CDU-Chef Friedrich Merz will bei doppelter Staatsangehörigkeit nach Straftaten den deutschen Pass entziehen. SPD, Grüne und FDP lehnen das ab. Verfassungswidrig wäre es wohl auch, so die Analyse von Christian Rath.
Eigentlich wollte er Migration nicht zu einem Hauptthema im Wahlkampf machen. So richtig gelingt es dem CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz aber nicht, sein Versprechen umzusetzen.
Am Wochenende veröffentlichte die Welt am Sonntag ein langes Interview mit Merz. Darin fordert er zunächst eine Ausweisung von Ausländern, die straffällig wurden. Auf den Vorhalt, dass eine Ausweisung von deutschen Staatsbürgern nicht möglich sei, kritisierte Merz die Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes durch die Ampel-Koalition. Die grundsätzliche Hinnahme einer doppelten Staatsbürgerschaft führe dazu, dass dies zum Regelfall werde. Unter Bezugnahme auf die vorläufige Einbürgerungsbilanz des Jahres 2024 monierte Merz: "Von den mehr als 200.000 Antragstellern wollen rund 80 Prozent ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit behalten." Das schaffe "zusätzliche Probleme" in Deutschland.
Merz schlägt dann überraschend vor: "Es müsste wenigstens auf der gleichen Ebene eine Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft möglich sein, wenn wir erkennen, dass wir bei straffällig werdenden Personen einen Fehler gemacht haben." Er will also Personen, die die deutsche und eine andere Staatsbürgerschaft haben, die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen, um sie ausweisen und abschieben zu können.
CSU und AfD als Vorbilder
Im gemeinsamen Wahlprogramm der CDU und CSU für die Bundestagswahl 2025 ist die Forderung nicht so weitgehend enthalten. Dort ist die Aberkennung der Staatsbürgerschaft von Doppelstaatlern nur bei Terror-Unterstützern, bei Aufrufen zur Schaffung eines Gottesstaates und bei Verurteilung zu einer antisemitischen Straftat vorgesehen. Dagegen hat 2023 der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) als Beispiele für Taten, die die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit rechtfertigen können, neben schweren antisemitischen Gewalttaten auch bereits allgemeine schwere Straftaten wie Mord oder Vergewaltigung genannt.
Dagegen hat 2023 der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) als Beispiele für Taten, die die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit rechtfertigen können, neben schweren antisemitischen Gewalttaten auch bereits allgemeine schwere Straftaten wie Mord oder Vergewaltigung genannt.
Die AfD forderte im Wahlprogramm von 2017, dass die Rücknahme der Staatsbürgerschaft ermöglicht werden soll, wenn jemand kriminellen Clans oder Terrormilizen angehört oder innerhalb von zehn Jahren nach der Einbürgerung erheblich straffällig wird. Im AfD-Wahlprogramm von 2021 war die Forderung nicht mehr enthalten. Auch im AfD-Programmentwurf für die kommende Bundestagswahl, der in dieser Woche beraten und beschlossen werden soll, fehlt sie. Einzelne AfD-Politiker greifen die Forderung aber immer wieder auf.
Probleme mit dem Grundgesetz
Die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft bei kriminellen Doppelstaatlern dürfte verfassungswidrig sein. Oder wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann 2023 sagte: Sie setzt eine Änderung des Grundgesetzes voraus.
Derzeit heißt es in Art. 16 des Grundgesetzes (GG): "Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden." Dieses Verbot erfasst jede staatliche Wegnahme der Staatsbürgerschaft gegen den Willen des Bürgers. Diese Garantie ist eine Reaktion auf die Ausbürgerungspolitik der Nazis gegen Juden und politische Gegner. Auch in der DDR wurden Oppositionelle wie Wolf Biermann ausgebürgert.
Außerdem heißt es in Art. 16 GG: "Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur aufgrund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird." Eine gesetzliche Verlustregelung ist damit nur gegenüber Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft möglich.
Laut Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Urt. v. 24.05.2006, Az.: 2 BvR 669/04) darf die deutsche Staatsbürgerschaft auch nur dann verloren gehen, wenn dies auf eine Handlung folgt, die der Betroffene zumutbar vermeiden könnte. Außerdem, so das Bundesinnenministerium in einem IMK-Bericht von 2015, müsse die Anlasshandlung Ausdruck einer "Abwendung" von Deutschland sein. Reine Sicherheitserwägungen genügen demnach nicht für den Verlust der Staatsbürgerschaft.
Als "Abwendung" von Deutschland gilt es schon lange, wenn jemand in die Streitkräfte eines ausländischen Staates eintritt, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Seit 2019 geht bei einem Doppelstaatler die deutsche Staatsangehörigkeit auch dann verloren, wenn er "sich an Kampfhandlungen einer terroristischen Vereinigung im Ausland konkret beteiligt". Beides ist jetzt in § 28 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) geregelt. Es wird aber wohl nur wenige Straftaten geben, die in diesem Sinne als "Abwendung" von Deutschland anzusehen sind, schließlich begehen ja auch viele Deutsche Straftaten.
Täuschung über die eigene kriminelle Veranlagung?
Verfassungsrechtlich möglich ist auch die Rücknahme einer rechtswidrig erschlichenen Einbürgerung. Dies hat das BVerfG bereits in einem Einzelfall entschieden (Urt. v. 24.05.2006, Az.: 2 BvR 669/04). Der Bundestag führte daraufhin eine entsprechende Regelung in § 35 StAG ein. Die Frist für eine mögliche Rücknahme beträgt inzwischen zehn Jahre.
Hier geht es zum Beispiel darum, dass Ausländer, die sich bei der Einbürgerung zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen, als Lügner gelten, wenn sie sich später als Islamisten entpuppen. Auf strafbares Verhalten lässt sich das schwer übertragen. Sollen Ausländer künftig bei der Einbürgerung versprechen, nie im Leben straffällig zu werden, sodass ihnen nach einer Straftat die Täuschung der Behörden vorgeworfen werden kann?
Es fehlen die Mehrheiten in der Mitte
Die CDU/CSU könnte im kommenden Bundestag die von Merz vorgeschlagene Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes wohl nur mit der AfD umsetzen. Für eine Grundgesetzänderung wäre sogar eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat erforderlich. Auf Anfrage von LTO erklärten Vertreter von SPD, Grünen und FDP jedoch, dass sie den Merz-Vorschlag nicht unterstützen.
So betonte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese, die Forderung von Friedrich Merz führe "in eine gefährliche Richtung: Sie würde de facto Deutsche erster und zweiter Klasse schaffen, abhängig davon, ob jemand eine zweite Staatsbürgerschaft besitzt oder nicht". Das widerspreche dem Grundgesetz und dem Prinzip der Gleichheit aller Bürger, so Wiese. "Solche Vorschläge sind populistisch und abzulehnen. Sie spalten die Gesellschaft und untergraben die Grundwerte unseres Rechtsstaates."
Auch Katharine Dröge, die Fraktionsvorsitzende der Grünen, ist eindeutig: "Für uns gibt es keine Bürger zweiter Klasse. Wenn Friedrich Merz mit dem Entzug der Staatsangehörigkeit droht, sendet er das verheerende Signal, dass Menschen, die nach Deutschland einwandern, hier nie richtig dazugehören können. Dem widersprechen wir ganz ausdrücklich."
Für die FDP erklärt der Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle: "Die Staatsangehörigkeit im Nachhinein abzuerkennen, ist mit gravierenden verfassungsrechtlichen und praktischen Problemen verbunden." Besser sei es, schon bei der Einbürgerung restriktiv vorzugehen.
Probleme mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung
Unabhängig von den fehlenden Mehrheiten könnte Merz (theoretisch) auch Ärger mit dem Verfassungsschutz bekommen. Wer eingebürgerte Deutsche gegenüber geborenen Deutschen rechtlich abwertet, beeinträchtigt die freiheitliche demokratische Grundordnung. Dies hat das BVerfG im Jahr 2017 in seinem NPD-Urteil festgestellt (Urt. v. 17.01.2017, Az.: 2 BvB 1/13). Wohl auch deshalb hat sich die AfD in diesem Punkt gemäßigt.
Als vor einem Jahr das Medienprojekt Correctiv über ein geheimes Strategietreffen von Rechtsextremen in Potsdam berichtete, stellte die AfD in einem Positionspapier von Januar 2024 zudem klar, was sie unter "Remigration" versteht. Dort heißt es u.a.: "Die Abschiebung deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund" stoße "auf unsere entschiedene Ablehnung." Merz versucht nun offensichtlich, die AfD rechts zu überholen, weil er weiß, dass es keine Verbotsforderungen gegen die CDU geben wird.
Red. Hinweis: Der Abschnitt zum Wahlprogramm der Union wurde am 08.01.2025, um 14:12 Uhr überarbeitet (mk).
Forderung von Friedrich Merz: . In: Legal Tribune Online, 06.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56265 (abgerufen am: 18.01.2025 )
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