Die Koalition will das Terrorstrafrecht verschärfen. Schon der Versuch der Ausreise, um sich in einem Terrorcamp ausbilden zu lassen, soll strafbar werden. Auch die Terrorfinanzierung wird deutlich härter bestraft. Nikolaos Gazeas hat sich im Rechtsausschuss des Bundestags vehement gegen Teile der geplanten Änderungen ausgesprochen. Im Interview spricht er über bessere Ansätze, um Gewalttaten zu verhindern.
LTO: Nach Regierungsplänen soll ein neuer § 89a Abs. 2a Strafgesetzbuch Reisen mit dem Ziel, sich im Ausland an schweren staatsgefährdenden Gewalttaten zu beteiligen oder in einem Terrorcamp ausbilden zu lassen, als weitere Vorbereitungshandlungen einer terroristischen Tat unter Strafe stellen. Das gilt bereits für den Versuch. Und auch die Finanzierung von Terrorismus soll in einem eigenen Straftatbestand erfasst werden. Wie bewerten Sie diese Vorhaben?
Gazeas: Die geplante Strafbarkeit der Ausreise und des Versuchs der Ausreise ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nach meiner Einschätzung hochproblematisch. Die Strafbarkeit der Terrorismusfinanzierung (§ 89c StGB-E) ist weniger kritisch, auch wenn einige Punkte im Detail Probleme mit sich bringen.
LTO: Unabhängig von allen Fragen des deutschen Verfassungsrechts: Muss die Koalition die Reiseverbote nicht schon ausweiten, um den Anforderungen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu genügen?
Gazeas: Grundsätzlich ja. Deutschland ist völkerrechtlich verpflichtet, die UN-Resolution vom 24. September umzusetzen. Tatsächlich setzen die beiden geplanten neuen Vorschriften diese Vorgaben vollständig um.
"Gefahrenabwehr unter dem Deckmantel des Strafrechts"
LTO: Also agiert Heiko Maas im Einklang mit internationalen Vorgaben. Zudem verweist er, wie auch die Union, auf die aktuelle Sicherheitslage in Deutschland. Ca. 500 junge Deutsche reisen aus Deutschland in Richtung Syrien aus, um sich dort islamistischen Gruppierungen in Konfliktgebieten anzuschließen. Von solchen Personen und von Rückkehrern gehe, so der Entwurf, eine eigenständige erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland aus.
Gazeas: Dem stimme ich zu, von solchen Menschen gehen Gefahren für uns alle aus. Der Gesetzgeber verfolgt hier mit dem Gesetzesentwurf also ein legitimes staatliches Ziel. Und auch ich bin dafür, potentielle Dschihadisten an einer Ausreise aus Deutschland zu hindern. Aber auch legitime staatliche Ziele müssen verfassungskonform umgesetzt werden. Und genau hier liegt das Problem. Das Strafrecht ist nicht dazu da, gefährliche Menschen vorsorglich aus dem Verkehr zu ziehen. Das ist Aufgabe des Gefahrenabwehrrechts.
Das Strafrecht als repressives Instrument muss dagegen an begangenes Unrecht anknüpfen. Die geplante Neuregelung jedoch knüpft an eine völlig neutrale Handlung sehr weit im Vorfeld an, nämlich an das Ausreisen oder – noch früher – bereits an den Versuch der Ausreise. Wer einfach nur aus Deutschland ausreist, begeht in der Kategorie des Strafrechts aber kein strafwürdiges Unrecht.
Das mag man anders sehen bei demjenigen, der ein Terrorcamp besucht. Diese Menschen machen dort keinen Abenteuerurlaub. Wer sich im Umgang mit Waffen zu terroristischen Zwecken ausbilden lässt, begeht strafwürdiges Unrecht, wenn er fest entschlossen ist, mit den erlernten Fertigkeiten einen terroristischen Anschlag zu begehen.
"Bereits Jahre vor einem Anschlag strafbar."
LTO: Was ist dann Ihr Problem mit der geplanten Neuregelung?
Gazeas: Der Besuch eines Terrorcamps ist bereits heute strafbar. Die geplante Regelung in § 89a Abs. 2a StGB geht aber noch einen erheblichen Schritt weiter ins Vorfeld. Zum Zeitpunkt der Ausreise aus Deutschland sind noch mehrere wesentliche Zwischenakte erforderlich - und zwar sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht – bis der Ausreisende tatsächlich zu einer Gefahr wird Der potenzielle Straftäter muss in dem ausländischen Staat einreisen, dort im terroristischen Ausbildungslager ankommen und sich erfolgreich ausbilden lassen oder selbst ausbilden.
Zwischen der Ausreise und dem vollendeten Sich-Unterweisen-Lassen in einem Terrorcamp liegen mindestens mehrere Tage, wenn nicht Wochen oder Monate. Bis zu einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, einem Terroranschlag durch den dann Ausgebildeten, können weitere Tage, Wochen, Monate oder gar Jahre vergehen.
All das soll für die Strafbarkeit nach dem neuen § 89a Abs. 2a StGB ohne Bedeutung sein, solange der Täter fest entschlossen ist, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen. Bestraft werden soll damit im Kern nichts anderes als eine bloße böse Absicht, eine Gesinnung, die zudem in ferner Zukunft liegt. Dies erscheint mir unverhältnismäßig.
Wenn man das schon für strafwürdig hält, müsste man im Grunde auch erwägen, einen Straftatbestand zu schaffen, um den "klassischen" Mörder, der sich fest vorgenommen hat, einen Menschen in München zu töten, spätestens dann bestrafen zu können, wenn er in Hamburg in den Zug steigt, um nach München zu fahren. Auf diese Idee würde aber niemand kommen, obwohl dieser fiktive Hamburger Mörder der Tatbegehung weitaus näher steht als der Islamist, der am deutschen Flughafen steht und sich dort strafbar machen soll. Den potentiellen Mörder trennen von seinem Mord nur wenige Stunden. Den Islamisten deutlich größere Zeitspannen und Distanzen.
"Tatnachweis kaum zu führen"
LTO: Wie genau soll der Nachweis, dass der Täter "fest entschlossen" ist, denn geführt werden?
Gazeas: Das ist ein weiteres ganz großes Problem. Es dürfte enorme Schwierigkeiten bereiten, dem Täter die Tat nachzuweisen. Denn die geplante Neuregelung knüpft im Kern ausschließlich an seine Absichten an, also an das, was in seinem Kopf schwebt.
Der BGH verlangt zu § 89a in der aktuellen Fassung, auf welcher der Entwurf aufbaut, dass der Täter "fest entschlossen" ist, eine schwere Gewalttat zu begehen, also einen direkten Vorsatz 1. Grades. Diesen wird man demjenigen, der auszureisen versucht, oft nur schwer nachweisen können. Ich rechne damit, dass viele Beschuldigte sich damit verteidigen werden, zum Zeitpunkt der Ausreise – hierauf ist abzustellen – noch unentschlossen oder zumindest nicht ganz sicher gewesen zu sein, ob sie später auch wirklich einen Anschlag begehen würden. Solche Einlassungen werden oft unwiderlegbar sein.
Schließlich wären mit der geplanten Erweiterung einer Norm, die schon jetzt extrem vage formuliert ist, die strafprozessualen Voraussetzungen für eine akustische Wohnraum- und Telekommunikationsüberwachung sehr leicht erfüllt. Ermittler hätten Zugriff auf diese Ermittlungsinstrumente, die mit sehr schwerwiegenden Grundrechtseingriffen verbunden sind.
2/2: "Strafbarkeit sollte an Ausreiseverbot anknüpfen"
LTO: Wie sähe denn eine verfassungsgemäße Alternative aus?
Gazeas: Die Strafbarkeit sollte an ein zuvor ausgesprochenes Ausreiseverbot anknüpfen. Ein solches kann und wird bereits heute gegenüber Deutschen wie auch Ausländern verhängt. Auch bei ausreisewilligen Islamisten ist dies bereits in der Vergangenheit geschehen. Die entsprechenden Regelungen stehen im Passgesetz, im Personalausweisgesetz und im Aufenthaltsgesetz.
Wer gegen ein Ausreiseverbot verstößt, macht sich strafbar, schon nach geltendem Recht. Diese Strafvorschriften sollten modifiziert werden. Insbesondere wäre der derzeit sehr geringe Strafrahmen zu erhöhen. Ich habe hier einen Strafrahmen von drei Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe vorgeschlagen.
Damit würde der Gesetzgeber einen verfassungsrechtlich weitaus sichereren Weg einschlagen und das – wie gesagt durchaus legitime – Ziel auf grundrechtsschonendere Weise erreichen.
Auch der Nachweis der Tat wäre viel leichter zu führen: Es reicht, dass jemand, gegen den ein Ausreiseverbot ergangen ist, versucht hat, trotzdem auszureisen. Wird die Person am Flughafen oder an einem Grenzübertritt angetroffen, ist dieser Nachweis, der im Kern an objektive Umstände anknüpft, ohne Probleme möglich. Im Ergebnis würde man, vermute ich, nach dieser Lösung weitaus mehr Täter überführen können als dies wegen der hohen Anforderungen an die innere Tatseite nach der StGB-Lösung der Fall wäre.
"Ebenso effektiv wie der Vorschlag der Koalition"
LTO: Aber wie effektiv ist ein Vorschlag, der ein vorheriges Ausreiseverbot verlangt?
Gazeas: In meinen Augen im Ergebnis ebenso effektiv wie der Vorschlag der Koalition. Die Sicherheitsbehörden sind – so die Aussagen von Praktikern und Politikern – in aller Regel über die Ausreisepläne von Islamisten im Bild. Eine effektive Gefahrenabwehr gebietet es in solchen Fällen meines Erachtens ohnehin, begleitend gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen wie einen Passentzug, eine Beschränkung der Gültigkeit des Personalausweises auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (Ausreiseverbot) und, sobald und soweit dies Gesetz wird, die Ausstellung eines Ersatz-Personalausweises in Erwägung zu ziehen und in aller Regel auch anzuordnen. Auch das geschieht bereits heute.
Durch das Sieb des Strafrechts würden nur solche Personen fallen, von denen die Behörden keine Erkenntnisse über ihre Reiseabsichten haben und denen sie dementsprechend kein Ausreisverbot erteilen. In diesen Fällen hilft jedoch auch der geplante § 89a Abs. 2a StGB-E im Ergebnis nicht wirklich weiter. Zwar würde sich danach ein Ausreisender mit dem Versuch der Ausreise strafbar machen.
Da die Sicherheitsbehörden diese Person jedoch nicht „auf dem Schirm“ haben, wird man sie an der Ausreise nicht hindern bzw. nach Verwirklichung des Straftatbestandes – etwa am Flughafen in Deutschland – nicht festnehmen können. Durch die Verwirklichung des § 89a Abs. 2a StGB-E würde ein Sanktionsanspruch zwar entstehen; dieser wäre jedoch faktisch nicht durchsetzbar, da die Person die Bundesrepublik Deutschland bereits verlassen haben wird, wenn den Sicherheitsbehörden über sie strafrechtlich relevante Erkenntnisse vorliegen.
Erst bei der Rückkehr nach Deutschland könnte man die Person, sofern man dann mehr über sie weiß, festnehmen und den Sanktionsanspruch nach § 89a Abs. 2a StGB-E durchsetzen. In diesen Fällen hat der Rückkehrer jedoch in aller Regel ein terroristisches Ausbildungslager bereits durchlaufen – und sich bereits nach geltendem Recht strafbar gemacht. Dies gilt auch dann, wenn der Besuch des Terrorcamps im Ausland erfolgte (vgl. § 89a Abs. 3 StGB).
"Bereits eine 1-Euro-Spende soll strafbar sein"
LTO: Sie sagten, den geplanten Straftatbestand der Terrorismusfinanzierung (§ 89c StGB-E) sähen Sie weniger kritisch.
Gazeas: Der Gesetzgeber geht von der –zutreffenden – Annahme aus, dass finanzielle Ressourcen von Terrororganisationen wie dem IS den wirtschaftlichen Nährboden für zum Teil hochkomplex organisierte terroristische Aktivitäten bilden. Die Strafwürdigkeit der Terrorismusfinanzierung verfassungsrechtlich zu legitimieren ist weitaus einfacher als beim geplanten Ausreisetatbestand.
Die Neuregelung soll zum einen die derzeit in § 89a Abs. 1 Nr. 4 StGB enthaltene Strafbarkeit der Finanzierung von Vorbereitungshandlungen im Zusammenhang mit terroristischen Anschlägen ersetzen. Außerdem soll die Strafbarkeit der Finanzierung terroristischer Straftaten in einer Norm mit einheitlichem Strafrahmen zusammengestellt werden. Hintergrund hierfür sind in erster Linie Empfehlungen zur Nachbesserung, die die Financial Action Task Force (FATF), eine Einrichtung innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, an Deutschland adressiert hat.
Die wesentliche Änderung besteht darin, dass auf eine Erheblichkeitsschwelle verzichtet und eine erhöhte Mindeststrafe vorgesehen wird. Beides hat die FATF gefordert. Künftig soll damit schon die Spende von nur einem Euro zur Finanzierung der Reise in ein Terrorcamp strafbar sein. Da der Straftatbestand jedoch recht hohe Anforderungen auf der subjektiven Tatseite vorsieht, ist er grundsätzlich – von Detailfragen abgesehen – nicht zu beanstanden.
LTO: Wie stehen Sie zur Änderung des Personalausweisgesetzes, auf welche sich die Innenminister von Bund und Ländern geeinigt haben?
Gazeas: Die Idee, ausreisewilligen Personen den Personalausweis zu entziehen und durch einen Ersatz-Personalausweis zu ersetzen, erscheint auf den ersten Blick sinnvoll und auch notwendig. Denn potentielle Dschihadisten nutzen zunehmend Reiserouten, auf denen der Personalausweis zum Reisen genügt. Jedoch stellt das Grundgesetz wegen der damit einhergehenden ganz erheblichen Stigmatisierungswirkung eines solchen Ersatzausweises sehr hohe Anforderungen an die Rechtfertigung des damit verbundenen Grundrechtseingriffs.
Dr. Nikolaos Gazeas ist Rechtswissenschaftler an der Universität zu Köln. Er ist Experte für deutsches und internationales Strafrecht mit einem Schwerpunkt im Terrorismusstrafrecht. Zu den aktuell geplanten Gesetzesverschärfungen hat er am Montag als Sachverständiger im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages Stellung genommen.
Das Interview führten Anne Herr und Pia Lorenz.
Dr. Nikolaos Gazeas, Regierungspläne zur Terrorismus-Bekämpfung: "Verfassungswidrig und faktisch kaum durchsetzbar" . In: Legal Tribune Online, 24.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15038/ (abgerufen am: 08.12.2023 )
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