Doping ist ein Problem des Sports. Eines, das auch der Sport lösen sollte, meint Ali B. Norouzi. Um es durch das Strafrecht zu lösen, bräuchte es mehr als Fairnesslyrik.
Was auch immer 2016 sonst bereithalten mag: Etliche sportliche Großereignisse zählen gewiss dazu. Im Sommer finden die Olympische Spiele und die Fußball-Europameisterschaft statt. Hinzu kommen jährliche Höhepunkte wie der Superbowl im American Football, das Finale der Champions League, die Tour de France oder die Grand-Slam-Turniere.
Es fügt sich ins Bild, wenn zum 1. Januar in Deutschland ein Gesetz in Kraft getreten ist, das den Glanz des Sports bewahren soll: das Anti-Doping-Gesetz (AntiDopG). Die öffentliche Zustimmung dürfte ihm schon dank des Namens sicher sein – wer ist schließlich für Doping?
Es gefährdet die Gesundheit, benachteiligt jene Sportler, die sich ehrlich an die Wettkampfregeln halten, betrügt die Fans und Zuschauer um ihre ungetrübtes Sporterlebnis, und schädigt mittelbar jene, die mit dem Sport wirtschaftliche Interessen verknüpfen. Darum ist es, so die Befürworter des Gesetzes, mehr als an der Zeit, dass der Gesetzgeber etwas gegen die immer wieder einmal aufflammenden Doping-Skandale unternimmt.
Bislang waren Doping nur mittelbar strafbar
Das tut er, indem er das Selbstdoping im AntiDopG erstmals zur Straftat erhebt. Bislang kannte lediglich das Arzneimittelgesetz Strafvorschriften, die den Umgang mit Dopingsubstanzen betrafen und auf das Umfeld der Athleten abzielten. Netzwerke der organisierten Kriminalität sollten so verfolgt werden. Unter Umständen konnte der dopende Athlet sich zudem wegen Betruges gegenüber seinem Arbeitgeber bzw. dem Wettkampfveranstalters strafbar machen. Wer als Arzt, Trainer oder Betreuer Dopingmittel ohne wirksame Einwilligung verabreichte, beging unter Umständen eine Körperverletzung. Das Selbstdoping als solches wurde hingegen strafrechtlich nicht sanktioniert.
Künftig soll bereits die Einnahme von Dopingmitteln bzw. die Anwendung von Dopingmethoden (wie etwa Gendoping) strafbar sein, wenn sie in der Absicht erfolgen, "sich in einem Wettbewerb des organisierten Sports einen Vorteil zu verschaffen". Damit wird die Strafbarkeit sehr weit vorverlagert. Wer sich dem entziehen will, indem er sich außerhalb der deutschen Strafgewalt im Ausland dopt, findet indes keine Strafbarkeitslücke.
Auf Empfehlung des Sportausschusses ist auch die Teilnahme am Wettbewerb des gedopten Sportlers hierzulande strafbar. Die Strafbarkeit trifft allerdings nur "Spitzensportler" und solche, die aus dem Sport Einnahmen von erheblichem Umfang erzielen – überambitionierte Freizeitjogger und Hobbykicker können aufatmen. Darüber hinaus sieht das Gesetz die Strafbarkeit des unerlaubten Besitzes von Dopingmitteln vor. Das dient faktisch der Beweiserleichterung. Man muss nicht mehr nachweisen, ob die Nadel angesetzt worden ist. Es genügt, wenn bei einem Athleten verbotene Mittel gefunden werden, die er zu Dopingzwecken verwenden wollte.
Argumente: Gesundheitsschutz, Fairness, Aufklärung
Für die Ausweitung des Strafrechts auf das Selbstdoping werden zumeist drei Argumente vorgebracht: Erstens geht es um den Schutz der Gesundheit des Sportlers. Doping habe, das zeigten medizinische Untersuchungen, mittel- oder langfristig schwerwiegende und irreparable Folgen für die Gesundheit.
Zweitens sei der Sport von so herausragender gesellschaftlicher Bedeutung, dass für seine Sauberkeit alles getan werden müsse. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: "Doping erschüttert die Grundlagen der Integrität, die maßgeblich auf Fairness und Chancengleichheit im sportlichen Wettbewerb beruhen. Doping greift tief in die ethisch-moralischen Werte des Sports ein, raubt dem Sport seine Glaubwürdigkeit und Vorbildfunktion." Drittens schließlich belege jeder neue Dopingskandal, wie unzureichend die Aufklärungsmechanismen der Sportverbände seien. Allein der Staatsanwalt könne mit seinen scharfen Waffen für Ordnung sorgen.
Das alles ist weniger überzeugend, als es zunächst vielleicht klingt. Das letzte der drei Argumente ist zwar insofern treffend, als das Strafverfahrensrecht zur Sachverhaltsaufklärung tatsächlich ein sehr wirksames Instrument bildet. Die größere Effektivität einer überraschenden Hausdurchsuchung oder geheimen Telefonüberwachung im Vergleich zu den mehr oder weniger vorhersehbaren Dopingkontrollen der Sportverbände liegt auf der Hand. Aber das wirft Zweck und Mittel durcheinander: Nur weil ein Verhalten bestraft werden muss, erlaubt das Gesetz intensiv in die Grundrechte eingreifende Maßnahmen. Man darf diese Verknüpfung nicht einfach umkehren und einen Straftatbestand schaffen, um bestimmte Sachverhalte von öffentlichem Interesse besser aufklären zu können.
2/2: Selbstschädigungen sind Teil der persönlichen Freiheit
Entscheidend bleibt daher, ob das AntiDopG strafrechtlich anerkannten Zwecken dient. Der propagierte Schutz vor Selbstschädigung betrifft im Kern das Freiheitsverständnis unserer Rechtsordnung. Wieviel Unvernunft billigt sie dem Einzelnen im Umgang mit sich selbst zu? Zumeist recht viel. Selbstgefährdungen und -schädigungen sind, solange sie die Allgemeinheit nicht berühren, auch nicht strafbar.
Das ist der Preis, den ein liberales Gemeinwesen zahlt, das die allgemeine Handlungsfreiheit des Einzelnen als Grundrecht anerkennt und schützt. Wer nachts mit 150 km/h ohne Anschnallgurt bei regennasser Fahrbahn durch die Fußgängerzone rast, setzt leichtsinnig sein Leben aufs Spiel. Er verwirklicht aber zunächst nur eine Ordnungswidrigkeit. Außer einer Geldbuße, einem Fahrverbot, schlimmstenfalls der Entziehung der Fahrerlaubnis, droht ihm nichts. Er begeht keine Straftat – solange er nur sich und niemand anderen gefährdet oder schädigt. Darum taugt die mit Doping verbundene Selbstgefährdung des Sportlers nicht zur Begründung einer Strafbarkeit.
"Integrität des Sports" ist Ideal, nicht Rechtsgut
Nun schreibt sich der Gesetzgeber zudem die Wahrung der "Integrität des Sportes" auf die Fahne. Das hört sich vornehm an. Erlernen und verinnerlichen wir im Sport nicht Werte wie Fairness, Teamgeist und Leistung im Wettbewerb? Mag sein. Doch sollte dann nicht gerade der Sport selbst Quelle dieser Werte bleiben? Wenn er nicht in der Lage ist, sie zu bilden, warum soll es dann das Strafrecht tun?
Hinter dem diffusen Integritätsbegriff verbergen sich nämlich ganz unterschiedliche Interessen und Zwecke. Geschützt werden sollen die ethische Bedeutung eines "sauberen" Sportes, die Vorbilderrolle der Spitzensportler, die Vermögensinteressen der Veranstalter, Sponsoren und zahlenden Zuschauer ebenso wie die öffentliche Sportförderung. Mit der bislang in Deutschland vorherrschenden Rechtsgutslehre passt das nur schlecht zusammen. Danach schützt das Strafrecht nur ganz bestimmte Rechtsgüter, die für ein Leben der Bürger in Freiheit und Frieden unerlässlich sind.
Darauf entgegen die Befürworter des AntiDopG, der Gesetzgeber sei schließlich demokratisch legitimiert und an ein bestimmtes Rechtsgutskonzept der Strafrechtswissenschaft nicht gebunden. Schließlich hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des Inzeststraftatbestands den gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum über den Einsatz von Strafe klargestellt. Das stimmt. Aber das Bundesverfassungsgericht hat zugleich die ultima-ratio-Funktion des Strafrechts betont. Nur Verhalten, das, so Karlsruhe, "in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich [und dessen] Verhinderung daher besonders dringlich ist", kann den Einsatz von Strafrecht legitimieren.
Doping als soziologisches Phänomen
Der Gesetzgeber sollte daher schon etwas mehr als Fairnesslyrik bieten, wenn er zur scharfen Waffe des Strafrechts greift. Indes gibt es bis heute keine empirische Untersuchung zur Frage, welche Konsequenzen für die Allgemeinheit das Bekanntwerden von Dopingvergehen hat. Steigt die Verführung, Regeln zu brechen? Lässt die Steuermoral nach? Nimmt die Kollegialität am Arbeitsplatz ab? Schummeln Schüler häufiger? Oder hatten die nicht enden wollenden Dopingenthüllungen bei der Tour de France keine weitere Konsequenz als einen Rückgang der Zuschauerzahlen?
Dazu gibt es nicht mehr als sozialpsychologische Mutmaßungen ohne Tatsachengrundlage. Vielleicht nimmt das Bundesverfassungsgericht daher die von mehreren Berufssportlern angekündigten Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz zum Anlass, vom Gesetzgeber etwas mehr tatsachenfundierten Begründungsaufwand zu verlangen. Das würde dem ultima-ratio-Gedanken eine zeitgemäße Struktur geben.
Schließlich: Selbst wenn man die Integrität und Fairness im Sport für strafrechtlich schutzwürdig erachtet, bleibt es ein Rätsel, warum sie dann nur im Profisport relevant sein soll. Fairness gilt oder sie gilt nicht. Die Abstufung zwischen Breiten- und Spitzensport wirkt grotesk, wenn man sich die praktischen Folgen klarmacht. Bei einem Großstadt-Marathon wären die Läufer der ersten Reihe strafbar, die Hobbyläufer, die in ihrer Klasse ebenso ihre Mitläufer betrügen, dagegen nicht. Es geht wohl um etwas anderes: um die Sanktionierung von Vorbildversagen. Dafür ist das Strafrecht nicht da. Doping bleibt das Problem einer stets nach neuen Höchstleistungen gierenden Gesellschaft. Walt Whitmans Gedicht "Ihr Schurken vor Gericht" endet mit der Zeile: "Und fortan will ich sie nicht verleugnen – denn wie kann ich mich selbst verleugnen?" Er wusste: Abweichendes Verhalten ist nicht allein eine Sache "der anderen". Es betrifft uns alle. Hinter dieser Erkenntnis bleibt das AntiDopG zurück.
Der Autor Dr. Ali B. Norouzi ist Strafverteidiger in Berlin und Mitglied des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins. Er befasst sich mit Revisionen und Verfassungsbeschwerden in Strafsachen.
Dr. Ali B. Norouzi, Kritik am neuen Anti-Doping-Gesetz: Sanktionierung von Vorbildversagen . In: Legal Tribune Online, 04.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18010/ (abgerufen am: 04.12.2023 )
Infos zum Zitiervorschlag