Druckversion
Mittwoch, 5.11.2025, 15:19 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/anschlaege-in-oslo-und-utoeya-unmenschlich-aber-kein-verbrechen-gegen-die-menschlichkeit
Fenster schließen
Artikel drucken
3878

Anschläge in Oslo und Utøya: Unmen­sch­lich, aber kein Ver­b­re­chen gegen die Men­sch­lich­keit

Dr. Robert Frau

28.07.2011

Oslo-Attentat

© ddp images/dapd

Eine Höchststrafe von 21 Jahren Gefängnis für den Mord an mehr als 70 Menschen widerspricht dem Gerechtigkeitsgefühl. Daher ist verständlich, dass die norwegischen Behörden einen Weg suchen, Anders Behring Breivik für möglichst lange wegzusperren. Eine Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist aber nicht erfolgversprechend, meint Robert Frau.

Anzeige

Bewaffnete Reiter, die Kinder wie Vieh vor sich hertreiben, um sie brutal niederzumetzeln; Rebellen, die tagelang die Frauen eines Dorfes vergewaltigen und danach zum nächsten Dorf weiterziehen, um die Massenvergewaltigungen dort zu wiederholen.

Solche Szenen sind das Lehrbuchbeispiel für Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und solche Szenen haben die Staaten im Kopf, wenn sie bestimmte Handlungen als ebensolche bestrafen. Es war der Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg, als der Tatbestand zum ersten Mal explizit als solcher bezeichnet wurde.

Die Verbrechen in Norwegen, so verwerflich sie sind, sind damit nicht zu vergleichen. Noch deutlicher zeigt die englische Bezeichnung, worum es sich bei solchen Verbrechen handelt: Man spricht von crimes against humanity. Wörtlich ins Deutsche übersetzt meint der ursprünglich aus dem Englischen stammende Begriff also Verbrechen gegen die Menschheit. Der Streit um die richtige Übersetzung aber ist müßig: Klar ist, dass eine Handlung einen speziellen Unrechtsgehalt mit einer internationalen Dimension aufweisen muss, um als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu gelten.

Schutzgüter der Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind der globale Frieden, die internationale Sicherheit und die Interessen der Völkerrechtsgemeinschaft als Ganzes. Die Attentate in Norwegen berühren diese Schutzgüter nicht.

Die größten Verbrechen: Auch in Friedenszeiten möglich

Die genauen Voraussetzungen des Tatbestandes variieren. Neben den Urteilen der Militärgerichtshöfe von Nürnberg und Tokio ist die Rechtsprechung der ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda zu berücksichtigen, von der wiederum die Entscheidungen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) abweichen. Ein gemeinsamer Nenner bleibt aber feststellbar.

Erforderlich sind eine Einzelhandlung und eine Gesamttat. Im Sinne des Römischen Statuts des IStGH bedeutet dies, dass eine Tat "im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs" begangen worden sein muss.

Diesen Gesamtzusammenhang sah man früher darin, dass die Einzeltat im Rahmen eines bewaffneten Konflikts vorgenommen wurde. Inzwischen ist der Anwendungsbereich des Tatbestands aber erweitert worden: Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit kann auch in Friedenszeiten begangen werden.

Kein "ausgedehnter oder systematischer Angriff"

Ein systematischer Angriff ist qualitativ bestimmt. Er bezeichnet die Organisiertheit der Gewaltanwendungen und die Unwahrscheinlichkeit ihres zufälligen Auftretens. Diese Merkmale erfüllen die Anschläge in Norwegen nach dem bisher bekannten Ermittlungsstand nicht.

Der ausgedehnte Angriff ist dagegen quantitativ bestimmt und bemisst sich nach der Zahl der Opfer. Auch eine Einzeltat kann grundsätzlich einen solchen Angriff begründen. So ist es beispielsweise vertretbar, in den Anschlägen vom 11. September 2011 einen ausgedehnten Angriff in diesem Sinne zu sehen.

Allein die hohe Opferzahl rechtfertigt es aber nicht, aus einem Allgemeinverbrechen ein internationales Verbrechen, also ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu machen. Auch bei sehr vielen Toten und Verletzten muss sich eine Einzeltat in den Angriff, insbesondere in "eine Struktur ausgedehnter und systematischer Verbrechen", einfügen, so der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien.

Damit ist klar: Einzeltat und Gesamttat sind unterschiedliche Akte. Schon daher kann sich Breivik nicht eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit strafbar gemacht haben. In der Terminologie des deutschen Strafprozessrechts kann man bei den Anschlägen nämlich durchaus von nur einer Tat im prozessualen Sinne sprechen.

Verbrechen zur Verfolgung einer Politik

Ob eine Einzeltat Teil des Angriffs ist, bestimmt sich danach, ob die „Tat für das Opfer weniger gefährlich gewesen wäre, wenn der Angriff und die ihm zugrundeliegende Politik nicht existiert hätten“ (Kai Ambos). Daran scheitert eine Strafbarkeit im vorliegenden Fall endgültig. Schon von einer Politik kann wohl nicht gesprochen werden.

Kleinster gemeinsamer Nenner der Gerichte ist darüber hinaus, dass der Angriff in irgendeiner Form mit einer (quasi-)staatlichen Autorität verbunden sein muss. Hinter dem Täter muss ein also Apparat stehen. Diese Voraussetzung ergibt sich aus dem spezifischen Unrechtsgehalt der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die eben mehr sind als ein nationales Allgemeinverbrechen, unabhängig davon, wie schrecklich die Tat sein mag.

Wie schwierig die Feststellung einer Organisation ist, zeigt sich derzeit in der Kenia-Situation vor dem IStGH. Der deutsche Richter Hans-Peter Kaul vermochte es nicht, in den wochenlangen Gewaltausbrüchen mit vielen Tätern nach den Wahlen 2007 eine hinreichende Organisation zu erkennen. Er sah zwar viele Gewalttaten verwirklicht, "vermisste" aber den Zusammenhang. Umso weniger verfügt mutmaßliche Einzeltäter Breivik, selbst wenn er einige Gesinnungsgenossen oder Mittäter gehabt hätte, über einen derartigen Apparat.

Damit sind die norwegischen Strafverfolgungsbehörden gut beraten, ihre Anklage nicht auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stützen. Sie würden damit nicht nur den völkerstrafrechtlichen Straftatbestand verwässern. Viel wichtiger noch: Sie würden  damit anerkennen, dass der Attentäter eine Politik verfolgt hat. Damit bliebe ungesagt, was Breivik wirklich ist: schlicht und einfach ein Mörder.

Dr. Robert Frau ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völkerrecht, Europarecht und ausländisches Verfassungsrecht der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder).

 

Mehr auf LTO.de:

Islamkritik: "Das wird man doch noch sagen dürfen!?"

BVerfG: Kein allgemeines Publikationsverbot für "Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts"

Proteste gegen Extremismusklausel: Unverhältnismäßige Einschränkung einer guten Sache

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Robert Frau, Anschläge in Oslo und Utøya: . In: Legal Tribune Online, 28.07.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3878 (abgerufen am: 12.11.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Europa- und Völkerrecht
    • Strafrecht
    • Islam
    • Mord
    • Straftaten
Christina Block im Vordergrund, Gerhard Delling im Hintergrund 11.11.2025
Prominente

Block-Prozess vorm Landgericht Hamburg:

Warum die Vor­sit­zende der Ste­ak­house-Erbin mit Haft­be­fehl drohte

Im Block-Prozess dreht sich an Tag 21 alles um die mysteriöse israelische Sicherheitsfirma, massive Zweifel an IT-Warnungen und eine scharfe Ansage der Vorsitzenden: Christina Block geht in Haft, wenn sie weiter Kontakt zu Zeugen hat.

Artikel lesen
Ein Wels (Silurus glanis), Waller, in einer dunklen Unterwasserhöhle, umgeben von Fels und Muscheln 10.11.2025
Tierschutz

Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen ein:

Schüsse auf Wels vom Brom­bachsee gerecht­fer­tigt

Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen: Ein zwei Meter langer Wels griff im Sommer Badende im Brombachsee an. Ein Polizist zückte seine Dienstwaffe, ein Angler tötete das Tier – laut Staatsanwaltschaft Ansbach war das in Ordnung.

Artikel lesen
Protestaktion gegen Femizide 10.11.2025
Mord

Jeden Tag ein Femizid in Deutschland?:

Warum das nicht stimmt und wie man zu belast­baren Zahlen kommt

Immer wieder heißt es, in Deutschland würde "jeden Tag" ein Femizid begangen – doch die Statistiken werfen viele Fragen auf. Emily Weisenbach erläutert, was sich ändern muss, damit man zu belastbaren Zahlen kommt.

Artikel lesen
Menschen stehen vor der Johanniskirche an dem ein Gedenkort eingerichtet wurde und an dem vor dem Portal Blumen und Kerzen niedergelegt wurden. 10.11.2025
Extremismus

180 Nebenkläger und die Frage nach dem Hintergrund:

Pro­zess um Mag­de­burger Weih­nachts­markt beginnt

In Magdeburg beginnt das Verfahren gegen Taleb al-Abdulmohsen. Der Vorwurf: Mord in sechs und versuchter Mord in 338 Fällen. Für den Mammutprozess ist eigens ein neues Gebäude errichtet worden. Im Zentrum steht die Frage nach dem Tatmotiv.

Artikel lesen
Verbindungsstudenten mit bunten Kappen 08.11.2025
Anzeige

Anzeige gegen Marburger Verbindungsstudenten wegen Duell:

Fechten um die Ehre – ist das strafbar?

Hat in Marburg ein illegales Fechtduell stattgefunden? Verbindungsstudenten sollen einen Ehrenhändel ausgetragen haben, die Linke hat Anzeige erstattet. Lorenz Bode erklärt, warum es immer noch auf ein BGH-Urteil von 1953 ankommt.

Artikel lesen
Polizeibeamte tragen nach einer Razzia sichergestelltes Material aus einer Wohnung im Hamburger Stadtteil Mümmelmannsberg 05.11.2025
Vereinsverbot

Innenministerium verbietet Verein "Muslim aktiv":

Ein Schlag gegen "den modernen Tiktok-Isla­mismus"

Forderungen nach einem Kalifat, Israel-Feindlichkeit, Verachtung für Frauen und Minderheiten: Das Bundesinnenministerium hat einen islamistischen Verein verboten, gegen zwei weitere wird ermittelt. Grund: "verfassungsfeindliche Grundhaltung".

Artikel lesen
lto karriere logo

LTO Karriere - Deutschlands reichweitenstärkstes Karriere-Portal für Jurist:innen

logo lto karriere
Jetzt registrieren bei LTO Karriere

Finde den Job, den Du verdienst 100% kostenlos registrieren und Vorteile nutzen

  • LTO Job Matching: Finde den Job & Arbeitgeber, der zu Dir passt.
  • Jobs per Mail: Verpasse keine neuen Job-Angebote mehr.
  • One-Klick Bewerbung: Dein Klick zum neuen Job, einfach und schnell.
Das Passwort muss mindestens 8 Zeichen lang sein und mindestens einen Großbuchstaben, einen Kleinbuchstaben, eine Zahl und ein Sonderzeichen enthalten (z.B. #?!@$%^&*-).
Pflichtfeld *

Nur noch ein Klick!

Wir haben Dir eine E-Mail gesendet. Bitte klicke auf den Bestätigungslink in dieser E-Mail, um Deine Anmeldung abzuschließen.

Weitere Infos & Updates einfach und kostenlos direkt ins Postfach.

LTO Karriere Newsletter

Das monatliche Update mit aktuellen Stellenangeboten & Karriere-Tipps.

LTO Daily

Jeden Abend um 18 Uhr die wichtigsten News vom Tag.

LTO Presseschau

Jeden Morgen um 7:30 Uhr die aktuelle Berichterstattung über Recht und Justiz.

Pflichtfeld *

Fertig!

Um die kostenlosen Nachrichten zu beziehen, wechsle bitte nochmal in Dein Postfach und bestätige Deine Anmeldung mit dem Bestätigungslink.

Du willst Dein Bewerberprofil direkt anlegen?

Los geht´s!
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von Clifford Chance Partnerschaft mbB
BACKS­TA­GE - Das Pro­gramm für Prak­ti­kant*In­nen am Stand­ort Mün­chen Früh­jahr...

Clifford Chance Partnerschaft mbB , Mün­chen

Logo von Airbus Bank
Se­nior Spe­zia­list AML (m/w/d) in Teil­zeit

Airbus Bank , Mün­chen

Logo von Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern
As­so­cia­tes - Tra­de, Com­p­li­an­ce & In­ves­ti­ga­ti­on - Ber­lin

Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern , Ber­lin

Logo von ARNECKE SIBETH DABELSTEIN
Rechts­an­walt (m/w/d) Offs­ho­re-Wind, ma­riti­mes Wirt­schafts­recht (Cor­po­ra­te)...

ARNECKE SIBETH DABELSTEIN , Ham­burg

Logo von DLA Piper UK LLP
Pro Bo­no Re­fe­ren­dar (m/w/x)

DLA Piper UK LLP , Mün­chen

Logo von Clifford Chance Partnerschaft mbB
BACKS­TA­GE - Das Pro­gramm für Prak­ti­kant*In­nen am Stand­ort Düs­sel­dorf...

Clifford Chance Partnerschaft mbB , Düs­sel­dorf

Logo von Bird & Bird LLP
Rechts­an­walt (m/w/d) Öf­f­ent­li­ches Wirt­schafts­recht (Ver­ga­be­recht)

Bird & Bird LLP , Mün­chen

Logo von REDEKER SELLNER DAHS
Re­fe­ren­da­rin/​Re­fe­ren­dar (m/​w/​d) Straf­recht

REDEKER SELLNER DAHS , Bonn

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Logo von Flick Gocke Schaumburg
MeeT Our Advisors - Hamburg

19.11.2025, Hamburg

Logo von Flick Gocke Schaumburg
Meet Our Lawyers Bonn - Transaktionen / M&A

24.11.2025, Bonn

Logo von Fachseminare von Fürstenberg
Die RVG-Reform 2025 in der Praxis – mit Norbert Schneider

19.11.2025

Handlungsoptionen zur Betriebsratswahl

20.11.2025

Logo von Fieldfisher
Private Equity Fireside Chat | Strategic Due Diligence: PMI for complex transactions and Tech DD

20.11.2025, München

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH