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BVerfG verhandelt über Ausschussvorsitze für AfD im Bundestag: Eine Frage des Ver­trauens

von Dr. Christian Rath

20.03.2024

Ein Mann in Anzug, lächelnd, im Hintergrund eine Statue, symbolisiert politische Diskussionen über Vertrauen und Ausschussvorsitze.

Will seinen Ausschuss-Vorsitz im Bundestag zurück – AfD-Politiker Stephan Brandner picture alliance/dpa | Uli Deck

Das Bundesverfassungsgericht verhandelte über die Nichtwahl von AfD-Politikern an die Spitze von Bundestags-Ausschüssen und über die Abwahl von AfD-Rechtspolitiker Stephan Brandner. Über die Verhandlung und Chancen berichtet Christian Rath.

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Derzeit sind 22 Verfahren der AfD am Bundesverfassungsgericht anhängig. Oft geht es nur um einzelne Äußerungen von Regierungsmitgliedern, die nach Ansicht der AfD gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. Einzelfälle. 

Dagegen sind die beiden Organstreitverfahren zu Ausschuss-Vorsitzen im Bundestag von grundsätzlicher Bedeutung. Christine Langenfeld, die federführende Verfassungsrichterin in diesem Fall, machte deutlich, dass der Zweite Senat in den Verfahren 2 BvE 1/20 und 2 BvE 10/21 Grundsatzurteile anstrebt. "Wir wollen für künftige Verfahren die Pflöcke einschlagen."

Im ersten Fall geht es um die Frage, ob die AfD-Bundestagsfraktion einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf eine bestimmte Anzahl von Ausschussvorsitzenden hat. Derzeit stellt die AfD keinen einzigen Ausschussvorsitzenden im Bundestag. Die Mehrheit der anderen Parteien wählt die Personalvorschläge der AfD einfach nicht mehr.

Mit der zweiten Organklage wendet sich die AfD gegen die Abwahl des AfD-Rechtspolitikers Stephan Brandner als Vorsitzender des Rechtsausschusses im Jahr 2019. Hier will das BVerfG klären, ob eine derartige Abwahl möglich ist, und wenn ja: unter welchen Voraussetzungen. 

Die verweigerten drei Vorsitzposten

Laut § 12 der Geschäftsordnung des Bundestags (GO-BT) ist "die Regelung des Vorsitzes in den Ausschüssen im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen vorzunehmen." Große Fraktionen wie die SPD haben viele Vorsitzposten, der AfD stehen derzeit drei Vorsitze zu. Konkret hat die AfD in dieser Wahlperiode nach der GO-BT das Vorschlagsrecht für den Ausschussvorsitz im Innen- und im Gesundheitsausschuss sowie im Ausschuss für Entwicklungszusammenarbeit. 

Doch in den Ausschüssen wurde bislang kein einziger ihrer Personalvorschläge gewählt. Die Fraktionen der anderen Parteien berufen sich auf eine andere Vorschrift der Geschäftsordnung. In § 58 heißt es: "Die Ausschüsse bestimmen ihre Vorsitzenden und deren Stellvertreter". Es sei also nicht die AfD, die die Vorsitzenden in den drei Ausschüssen benennen kann, vielmehr bestimme, d.h. wähle, der jeweils gesamte Ausschuss, wer den Vorsitz übernehmen soll. Faktisch haben die drei Ausschüsse seit zwei Jahren keine Vorsitzenden mehr und werden von den Vize-Vorsitzenden geleitet, die zu anderen Fraktionen gehören.

Die Ausschuss-Vorsitzenden sind nicht wirklich mächtig, ihre Ämter sind eher prestigeträchtig. Die Vorsitzenden leiten und moderieren die Sitzungen des jeweiligen Ausschusses und sie repräsentieren ihre Ausschüsse bei Verbänden oder im Ausland. In beiden Funktionen müssen sie überparteilich agieren. Die AfD will dennoch nicht benachteiligt werden. Aus ihrer Sicht sind die Posten eine gute Gelegenheit, sich öffentlich zu profilieren. 

In ihrer Organklage argumentiert die AfD mit ihren Mitwirkungs- und Teilnahmerechten. Sie sollen sich aus Art. 38 Grundgesetz (GG) ergeben sowie aus dem "Recht auf Opposition" und einem Recht auf "faire und loyale Auslegung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags". 

Über Spiegelbildlichkeit und Recht auf Opposition

Für die AfD ist es verfassungsrechtlich vorgegeben, dass die gesamte "Arbeitsebene" des Bundestags spiegelbildlich zum Plenum aufgebaut werden muss. Nicht nur in den Ausschüssen sollen die gleichen Mehrheitsverhältnisse bestehen wie im Plenum, auch unter den 27 Ausschussvorsitzenden soll sich dieses Verhältnis abbilden müssen, so Rechtsprofessor Michael Elicker, der Prozessvertreter der AfD. 

Für den Bundestag hielt Rechtsprofessorin Sophie Schönberger dagegen. "Ein Ausschussvorsitzender ist nur eine einzige Person. Er kann allein gar nicht die Mehrheitsverhältnisse im Plenum abbilden". Auch alle 27 Ausschussvorsitzenden bildeten zusammen kein Gremium. 

Vor allem aber werde die Spiegelbildlichkeit von der Rechtsprechung nur verlangt, so Sophie Schönberger, wenn das Plenum einen Teil seiner Aufgaben auf kleinere Gremien, wie die Ausschüsse, delegiert. Das passe nicht auf die Ausschussvorsitzenden, die mit ihrer Leitungs- und Repräsentationsfunktion keine Aufgaben des Plenums wahrnehmen. 

Auch das von der AfD angeführte "Recht auf Opposition" hielt Richterin Langenfeld offenbar nicht für einschlägig. "Wie passt das zu der moderierenden und integrierenden Rolle des Ausschussvorsitzenden, der doch gerade keine Oppositionspolitik machen soll?" Für die AfD schien das "Recht auf Opposition" vor allem darin zu bestehen, bei der Vergabe von Posten nicht übergangen zu werden. Damit wird sie aber wohl keinen Erfolg haben.

Skepsis begegnete der AfD auch, als sie versuchte, den Grundsatz der "fairen und loyalen Auslegung der Geschäftsordnung" zum Verfassungswert hochzustilisieren. Das Grundgesetz gebe keinen generellen Anspruch, dass die Geschäftsordnung des Bundestags eingehalten werde, so Sophie Schönberger. Außerdem sei die Geschäftsordnung wegen § 58 ja auch nicht so eindeutig, wie von der AfD behauptet. 

AfD-Rechtsvertreter Elliker räumte zwar ein, die Formulierung in § 58 GO-BT, dass die Ausschüsse ihre Vorsitzenden "bestimmen", sei "etwas unglücklich". Doch selbst wenn damit ursprünglich eine Wahl gemeint gewesen sei, hätten die Ausschüsse mehr als 60 Jahre lang, von den 1960er-Jahre bis 2017, die Vorsitzenden nur per Akklamation (also durch Klopfen oder Klatschen) bestätigt. Erst seit die AfD im Bundestag sitze, werde wieder gewählt. "Dass hier nicht gewählt wird, war eine unangefochtene Parlamentstradition über Jahrzehnte hinweg", betonte Elicker. "Eine Tradition ist aber kein Verfassungswert; eine Tradition kann man ändern", entgegnete Sophie Schönberger, die nicht nur meist das letzte Wort hatte, sondern auch mindestens drei mal so schnell sprach wie der bedächtig wirkende Michael Elicker. 

Der Fall Brandner

Der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner war in der letzten Wahlperiode Vorsitzender des Rechtsausschusses, wurde jedoch 2019 von seinen Kolleg:innen abgewählt. Zuvor hatte er immer wieder mit Aussagen provoziert. So sprach Brandner von einem "Judaslohn", als der Sänger Udo Lindenberg das Bundesverdienstkreuz erhielt. Brandner missfiel, dass Lindenberg vorher den AfD-Politiker Björn Höcke als "echten Fascho" bezeichnet hatte.

Die AfD monierte zwar, eine Abwahl von Ausschuss-Vorsitzenden sei in der Geschäftsordnung des Bundestags gar nicht vorgesehen sei. Deshalb seien durch Brandners Abwahl Verfassungsrechte der Fraktion verletzt worden.

Sophie Schönberger, die Vertreterin des Bundestags, sah in der fehlenden ausdrücklichen Rechtsgrundlage kein Problem. "Herr Brandner wurde gewählt, also konnte er auch abgewählt werden", es handele sich um einen klassischen actus contrarius. 

Für Diskussionen sorgte in Karlsruhe, dass Brandner einige der monierten Aussagen nicht als Ausschussvorsitzender gemacht hatte, sondern als Parteipolitiker auf seinem Twitter-Account. Der SPD-Abgeordnete Johannes Fechner sagte in Karlsruhe jedoch, dass solche Äußerungen das Vertrauen in die überparteiliche Leitung des Rechtsausschusses gefährdeten und dessen Ansehen beschädigten. Der Verfassungsrichter Ulrich Maidowski schlug vor, dass ein Ausschussvorsitzender sich mit seinen Äußerungen in einem "Korridor des Vertretbaren" bewegen müsse.

Immer wieder wurde von der AfD auf die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann verwiesen, die sich auch oft polemisch äußere - obwohl sie doch Vorsitzende des Verteidigungsausschusses ist. "Sie hetzt aber nicht gegen Minderheiten", erwiderte SPD-Mann Fechner. 

Wohl kein Freibrief für Abgeordnete

Wenn es aber vor allem um das verlorene Vertrauen in einen Ausschuss-Vorsitzenden geht, dann dürfe auch die verfassungsgerichtliche Kontrolle nur sehr rudimentär ausfallen, so die Auffassung der Vertreterin des Bundestages Schönberger, die rhetorisch fragte:. "Wie will man Vertrauen prüfen?".

Einen völligen Freibrief will das Bundesverfassungsgericht den Abgeordneten aber wohl nicht ausstellen. "Stellen sie sich vor", sagte Richterin Langenfeld zu Professorin Schönberger, "die Vorsitzende eines Bundestagsausschusses outet sich als Transperson und plötzlich will eine Ausschuss-Mehrheit sie abwählen, weil sie das Vertrauen verloren hat. Soll das möglich sein." - "Nein", räumte Sophie Schönberger ein, ein Mindestmaß an Amtsbezug ist erforderlich, sonst ist die Abwahl willkürlich."

Die Verhandlung endete am späten Nachmittag. Das Urteil wird in einigen Monaten erwartet. 

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BVerfG verhandelt über Ausschussvorsitze für AfD im Bundestag: . In: Legal Tribune Online, 20.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54164 (abgerufen am: 18.05.2025 )

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