Streit im Rechtsausschuss über Termine für Anhörungen: Fach­li­cher Aus­tausch uner­wünscht?

von Hasso Suliak

05.03.2021

Die Opposition im Bundestag wirft der Koalition vor, im Rechtsausschuss bewusst Sachverständigen-Anhörungen zu Gesetzesvorschlägen von Linken, FDP und Grünen auf die lange Bank zu schieben. Union und SPD verweisen auf die GO des Bundestages.

Zu den garantierten Minderheitenrechten der Opposition im Bundestag gehört unter anderem, in den Fachausschüssen zu eingebrachten Gesetzesvorhaben öffentliche Sachverständigen-Anhörungen durchführen zu lassen. Zwar haben die Gesetzesentwürfe der Opposition wenig Aussicht darauf, realisiert zu werden, aber eine öffentliche Anhörung kann vor allem bei politisch bedeutsamen Vorhaben Druck auf die Regierungsfraktionen erzeugen.

Im Rechtsausschuss des Bundestages, so kritisieren Vertreterinnen und Vertreter der Opposition jetzt gegenüber LTO, würden diese Anhörungen zwar beschlossen, aber nicht im angemessenen Zeitraum auch terminiert. "Man gewinnt den Eindruck, Union und SPD scheuen die Diskussion mit Sachverständigen", sagt der rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Dr. Jürgen Martens. "Die Koalition torpediert das Minderheitenrecht auf öffentliche Anhörung", beklagt auch die Sprecherin für Rechtspolitik der grünen Bundestagsfraktion, Katja Keul. Die Grüne bekommt an dieser Stelle sogar ausnahmsweise Zustimmung von der AfD: "Frau Keul hat recht, die GroKo verhindert derzeit über die Terminierung, dass vom Ausschuss beschlossene Anhörungen tatsächlich auch stattfinden", so der rechtspolitische Sprecher der AfD, Roman Reusch.

Um den Termin festzulegen, braucht es GroKo-Stimmen 

Während die Opposition aufgebracht ist und sich in ihren parlamentarischen Rechten verletzt sieht, wiegeln Vertreter der GroKo ab. Der Kommissarische Vorsitzende des Rechtsausschusses. Prof. Dr. Heribert Hirte, verweist gegenüber LTO auf die Rechtslage: "Es entspricht der Geschäftsordnung unseres Hauses, dass Anhörungen dem Grunde nach, auch insbesondere als Ausdruck des Minderheitenrechts, mit Rücksicht auf die Wünsche aller Fraktionen beschlossen werden, dass die Terminierung aber von der Koalition, also der Mehrheit der Mitglieder, vorgenommen wird." Nur so sei es möglich, die Arbeitsfähigkeit des Parlamentes im Hinblick auf seine legislative Verantwortung zu sichern und gleichzeitig dem pluralen Ideal des Hauses gerecht zu werden.

Ein Minderheitenrecht kommt also nur zur Geltung, wenn die Mehrheit es zulässt? Es scheint so, denn die Geschäftsordnung des Bundestages (GO-BT) lässt genau dieses Vorgehen zu: Danach findet eine öffentliche Anhörung über eine Gesetzesvorlage zwar nach § 70 Abs.1 GO-BT auf Antrag eines Viertels der Mitglieder statt. Hinsichtlich der konkreten Terminierung muss jedoch eine einfache Mehrheit stehen, d.h. ohne Stimmen aus der GroKo geht nichts. 

Und so kommt es immer wieder dazu, dass zu Gesetzesvorlagen aus den Reihen der Opposition zwar Anhörungen beschlossen werden – aber kein Termin festgelegt wird. FDP-Rechtspolitiker Martens bestätigt im Gespräch mit LTO, die GroKo verschiebe Anhörungen vor allem dann immer gerne auf den "Sankt Nimmerleinstag", wenn es um Themen gehe, die der Koalition "nicht genehm" sind. 

Als jüngstes Beispiel dafür nennen Oppositionsvertreter:innen die geplanten Änderungen im Grundgesetz (GG) in Art. 6 GG (Stärkung von Kinderrechten) und Art.3 GG (Streichung des Merkmals "Rasse").  Zu beiden liegen Gesetzentwürfe der Opposition vor und auch Regierungsentwürfe – offenbar haben sich CDU, CSU und SPD aber noch nicht abschließend geeinigt und deshalb noch kein Interesse an einer Anhörung. 

Die Grünen wollen seit Oktober 2019 über Kinderrechte im GG diskutieren

Beim Thema Kinderrechte ins Grundgesetz etwa existiert seit Juni 2019 ein entsprechender Gesetzentwurf der Grünen. Gleichwohl hat der Rechtsausschuss am Mittwoch nach Angaben eines Fraktionsmitarbeiters der Grünen zum wiederholten Mal die Terminierung der auch von FDP und den Linken unterstützen öffentlichen Anhörung abgelehnt. Ebenso scheiterte die Terminierung einer Anhörung zum Art. 3 Absatz 3 GG (Ersetzung des Wortes "Rasse") an den fehlenden Stimmen der Koalition. 

Laut CDU-Fraktionsvize Thorsten Frei werde hinsichtlich der Terminierung von Anhörungen den Wünschen der Opposition Rechnung getragen, "soweit dies angesichts der begrenzten Zeit irgend möglich ist". Grund dafür, dass derzeit nicht alle gewünschten Anhörungen durchgeführt werden könnten, sei laut Frei "die Vielzahl der Gesetzgebungsverfahren im Bereich der Rechtspolitik, die derzeit gleichzeitig noch vor Ende der Legislatur zum Abschluss gebracht werden sollen". Es fehle schlicht an verfügbaren Zeitfenstern. 

Im Fall der Kindergrundrechte sei vorgesehen, zum Gesetzesentwurf der Koalitionsfraktionen voraussichtlich im Mai eine Anhörung abzuhalten. Hier könne dann "natürlich" auch die Opposition ihre abweichenden Konzepte zur Sprache bringen. Freis Fraktionskollege Dr. Jan-Marco Luczak beschwichtigt ebenfalls: "Die Änderung unserer Verfassung, zumal des Grundrechtsteils, muss immer mit höchster Sorgfalt diskutiert und vorbereitet werden." Beim Thema Kinderrechte ins Grundgesetz gebe es nach der Einigung in der Koalition aktuell auch Gespräche mit den Oppositionsfraktionen, um einen Konsens für die notwendige Zweidrittelmehrheit herzustellen. "Für die Grünen sitzt Frau Keul dort mit am Tisch", so Luczak.*

Auch laut SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner kann von einer Vereitelung von Oppositionsrechten "nicht die Rede" sein. Fechner verweist auf den gedrängten Terminkalender:  "Wir haben nur noch acht Sitzungswochen und es stehen noch mindestens acht Anhörungen zu Oppositionsgesetzen und 22 Anhörungen zu Koalitionsgesetzen an." 

Anhörungen, so Fechner, sollten nicht zu reinen Alibiveranstaltungen ohne Auswirkungen verkommen, aber genau diese Gefahr drohe, wenn wir nicht Gesetze zu gleichen Themen bündeln und zu mehreren Gesetzen zum gleichen Thema Anhörungen machen. Beim Thema Kinderrechte allerdings kann der SPD-Mann den Unmut der Grünen nachvollziehen: Für sie sei es tatsächlich misslich, noch warten zu müssen. "Wenn es nach der SPD geht, könnte die Anhörung schon im April sein."

Änderung der BT-Geschäftsordnung abgelehnt

Dass die Koalition aktuell jede beschlossene Anhörung zu Oppositionsvorhaben auf unbestimmte Zeit verschieben kann, ist vor allem auch der Linken schön länger ein Dorn im Auge. Die Fraktion brachte deshalb im Oktober 2020 einen Änderungsantrag in den Bundestag ein, der für die Durchführung von Anhörungen innerhalb einer angemessenen Frist sorgen soll. In dem Änderungsantrag schlagen die Linken vor, Anhörungen auf Antrag der Opposition spätestens innerhalb von zehn Sitzungswochen zu terminieren. In der Begründung des Antrags beruft sich die Linke auch auf Aussagen des Bundesverfassungsgerichts, wonach "der Bundestag nicht gehindert [sei], dem Ausschuss Fristen für die weitere Beratung einer Gesetzesvorlage vorzugeben" (Beschl. v. 14. Juni 2017, Az. 2 BvQ 29/17). 

Friedrich Straetmanns, rechtspolitischer Sprecher der Linken hält dieses Ansinnen für aktueller denn je: "Die GroKo lässt die Rechte der Opposition leer laufen und ist zur Begründung um keine Ausrede verlegen", sagt er. Durch eine entsprechende Änderung der GO-BT müsse eine demokratische Opposition in die die Lage versetzt werden, "zumindest eine Verzögerungstaktik der GroKo nach einem bestimmten Fristablauf unterbinden zu können". 

Indes: Den auch von den anderen Oppositionsfraktionen unterstützten GO-Änderungsantrag der Linken lehnte die Koalition erst vor wenigen Wochen im Bundestag ab. Es bestehe kein Bedarf für eine Frist, die bisherige Praxis, beschlossene Anhörungen im Einvernehmen zu terminieren, habe sich "bewährt".

Die Grünen wollen beim konkreten Thema Kinderrechte nun auf anderem Wege zumindest zu einer Erörterung im Bundestag kommen: Dem Vernehmen nach hat die Fraktion beim Rechtsausschussvorsitzenden beantragt, dass ein Bericht über den Beratungsstand gemacht wird, der dann im Plenum behandelt werden könne. Grundlage hierfür ist eine Frist in § 62 Abs. 2 GO-BT. Darin heißt es: "Zehn Sitzungswochen nach Überweisung einer Vorlage können eine Fraktion oder fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages verlangen, dass der Ausschuss durch den Vorsitzenden oder Berichterstatter dem Bundestag einen Bericht über den Stand der Beratungen erstattet. Wenn sie es verlangen, ist der Bericht auf die Tagesordnung des Bundestages zu setzen." Auf die Tagesordnung des Bundestages muss das Anliegen dann auch tatsächlich gesetzt werden. 

*Anm.der Redaktion: Das Zitat von Dr. Jan-Marco Luczak wurde nachträglich am 05.03.2021, 16.18 Uhr, vervollständigt.

Zitiervorschlag

Streit im Rechtsausschuss über Termine für Anhörungen: Fachlicher Austausch unerwünscht? . In: Legal Tribune Online, 05.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44437/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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