nämlich der Ausgestaltung der Pkw-Maut in der Form, dass die Gebühr vom Ausmaß der Inanspruchnahme der Bundesautobahnen abhängt. Sobald und sofern die technischen Voraussetzungen hierfür geschaffen sind, könnte auf diese Weise auch eine "intelligente" Mautgestaltung erfolgen. Nämlich in Form einer zeitlichen Staffelung der Mautgebühren, um so eine Entzerrung der Verkehrsströme anzustreben.
Gesellschaft bekommt volle Zuständigkeiten
Neben der Finanzierungsverantwortung soll auch die Zuständigkeit für den Betrieb des Bundesfernstraßennetzes auf die Infrastrukturgesellschaft übergehen. Erhofft werden Effizienzgewinne, wenn Planung, Bau und Betrieb "aus einer Hand" erfolgen. Insoweit schlägt die Kommission also eine "Privatisierung" vor, allerdings in Form einer sogenannten Organisationsprivatisierung; nur und erst dann, wenn auch Private an der Verkehrsinfrastrukturgesellschaft beteiligt werden sollten, liegt eine (teilweise) materielle Privatisierung der Aufgabe "Betrieb der Bundesfernstraßen" vor.
Änderung der Bundesauftragsverwaltung erforderlich
Der Vorschlag der Kommission steht allerdings mit der bestehenden Rechtslage im Verfassungsrecht nicht im Einklang. Art. 90 Abs.2 Grundgesetz (GG) schreibt für die Bundesfernstraßen die Bundesauftragsverwaltung vor. Danach trifft die Finanzierungsverantwortung für die Sachaufgabe Bau und Erhaltung den Bund. Die Verwaltungsaufgabe hingegen, also die Vorhaltung der Verwaltungsorganisation zum "Betrieb", obliegt den Ländern. Jedoch ist in der rechtlichen Diskussion geklärt, dass Art. 90 Abs.2 GG einer Einschaltung Privater in Bau und Betrieb von Fernstraßen nicht generell entgegensteht. So besteht bereits bisher die - allerdings kaum genutzte - Möglichkeit, nach dem Fernstraßenbaufinanzierungsgesetz die Errichtung und die Bemautung von Sonderbauwerken wie Brücken, Tunneln und Gebirgspässen im Zuge von Bundesautobahn und Bundesfernstraßen auf Private zu übertragen.
Des Weiteren sind private Investoren beim Ausbau und Betrieb von Autobahnabschnitten im Rahmen von Öffentlich Privaten Partnerschaften (ÖPP) beteiligt. In diesen Tagen hat Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt weitere Projekte dieser Art angekündigt.
Hohe politische Hürden
Die Vorstellung der Expertenkommission geht darüber hinaus. Bau, Finanzierung und Betrieb des gesamten Bundesfernstraßennetzes sollen auf diese Gesellschaft übertragen werden. Der Bundesauftragsverwaltung würde das sachliche Substrat in Gänze entzogen.
Insoweit besteht kein Zweifel, dass die Etablierung einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft nach dem österreichischen Modell der ASFINAG eine Verfassungsänderung erfordert. Die politischen Hürden für eine derartige Verfassungsänderung dürften hoch sein. Da auf diesem Gebiet die Bundesauftragsverwaltung zu beseitigen wäre, geht es um einen Eingriff in die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Bedenkt man, wie sensibel die Länder auf dem Gebiet der Auftragsverwaltung in der Vergangenheit bedacht waren, ihre Kompetenzen gegenüber dem Bund zu wahren, ist zweifelhaft, ob eine derartige Verfassungsänderung realistische Erfolgsaussichten hat.
Der Autor Prof. Dr. Michael Uechtritz ist Rechtsanwalt und Partner bei der Wirtschaftskanzlei Gleiss Lutz in Stuttgart und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. An der Universität Stuttgart ist er als Honorarprofessor im Verfassungs- und Verwaltungsrecht tätig.
Prof. Dr. Michael Uechtritz, Finanzierung von Autobahnen: Zu das Loch . In: Legal Tribune Online, 09.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15783/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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