Im Juli 2015 präsentierte das BMF einen Diskussionsentwurf, der die Abgrenzung der Selbstanzeige von einer bloßen Berichtigung erleichtern sollte. Thorsten Franke-Roericht und David Roth erläutern den nun vorliegenden Erlass.
Im Verhältnis zur Selbstanzeige nach § 371 Abgabenordnung (AO) ist die steuerliche Korrektur (§ 153 AO) die kleine, vermeintlich harmlose Schwester. Bei ihr geht es nicht um die Beseitigung eines steuerstrafrechtlichen Fehlverhaltens, sondern um die Pflicht zur Bereinigung eines bloßen steuerlichen Versehens, das zu einer Steuerverkürzung geführt hat beziehungsweise führen kann.
Die Vorschrift ist überaus praxisrelevant. Sie kommt etwa in Betracht, wenn der neue GmbH-Geschäftsführer Fehler des Vorgängers erkennt, dem Erbe Unrichtigkeiten des Erblassers bekannt werden oder die Ehefrau nach der Trennung Fehler der gemeinsamen Steuererklärung entdeckt.
Der steuerstrafrechtliche Ernst beginnt, wenn der Steuerpflichtige zögert, diese Korrektur vornehmen. Es droht dann eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen. Stolperfalle ist das Merkmal "unverzüglich" im Tatbestand des § 153 AO. Eine solche Steuerhinterziehung durch Unterlassen kann dann nur noch mittels einer Selbstanzeige beseitigt werden.
Abgrenzungsprobleme für Behörden als auch Berater
In der Praxis ist es oftmals schwierig, Berichtigung und Selbstanzeige voneinander abzugrenzen. Dieses Dilemma betrifft nicht nur Berater, die nacherklärungsrelevante Steuersachverhalte ihrer Mandanten in die zutreffende Kategorie einordnen müssen, sondern auch die Finanzverwaltung.
Hierdurch ist es teilweise dazu gekommen, dass bloße Berichtigungen kriminalisiert, sprich von der Finanzverwaltung als Selbstanzeige ausgelegt wurden. So wollte man in diesen Fällen sicher gehen, um dem Staat mögliche zusätzliche Steuereinnahmen sowie steuerstrafrechtliche Sanktionsmöglichkeiten nicht zu verschließen. Denn im Falle einer bloßen steuerlichen Korrektur fallen keine Hinterziehungszinsen und kein Strafzuschlag (§ 398a AO) an. Es existieren – im Gegensatz zur Selbstanzeige – auch keine Sperrgründe.
Die Kriminalisierung betraf vor allem Unternehmen, die wegen der Vielzahl und Komplexität steuerlicher Sachverhalte regelmäßig zu § 153 AO greifen müssen. Solchen Sachverhalten lag und liegt in der Regel jedoch kein steuerstrafrechtliches Verhalten zugrunde.
Der neue AEAO
Erst im Februar letzten Jahres erkannte das BMF die Notwendigkeit, der Verwaltung konkrete Vorgaben zur Abgrenzung zu geben, im Juli folgte ein entsprechender Diskussionsentwurf. Nun liegt der Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) vor.
Um die Sensation gleich vorweg zu nehmen: Das BMF hält an der Idee fest, dass ein vom Steuerpflichtigen eingerichtetes "innerbetriebliches Kontrollsystem", das der Erfüllung steuerlicher Pflichten dient, ein Indiz darstellen könne, das gegen die Annahme einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung beziehungsweise leichtfertigen Steuerverkürzung spreche.
Mit einem solchen innerbetrieblichen Kontrollsystem dürfte ein Tax-Compliance-System gemeint sein. Mit anderen Worten: Compliance wird vom Fiskus belohnt. Zugleich schafft man einen Anreiz zur Etablierung eines solchen Systems. Gleichwohl befreit dieses die Finanzverwaltung "nicht von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalls".
Leider fehlen - wie bereits mit Blick auf den Diskussionsentwurf bemängelt - nähere Ausführungen zu der Frage, wie ein Tax-Compliance-System nach Vorstellung der Finanzverwaltung konkret ausgestaltet sein muss.
Ferner kommt relativierend hinzu, dass das BMF mit seinem Anwendungserlass kein Recht setzen kann. Es handelt sich lediglich um bloßes Innenrecht der Finanzverwaltung. Steuerpflichtige, Staatsanwaltschaften, Straf- oder Finanzgerichte sind nicht an den Erlass gebunden. Rechtssicherheit wird somit nicht geschaffen.
Anfangsverdacht nicht an Höhe der Summe knüpfen
Zu begrüßen ist der Hinweis an die Verwaltung, dass allein aufgrund der Höhe der steuerlichen Fehler oder der Anzahl der abgegebenen Berichtigungen nicht automatisch von einem Anfangsverdacht ausgegangen werden darf. Die zuletzt zunehmend vorschnelle Einschaltung der Bußgeld- und Strafsachenstellen ("Steuerstaatsanwaltschaften") dürfte damit wieder rückläufig werden.
Wichtig ist auch die Klarstellung, dass eine Pflicht nach § 153 AO erst dann besteht, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit tatsächlich erkannt hat (positives Wissen). Bloßes Erkennen-Können oder Erkennen-Müssen löst damit noch keine Berichtigungspflicht aus. Damit ist es Betroffenen jetzt möglich, etwaige Unklarheiten etwa mittels interner Untersuchungen aufzuklären. Erst nach hinreichender Aufklärung des Sachverhalts kann von positiver Kenntnis der Unrichtigkeit ausgegangen werden. Dadurch wird die eigentlich unverzüglich bestehende Berichtigungspflicht für die Praxis entschärft.
Ein weiteres "Highlight" betrifft Betriebsprüfungen: Stellt der Prüfer Fehler im geprüften Bereich fest, entfällt laut Erlass für den Steuerpflichtigen die Berichtigungspflicht.
2/2: Wer muss eigentlich berichtigen?
Hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs hätte sich ergänzend der zusätzliche Hinweis angeboten, dass eine Berichtigung nach § 153 AO nur bei Tatsachenfehlern zu erfolgen hat. Bloße rechtliche Fehler sollten keine Berichtigungspflicht auslösen.
Positiv zu werten sind auch die Aussagen zum beschränkten Adressatenkreis. Klar ist, dass der Steuerpflichtige (respektive dessen gesetzliche Vertreter wie etwa der Vorstand einer AG oder der Geschäftsführer einer GmbH) sowie gegebenenfalls dessen Erben zur Berichtigung verpflichtet sind. Ehegatten und Lebenspartner sind demgegenüber nur für die ihnen einzeln zurechenbaren Besteuerungsgrundlagen verantwortlich.
Neu ist zudem die eindeutige Aussage in Bezug auf steuerlich Bevollmächtigte, zum Beispiel Steuerberater, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Lohnsteuerhilfevereine, für die bei Angelegenheiten der Mandanten keine Berichtigungspflicht bestehen soll. Eine Differenzierung nach Art und Umfang des übernommenen Auftrags ist somit nicht mehr notwendig.
Weiterhin stellt der Erlass unter Verweis auf die Rechtsprechung klar, dass der Steuerpflichtige Fehler des Finanzamts nicht berichtigen muss.
Entwurf übernimmt schärfere Rechtsprechung
Enttäuschend ist demgegenüber die Festlegung, dass bei einer Steuerhinterziehung, die mit bedingtem Vorsatz begangen wurde, für den Steuerpflichtigen eine Anzeige- und Berichtigungspflicht bestehen soll. Hier wurde abweichend vom bisherigen Diskussionsentwurf nun doch die – aus Autorensicht dogmatisch wie rechtstaatlich zweifelhafte – verschärfende Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 17.03.2009, Az. 1 StR 479/08) eins zu eins übernommen.
Ungelöst bleibt weiterhin die Frage, ob Jahreserklärungen automatisch eine Berichtigung von Voranmeldungen darstellen.
Laut AEAO ist grundsätzlich sowohl die Anzeige als auch die Berichtigung unverzüglich zu erstatten. Die Sichtweise widerspricht der bisher herrschenden Auffassung, wonach nur die Anzeige unverzüglich, die Berichtigung jedoch auch später vorgenommen werden kann. Für die Praxis ist sie zudem keine Hilfe, da eindeutige Zeitvorgaben weiterhin fehlen. Damit bleibt wie bisher unklar, ob dem Betroffenen für die Anzeige und Richtigstellung zwei Wochen, vier Wochen oder ein Monat "Mindestreaktionszeit" zustehen. Hier wäre eine Monatsfrist als eindeutige Klarstellung wünschenswert gewesen.
Das Unverzüglichkeits-Erfordernis relativiert der Erlass anschließend zumindest hinsichtlich der Pflicht zur Berichtigung. Danach soll gegebenenfalls eine angemessene Fristsetzung durch die Behörden erfolgen. Der Erlass bringt durch diese Unschärfe allerdings mehr Streit als Klarheit, denn über die Angemessenheit der Fristen dürfte sich trefflich streiten lassen. Soweit keine Änderung durch den Erlassgeber erfolgt, bleibt zu hoffen, dass die Behörden entsprechende Fristen großzügig bemessen.
Gemildert wird das Zeitproblem teilweise dadurch, dass der Erlass auch die Abgabe bei unzuständigen Finanzbehörden für die Erfüllung der Verpflichtung nach § 153 AO ausreichen lässt. Zudem ist eine Anzeige- und Berichtigung erst im Zeitpunkt positiver Kenntnis von der Unrichtigkeit früherer Erklärungen erforderlich.
Fazit: Die Praxis wird den Weg weisen
Man kann sich angesichts dieser weiterhin bestehenden Unsicherheiten fragen, ob der einzelne Steuerbeamte mit Hilfe des Erlasses eine Selbstanzeige von einer steuerlichen Korrektur tatsächlich besser abgrenzen kann.
Für Berater gilt wie bisher: Berichtigungserklärungen sollten in der Regel vorsichtshalber auch selbstanzeigetauglich gestaltet werden. So kann in schwierigen Grenzfällen der "Rettungsschirm Selbstanzeige" greifen. Soweit nur ein Versuch vorliegt, kann ggf. ein strafbefreiender Rücktritt reklamiert werden.
Letztlich wird die Praxis den Weg weisen - und sicherlich weiteren Änderungsbedarf des Erlasses auslösen.
Thorsten Franke-Roericht, LL.M. Wirtschaftsstrafrecht, ist Wirtschafts- und Steuerstrafverteidiger in eigener Kanzlei in Frankfurt am Main, berät und vertritt Unternehmen und Privatpersonen in den Bereichen Selbstanzeige, Steuerstrafrecht und Wirtschaftsstrafrecht. Er publiziert regelmäßig zu diesen Themen und ist Autor im neuen Heidelberger Kommentar zum Steuerstrafrecht.
David Roth, LL.M. oec., ist stellvertretender Leiter des Staatlichen Rechnungsprüfungsamts für Steuern in Münster und Mitautor im Steuerstrafrechtskommentar Rolletschke/Kemper. Der Beitrag ist in nicht dienstlicher Eigenschaft verfasst.
Thorsten Franke-Roericht, LL.M. und David Roth, LL.M. oec., Anwendungserlass zur Abgabenordnung des BMF: Berichtigung oder Selbstanzeige? . In: Legal Tribune Online, 10.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19633/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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