Polen behauptet Diebstahl gegenüber Auktionshaus Grisebach: Wem gehört der ver­s­tei­gerte Kand­insky?

Gastbeitrag von Prof. Dr. Matthias Weller, Mag. rer. publ.

28.12.2022

Kurz vor der Versteigerung eines Kandinsky in Berlin behauptet Polen, er sei aus einem Museum in Warschau gestohlen worden. Eine gerichtliche Klärung könnte Licht ins Dunkel des deutschen Auktionsrechts bringen, meint Matthias Weller.

Die Grisebach-Auktion "Auktion 346 – Ausgewählt Werke" brachte mit der Versteigerung des "Selbstbildnis gelb-rosa" von Max Beckmann für 23,2 Millionen Euro nicht nur einen Rekord auf dem im Vergleich kleinen deutschen Kunstmarkt hervor (ca. 2 % Marktanteil weltweit), sie könnte auch in die Annalen des deutschen Auktionsrechts eingehen. Denn um das ebenfalls versteigerte Werk von Wassily Kandinsky, "Ohne Titel", 1928, Los Nr. 31 könnte es zu einem wegweisenden Rechtsstreit kommen.

Was war passiert: Kurz vor der Versteigerung, am Nachmittag des 1. Dezembers, wandte sich der polnische Konsul Marcin Król über seinen Twitter-Account in einem langen Thread an die Öffentlichkeit: 

 

Dort behauptet der Konsul, der Kandinsky sei 1984 aus dem Nationalmuseum in Warschau gestohlen worden. Eigentumsmarkierungen würden die Herkunft aus dem Museum belegen. Der Verkauf könne daher nicht als "gutgläubige Handlung" angesehen werden. Das polnische Ministerium für Kultur und Nationalerbe habe Grisebach aufgerufen, die Auktion zurückzuziehen. Dies sei die einzig richtige und moralische Handlung. 

Das Auktionshaus erklärte, von einem möglichen Diebstahl aus einem polnischen Museum habe man erstmals kurz vor der Versteigerung durch die Mitteilung des polnischen Konsuls erfahren. Diese Mitteilung sei zum Anlass genommen worden, in eine rechtliche Prüfung einzutreten. Sie führte zu dem Ergebnis, dass keine Bedenken gegen die Versteigerung bestünden. 

Grisebach brachte das Werk sodann wie geplant zur Versteigerung, und das Werk wurde für 310.000 Euro zugeschlagen. Die weitere Abwicklung des Geschäfts wollte Grisebach aber nun doch zunächst aussetzen, um eine "gerichtliche Klärung" herbeizuführen. 

Medienwirksame Eingriffe in Kunstauktionen keine Seltenheit

In den Medien wurde sogar über einen Polizeieinsatz während der Auktion berichtet. Der Eingriff in den Ablauf einer Versteigerung kommt immer wieder vor, sei es, dass Teilnehmer im Saal bei Aufruf des betreffenden Lots aufstehen und lautstark einen moralischen Makel oder das fehlende Recht zum Verkauf bzw. Eigentumsübertragung behaupten, sei es wie hier durch Erklärungen gegenüber dem Auktionshaus und der allgemeinen Öffentlichkeit im Vorfeld der Auktion sowie der Mobilisierung der Strafverfolgungsorgane durch Strafanzeige.

Rote Mitte, Oskar Schlemmer, 1931Ziel ist immer, die unmittelbar anstehende Versteigerung des streitigen Lots zu verhindern und medienwirksam auf das geltend gemachte Unrecht zu verweisen. Auch in diesem Zusammenhang stellen sich Fragen, etwa ob die Eigentumsberühmung durch einen Nichteigentümer eine rechtswidrige Eigentumsverletzung sein kann und zumindest Unterlassungsansprüche auslöst. Dies hatte der BGH 2005 im Fall von Oskar Schlemmers "Rote Mitte" entschieden. Dann aber sollten – entsprechendes Verschulden vorausgesetzt – zugleich auch Schadensersatzansprüche des Eigentümers möglich sein. Eine andere Frage wäre, ob die Behauptung, in länger zurückliegender Vergangenheit bestohlen worden zu sein, einer Eigentumsberühmung gleichsteht. Denn bekanntlich kann der ursprüngliche Eigentümer sein Eigentum auch im weiteren Verlauf verloren haben. Hierzu verhält sich der Vorhalt des Diebstahls genau genommen nicht.   

Wer hat Eigentum?

Die entscheidende Frage ist aber natürlich hier: Hat der Ersteigerer nun wirksam Eigentum erworben? Wenn ein Diebstahl in der Vergangenheit im Raum steht, bietet es sich an, für die Zwecke der rechtlichen Prüfung einen solchen einmal zu unterstellen und die Folgen für die Eigentumsverhältnisse in der nachfolgenden Besitzkette abzuschätzen. 

Nach den Provenienzangaben im Katalog befand sich der Kandinsky in der Tat von 1965-1983 im Muzeum Narodowe w Warszawie (Nationalmuseums Warschau), danach für unbestimmte Zeit in einer Privatsammlung in den USA, bis die Kunstmäzenin Maren Otto das Werk 1988 bei der Galerie Thomas in München erwarb und 2022 – also 34 Jahre später – bei Grisebach zur Versteigerung einlieferte. 

Damit dürfte Maren Otto das Werk wohl jedenfalls ersessen haben, wenn sie das Eigentum am Werk nicht schon 1988 wirksam erworben hatte. Nach § 937 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erwirbt Eigentum, wer eine bewegliche Sache zehn Jahre im Eigenbesitz hat. Anders als bei Eigentumserwerb durch Kauf (vgl. § 935 Abs. 1 BGB) ist eine Ersitzung grundsätzlich auch bei abhanden gekommenen, also etwa gestohlenen Sachen möglich. 

Bösgläubigkeit hindert Erwerb durch Ersitzung 

Anders wäre dies nur, wenn Otto 1988 bei Besitzerwerb bösgläubig war oder es innerhalb von 10 Jahren nach Besitzerwerb wurde (vgl. § 937 Abs. Abs. 2 BGB). Sie müsste also gewusst haben oder grob fahrlässig in Unkenntnis darüber gewesen sein, dass sie im Rahmen ihres Kaufs gar nicht Eigentümer geworden war oder aber während der dann folgenden 10-jährigen Besitzzeit positive Kenntnis vom Fehlen ihrer Eigentümerstellung erlangt haben. Dass für den Ersitzenden keine allgemeine Nachforschungsobliegenheit besteht, hat der BGH kürzlich im Fall zweier Gemälde von Hans Purrmann (Frau im Sessel, 1924; Blumenstrauß, 1939) entschieden (Urt. v. 19.07.2019. Az.: V ZR 255/17). Weniger klar ist die Frage, ob die von polnischer Seite erwähnten "Eigentumsmarkierungen", also etwa Inventarstempel oder –aufkleber des Museums, am Gemälde etwas ändern.

Grundsätzlich läge jedenfalls die Beweislast für beide Varianten der ersitzungshindernden Bösgläubigkeit bei demjenigen, der vom Besitzer Herausgabe verlangt, dies in manchen Konstellationen verbunden mit gewissen Erleichterungen, etwa durch Substantiierungslasten des anderen Teils, hier also im Kern der Obliegenheit einer schlüssigen und widerspruchsfreien Darstellung des gutgläubigen Erwerbs im Prozess. 

"Versteigererprivileg" vs. Kulturgutschutzgesetz

Nur wenn Maren Otto – unterstellt bösgläubig – keine Eigentümerin des eingelieferten Kandinskys geworden wäre, käme es auf die Folgefrage an, ob der Ersteigerer gleichwohl gutgläubig Eigentum daran erworben haben könnte. Grundsätzlich ist – wie bereits erwähnt – der gutgläubige Erwerb abhanden gekommener Sachen ausgeschlossen. Allerdings enthält das BGB in § 935 Abs. 2 ein "Versteigererprivileg", wonach in öffentlicher Versteigerung (definiert in § 383 Abs. 3 BGB) dann doch gutgläubig erworben werden kann. 

Es ist jedoch umstritten, ob dieses Versteigererprivileg nach Inkrafttreten des Kulturgutschutzgesetzes fortbesteht. Der Wortlaut des § 935 Abs. 2 BGB wurde nicht geändert, doch nach § 40 Abs. 1 Kulturgutschutzgesetz (KGSG) ist es verboten, Kulturgut, das abhandengekommen ist, "in den Verkehr zu bringen", z.B. durch Auktion, und § 40 Abs. 2 KGSG stellt klar, dass die Verletzung dieses Verbots sowohl Verpflichtungs- als auch Verfügungsgeschäft nichtig sein lässt. Zum Schutz des Käufers sieht § 40 Abs. 4 KGSK vom Bestand des Kaufvertrags unabhängige Schadensersatzansprüche vor. 

Grisebach GmbHVielfach wird aber für eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs von § 40 Abs. 2 KGSG plädiert: Der Gesetzgeber habe das Versteigerungsprivileg nicht abschaffen wollen. Dies sei allenfalls aus Versehen passiert. Sonst hätte er sich in den Gesetzesmaterialien dazu verhalten. Ergänzend wurde dazu sogar vorgetragen, der Auktionshandel breche ohne Versteigerungsprivileg zusammen. Kann das wirklich sein? Dies würde bedeuten, dass substanzielle Mengen der hierzulande versteigerten Objekte abhanden gekommene sind. 

Nach anderer Auffassung entspricht auch und gerade die Abschaffung des Versteigerungsprivilegs exakt der Teleologie des KGSG, den Handel mit Kulturgütern illegitimer Provenienz einzudämmen, so dass eine Reduktion des § 40 Abs. 2 KGSG zur Aufrechterhaltung des Versteigerungsprivilegs entgegen dem Gesetzeswortlaut der Verwirklichung der Teleologie des KGSG unmittelbar zuwider liefe. In jedem Fall handelt es sich um eine zentrale Streitfrage zum Kulturgutschutzgesetz, gerade hierzu wäre eine gerichtliche Klärung besonders wünschenswert. Auf methodischer Ebene dürften dabei die besseren Gründe gegen eine teleologische Reduktion sprechen. Der Gesetzgeber mag nachbessern, wenn er dies für geboten hält. 

Selbst wenn aber die Gerichte feststellen, dass das Versteigerungsprivileg fortbestehe, bliebe noch zu klären, ob der Ersteigerer hier seinerseits gutgläubig war. Insoweit stellen sich verschiedene Fragen: Kann man überhaupt bösgläubig werden durch eine unmittelbar kaum überprüfbare aktivistische Rechtsbehauptung in oder kurz vor der Versteigerung? Muss man Tweets eines eventuellen Eigentumsprätendenten kennen? Muss das Auktionshaus ihm kurz zuvor bekannt gewordene Einwände dem Saal vor Aufruf mitteilen? Welche Bedeutung hat es, wenn während der Auktion ein Polizeieinsatz zu beobachten ist? Und schließlich: Welche Relevanz hätten Einträge des Objekts in einschlägigen Datenbanken? Nach dem Tweet des polnischen Konsuls soll das Kunstwerk in der Interpol-Datenbank "Stolen Works of Art Database" gelistet worden sein.

Was passierte 1940 mit dem Bild?

Zum Schluss sei noch angemerkt: Fragen zur Provenienz des Werkes ergeben sich auch für den Zeitraum vor dem behaupteten Diebstahl in den 1980er Jahren. Ursprünglich gehörte es nämlich dem Braunschweiger Sammler Otto Ralfs, der das Bild 1928 von Kandinsky zum Geburtstag erhalten hatte, wie die handschriftliche Widmung Kandinskys auf dem Blatt zeigt. 

Für den Zeitraum von 1940 bis 1965 ist die Provenienz des Werkes laut Katalogangaben ungeklärt – trotz erhöhter Pflicht des gewerblichen "Inverkehrbringers" zur Erforschung der Provenienz bei Raubkunstverdacht gem. § 44 Nr. 1 KGSG. Ging das Werk in dieser Zeit möglicherweise im Zusammenhang mit dem NS-Regime verloren? Eigentumsrechtliche Konsequenzen hätte dies heute wohl nicht mehr, vor allem wegen der naheliegenden Ersitzung durch Maren Otto. Die moralische Perspektive stünde auf einem anderen Blatt, ebenso die rechtliche Frage danach, wie sich gegebenenfalls erhöhte Sorgfaltsanforderungen bei Raubkunst dann in concreto bemessen würden und ob das Auktionshaus diesen gerecht geworden wäre. Sollte sich der Verdacht eines NS-verfolgungsbedingten Verlustes erhärten und wäre er nur aufgrund von Sorgfaltspflichten des Auktionshauses im Zeitpunkt des Zuschlags verborgen geblieben, wäre dies im Übrigen wohl ein Sachmangel ("schlechte Provenienz"), nach anderer Auffassung eine vorvertragliche Pflichtverletzung.

Auktionshaus will angeblich gerichtliche Klärung herbeiführen, verrät aber nicht wie. picture-alliance | Kai-Uwe Heinrich TSP

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Wie die "gerichtliche Klärung" herbeiführen?

Alle diese Fragen ließen sich allerdings nur dann durch Grisebach gerichtlich klären, wenn das Auktionshaus eine geeignete Klageart findet. Man kann natürlich – mit Blick auf eventuelle eigene Haftungsrisiken – an eine Feststellungsklage denken, hinreichendes Feststellungsinteresse vorausgesetzt, oder aber eben an Schadensersatzansprüche, etwa aus Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, innerhalb derer dann die Vorfrage der Eigentümerstellung zu klären wäre.

Denn die Rechtswidrigkeit des Eingriffs dürfte davon abhängen, ob ein Eigentümer zur Verteidigung seines durch die Versteigerung gefährdeten Eigentums und damit rechtmäßig interveniert oder aber eben ein Nichteigentümer, und sei es auch der frühere Eigentümer, die Versteigerung stört. 

Oder aber Grisebach gewinnt den Einlieferer oder den Ersteigerer für eine Klage gegen Polen. Vielleicht beschreitet ja auch Polen den Rechtsweg. Dies wäre ohnehin eher anzuraten gewesen, einschließlich der Instrumente des einstweiligen Rechtsschutzes (mit entsprechenden Haftungsrisiken) als aktivistische Interventionen, wenn es wirklich um das Recht und nicht um politische Signale gehen sollte. Am wahrscheinlichsten dürfte ohnehin eine Verhandlungslösung sein – wenn überhaupt weitere Schritte folgen. 

Auktionsrecht alles andere als "perfekt austarierte Komposition"

Die Ankündigung einer "gerichtlichen Klärung" durch Grisebach könnte sich auch schlicht als Kommunikationsstrategie des Auktionshauses zur Entschärfung der Situation erweisen. 

Für die Fortentwicklung des Auktionsrechts wären allerdings Gerichtsentscheidungen in den hier aufgeworfenen Fragen wünschenswert, denn anders als Kandinskys Werk nach seiner Beschreibung im Auktionskatalog zeigt das deutsche Kunstmarktrecht in diesem Bereich derzeit alles andere als eine "perfekt austarierte Komposition". 

 

Universität BonnProf. Dr. Matthias Weller ist Inhaber der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Professur für Bürgerliches Recht, Kunst- und Kulturgutschutzrecht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

Zitiervorschlag

Polen behauptet Diebstahl gegenüber Auktionshaus Grisebach: Wem gehört der versteigerte Kandinsky? . In: Legal Tribune Online, 28.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50583/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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