Anwendungserlass zur Abgabenordnung des BMF: Berich­ti­gung oder Selb­st­an­zeige?

von Thorsten Franke-Roericht, LL.M. und David Roth, LL.M. oec.

10.06.2016

Im Juli 2015 präsentierte das BMF einen Diskussionsentwurf, der die Abgrenzung der Selbstanzeige von einer bloßen Berichtigung erleichtern sollte. Thorsten Franke-Roericht und David Roth erläutern den nun vorliegenden Erlass.

Im Verhältnis zur Selbstanzeige nach § 371 Abgabenordnung (AO) ist die steuerliche Korrektur (§ 153 AO) die kleine, vermeintlich harmlose Schwester. Bei ihr geht es nicht um die Beseitigung eines steuerstrafrechtlichen Fehlverhaltens, sondern um die Pflicht zur Bereinigung eines bloßen steuerlichen Versehens, das zu einer Steuerverkürzung geführt hat beziehungsweise führen kann.

Die Vorschrift ist überaus praxisrelevant. Sie kommt etwa in Betracht, wenn der neue GmbH-Geschäftsführer Fehler des Vorgängers erkennt, dem Erbe Unrichtigkeiten des Erblassers bekannt werden oder die Ehefrau nach der Trennung Fehler der gemeinsamen Steuererklärung entdeckt.

Der steuerstrafrechtliche Ernst beginnt, wenn der Steuerpflichtige zögert, diese Korrektur vornehmen. Es droht dann eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen. Stolperfalle ist das Merkmal "unverzüglich" im Tatbestand des § 153 AO. Eine solche Steuerhinterziehung durch Unterlassen kann dann nur noch mittels einer Selbstanzeige beseitigt werden.

Abgrenzungsprobleme für Behörden als auch Berater

In der Praxis ist es oftmals schwierig, Berichtigung und Selbstanzeige voneinander abzugrenzen. Dieses Dilemma betrifft nicht nur Berater, die nacherklärungsrelevante Steuersachverhalte ihrer Mandanten in die zutreffende Kategorie einordnen müssen, sondern auch die Finanzverwaltung.

Hierdurch ist es teilweise dazu gekommen, dass bloße Berichtigungen kriminalisiert, sprich von der Finanzverwaltung als Selbstanzeige ausgelegt wurden. So wollte man in diesen Fällen sicher gehen, um dem Staat mögliche zusätzliche Steuereinnahmen sowie steuerstrafrechtliche Sanktionsmöglichkeiten nicht zu verschließen. Denn im Falle einer bloßen steuerlichen Korrektur fallen keine Hinterziehungszinsen und kein Strafzuschlag (§ 398a AO) an. Es existieren – im Gegensatz zur Selbstanzeige – auch keine Sperrgründe.

Die Kriminalisierung betraf vor allem Unternehmen, die wegen der Vielzahl und Komplexität steuerlicher Sachverhalte regelmäßig zu § 153 AO greifen müssen. Solchen Sachverhalten lag und liegt in der Regel jedoch kein steuerstrafrechtliches Verhalten zugrunde.

Der neue AEAO

Erst im Februar letzten Jahres erkannte das BMF die Notwendigkeit, der Verwaltung konkrete Vorgaben zur Abgrenzung zu geben, im Juli folgte ein entsprechender Diskussionsentwurf. Nun liegt der Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) vor.

Um die Sensation gleich vorweg zu nehmen: Das BMF hält an der Idee fest, dass ein vom Steuerpflichtigen eingerichtetes "innerbetriebliches Kontrollsystem", das der Erfüllung steuerlicher Pflichten dient, ein Indiz darstellen könne, das gegen die Annahme einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung beziehungsweise leichtfertigen Steuerverkürzung spreche.

Mit einem solchen innerbetrieblichen Kontrollsystem dürfte ein Tax-Compliance-System gemeint sein. Mit anderen Worten: Compliance wird vom Fiskus belohnt. Zugleich schafft man einen Anreiz zur Etablierung eines solchen Systems. Gleichwohl befreit dieses die Finanzverwaltung "nicht von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalls".

Leider fehlen - wie bereits mit Blick auf den Diskussionsentwurf bemängelt - nähere Ausführungen zu der Frage, wie ein Tax-Compliance-System nach Vorstellung der Finanzverwaltung konkret ausgestaltet sein muss.

Ferner kommt relativierend hinzu, dass das BMF mit seinem Anwendungserlass kein Recht setzen kann. Es handelt sich lediglich um bloßes Innenrecht der Finanzverwaltung. Steuerpflichtige, Staatsanwaltschaften, Straf- oder Finanzgerichte sind nicht an den Erlass gebunden. Rechtssicherheit wird somit nicht geschaffen.

Anfangsverdacht nicht an Höhe der Summe knüpfen

Zu begrüßen ist der Hinweis an die Verwaltung, dass allein aufgrund der Höhe der steuerlichen Fehler oder der Anzahl der abgegebenen Berichtigungen nicht automatisch von einem Anfangsverdacht ausgegangen werden darf. Die zuletzt zunehmend vorschnelle Einschaltung der Bußgeld- und Strafsachenstellen ("Steuerstaatsanwaltschaften") dürfte damit wieder rückläufig werden.

Wichtig ist auch die Klarstellung, dass eine Pflicht nach § 153 AO erst dann besteht, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit tatsächlich erkannt hat (positives Wissen). Bloßes Erkennen-Können oder Erkennen-Müssen löst damit noch keine Berichtigungspflicht aus. Damit ist es Betroffenen jetzt möglich, etwaige Unklarheiten etwa mittels interner Untersuchungen aufzuklären. Erst nach hinreichender Aufklärung des Sachverhalts kann von positiver Kenntnis der Unrichtigkeit ausgegangen werden. Dadurch wird die eigentlich unverzüglich bestehende Berichtigungspflicht für die Praxis entschärft.

Ein weiteres "Highlight" betrifft Betriebsprüfungen: Stellt der Prüfer Fehler im geprüften Bereich fest, entfällt laut Erlass für den Steuerpflichtigen die Berichtigungspflicht.

Zitiervorschlag

Anwendungserlass zur Abgabenordnung des BMF: . In: Legal Tribune Online, 10.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19633 (abgerufen am: 01.11.2024 )

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