Anwendungserlass zur Abgabenordnung des BMF: Berich­ti­gung oder Selb­st­an­zeige?

von Thorsten Franke-Roericht, LL.M. und David Roth, LL.M. oec.

10.06.2016

2/2: Wer muss eigentlich berichtigen?

Hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs hätte sich ergänzend der zusätzliche Hinweis angeboten, dass eine Berichtigung nach § 153 AO nur bei Tatsachenfehlern zu erfolgen hat. Bloße rechtliche Fehler sollten keine Berichtigungspflicht auslösen.

Positiv zu werten sind auch die Aussagen zum beschränkten Adressatenkreis. Klar ist, dass der Steuerpflichtige (respektive dessen gesetzliche Vertreter wie etwa der Vorstand einer AG oder der Geschäftsführer einer GmbH) sowie gegebenenfalls dessen Erben zur Berichtigung verpflichtet sind. Ehegatten und Lebenspartner sind demgegenüber nur für die ihnen einzeln zurechenbaren Besteuerungsgrundlagen verantwortlich.

Neu ist zudem die eindeutige Aussage in Bezug auf steuerlich Bevollmächtigte, zum Beispiel Steuerberater, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Lohnsteuerhilfevereine, für die bei Angelegenheiten der Mandanten keine Berichtigungspflicht bestehen soll. Eine Differenzierung nach Art und Umfang des übernommenen Auftrags ist somit nicht mehr notwendig.

Weiterhin stellt der Erlass unter Verweis auf die Rechtsprechung klar, dass der Steuerpflichtige Fehler des Finanzamts nicht berichtigen muss.

Entwurf übernimmt schärfere Rechtsprechung

Enttäuschend ist demgegenüber die Festlegung, dass bei einer Steuerhinterziehung, die mit bedingtem Vorsatz begangen wurde, für den Steuerpflichtigen eine Anzeige- und Berichtigungspflicht bestehen soll. Hier wurde abweichend vom bisherigen Diskussionsentwurf nun doch die – aus Autorensicht dogmatisch wie rechtstaatlich  zweifelhafte – verschärfende Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 17.03.2009, Az. 1 StR 479/08) eins zu eins übernommen.

Ungelöst bleibt weiterhin die Frage, ob Jahreserklärungen automatisch eine Berichtigung von Voranmeldungen darstellen.

Laut AEAO ist grundsätzlich sowohl die Anzeige als auch die Berichtigung unverzüglich zu erstatten. Die Sichtweise widerspricht der bisher herrschenden Auffassung, wonach nur die Anzeige unverzüglich, die Berichtigung jedoch auch später vorgenommen werden kann. Für die Praxis ist sie zudem keine Hilfe, da eindeutige Zeitvorgaben weiterhin fehlen. Damit bleibt wie bisher unklar, ob dem Betroffenen für die Anzeige und Richtigstellung zwei Wochen, vier Wochen oder ein Monat "Mindestreaktionszeit" zustehen. Hier wäre eine Monatsfrist als eindeutige Klarstellung wünschenswert gewesen.

Das Unverzüglichkeits-Erfordernis relativiert der Erlass anschließend zumindest hinsichtlich der Pflicht zur Berichtigung. Danach soll gegebenenfalls eine angemessene Fristsetzung durch die Behörden erfolgen. Der Erlass bringt durch diese Unschärfe allerdings mehr Streit als Klarheit, denn über die Angemessenheit der Fristen dürfte sich trefflich streiten lassen. Soweit keine Änderung durch den Erlassgeber erfolgt, bleibt zu hoffen, dass die Behörden entsprechende Fristen großzügig bemessen.

Gemildert wird das Zeitproblem teilweise dadurch, dass der Erlass auch die Abgabe bei unzuständigen Finanzbehörden für die Erfüllung der Verpflichtung nach § 153 AO ausreichen lässt. Zudem ist eine Anzeige- und Berichtigung erst im Zeitpunkt positiver Kenntnis von der Unrichtigkeit früherer Erklärungen erforderlich.

Fazit: Die Praxis wird den Weg weisen

Man kann sich angesichts dieser weiterhin bestehenden Unsicherheiten fragen, ob der einzelne Steuerbeamte mit Hilfe des Erlasses eine Selbstanzeige von einer steuerlichen Korrektur tatsächlich besser abgrenzen kann.

Für Berater gilt wie bisher: Berichtigungserklärungen sollten in der Regel vorsichtshalber auch selbstanzeigetauglich gestaltet werden. So kann in schwierigen Grenzfällen der "Rettungsschirm Selbstanzeige" greifen. Soweit nur ein Versuch vorliegt, kann ggf. ein strafbefreiender Rücktritt reklamiert werden.

Letztlich wird die Praxis den Weg weisen - und sicherlich weiteren Änderungsbedarf des Erlasses auslösen.

Thorsten Franke-Roericht, LL.M. Wirtschaftsstrafrecht, ist Wirtschafts- und Steuerstrafverteidiger in eigener Kanzlei in Frankfurt am Main, berät und vertritt Unternehmen und Privatpersonen in den Bereichen Selbstanzeige, Steuerstrafrecht und Wirtschaftsstrafrecht. Er publiziert regelmäßig zu diesen Themen und ist Autor im neuen Heidelberger Kommentar zum Steuerstrafrecht.

David Roth, LL.M. oec., ist stellvertretender Leiter des Staatlichen Rechnungsprüfungsamts für Steuern in Münster und Mitautor im Steuerstrafrechtskommentar Rolletschke/Kemper. Der Beitrag ist in nicht dienstlicher Eigenschaft verfasst.

Zitiervorschlag

Thorsten Franke-Roericht, LL.M. und David Roth, LL.M. oec., Anwendungserlass zur Abgabenordnung des BMF: Berichtigung oder Selbstanzeige? . In: Legal Tribune Online, 10.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19633/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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