Leugnung des Existenzrechts Israels: Auch Union im Bun­destag will neuen Straf­tat­be­stand

von Dr. Max Kolter und Hasso Suliak

24.10.2023

Hessens Justizminister Poseck machte den ersten Aufschlag, jetzt ziehen CDU und CSU im Bundestag nach: Die Leugnung des Existenzrechts Israels sollte unter Strafe gestellt werden. Die SPD-Fraktion will den Vorschlag prüfen.

Palästina-Flaggen, "Free Palestine"-Plakate, Demonstrierende, die "From the river to the sea" skandieren – die Geschehnisse auf deutschen Straßen nach dem Terror-Angriff der Hamas veranlassen Politiker zu unterschiedlichen Forderungen. Einige wünschen sich die Härte des Rechtsstaats, was insbesondere als Aufforderung an Polizei und Versammlungsbehörden zu verstehen ist, mit Verboten durchzugreifen. Nun gibt es erste Forderungen an den Gesetzgeber, das Strafrecht zu ändern.

Wer das Existenzrecht Israels leugnet, soll sich strafbar machen, fordert Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU). Er hat das Thema auf die Tagesordnung der nächsten Justizministerkonferenz (JuMiKo) am 10. November gesetzt. Laut dem Beschlussvorschlag, der LTO vorliegt, soll die JuMiKo Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) auffordern zu prüfen, "ob und inwieweit das geltende Strafrecht angesichts der aktuellen Geschehnisse angepasst werden muss". Gegenstand dieses Antisemitismus-Checks soll sein, "inwiefern die zur Friedensstörung geeignete öffentliche Leugnung oder Verneinung des Existenzrechts Israels strafrechtlich besser erfasst werden kann".

Einen konkreten Normierungsvorschlag enthält die Vorlage nicht. "Die Details einer neuen Strafvorschrift bedürfen noch der sorgfältigen Ausgestaltung", sagte Poseck auf LTO-Anfrage.

Der Vorschlag des hessischen Justizministers beruht auf der Annahme, die "Leugnung des Existenzrechts Israels" sei stets antisemitisch. Dabei fragt sich schon im ersten Schritt, welche Fälle darunter zu fassen sind, was das "Existenzrecht Israels" meint und wie man dieses leugnen, abstreiten bzw. verneinen kann.

"From the river to the sea" verbieten

Das Existenzrecht könnte einerseits das Recht eines bestehenden Staates bezeichnen, auch in Zukunft weiterzubestehen. Dieses wird vom Völkerrecht mindestens vorausgesetzt, hieraus folgt auch das Selbstverteidigungsrecht eines angegriffenen Staates. Wer solch ein Weiterbestehensrecht verneint, der leugnet eine Tatsache. Tut er das öffentlich, dürfte das häufig als Gewaltaufruf zu verstehen und mithin strafbar sein, etwa nach § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten) oder wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB, im Kontext eines bereits stattfindenden Angriffs als dessen Billigung gemäß § 140 StGB.

Doch die wenigsten Aussagen, die man auf Demonstrationen, in den Sozialen Medien oder sonst im öffentlichen Raum vernimmt, haben eindeutig diesen Bedeutungsgehalt. Vielmehr geht es propalästinensischen Hardlinern eher darum, das Recht der Juden auf einen eigenen Staat zu verneinen, entweder generell oder auch nur auf dem Territorium zwischen Jordan und Mittelmeer. "From the river to the sea, Palestine will/shall be free" – genau um diese auf propalästinensischen Demos häufig skandierte Parole geht es Poseck, wie er gegenüber LTO betätigte.

Die darin zum Ausdruck kommende Forderung nach einem "freien Palästina" kann im Kontext des Angriffs vom 7. Oktober als nach § 140 Strafgesetzbuch (StGB) strafbare Billigung des Hamas-Terrors interpretiert werden. Erfolgt sie im zeitlichen Abstand des Angriffs und ohne Jubel, mag das jedoch anders sein. Poseck will die Parole unabhängig davon verbieten, ob sie Gewalt verherrlicht oder dazu aufruft. Nämlich "weil sie das Existenzrecht des Staates Israel fundamental ablehnt". Aber ist das eindeutig der Fall?

Kritik an Siedlungspolitik bleibt erlaubt

Was nach Ansicht der Skandierenden genau mit Israel passieren soll oder wie sie zu dessen Staatsgründung stehen, ergibt sich aus dem Wortlaut der Parole nicht. So könnte damit theoretisch auch der Wunsch gemeint sein, dass zwischen Jordan und Mittelmeer ein neuer Staat gegründet wird, in dem Juden, Muslime und Araber gleichberechtigt nebeneinander leben und in der Regierung sitzen, dass dieser Staat aber nicht Israel heißt. Sie pauschal zu verbieten, würde daher im Zweifel bedeuten, eine Meinungsäußerung zu verbieten. Daher passt hier schon der Begriff "leugnen" womöglich gar nicht – im Gegensatz zur Leugnung der Tatsache des Holocausts, strafbar gemäß § 130 Abs. 3 StGB.

Zudem ist fraglich, ob Art. 5 Abs. 2 Grundgesetz (GG) ein solches Verbot einer Meinung wegen ihres Inhalts zulässt. Das muss sich an den Maßstäben der "Wunsiedel"-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts messen lassen. Grundsätzlich schützt Art. 5 Abs. 1 GG auch Meinungen, die die Mehrheit der Bürger für ungerecht, unsensibel und geschichtsvergessen hält. Diese Erwägung erkennt auch die Begründung von Posecks Beschlussvorschlag ausdrücklich an, hält die vom BVerfG abgesteckten Grenzen jedoch für eingehalten.

Auch bei vielen anderen Parolen dürfte fraglich sein, ob man sie verbieten kann. Äußerungen wie "Free Palestine" lassen sich sowohl als Kritik an der Siedlungspolitik als auch als Plädoyer für eine Zwei-Staaten-Lösung mit anderen Grenzen verstehen. Auf Nachfrage stellte Poseck inzwischen gegenüber LTO klar: "Kritik an der israelischen Siedlungspolitik sollte nicht unter die Strafvorschrift fallen, sondern grundsätzlich vom Recht auf freie Meinungsäußerung umfasst sein. Eine derartige Kritik stellt ja auch nicht das Existenzrecht grundsätzlich in Frage."

Grüne und FDP: "StGB-Änderung nicht erforderlich"  

Ob Poseck mit seinem Vorschlag die Mehrheit seiner Ressortkollegen am 10. November wird gewinnen können, ist zweifelhaft. Die von LTO angefragten Rechtspolitiker der Fraktionen von FDP, Grünen und der Linken im Bundestag sind nicht überzeugt: So hält die rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion Katrin Helling-Plahr das StGB in seiner derzeitigen Fassung für gut gerüstet gegen Antisemitismus. Strafbar seien schon "die Hetze gegen Juden, die Billigung von Straftaten, die Verbreitung von Propagandamitteln oder auch das Verbrennen israelischer Flaggen". Statt des Gesetzgebers nimmt sie Staatsanwaltschaft und Polizei in die Pflicht.

Ähnlich reagiert auch der Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen: "Mit den aktuell geltenden gesetzlichen Regelungen kann der Schutz für den öffentlichen Frieden und die in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden gewährleistet werden. Insoweit besteht keine Strafbarkeitslücke und die Ermittlungs- und Versammlungsbehörden können erforderlichenfalls einschreiten", erklärt die Obfrau im Rechtsausschuss und Berichterstatterin für das Strafrecht Canan Bayram. 

Clara Bünger, Sprecherin für Flucht- und Rechtspolitik der Linken, verweist darauf, dass § 130 StGB bereits erweitert worden sei. "Eine nochmalige Erweiterung wird unsere Probleme mit Antisemitismus in Deutschland nicht beenden", so Bünger. Zugleich monierte sie doppelte Standards bei der Frage, was in der öffentlichen Diskussion als Antisemitismus gelte und was nicht. Unter Verweis auf den Flugblatt-Skandal um Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger sagte sie: "Wenn wir den Antisemitismus nur bei bestimmten Menschengruppen sehen und aktiv bekämpfen und ihn bei anderen hinnehmen, wird er jedenfalls nicht verschwinden."

Union will an die §§ 129, 129a StGB ran, die SPD an § 130 StGB

In den eigenen Reihen stößt Posecks Vorschlag dagegen auf Zustimmung: "Die hessische Initiative für die JuMiKo findet meine Unterstützung", erklärte der rechtspolitische Sprecher der Union, Günter Krings (CDU), gegenüber LTO. Der Schutz jüdischen Lebens sei Staatsaufgabe und unverhandelbar. Krings hält es darüber hinaus für geboten, "die von Rot-Grün vor 20 Jahren aufgerissene Lücke bei der Sympathiewerbung für Terrororganisationen zu schließen. Das würde das strafrechtliche Vorgehen auch gegen Hamas-Sympathisanten erheblich erleichtern." 

Die Werbung für terroristische Vereinigungen war bis 29. August 2002 ohne Einschränkungen strafbar. Mit dem 34. Strafrechtsänderungsgesetz  (BGBl. I S. 3390) hat die damalige rot-grüne Mehrheit die bisherige Tatvariante des Werbens ausdrücklich auf das gezielte "Werben um Mitglieder und Unterstützer" beschränkt und so den Bereich der sog. Sympathiewerbung aus dem Anwendungsbereich der §§ 129 ff. StGB ausgeklammert. Die Union fordert schon länger, die Änderung wieder rückgängig zu machen, das damals SPD-geführte Bundesjustizministerium hatte das 2018 gegenüber LTO abgelehnt: "Es besteht keine Strafbarkeitslücke." 

Aus der SPD-Bundestagsfraktion hieß es, man werde den Vorschlag aus Hessen prüfen. "Wir schauen uns die Vorschläge von Herrn Poseck gerne an mit Blick auf Substanz und Durchsetzbarkeit an", kündigte der Parlamentarische Geschäftsführer Johannes Fechner an. Gegenüber LTO sprach sich Fechner für eine Verschärfung der Volksverhetzung nach § 130 StGB aus: "Da unterstütze ich die Forderung des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, den Paragrafen künftig auch anwenden zu dürfen, ohne dass eine Störung der öffentlichen Ordnung festgestellt werden muss." Kleins Vorschlag ist im Zusammenhang mit einem Forschungsprojekt der Leipziger Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven entstanden. Sie kritisiert, dass nur in Deutschland lebende Juden/Israelis Opfer einer Volksverhetzung werden können, und schlägt vor, den Inlandsbezug zu streichen.

Bundesjustizminister skeptisch  

Unterstützung bekommt Poseck ein stückweit von seiner Kollegin aus Berlin. Justizsenatorin Felor Badenberg will die JuMiKo am 10. November von einem Antrag überzeugen, der ebenfalls Änderungen im Strafrecht in den Blick nimmt. Er lautet: "Antisemitischer Terror der Hamas in Israel und dessen Auswirkungen auf den öffentlichen Frieden in Deutschland – strafrechtliche Handlungsoptionen identifizieren und konsequent umsetzen." 

In dem Beschlussvorschlag, der LTO vorliegt, wird Bundesjustizminister Buschmann um Prüfung gebeten, "inwieweit im Strafgesetzbuch und Nebengesetzen wie dem Versammlungs- und Vereinsgesetz Regelungsbedarf besteht, mit dem der besonderen Verantwortung Deutschlands für Israel und jüdisches Leben und dem Erhalt des öffentlichen Friedens in Deutschland so effektiv wie möglich Rechnung getragen werden kann."

Buschmann selbst zeigte sich bislang eher skeptisch, ob das Strafrecht eine Reform benötigt. Gegenüber LTO verwies das Ministerium auf Äußerungen, die Buschmann kürzlich bei T-Online getätigt hatte: "Wir sollten nicht in Aktionismus verfallen. Was wir derzeit an Grenzüberschreitungen erleben, steht bereits unter Strafe. Hetze gegen Jüdinnen und Juden, die Billigung von Straftaten, das Verbreiten von Propagandamitteln, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte: All das kann schon heute schuldangemessen bestraft werden".

Zitiervorschlag

Leugnung des Existenzrechts Israels: . In: Legal Tribune Online, 24.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52986 (abgerufen am: 05.10.2024 )

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