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Ausnahmen vom Mindestlohn: "Die Gehälter werden sinken"

Interview mit Prof. Dr. Arnd Diringer

05.03.2014

Mindestlohn (Symbolbild)

© fairith - Fotolia.com

Auszubildende, Praktikanten, Rentner, Minijobber, Langzeitarbeitslose, Zeitungsausträger, Erntehelfer – Vorschläge, wer nicht vom Mindestlohn profitieren soll, gibt es viele. Der Arbeitsrechtler Arnd Diringer erklärt im Interview, warum er nicht nur diese Ausnahmen für verfassungswidrig, sondern einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn schon im Ansatz für falsch hält.

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LTO: Es wird einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland geben, so viel ist sicher. Jetzt geht es um die Ausnahmen davon. Sollte es welche geben? Und wenn ja, für wen?

Diringer: Der Gesetzgeber sollte auf jeden Fall klarstellen, dass der Mindestlohn nicht für Auszubildende und Praktikanten gilt. Weitere Ausnahmen würden zur Folge haben, dass die Arbeit auf eben diese Personen übertragen wird, die man kostengünstiger anstellen darf. Dann werden mehr Rentner eingesetzt oder es gibt eine Explosion bei den 450-Euro-Kräften.

LTO: Der Arbeitnehmerflügel der Unionsfraktion plädiert für zwei Ausnahmen: Langzeitarbeitslose und unter 21-Jährige. Was halten Sie davon?

Prof. Dr. Arnd DiringerDiringer: Menschen zu sagen, deine Arbeitskraft ist weniger wert, weil du eine Weile nicht am Arbeitsprozess teilnehmen konntest, halte ich wirtschaftlich und menschlich für fatal. Es gibt bessere Instrumente, um Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Das ist aber eine politische Frage. Juristisch ist die Differenzierung vertretbar. Allein das Alter ist aber kein sachlicher Grund, nach dem der Gesetzgeber differenzieren darf.

LTO: Hinter dieser zweiten Ausnahme steckt der Gedanke, dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro Jugendliche dazu bewegen könnte, gar nicht erst eine Ausbildung anzufangen, da sie auch ohne eine solche bereits ausreichend verdienen. Das klingt doch vernünftig. Könnte man dieses Ziel denn anders erreichen?

Diringer: Der Gedanke ist wirtschaftlich betrachtet sicherlich richtig. Juristisch muss man fragen, ob er mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar ist. Der dahinter stehende Zweck, Jugendliche zu einem bestimmten Verhalten zu motivieren – nämlich eine Ausbildung aufzunehmen – wird als gesetzgeberisches Motiv eine Differenzierung nicht rechtfertigen können.

"Branchenübergreifender, flächendeckender Mindestlohn schließt Ausnahmen aus"

LTO: Diskutiert werden auch Ausnahmen für konkrete Berufe wie Zeitungsausträger oder Erntehelfer. Macht es einen Unterschied, wenn an die Tätigkeit, statt an personenbezogene Merkmale angeknüpft wird?

Diringer: Das Problem ist immer das gleiche. Der Ansatz ist falsch. Ein branchenübergreifender flächendeckender Mindestlohn schließt Ausnahmen eigentlich schon begrifflich aus. Die Feststellung, dass in einigen Bereichen Ausnahmen notwendig sind, zeigt deutlich, dass das Konzept per se falsch ist.

LTO: Dass es von einer Regel Ausnahmen gibt, ist aber ja nicht ungewöhnlich.

Diringer: Es stellt sich trotzdem die Frage, ob die Regel richtig ist, wenn man immer wieder Ausnahmen braucht. Was die Politik bisher völlig ausblendet, sind zudem die regionalen Unterschiede. Auch da müsste man eigentlich Ausnahmen machen.

LTO: Sie haben eben einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz angesprochen. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat bereits davor gewarnt, dass Ausnahmen vom Mindestlohn nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar oder sogar eine Form der Altersdiskriminierung sein könnten. Gibt es dennoch Ausnahmen, die sich auch juristisch rechtfertigen lassen?

Diringer: Die Löhne der Auszubildenden wird man kaum bundesweit einheitlich auf 8, 50 Euro heben können, wenn man will, dass in den Betrieben weiter ausgebildet wird. Es ist auch nicht sachgerecht, ein Praktikum während des Studiums genauso zu entlohnen, wie ein normales Arbeitsverhältnis, weil dabei das Lernen im Vordergrund steht und nicht die tatsächliche Arbeitsleistung.

Alle anderen Ausnahmen sind – wie gesagt – juristisch schwierig. Da drängt sich eher die Frage auf, ob man den Mindestlohn nicht strukturell anders gestalten sollte, um den wirtschaftlichen Gegebenheiten gerecht zu werden.

"Einheitliches Gesetz zum Thema Mindestlohn wäre gut"

LTO: Das heißt?

Diringer: Das Grundproblem ist aus wirtschaftlicher und sozialer Sicht, dass der Mindestlohn branchenübergreifend und flächendeckend festgelegt werden soll. Das heißt, in strukturschwachen Regionen mit geringen Lebenshaltungskosten soll das gleiche Gehalt gezahlt werden wie in strukturstarken Regionen mit hohen Lebenshaltungskosten. Das ist sozial nicht machbar. Viele Unternehmen in strukturschwachen Regionen werden es sich zudem nicht leisten können.

LTO: Sie würden also lieber an dem Mindestlohn-System festhalten wollen, wie es heute besteht? Von den Tarifpartnern ausgehandelte Mindestlöhne, die für allgemeinverbindlich erklärt werden können?

Diringer: Wenn der Gesetzgeber der Meinung ist, Mindestlöhne festzulegen, dann sollte dies branchen- sowie regionenspezifisch geschehen und natürlich immer unter Einbeziehung der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften. Allerdings sind die bestehenden Gesetze sehr unübersichtlich. Der Gesetzgeber sollte überlegen, ein einheitliches Gesetz zu schaffen, in dem alles zum Thema Mindestlöhne geregelt ist, und damit eine klare Struktur für die Praxis vorgeben.

"Abweichungen nach unter sind denkbar“

LTO: Ende Februar hat die Bundesregierung einen von den Tarifparteien in der Fleischbranche vereinbarten Mindestlohn abgesegnet. Ab Juli soll es 7,75 Euro geben, erst ab Oktober 2015 8,60 Euro. Wie würde sich ein zwischenzeitlich verabschiedeter flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn darauf auswirken?

Diringer: Das kann man wohl erst sagen, wenn das Gesetz vorliegt. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass die Löhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz von dem neuen Mindestlohn unberührt bleiben.

LTO: Nur die, die über dem gesetzlichen Mindestlohn liegen, oder auch die darunter?

Diringer: Nach dem Koalitionsvertrag soll das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen geöffnet werden, die darin geregelten Löhne haben immer Vorrang vor dem allgemeinen Mindestlohn. Abweichungen nach unten sind also denkbar.

LTO: Sie vertreten die Auffassung, dass der gesetzliche Mindestlohn Dumpinglöhne ermöglichen wird. Wieso?

Diringer: Greift kein branchenspezifischer Mindestlohn, gilt für nicht-tarifgebundene Unternehmen bisher der sogenannte richterliche Mindestlohn. Danach sind Löhne grundsätzlich sittenwidrig im Sinne des § 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wenn sie mehr als ein Drittel unterhalb des Tarifniveaus liegen. Daraus ergeben sich Lohnuntergrenzen, die oft über 8,50 Euro liegen. Mit Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns kann § 138 BGB nicht mehr angewandt werden, die Lohnuntergrenzen sinken dann auf 8,50 Euro.

LTO: Vielen Dank für das Gespräch.

Prof. Dr. Arnd Diringer lehrt an der Hochschule Ludwigsburg und leitet dort die Forschungsstelle für Arbeitsrecht. Vor seiner Berufung war er u.a. als Leiter Zentrale Diente Arbeits- und Tarifrecht einer privaten Klinikgruppe und Leiter Personal eines Versicherungsunternehmens tätig. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und seit Januar 2014 Mitglied im Beirat des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU).

Das Interview führte Claudia Kornmeier.

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Arnd Diringer, Ausnahmen vom Mindestlohn: . In: Legal Tribune Online, 05.03.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11228 (abgerufen am: 09.11.2025 )

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