Anwalt, Bewerbung, AGG – das ist der Stoff, aus dem Ärger gemacht ist. Dabei wollte ein Mainzer Anwalt nur eine personelle Verstärkung. Seine Stellenanzeige brachte ihm aber erst mal eine Klage aus AGG und DSGVO. Das ArbG Mainz wies sie ab.
"Wir kennen uns ja schon". Gut gelaunte Worte klingen anders als diese an den Kläger gerichteten Begrüßungsworte von Dr. Wolfgang Kopke. Der Vorsitzende Richter am Arbeitsgericht (ArbG) Mainz wird mit seiner Kammer einen Entschädigungsanspruch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verhandeln. Kläger ist der ihm schon bekannte Fachanwalt für Arbeitsrecht aus München, Beklagter ein Einzelanwalt aus Mainz. Die schlechte Stimmung wird an diesem Montag bleiben.
Der Mainzer Anwalt T. ist spezialisiert auf Arbeitnehmerüberlassung. Für seine Kanzlei in Mainz sucht er Verstärkung: Die Überschrift seiner Stellenanzeige lautet: "Arbeitsrecht – Rechtsanwälte (m/w/d) mit erster Berufserfahrung." Es gehe um die Beratung und Vertretung im Arbeitsrecht, schreibt er weiter, "hierzu bringen Sie im besten Fall erste Berufserfahrung mit”. Auf diesen Satz soll es noch ankommen.
Der Münchner bewarb sich, die beiden Männer hielten ein Bewerbungsgespräch per Videocall ab. "Er hatte gar kein Interesse an der Bewerbung", beschreibt T. in der mündlichen Verhandlung. Schon zu Beginn des Gesprächs habe der Münchner nicht darlegen können, wie er auf die Stelle aufmerksam geworden sei. T. habe auch nicht den Eindruck bekommen, dass er seinen Lebensmittelpunkt nach Mainz verlegen wolle.
T. sagte dem Bewerber ab, der klagte. Erst auf Entschädigung nach AGG, dann auch auf Auskunft und Entschädigung nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Der inzwischen anfang-50-jährige Münchner stört sich an der Formulierung "erste Berufserfahrung", das sei eine Altersdiskriminierung. Außerdem habe T. keine AGG-Beschwerdestelle eingerichtet. Aus DSGVO verlangte er zudem die Information, welche Daten über ihn nun bei T. gespeichert sind.
Ernsthaftigkeit der Bewerbung
Im Vorfeld hatte der Kläger selbst noch einen Vergleich mit einer Zahlung durch den Beklagten an eine gemeinnützige Organisation vorgeschlagen. An diesem will der Kläger in der Verhandlung nicht mehr festhalten, weil "schmutzige Wäsche gewaschen" worden sei.
Der Vorsitzende macht dann nur noch wenige Anmerkungen, u.a. zu den vielfältigen Ausführungen im Schriftsatz. In dem muss der Kläger neben der Benachteiligung ausführen, dass er die ausgeschriebene Stelle ernsthaft hätte haben wollen. Doch in der Darlegung erschöpfen sich die Ausführungen nicht: "Sie schreiben von dem Kommentar einer Richterin, die Sie für die Fortentwicklung des Rechts des AGG gelobt habe. Warum führen Sie das an, wenn Sie behaupten, es sei eine ernsthafte Bewerbung?" Er habe das nur erwähnt, erwidert der Kläger. Das Lob sei am Rande einer Fortbildungsveranstaltung ausgesprochen worden. Dieser Sachvortrag habe aber keinen Bezug zur Bewerbung. Schnell geht über zu allgemeinen Ausführungen: Es sei "beschämend, auch in der EU, dass Menschen so behandelt werden".
Der beklagte Mainzer Anwalt hält die Bewerbung wegen des gesamten Verhaltens des Klägers schon nicht für ernsthaft; jedenfalls sei die Bewerbung rechtsmissbräuchlich. "Sie sehen da eine größere Sache in dem Thema", sagt er zum Kläger mit Blick auf die angesprochene Rechtsfortbildung. "Das kann aber nicht dazu führen, dass Sie andere mit solchen Ansprüchen belangen". Für ihn sei das Verhalten auch strafrechtlich relevant, das sei ggf. versuchter Prozessbetrug.
Altersdiskriminierung oder Rechtsmissbrauch?
In der Sache setzt ein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 AGG eine rechtwidrige Benachteiligung voraus, der kein Einwand wie etwa der eines Rechtsmissbrauchs entgegensteht. Die Ungleichbehandlung muss dabei wegen einem der in § 1 AGG genannten Diskriminierungsmerkmale erfolgt sein, z.B. Geschlecht oder wie hier Alter. Dabei genügt bereits eine Mitursächlichkeit des Merkmals für die Benachteiligung.
Es wäre ausreichend, dass der Kläger Indizien vorträgt, aus denen hervorgeht, dass es auch nur ein bisschen am Alter lag, dass er den Job nicht bekommen hat. Dann kommt es zu einer Beweislastumkehr und es obliegt wiederum dem Beklagten, darzulegen, dass er nicht diskriminiert hat, § 22 AGG. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) und das Bundesarbeitsgericht (BAG) stellen in diesen Sachverhalten auf eine Gesamtschau ab: Alle Umstände des Rechtsstreits sind danach in einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen.
BAG und "erste Berufserfahrung"
Auch konkret zu der Formulierung, um die in Mainz vor allem geht – "erste Berufserfahrung" in einer Stellenanzeige – hat das BAG bereits entschieden. Der Achte Senat urteilte, dass dieser Begriff ebenso wie die Bezeichnung "Berufsanfänger" in Stellenanzeigen nicht zwingend den Schluss zulasse, dass der Arbeitgeber nur Personen eines bestimmten Lebensalters ansprechen und andere ausschließen wollte. Die Anforderung bereits vorhandener erster einschlägiger Berufserfahrung in einem bestimmten Rechtsgebiet sei altersunabhängig, da entsprechende Berufserfahrung in jedem Alter gemacht werden könne. Wenn die Stellenausschreibung auch Berufsanfänger anspreche, liege darin allenfalls eine Öffnung des Bewerberverfahrens für Jüngere, aber keine Benachteiligung Älterer (BAG, Urt. v. 26.1.2017, 8 AZR 73/16).
So bewertete es im Ergebnis auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln in Bezug auf die Formulierung "erste Führungserfahrung" – auch darin sah das Gericht keine Diskriminierung (Urt. v. 20.06.02024, Az. 6 Sa 632/23).
Auch das ArbG Mainz hat nun diese Klage umfassend abgewiesen, der Kläger bekommt weder eine Entschädigung aus AGG noch Schadensersatz aus der DSGVO (Urt. v. 03.02.2025, Az. 8 CA 1266/24). Die genaue Begründung des ArbG Mainz wird sich erst in einigen Wochen aus der Urteilsbegründung ergeben.
Kläger ist Experte für AGG
"Mir fällt ein Stein vom Herzen", sagt der beklagte Mainzer Anwalt gegenüber LTO. Für ihn war es das erste Mal, dass er wegen eines AGG- bzw. DSGVO-Vorwurfs verklagt wurde.
Den wievielten Anspruch der Kläger geltend machte, weiß nur dieser selbst. In Kreisen von Arbeitsrechtlern wird jedenfalls der Begriff "AGG-Hopper" mit ihm in Verbindung gebracht. Vereinzelt ist von abgeschlossenen Vergleichen zu hören – selbst von einer in Anspruch genommenen Wirtschaftskanzlei. Die Gründe sind vielfältig: Ein kleiner Vergleich ist günstiger als ein langwieriger Rechtsstreit, ein Verfahren bindet Personal, schon der Anschein eines AGG-Verstoßes kann negativ wirken, tatsächlich gemachte Fehler in Ausschreibungen sollen nicht öffentlich werden.
Zweifellos hat der Kläger auch bereits erfolgreich auf AGG-Entschädigung geklagt, sein bekanntestes Verfahren ist wohl das gegen die r+v-Versicherung. In einem anderen öffentlich bekannten AGG-Verfahren unterlag der Mann wegen des Einwands des Rechtsmissbrauchs (z.B. BAG, Urt. v. 25.10.2018, Az. 8 AZR 562/16).
Jüngst trat der Münchner zudem vor dem BAG als Anwalt eines Mannes auf, der auf Entschädigung wegen Geschlechtsdiskriminierung aus AGG klagte und das Verfahren bis zum BAG trieb. Das BAG entschied in der Gesamtschau der Umstände, dass die Geltendmachung des Anspruchs rechtsmissbräuchlich war.
Gegen den Münchner ist wegen der AGG-Klagen noch immer ein Strafverfahren wegen des Verdachts des Betruges anhängig. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, sich auf Jobs beworben zu haben, ohne diese tatsächlich antreten zu wollen. So hätte er sich über Entschädigungsklagen nach dem AGG eine Einnahmequelle verschafft. Allerdings hatte der Bundesgerichtshof eine Verurteilung der Vorinstanz aufgehoben. Seit der Zurückverweisung ist nicht neu terminiert. Zuletzt hieß es, die Akten befänden sich bei der Staatsanwaltschaft/Kriminalpolizei zur Durchführung von Nachermittlungen.
Zweites Vorgehen über DSGVO
Auch den DSGVO-Anspruch machte er im Mainzer Verfahren nicht das erste Mal geltend. So sprach ihm das LAG Düsseldorf 1.000 Euro aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu (Urt. v. 10.04.2024, Az. 12 Sa 1007/23). Danach haben Geschädigte bei einem Verstoß gegen die DSGVO ein Anspruch auf Schadensersatz. Die beklagte Körperschaft hatte dem Kläger nicht mitgeteilt, dass jemand den Namen des Klägers im Bewerbungsverfahren gegoogelt hatte, so dass dieser auch keine Möglichkeit zur Stellungnahme bekommen hatte. Ob es dabei bleibt, wird sich noch zeigen: Die Revision wird am 27. März am BAG in Erfurt verhandelt (8 AZR 117/24).
Die Kanzlei Loschelder hatte vor einem Jahr abstrakt berichtet, dass es einen Trend gebe, nach erfolglosen Bewerbungen auch diesen Anspruch geltend zu machen. Dabei gehe es zunächst um die Auskunft an den DSGVO-Verantwortlichen, welche Daten von den Bewerber:innen im Bewerbungsverfahren verarbeitet wurden. Typischerweise werde eine Gesamtaufstellung der Daten (einschließlich des Ablehnungsgrundes) sowie ein Screenshot des HR-Programms gefordert. Eine Kopie der verarbeiteten Daten ist dann innerhalb eines Monats beizubringen. Abgelehnte Bewerber:innen hofften dabei auf unvollständige oder verfristete Auskünfte. Darauf folge dann regelmäßig die Geltendmachung des Anspruchs auf Schadensersatz nach § 82 DSGVO.
Um Stellungnahme gefragt gibt auch Michaela Felisiak, Arbeitsrechtsanwältin bei Eversheds in München, an, solche Fälle zu kennen. Bei einer gleichzeitigen AGG-Klage empfiehlt sie, die Auskunft nach der DSGVO zeitweise, bis zum Abschluss von Gerichtsverfahren, nicht zu erteilen. Felisiak: "Die anfragende Person sollte über die Gründe informiert werden. Anknüpfungspunkt für eine zeitweise Verzögerung der Auskunft ist Erwägungsgrund 4 der DSGVO, der das 'Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren' sichert. Wenn AGG-Kläger:innen sofort eine Auskunft erhielten, hätte dies unweigerlich Auswirkungen auf die Darlegungslast und die damit eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten, was die DSGVO nicht bezweckt."
Für den Mainzer Beklagten ist nun vorerst Ruhe. In rund zwei Monaten wird sich zeigen, ob der Kläger im Mainzer Verfahren Berufung einlegt.
ArbG Mainz zu "erster Berufserfahrung" und DSGVO: . In: Legal Tribune Online, 04.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56510 (abgerufen am: 11.02.2025 )
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