Art. 21 GG bildet seit 70 Jahren die Grundlage der Parteiendemokratie. Er wird auch einen sicheren Rechtsrahmen für aktuelle und künftige Entwicklungen bieten, meint Sebastian Roßner.
Blitzblank und brandneu, eine der modernsten konstitutionellen Normen weltweit: Das war Art. 21 Grundgesetz (GG), als dieses am 23. Mai 1949 in Kraft trat. Die Norm verankerte die politischen Parteien direkt in der Verfassung. Sie rückten damit auch rechtlich dorthin, wo sie in der politischen Wirklichkeit demokratischer Staaten schon längst angekommen waren, nämlich ins Zentrum des Geschehens. Art. 21 GG markiert so eine Wendemarke in der Geschichte der Parteien.
Kaum eine Organisationsform hatte, zuerst ab dem 17. Jahrhundert in England, dann, seit dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert im übrigen Europa und in den USA, eine derartige politische Karriere gemacht wie die politische Partei. Ihr Aufstieg war aufs Engste mit dem Siegeszug der Parlamente verbunden; die Parteien sind wahre Töchter des Parlamentarismus. Denn je erfolgreicher die Parlamente darin waren, den Monarchen ein Vorrecht nach dem anderen zu entwinden, desto wichtiger wurde es, innerhalb der Volksvertretungen Mehrheiten zu organisieren. Es entstanden parlamentarische Clubs und Fraktionen, die diese Aufgabe viel verlässlicher erledigten, als jeweils ad hoc getroffene Vereinbarungen.
Diese innerparlamentarischen Organisationen wuchsen dann aus den Parlamenten in die Wählerschaft hinein, denn auch im Wettkampf um die Stimmen der Wähler brachte es, wie die Parlamentarier rasch merkten, große Vorteile, sich zu organisieren und seine Kräfte zu bündeln. Damit bildeten sich – ganz den Gesetzen des politischen Wettbewerbs folgend - die ersten politischen Parteien als Vereinigungen von Bürgern, die mit eigenen Kandidaten zu staatlichen Wahlen antreten.
Parteien mussten Widerstände überwinden
Sie hatten es dabei nicht leicht. Nur in England wurde, wie die deutsch-amerikanische Publizistin Hannah Arendt bemerkte, weder das Parlament verachtet noch den Parteien misstraut. Im übrigen Europa dagegen vollzog sich der Aufstieg der Parteien gegen manchmal massive Widerstände. Sie wurden verachtet, rechtlich diskriminiert, teilweise wurden die Parteimitglieder durch den Staat persönlich verfolgt.
In Deutschland gab es erst in der Weimarer Republik Ansätze, die Parteien zumindest mittelbar verfassungsrechtlich anzuerkennen. So setzte die in den Art. 17 und 22 der Weimarer Reichsverfassung für die Länder und das Reich vorgeschriebene Verhältniswahl voraus, dass Parteien an der Wahl mitwirkten, indem sie Kandidatenlisten aufstellten. Folgerichtig erkannte der Staatsgerichtshof auch die Beteiligtenfähigkeit der Parteien an, sofern es um Fragen der Wahlgleichheit ging. Die kurzlebige Verfassung des Landes Baden von 1947 machte dann als Vorläufer von Art. 21 GG den Schritt, die Parteien ausdrücklich verfassungsrechtlich anzuerkennen.
Art. 21 GG ging 1949 schließlich aus intensiven Beratungen im Parlamentarischen Rat hervor, die von dem Wunsch geprägt waren, sich in dreifacher Hinsicht zu distanzieren. Zunächst von dem nationalsozialistischen Modell eines Führerstaates, der alle konkurrierenden Parteien ausschaltete. Dann aber auch von der Dominanz SED in der sowjetischen Besatzungszone, die die übrigen Parteien in das Blocksystem zwang und marginalisierte. Schließlich wollte man sich von der Weimarer Republik abgrenzen, deren Niedergang sowohl die Herrschaft der Nationalsozialisten wie der SED erst möglich machte. Als ursächlich für diesen Niedergang sah man unter anderem die Schwäche des Weimarer Parteiensystems an.
Die Gefahr des Geldes
Das erste, was der Parlamentarische Rat aus diesem Befund folgerte, war, ein demokratisches Mehrparteiensystem in die Verfassung zu schreiben. Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG verknüpft die Parteien daher mit dem Grundsatz von Demokratie und Volkssouveränität und weist ihnen von Verfassungs wegen die Aufgabe zu, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, womit auch vorausgesetzt wird, dass es mehrere Parteien gibt.
Darüber hinaus verpflichtete man die Parteien in Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG auch auf die innerparteiliche Demokratie. Mit dieser Innovation grenzte sich das Grundgesetz von demokratischen Modellen ab, die rein auf die Parteienkonkurrenz setzen, wie sie der amerikanische Politologe E. E. Schattschneider 1942 mit seinem Diktum "democracy is not found in the parties but between the parties" auf den Punkt brachte. Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG soll demgegenüber den demokratischen Prozess bereits an seinem Ausgangspunkt sichern.
In dieselbe Kerbe schlägt auch Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG. Der Parlamentarische Rat nahm die Gefahr des großen Geldes für die Demokratie ernst und gab den Parteien auf, über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft abzulegen. Es sollte Industriekapitänen, Oligarchen oder anderen finanzstarken Interessenten nicht möglich sein, Parteien heimlich am goldenen Zügel zu führen. Diese Rechenschaftspflicht wurde dann mit der ersten Änderung des Parteienartikels im Jahr 1983 in Reaktion auf die "Flick-Affäre" auch auf die Verwendung der Mittel und den Vermögensbestand der Parteien ausgeweitet.
Nur das BVerfG darf Parteien verbieten
Um sicherzustellen, dass der Staat die Parteien nicht gängelt oder gar steuert, gewährleistet Art. 21 GG die Freiheit der Parteien. Diese schützt sie und ihre Mitglieder vor möglichen Übergriffen der Exekutive, aber auch des Gesetzgebers. Von ihrer Gründung bis zu ihrer Auflösung dürfen die Parteien sich politisch frei betätigen. Diese Freiheit wurde prozessual in Art. 21 Abs. 2 GG dadurch abgesichert, dass, anders als dies bei den übrigen Vereinigungen nach Art. 9 Abs. 2 GG der Fall ist, nur das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Parteien wegen Verfassungswidrigkeit verbieten und auflösen darf. Diese Kombination von Parteienfreiheit und Verbotsmonopol des BVerfG wurde bislang so ausgelegt, dass der Staat eine Partei nicht aus politisch-inhaltlichen Gründen belasten oder benachteiligen darf, es sei denn durch ein Verbot.
Mit dem neuen, 2017 in Kraft getretenen Art. 21 Abs. 3 GG hat sich dies geändert. Nach dieser Norm, die ungewöhnlicherweise auf eine öffentliche Anregung des BVerfG hin geschaffen wurde, darf Parteien, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, aber nicht die Bedeutung haben, welche nach der Rechtsprechung des BVerfG für ein Verbot erforderlich ist - das Gericht spricht dabei von "Potentialität" -, durch ein verfassungsgerichtliches Urteil gemäß Art. 21 Abs. 4 GG die staatliche Finanzierung entzogen werden.
Diese Verfassungsänderung ist bedenklich. Ausgangspunkt war, dass sich die Hürden für ein Parteiverbot im zweiten NPD-Urteil von 2017 als quasi unüberwindlich erwiesen haben. Es ist zwar schwer einzusehen, verfassungsfeindliche Kleinparteien, die nur wegen ihrer fehlenden Potentialität nicht verboten werden können, dennoch weiter staatlich zu finanzieren. Aber einem Teil der politischen Parteien die staatlichen Mittel zu entziehen, greift potenziell stark in den politischen Wettbewerb ein und kann so die Gleichheit der Wahl gravierend beeinträchtigen.
Schließlich sichert Art. 21 GG auch die Gleichheit der Parteien, die nach Ansicht des BVerfG aus einer Kombination mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art 3 Abs. 1 GG herzuleiten ist. Hier finden die meisten Kämpfe im Rahmen von Art. 21 GG statt, denn es geht dabei meist unmittelbar um die Chancen der Parteien im politischen Wettbewerb. Neben der Frage, wie das Wahlrecht auszugestalten sei, geht es etwa um Sendezeiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder um die oft hart umkämpfte Frage, ob eine Partei öffentliche Gebäude für ihre Veranstaltungen nutzen darf.
Der Nerv auch der politischen Dinge aber ist das Geld. So ist es ein ewiger Streitpunkt, wie staatliche Subventionen an die Parteien zu verteilen sind. Diese Frage hat sogar manchmal das BVerfG zu Grundsatzentscheidungen genötigt. So ist das Parteiengesetz 1967 geschaffen worden, weil das Gericht eine staatliche Finanzierung ohne gesetzliche Grundlage nicht zulassen wollte. Auch sonst wird in Finanzierungsdingen oft der Gesetzgeber direkt gefordert, der aber in diesen Fragen keinesfalls neutral ist.
Wenn die GroKo-Parteien weiter schrumpfen
Bisher hat sich der verfassungsrechtliche Rahmen bewährt, den Art. 21 GG den Parteien bietet. Im Parteiensystem selbst sind aber Ermüdungs- und Erosionserscheinungen nicht zu übersehen: CDU und SPD, die bisher alle Kanzler der Bundesrepublik gestellt haben, leiden schon länger daran, dass ihre Mitgliederbasis altert und erheblich schrumpft. Dieser Abwärtstrend hat mittlerweile auch die Wahlurnen erreicht, wovon Konkurrenten auf dem äußeren linken und mittlerweile vor allem auf dem rechten Flügel profitieren. Soweit diese Entwicklungen aus dem Wettbewerb der Parteien resultieren, haben sie das Recht normalerweise nicht zu interessieren.
Sofern sie aber damit zusammenhängen, dass die Bürger und Parteimitglieder in ihren Erwartungen enttäuscht wurden, in den Parteien wirkungsvoll politisch partizipieren zu können, betrifft dies auch den rechtlichen Rahmen. Der aber ist weit, den Parteien stehen viele Wege offen, ihre Mitgliedschaft zu aktivieren oder neue Mitglieder zu werben, etwa durch mehr innerparteiliche Basisdemokratie.
Es gibt jedoch Anzeichen, dass sich das Parteiensystem wandelt, weil größere Bevölkerungsgruppen sich generell von den etablierten politischen Eliten abwenden. Für dieses oft unter dem Begriff des "Populismus" zusammengefasste Phänomen könnten neben der deutschen AfD auch die Gilets jaunes in Frankreich, die Lega und die Cinque Stelle in Italien oder Donald Trump in den USA als Beispiele angeführt werden. Trifft diese These einer partiellen Entfremdung zwischen Bürgern und Politik in einem großen Teil der westlichen Demokratien zu, dürfte es nur sehr beschränkt möglich sein, mit rechtlichen Mitteln eine Wiederannäherung zu fördern. Art. 21 GG bietet mit der Anerkennung der Parteien und den klugen Grundsätzen von innerparteilicher Demokratie und finanzieller Transparenz hierfür immerhin eine gute Basis.
Der Autor Dr. Sebastian Roßner arbeitet für die Kanzlei LLR in Köln. Einer seiner Schwerpunkte ist das Staats- und Verfassungsrecht.
Parteien in der Verfassung: . In: Legal Tribune Online, 21.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35493 (abgerufen am: 10.11.2024 )
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