Beim Kampf gegen Antisemitismus darf es keine Strafbarkeitslücken geben. Unter dieser Prämisse prüften Teilnehmer einer Tagung in Berlin das bestehende Strafrecht und machten Vorschläge für Reformen. Christian Rath war dabei.
Der Bundestag hat sich in seiner Resolution zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland jüngst dazu bekannt, "Gesetzeslücken zu schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen".
Zu diesem Zeitpunkt Anfang November war die Berliner Tagung "Antisemitismusbekämpfung mit dem Strafrecht" bereits geplant. Eigentlich wollte man dem Gesetzgeber für die heiße Phase der auslaufenden Wahlperiode noch Vorschläge und Konzepte mit auf den Weg geben. Doch dann kam das Ampel-Aus und die Abgeordneten denken inzwischen fast nur noch an ihren Wahlkampf. Die Tagung fand natürlich trotzdem statt und hofft nun auf den neugewählten Bundestag. Veranstalter war neben der Konrad-Adenauer-Stiftung das Tikvah-Institut zur Eindämmung des Antisemitismus, gegründet 2020 unter anderem von Ex-MdB Volker Beck (Grüne), der auch Geschäftsführer ist.
Im Fokus der Tagung stand vor allem der aktuelle israelbezogene Antisemitismus, der die Fallzahlen antisemitischer Straftaten in Deutschland explodieren ließ. Allein in Berlin gab es seit dem barbarischen Terror-Anschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023 und unter dem Eindruck der nachfolgenden hochumstrittenen Art der israelischen Kriegsführung in Gaza 6.615 Ermittlungsverfahren wegen Delikten, die von der Staatsanwaltschaft als antisemitisch eingestuft wurden.
Schutz des Existenzrechts Israels
Schon im November 2023 hatte die CDU/CSU im Bundestag einen Gesetzentwurf eingebracht, der das Leugnen des Existenzrechts Israels und Aufrufe zur Beseitigung des Staates Israel als Volksverhetzung bestrafen wollte; LTO berichtete. Bei einer Anhörung im Januar gab es aber massive Bedenken von Sachverständigen. Denn laut Art. 5 Grundgesetz (GG) kann die Meinungsfreiheit nur durch "allgemeine Gesetze" eingeschränkt werden. Das heißt: Es dürfen nicht einzelne Meinungsäußerungen verboten werden. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Wunsiedel-Entscheidung (Beschl. v. 04.11.2009, Az. 1 BvR 2150/08) Ausnahmen zugelassen, wenn es um die Verherrlichung oder Billigung der NS-Gewaltherrschaft geht. Doch ob sich diese Rechtsprechung auf den Schutz des Staates Israel übertragen ließe, war hochumstritten, wie sich Rechtsprofessor Michael Kubiciel auf der Tagung erinnerte. Auch andere Strafrechtler hatten dies gegenüber LTO nach Bekanntwerden des Entwurfs verneint. Im April 2024 lehnte der Bundestag den Gesetzentwurf ab.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland schlägt nun vor, ein neues Delikt "Aufruf zur Vernichtung von Staaten" zu schaffen und in einem neuen § 103 Strafgesetzbuch (StGB) unter Strafe zu stellen. Ein Entwurf des Tikvah-Instituts sieht vor, dass hier alle UN-Staaten geschützt werden sollen. LTO hatte darüber berichtet.
Dies schließt an § 104 StGB an, der seit 2020 das Verbrennen ausländischer Flaggen mit Strafe bedroht. Auch hier ging es zunächst um israelische Flaggen, aber aus Angst vor einer Verfassungswidrigkeit wurden dann die Flaggen aller Staaten, zu denen Deutschland diplomatische Beziehungen pflegt, unter Schutz gestellt.
Reform des Volksverhetzungs-Paragrafen
Auch der Volksverhetzungs-Paragraf 130 StGB war auf der Tagung Thema. In ihm ist inzwischen eine Vielzahl von Delikten versammelt, unter anderem die Aufstachelung zum Hass gegen Gruppen der Bevölkerung (Abs. 1), die Leugnung des Holocaust (Abs. 3) und anderer Völkerrechtsverbrechen (Abs. 5) sowie die Verherrlichung und Billigung der NS-Gewaltherrschaft (Abs. 4).
Wenn in § 130 StGB von einem "Teil der Bevölkerung" die Rede ist, bezieht sich dies nach herrschender Auffassung auf die inländische Bevölkerung. Auch wegen dieses Inlandsbezugs von § 130 StGB wurden keine Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit antisemitischen Darstellungen auf der documenta 15 in Kassel eingeleitet. Zudem kann die Parole "From the River to the Sea, Palestine will be free" nicht als Volksverhetzung verfolgt werden, da sie - wenn überhaupt - die Vernichtung des Staates Israels impliziert, aber jedenfalls keine Aussagen über Juden in Deutschland trifft.
Auf der Berliner Tagung wurde deshalb gefordert, auf den Inlandsbezug bei einer Reform von § 130 StGB zu verzichten. Die Dresdener Rechtsanwältin Kati Lang stellt die enge Auslegung von § 130 StGB allerdings schon de lege lata infrage. Dies verkenne die "Verbindung aller Juden in der Diaspora". Wenn die Vernichtung Israels propagiert wird, betreffe dies auch das Recht aller Juden auf Einwanderung nach Israel und beeinträchtige damit auch die Juden in Deutschland. Auch Rechtsprofessor Martin Heger argumentierte, dass verbale Angriffe auf die Existenz Israels zugleich Angriffe auf alle jüdischen Menschen darstellen, weil ihnen das Refugium, die Heimstatt, genommen werden soll.
In der Praxis haben sich Staatsanwaltschaften und Gerichte bei der Parole "From the River to the sea" damit beholfen, dass diese Parole kurz nach dem 7. Oktober 2023 manchmal als "Billigung von Straftaten" nach § 140 StGB gewertet wurde. Und seit der Hamas-Verbotsverfügung von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) im November 2023 wird die Parole häufig als verbotenes Kennzeichen einer terroristischen Vereinigung nach § 86a StGB eingestuft. Auf eine Strafbarkeit als Volksverhetzung kommt es also nicht mehr so sehr an.
Umstritten ist auch, ob der öffentliche Friede weiterhin Schutzgut des § 130 StGB bleiben soll. Manche schlagen vor, ihn durch die Menschenwürde zu ersetzen. Dann sei es auch leichter, den Inlandsbezug aufzugeben. Rechtsprofessor Frank Meyer will den öffentlichen Frieden dagegen neu definieren. Es soll nicht mehr darauf ankommen, wie objektive Dritte eine Äußerung wahrnehmen, sondern wie sie auf die Betroffenen wirkt. "Wenn Menschen sich zurückziehen und nicht mehr von ihren Grund- und Beteiligungsrechten Gebrauch machen, ist der öffentliche Friede verletzt", schlug Meyer vor. Diese Konzeption passe besser zur freiheitlichen Demokratie.
Meyer hält den Volksverhetzungs-Paragrafen aber auch grundsätzlich für reformbedürftig. Die Struktur der Norm sei "textuell undurchdringlich und für Nutzer unbrauchbar". Oder, wie es Meyer auch formulierte: "Da kennt man sich schnell nicht mehr aus."
Impfgegner mit Judensternen
Neben dem Nahostkonflikt hat auch die Corona-Pandemie zu einer Zunahme von Antisemitismusverfahren geführt. So trugen viele Impfpflichtgegner gelbe Sterne mit der Aufschrift "ungeimpft", die an die gelben Judensterne der NS-Diktatur erinnerten. Für Laura Schwarz, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Berliner Humboldt-Universität, liegt hier eindeutig eine Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB vor; hier werde der Holocaust verharmlost. "Der Vergleich eines geringeren Unrechts mit höherem Unrecht ist stets mit einer Abwertung des höheren Unrechts verbunden", argumentierte Schwarz. Auf einen Verharmlosungsvorsatz komme es dabei nicht an, es genüge zu wissen, "dass ein Vergleich unverhältnismäßig ist".
Die näherliegende Gegenposition vertritt zum Beispiel Rechtsprofessorin Elisa Hoven, die aber in Berlin nicht anwesend war. Danach handelt es sich bei den "ungeimpft"-Sternen um eine "Überdramatisierung des eigenen Leids", die nicht strafbar ist, weil sie den Holocaust als besonders großes Unrecht gerade nicht infrage stellt.
Skeptische Gerichte stellten anfangs aber eher darauf ab, dass der Judenstern zwar ein Symbol der allgemeinen Judendiskriminierung im Nationalsozialismus gewesen sei, aber kein Symbol der Judenvernichtung. § 130 Abs. 3 StGB sei deshalb schon gar nicht einschlägig. Diese Position werde aber zunehmend weniger vertreten, hat Schwarz beobachtet.
Der Berliner Staatsanwalt Tim Kaufmann, der auf antisemitische Straftaten spezialisiert ist, hält die Verharmlosungsfälle für praktisch sehr relevant. "Es ist kein Problem zu klein, um es nicht mit dem Holocaust zu vergleichen", sagte er auf der Tagung.
Härtere Strafen für Antisemiten
Seit 2021 ist in § 46 Abs. 2 StGB auch klargestellt, dass antisemitische Motive bei einer Tat, etwa einer Körperverletzung, strafverschärfend zu werten sind. Inhaltlich war dies nicht neu, nur plakativer, denn bis dahin galt schon eine Strafverschärfung für "menschenverachtende" Beweggründe.
Für Anwältin Lang wird die Strafzumessungsnorm in der Praxis noch zu wenig genutzt. "Das spielt hauptsächlich bei Stiefel-Nazis eine Rolle, nicht aber beim modernen Antisemitismus." Kubiciel schlägt deshalb vor, die sogenannte IHRA-Definition von Antisemitismus beziehungsweise einzelne ihrer Anwendungsbeispiele in die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) aufzunehmen. Insbesondere weist die IHRA-Definition auch auf den israelbezogenen Antisemitismus hin, bei dem Israel dämonisiert, delegitimiert und mit speziellen Standards bewertet wird. Kubiciel hält die Definition für "gut nutzbar und nicht einseitig".
Gastgeber Beck betonte, dass Kritik an Israel, seiner Regierung und seiner Kriegsführung natürlich immer straflos möglich sei. Allerdings, so Martin Heger, werde der Israel-Bezug von Äußernden oft nur zur Verdeckung des Antisemitismus hinzugefügt. "Dann heißt es eben 'Israel ist unser Unglück' statt 'Die Juden sind unser Unglück'".
Ganz so einfach ist die Unterscheidung zwischen zulässiger Kritik und israelbezogenem Antisemitismus aber doch nicht. "Darf man Israel als Apartheidstaat bezeichnen?", fragte LTO-Chefredakteur Felix W. Zimmermann, der eine Diskussionsrunde moderierte. "Das kommt auf den Kontext an", antwortete Rechtsprofessor Meyer. "Wenn sich jemand mit dem IGH-Gutachten zu den besetzten palästinensischen Gebieten auseinandersetzt und dann selbst subsumiert, dass Israel ein Apartheidstaat ist, dann sollte man hier keinen Antisemitismus hineinlesen." Harte Kritik an Israel wäre so gesehen nur nach erheblichen intellektuellen Vorleistungen möglich.
Was aber bringt das Strafrecht nun im Kampf gegen den Antisemitismus? "Es ist ein besonders starkes Symbol", betonte Kubiciel, und meinte das am Mittwoch positiv: "Das Strafrecht dient vor allem der Normbestätigung."
Für Volker Beck hat das Strafrecht aber auch handfesteren Nutzen: "An die Festlegung, was strafbar ist, können Behörden auch andere Entscheidungen im Kampf gegen den Antisemitismus anknüpfen - etwa, wem sie Räume oder Zuschüsse verweigern dürfen." Beck kann sich daher vorstellen, auch Boykottaufrufe gegen Staaten zu Straftaten zu machen. So könnten Raumverbote für Israel-Boykott-Initiativen rechtfertigt werden. Das Bundesverwaltungsgericht hatte darin in einem Grundsatzurteil 2022 noch eine Verletzung der Meinungsfreiheit gesehen.
Tagung in Berlin: . In: Legal Tribune Online, 12.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56102 (abgerufen am: 20.01.2025 )
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