Die FDP pocht auf einer Flexibilisierung der Arbeitszeit. Gehört der Acht-Stunden-Tag bald der Vergangenheit an? Arbeitsrechtler erläutern, was gesetzlich möglich ist.
Die Spitzen der Ampel haben sich verständigt. Mitte Juli soll im Kabinett gemeinsam mit dem Haushalt eine Wachstumsinitiative verabschiedet werden. Darin findet sich auch eine Formulierung, die Arbeitsrechtler auf den Plan rufen: Die Ampel möchte eine Flexibilisierung der Tageshöchstarbeitszeit. Im Grunde ist die Formulierung bekannt: Sie findet sich wortwörtlich im Koalitionsvertrag von 2021.
Dort heißt es: Wir wollen "Gewerkschaften und Arbeitgeber dabei unterstützen, flexible Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen. Wir halten am Grundsatz des 8-Stunden-Tages im Arbeitszeitgesetz fest. Im Rahmen einer im Jahre 2022 zu treffenden, befristeten Regelung mit Evaluationsklausel werden wir es ermöglichen, dass im Rahmen von Tarifverträgen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen und in einzuhaltenden Fristen ihre Arbeitszeit flexibler gestalten können. Außerdem wollen wir eine begrenzte Möglichkeit zur Abweichung von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit schaffen, wenn Tarifverträge oder- Betriebsvereinbarungen, auf Grund von Tarifverträgen, dies vorsehen (Experimentierräume)."
Im Dokument zur geplanten Wachstumsinitiative lautet der Punkt nun: "Die Bundesregierung wird eine begrenzte Möglichkeit zur Abweichung von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit schaffen, wenn Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen auf Grund von Tarifverträgen dies vorsehen. Die Regelung wird befristet und evaluiert. Wir wollen bei der Weiterentwicklung des Arbeitsrechts Vertrauensarbeitszeit auch zukünftig möglich machen."
Das sind also alles keine neuen Themen. Gleichwohl wittert die FDP nun die Chance auf eine Beendigung des Acht-Stunden-Tages.
Entfernt sich die Praxis vom geltenden Recht?
Dieser ist im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) geregelt und gilt für alle Arbeiter, Angestellte und Auszubildende, u.a. leitende Angestellte sind von der Anwendung ausgeschlossen, § 18 ArbZG. Nach § 3 ArbZG darf die werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden grundsätzlich nicht überschritten werden. Sie kann nur dann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Auch die Ruhezeit ist klar geregelt: Gem. § 5 ArbZG müssen Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben.
"Bei einer Fünf-Tage-Woche sind so schon nach geltendem Recht bis zu 9,6 Stunden Arbeit am Tag möglich", erläutert Ruben Plambeck, Anwalt bei der Arbeitsrechtboutique Vangard. Denn bezogen auf eine Sechs-Tage-Woche läge man dann im Schnitt immer noch bei acht Stunden Arbeit pro Tag (Rechnung: 9,6 Stunden x 5 Arbeitstage ./. 6 Werktage = 8 Stunden/Tag).
Die Praxis sieht regelmäßig extremer aus: "Leider gibt es immer mehr Fälle, in denen das Gesetz nicht eingehalten wird, beispielsweise, wenn Beschäftigte in der Freizeit erreichbar sein oder unbezahlte Überstunden leisten sollen", heißt es beim Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Eine Befragung des DGB habe gezeigt, dass diese Erwartung in der Praxis zunehme.
Das betrifft auch Anwaltskanzleien. Es ist ein offenes Geheimnis, dass das ArbZG dort schlichtweg häufig nicht eingehalten wird, obwohl das Gesetz auch für angestellte Anwält:innen gilt – entsprechend kritisierten auch aus der Branche Arbeitgebende seit Jahren die starren Vorgaben.
SPD: Tarifverträge beinhalten Flexibilisierung
Die FPD fordert, Änderungen an den Regeln vorzunehmen. Kürzlich sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Lukas Köhler dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Der Acht-Stunden-Tag ist ein fossiles Dogma aus einer Zeit, in der die Sorge vor Ausbeutung massiv war. Aber die Zeiten haben sich geändert. Das Arbeitszeitgesetz kommt aus einer Welt, in der es kein Homeoffice gab. Kaum jemand hält dieses Acht-Stunden-Dogma in seinem Arbeitstag noch durch."
So hatte auch nur die FDP einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion vom Februar im Bundestag unterstützt, mit den diese von der Bundesregierung einen Gesetzesvorschlag für die Einführung einer wöchentlichen statt täglichen Höchstarbeitszeit forderten. Die anderen Parteien lehnten den Antrag allerdings ab und kritisierten eine einseitige Parteinahme zugunsten der Interessen der Arbeitgeber.
Der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Martin Rosemann, teilte am Montag gegenüber LTO mit: "Bei der Flexibilisierung der Arbeitszeiten lassen die Tarifverträge weitreichende Möglichkeiten zu. Diese sollten zunächst ausgeschöpft werden. Die Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg zum Beispiel setzt flexible Arbeitszeitmodelle erfolgreich um. Grenzen sehen wir als SPD dort, wo die Gesundheit der Beschäftigten gefährdet wird. Eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten darf nicht dazu führen, dass Beschäftigte krank werden. Das wäre auch nicht im Interesse der Arbeitgeber. Deshalb haben wir in der Koalition Experimentierklauseln verabredet, die wir verantwortungsvoll umsetzen werden."
Gesetzlich vieles möglich
Möglich wäre eine Änderung des ArbZG allerdings. "Bei der Ausgestaltung der Vorgaben zur Arbeitszeit muss der deutsche Gesetzgeber vor allem die Regeln der Arbeitszeitrichtlinie der EU im Blick haben", so Anwalt Plambeck.
Die europarechtlichen Regelungen sind deutlich weiter als die deutschen. Die Arbeitszeitrichtlinie erfordert lediglich eine Ruhezeit von elf Stunden innerhalb eines 24-Stunden-Zeitraumes, eine tägliche Höchstarbeitszeit ist – außer für Nachtarbeit –nicht formuliert. Die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum darf allerdings 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreiten. "Insofern wäre eine Auflockerung des starren Acht-Stunden-Tages mit der Richtlinie vereinbar und nach oben genannter Berechnung auch aktuell schon möglich", sagt Plambeck.
Arbeitsrechtler halten eine Änderung der bestehenden Konzeption für "dringend geboten, allerdings dürfen dabei die Persönlichkeitsinteressen der Arbeitnehmer nicht unter die Räder kommen, was wesentlich durch kollektivrechtliche Flankierung zu gewährleisten ist", sagt etwa Prof. Dr. Georg Annuß von der Arbeitsrechtsboutique Pusch Wahlig Workplace Law (PWWL). "Allerdings reichen die gegenwärtigen, sich innerhalb des europäischen Rahmens bewegenden Vorschläge nicht aus. Vielmehr geht es darum, sowohl die deutsche als auch die EU-Arbeitszeitregulierung aus ihrem paternalistischen Grundansatz zu lösen und freiheitlich zu konstruieren. Das würde zu wesentlich größeren – gesellschaftlich sinnvollen – Gestaltungsspielräumen führen, als die FDP sie gegenwärtig vorschlägt."
Auch Frauke Biester, Partnerin bei der Arbeitsrechtsboutique Vangard in Düsseldorf, meint: "In der heutigen Zeit, geprägt von neuen Technologien und einer globalen Wirtschaft, stoßen traditionelle Arbeitszeitschablonen wie 9 bis 12 Uhr oder 9 bis 17 Uhr an ihre Grenzen". Die Fachanwältin für Arbeitsrecht berichtet: "Sowohl Arbeitgeber als auch Mitarbeitende fordern vermehrt Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung, da der Arbeitsanfall oft unvorhersehbar ist." Diese Flexibilisierung könne zudem nicht nur den Herausforderungen bei der Kinderbetreuung entgegenkommen, sondern auch den Wünschen der Menschen nach selbstbestimmter und bedarfsgerechter Arbeit gerecht werden. "Es ist an der Zeit, die Arbeitszeitmodelle an die aktuellen Anforderungen anzupassen und den Bedürfnissen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleichermaßen gerecht zu werden. Und dies bitte unabhängig von einer Tarifbindung", so die Anwältin gegenüber LTO.
Der DGB hingegen gibt sich kompromisslos: "Die tägliche Arbeitszeit darf nicht verlängert werden. Der Acht-Stunden-Tag wird durch die Wissenschaft bestätigt und hat sich bewährt".
Arbeitszeiterfassung ist ein anderes Thema
Mit der Arbeitszeit kommt auch die Diskussion über die Arbeitszeiterfassung wieder auf. Die Bundesregierung ist längst gefordert, ein entsprechendes Gesetz vorzulegen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 14.05.2019, Az.: C-55/18) steht seit Jahren fest, dass die Arbeitszeiten erfasst werden müssen. Das BAG selbst legte in der Folge fest, "wie" die Zeiten zu erfassen sind. Danach müssen Arbeitgeber "die Lage, Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit" erfassen (BAG, Beschl. v. 13.09.2022, Az. 1 ABR 22/21) - nur damit ist ein Schutz der Beschäftigten sicherzustellen.
Welche genauen Arbeitszeiten das aber sind, entscheidet der Gesetzgeber. Und der hat bislang noch keinerlei Pläne auf den Weg gebracht.
Weiteren Schwung in die Diskussion um Arbeits- und Ruhezeiten könnte der Deutsche Juristentag (djt) im September in Stuttgart bringen, bei dem das Thema nach Informationen von LTO diskutiert werden wird. Bei der Debatte um die Arbeitszeit und ihre Unterbrechungen hatten die versammelten Experten noch im Jahr 2015 auf dem djt konstatiert, dass die Ruhezeiten auch nicht durch das Schreiben einer einzigen dienstlichen Email unterbrochen werden dürften.
FDP will weg vom Acht-Stunden-Tag: . In: Legal Tribune Online, 08.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54953 (abgerufen am: 12.12.2024 )
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