"Luxleaks" oder prominente Unternehmen wie Apple und Amazon haben es unlängst erneut vor Augen geführt: Manche multinationale Unternehmen zahlen trotz Milliar-dengewinnen kaum Steuern. Sie geraten zunehmend in das Visier der Finanzminister, der OECD oder auch der EU-Kommission, die kürzlich darüber beraten hat. Dennis Klein zeigt die Lücken, mit denen den Konzernen die Steuerumgehung gelingt.
Spätestens sei dem "Luxleaks"-Skandal weiß jeder, der die Nachrichten verfolgt: Groß-konzerne zahlen die wenigsten Steuern und umgehen die Gesetze, die für andere gelten – mit dem Segen der nationalen Behörden. Inzwischen gibt es viele internationale Initiativen gegen diese "Steuervermeidungsmodelle" und "aggressive Steuerplanung".
Nicht nur die G20-Finanzminister, sondern auch die Europäische Union arbeiten an Plänen, um die internationale Steuerordnung fairer zu gestalten. Am 18. Februar erklärte die Kommission, im März ein Paket zu Steuertransparenz und fairen Steuersystemen vorzustellen.
Ausgangspunkt des Dilemmas: Weltweit legt jeder Staat seine eigenen Steuern und Steuersätze selbst fest, die Steuerhoheit endet aber regelmäßig an der Staatsgrenze. Internationale Konzerne sind hingegen global tätig und erwirtschaften ihre Erträge nicht nur in einem Land. Für sie liegt die Idee nahe, ihre Gewinne in Staaten mit niedriger Steuerbelastung zu verlagern.
Die Steuerordnungen fast aller Nationen sehen zwar im Grundsatz das Welteinkommensprinzip vor. Für ein Unternehmen mit Sitz oder Geschäftsleitung in Deutschland bedeutet dies prinzipiell, alle weltweiten Gewinne auch hier versteuern zu müssen, nicht nur die einheimischen.
Segen und Fluch der Doppelbesteuerungsabkommen
Wenn aber alle Staaten das Welteinkommensprinzip für sich reklamierten, führte dies zu einer Doppelt- oder Mehrfachbesteuerung derselben Gewinne, etwa bei ausländischen Betriebsstätten oder Tochtergesellschaften. Im Inland, weil dort der Unternehmenssitz ist. Im Ausland, weil dort die Gewinne erwirtschaftet wurden.
Dieses Expansionshindernis ist auch dem Fiskus unerwünscht. Aus diesem Grunde haben sich in vielen Staaten Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) etabliert. Dies sind völkerrechtliche Verträge zwischen zwei Staaten, in denen sie sich jeweils untereinander einigen, wer welche Einkünfte besteuern darf und wer nicht. Beispielsweise darf dann ein Staat die Gewinne einer Betriebsstätte besteuern, soweit diese in seinem Hoheitsgebiet anfallen, während der andere Staat darauf verzichtet.
Diese an sich nachvollziehbare Ansatz zur Vermeidung der Doppelbesteuerung birgt aber schon das nächste Problem: Es gibt kein einheitliches DBA, vielmehr schließen die Staaten jeweils gesonderte einzelne Abkommen. Deutschland etwa hat gegenwärtig 95 solcher DBA allein für die Einkommensbesteuerung abgeschlossen, teilweise nach jahrelangen Verhandlungen. Ein OECD-Musterabkommen bemüht sich zwar um einen gewissen einheitlichen Standard, im Detail ergeben sich aber doch immer wieder Unterschiede.
An diesen Stellen setzt die Steuervermeidungsstrategie an. Durch Kombination der jeweiligen Steuerordnung und des DBA lassen sich Lücken finden, um die Unternehmensgewinne zielgerichtet zu verlagern.
Gewinne werden in Niedrigsteuerländer verschoben
Das Grundschema der Steuersparmodelle ist meist vergleichbar: Innerhalb eines Konzerns erzeugen sie verrechnungsweise Aufwand in einem Staat und verlagern dadurch Gewinne in einen anderen Niedrigsteuerstaat. Eine insbesondere bei Technologieunternehmen gängige Praxis ist es daher, Lizenzgebühren zu vereinbaren. Immaterielle Güter wie Patente oder Marken bieten sich besonders an, da sie sich anders als Fabriken oder Vertriebsstrukturen schnell und einfach transferieren lassen.
Eine Konzerngesellschaft aus einem Niedrigsteuerland hält ein Patent oder eine Marke, deren Nutzung sie sich von deren anderen Tochtergesellschaften ihres Konzerns vergüten lässt. Die Patentgesellschaft erzielt Gewinne durch die eingenommenen Lizenzgebühren, während die übrigen Tochtergesellschaften diese als Betriebsausgaben steuerlich absetzen und so ihre Steuerbelastung senken. Bei den anderen Tochtergesellschaften mag vielleicht das eigentliche Geschäft mit den Endkunden stattfinden. Durch die Lizenzgebühren werden die dortigen Gewinne aber steuerlich neutralisiert und in ein Niedrigsteuerland verschoben.
Zugegeben, dieser naheliegende Weg ist auch dem Fiskus nicht verborgen geblieben und überwiegend in den DBA berücksichtigt. Aber angesichts der Vielzahl weltweiter Steuernormen entdecken findige Berater immer wieder Lücken und sich dadurch auftuende Steuersparmodelle.
2/2: Das "Irish Dutch Sandwich" und die Bahamas
Ein schon legendäres Gestaltungsmodell war das "Irish Dutch Sandwich", das die DBA und Steuerordnungen Irlands, der Niederlande und Niedrigsteuerländern wie den Bermudas, Bahamas oder Cayman-Islands kombinierte. Grob basierte dieses Modell auf zwei Lücken.
Zum einen der irischen Bestimmung, dass Irland Kapitalgesellschaften nur dann besteuert, wenn sie neben dem formalen Handelsregistereintrag auch ihren Unternehmenssitz in Irland hatten. Zum anderen der Regelung im DBA Irland-Niederlande, dass von einer niederländischen Gesellschaft an eine irische Gesellschaft gezahlte Lizenzgebühren in Irland zu besteuern sind. Nach den Regelungen des DBA reicht aber die Handelsregistereintragung in Irland aus. Ob auch der Sitz und damit die tatsächliche Versteuerung in Irland lagen, war im Ergebnis unerheblich.
Entsprechend sprossen Gesellschaften mit irischem Handelsregistereintrag, aber Unternehmenssitz in Niedrigsteuerländern aus dem Boden. Besonders taten sich hierbei amerikanische Technologieunternehmen wie Apple, Google oder Amazon hervor. Allein für Apple wurden jährliche Steuerersparnisse von 1,5 Mrd. Euro kolportiert.
Nach massivem ausländischem Druck hat Irland ab 2015 seine Regelung geändert, dass bereits eine irische Handelsregistereintragung ausreichte. Nunmehr muss auch der Unternehmenssitz in Irland liegen. Dann fallen freilich die irischen Steuern an, so dass sich dieses Steuersparmodell einstweilen erledigt hat.
"Luxleaks" deckte geheime Verständigungen auf
Aber es bleiben andere Wege. Verbreitet sind Darlehen zwischen Konzerngesellschaften. Der Darlehensnehmer setzt die gezahlten Zinsen steuermindernd in seinem Ansässigkeitsstaat ab, während der Darlehensgeber in einem Niedrigsteuerstaat auf die Zinserträge kaum Steuern zahlt. Der Geldfluss bleibt innerhalb des Konzerns.
Diesen Mechanismus hatte sich etwas Luxemburg zu Nutze gemacht, um seinen Standort für die Finanzdienstleistungen attraktiv zu machen und sich innerhalb weniger Jahre auf einen der vorderen Ränge unter den weltweiten Finanzmarktplätzen zu katapultieren.
Durch sogenannte tax rulings standen Finanzgesellschaften in mehr oder minder geheimen Verständigungen außerordentlich niedrige Steuern auf Zinserträge zu. In anderen Staaten konnten sie dann den korrespondierenden Zinsaufwand geltend machen und dort Steuern sparen. Durch "Luxleaks" kam ein Teil dieser Praxis ans Licht.
Auch die Niederlande stechen hervor. Dort sind auffällig viele Finanzierungsgesellschaften internationaler Konzerne ansässig. Und die Umstände verdichten sich, dass es sich bei ihnen nur um "Briefkastengesellschaften" handelt, die zwar eine offizielle Anschrift in den Niederlanden aufweisen, wirtschaftlich jedoch von anderen Staaten aus gesteuert werden. Sollte sich dies bewahrheiten, funktioniert das Modell nicht mehr. Denn wenn die wirtschaftlichen Entscheidungen woanders getroffen werden, dann gilt die Gesellschaft steuerlich auch dort als ansässig. Der bloß formelle ausländische Sitz oder die Adresse genügen nämlich nicht.
Wettlauf zwischen Fiskus und Konzernen geht weiter
Die Finanzverwaltung muss diese Umstände nur erst einmal nachweisen können. Durch zunehmenden internationalen Datenaustausch zwischen den Finanzverwaltungen wird die Luft für Gewinnverlagerungsmodelle aber dünner. Manchmal hilft wie im Beispiel Irland auch internationaler Druck, um einzelne Besteuerungslücken zu schließen.
So mehren sich die internationalen Initiativen gegen "Steuervermeidungsmodelle" und "aggressive Steuerplanung". Seit 2013 arbeiten die G20-Finanzminister über die OECD an einem gemeinsamen Aktionsplan, um ihre Steuerordnungen besser zu koordinieren.
Die neue EU-Kommission ist aufgesprungen und hat am 18. Februar 2015 erklärt, im März ein Paket zu Steuertransparenz und fairen Steuersystemen vorzustellen. Die luxemburgischen "tax rulings" und vergleichbare Praxis in Belgien und den Niederlanden könnten verbotene Beihilfen sein.
Es ist also einiges in Bewegung. Der Teufel steckt aber im Detail. Wesentlich weiter als über Ankündigungen hinaus sind viele Maßnahmen noch nicht gedrungen. Zwar herrscht über das Grundprinzip Konsens, Gewinne dort und nur dort zu versteuern, wo sie tatsächlich anfallen. Wie so oft im Steuerrecht besteht das Dilemma darin, die unerwünschten Gewinnverlagerungen von den "normalen" internationalen Unternehmensaktivitäten zu unterscheiden.
Neue Gesetze und Abgrenzungen machen das Steuerrecht noch komplizierter und bewirken allzu oft nur neue Lücken oder Widersprüche an anderer Stelle. Solange es Steuern gibt, wird es Bemühungen geben, diese zu vermeiden. Es bedarf also keiner hellseherischen Fähigkeiten für die Vorhersage, dass der Wettlauf zwischen Fiskus und Konzernen wie der zwischen "Hase und Igel" weitergehen wird.
Der Autor Prof. Dr. Dennis Klein – Steuerberater, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht – ist Professor für Wirtschafts- und Steuerrecht sowie Rechnungslegung an der Leibniz-Fachhochschule in Hannover.
Prof. Dr. Dennis Klein, Steuerdumping internationaler Konzerne: Wie die Milliarden am Fiskus vorbeigeschleust werden . In: Legal Tribune Online, 26.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14796/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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