Am Donnerstag sollten Passagen aus Adolf Hitlers "Mein Kampf" in einer Geschichtszeitschrift erscheinen. Das LG München hat das vorläufig untersagt und damit dem Freistaat Bayern Recht gegeben. Zwischenzeitlich will der Verlag die Original-Zitate unleserlich machen. Eine wissenschaftlich-kritische Aufbereitung des mystifizierten Werks ist nicht zwingend ausgeschlossen, erläutert Jörg Fritzsche.*
Geht es nach den Vorstellungen des britischen Verlegers Peter McGee, wird an den Kiosken ab dem 26. Januar 2012 unter dem Titel "Das unlesbare Buch" eine Heftreihe mit wissenschaftlich kommentierten Auszügen aus Hitlers "Mein Kampf" erhältlich sein. Die bayerische Staatsregierung ist als Inhaberin der Urheberrechte nun erfolgreich vor Gericht gezogen, das Landgericht München I untersagte am Mittwoch per einstweiliger Verfügung die Herstellung und Verbreitung kommentierter Auszüge aus "Mein Kampf" (LG München I, Beschl. v. 25.01.2012, Az. 7 O 1533/12, noch nicht veröffentlicht).*
Bereits im Jahre 2009 hatte man die Wiederveröffentlichung von als "Zeitungszeugen" deklarierten Nazi-Zeitungen durch den britischen Verlag gestoppt, auch wenn sich der britische Verleger in zwei Instanzen am Ende teilweise durchsetzen konnte (Oberlandesgericht München, Urt. v. 01.10.2009, Az. 29 U 2462/09). McGee scheint dennoch keine Wiederholung der Geschichte zu wollen: Am Mittwoch kündigte er an, die Original-Auszüge in der Extra-Broschüre zur Wochenzeitung "Zeitungszeugen" würden unleserlich erscheinen, nur die Kommentierungen sollen nun lesbar sein.
Bayern wurde das Recht dem Buch des Diktators im Rahmen der Entnazifizierung am 15. Oktober 1948 übertragen. Damals hatte die Spruchkammer des Landgerichts München I sämtliche Vermögenswerte Hitlers auf der Grundlage des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus eingezogen (Urt. v. 15.10.1948, Az. I-3568/48).
Urheberrecht erlischt erst 2015
Als Inhaber des Urheberrechts kann der Freistaat Bayern grundsätzlich die Nutzung des Werkes durch Dritte verbieten. Dem Freistaat stehen nämlich nach dem Urhebergesetz (UrhG) die Verwertungsrechte zu, sodass er insbesondere verhindern kann, dass Hitlers Buch vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich zugänglich gemacht wird.
Bis heute hat Bayern keine entsprechende Freigabe erteilt; allerdings läuft das Urheberrecht an "Mein Kampf" am 31. Dezember 2015 aus. Dann werden 70 Jahre seit dem Tod Adolf Hitlers vergangen sein.
So lange will jedenfalls der Verlegers der "Zeitungszeugen" nicht warten: Insgesamt drei Hefte mit jeweils etwa 15 Seiten kommentierten Auszügen aus "Mein Kampf" sollen ab Ende Januar veröffentlicht werden. Trotz bayrischer Drohkulisse stellt sich McGee auf den Standpunkt, diese Form der Veröffentlichung sei vom Zitatrecht (§ 51 UrhG) gedeckt. Das LG München I sah das nun jedenfalls vorläufig anders.
Zulässigkeit richtet sich nach dem Zitatzweck
Ob ein Zitat verwendet werden darf, ohne dass der Rechteinhaber zustimmt, lässt sich nur anhand der konkreten Publikation entscheiden. Es kommt nach § 51 S. 1 UrhG darauf an, ob der Abdruck der Auszüge überhaupt durch einen besonderen Zitatzweck gerechtfertigt und in seinem Umfang erforderlich ist.
Konkret geregelt ist der Zitatzweck für das so genannte Großzitat (§ 51 S. 2 Nr. 1 UrhG): Danach ist es zulässig, ein einzelnes Werk vollständig in ein anderes wissenschaftliches Werk aufzunehmen, um den Inhalt des zitierenden Werkes zu erläutern. Darum geht es hier nicht. Der Erläuterungszweck kann aber auch Klein- oder sonstige Zitate rechtfertigen. Allgemeine Voraussetzung für die Zulässigkeit von Textzitaten ist, dass sie als Belegstelle oder Erörterungsgrundlage für selbstständige Ausführungen dienen und eine innere Verbindung zu den eigenen Gedanken hergestellt wird.
Die geplante Ausgabe der "Zeitungszeugen" soll Kommentare zu Passagen aus Hitlers "Mein Kampf" liefern. Da ein Kommentar zu einem fremden Text keinen Sinn macht, wenn dieser nicht unmittelbar daneben steht, wird man einen Zitatzweck wohl nicht leugnen können: Die Auszüge dienen als Erörterungsgrundlage für eigene Ausführungen, auch wenn die Kommentare hier in erster Linie dazu dienen dürften, Auszüge aus "Mein Kampf" abdrucken zu können. Denn im Grundsatz ist das Anliegen, ein unbekanntes beziehungsweise unzugängliches fremdes Werk zum Gegenstand einer kritischen Auseinandersetzung zu machen, von der Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt.
Verneinen könnte man den Zitatzweck aber wohl, wenn sich die Kommentare als untergeordnetes Beiwerk geringen Umfangs herausstellen sollten, das nur ein paar Hintergrundinformationen beisteuert. Denn dann ginge es bei dem Abdruck nicht mehr um den Beleg eigener Ausführungen oder eine Grundlage dafür.
Wissenschaftlich-kritische Aufbereitung ist nicht strafbar
Die Vervielfältigung und Verbreitung fremder Werke zu Zwecken des Zitats ist stets nur in dem Umfang zulässig, den der Zitatzweck gebietet. Wird nicht im Rahmen eines Großzitates zitiert, ist meist nur die Übernahme von "Stellen" aus dem fremden Werk zulässig, vgl. § 51 S. 2 Nr. 2 und 3 UrhG. Dies gilt auch für die kommentierten Auszüge aus "Mein Kampf".
"Stellen" bestehen typischerweise aus einigen Sätzen oder Passagen eines Werkes, die einen geschlossenen Gedanken des Urhebers wiedergeben. Dabei muss es sich zumindest um ein bis zwei Sätze handeln. Ein festes Größenverhältnis zum Gesamtumfang des zitierten Werkes lässt sich allerdings nicht allgemein angeben; letztlich entscheidet eben der konkret verfolgte Zitatzweck über den Umfang der zulässigen Übernahme. Die heutige Grundregelung in § 51 S. 1 UrhG ermöglicht nur ausnahmsweise auch die Übernahme längerer Ausschnitte aus einem Werk, wenn nämlich der Zitatzweck ansonsten vereitelt würde. Allein darf die Verwertung des Werks durch den Urheber nicht unangemessen beeinträchtigt sein. Wann das der Fall ist, lässt sich aber pauschal kaum sagen.
Auch insofern kommt es beim Streit um "Mein Kampf" also auf die konkrete Ausgestaltung der kommentierten Auszüge an. Sollten sich die einzelnen 15-seitigen Hefte jeweils mit einer kompletten und fortlaufenden Passage des Buches befassen, wäre dies kaum von § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG oder gar der Generalklausel in § 51 S. 1 UrhG gedeckt. Viel mehr lässt sich vor dem Erscheinen nicht sagen.
Das verantwortliche bayerische Finanzministerium ist jedenfalls der Ansicht, dass einer freien Veröffentlichung von "Mein Kampf" auch nach Ablauf der 70 Jahre die Straftatbestände des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen und der Volksverhetzung entgegenstehen. Dies dürfte für eine wissenschaftlich und kritisch kommentierte Ausgabe, wie sie seit längerem von verschiedenen Fachkreisen gefordert und vom Institut für Zeitgeschichte für die Zeit nach Ablauf des Urheberrechts veröffentlicht werden könnte, allerdings nicht in gleicher Weise gelten. Möglicherweise wäre sie sogar geeignet, das bislang verbotene und daher weithin unbekannte Werk zu entmystifizieren. Von einer unleserlichen Variante kann man das sicherlich nicht behaupten.
Professor Dr. Jörg Fritzsche ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Regensburg.
*Anm. d. Red: Der Teaser sowie der weitere mit Sternchen markierte Satz wurden einige Minuten nach der Veröffentlichung des Beitrags nachträglich verändert aufgrund der zwischenzeitlich bekannt gewordenen Entscheidung des LG München I.
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Auszüge aus "Mein Kampf": . In: Legal Tribune Online, 25.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5396 (abgerufen am: 11.10.2024 )
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