Schlimme Schlagzeilen konnte 2016 jeder. Doch es gab auch gute Nachrichten. Wir haben einige zusammengestellt – selbstverständlich jeweils inklusive anderer Ansicht.
1/8: Schlimm kann jeder
2016 war ein ziemlich schlimmes Jahr, das haben wir in unseren Rückblicken (hier, hier, hier, hier und hier) alle mehr oder weniger deutlich so gesehen, und das hat auch sonst kaum ein Kommentar zum vergangenen Jahr unerwähnt gelassen.
Aber über all den Hiobsbotschaften sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass es auch ein paar erfreuliche Entwicklungen gab, im Kleinen wie im Großen. Und weil es nicht zu unserem Jobprofil gehört, uns über den endlich gelöschten Twitter-Account von Justin Bieber, Wieder-Single Brad Pitt oder eine mögliche Rückkehr der Ladies von Sex and the City zu freuen, hier einige gute Nachrichten mit speziell juristischem Einschlag:
2/8: Aufstand der Kreativen: Verteilungspraxis von VG Wort und GEMA kippt
In zwei Urteilen, deren Bedeutung für die Kreativbranche kaum zu unterschätzen ist, hat erst der BGH die Verteilungspraxis der VG Wort für ungültig erklärt, und dann das KG Berlin diejenige der GEMA. Bislang hatten die Verwertungsgesellschaften die Einnahmen aus der Reprographieabgabe (VG Wort) bzw. aus der Vergabe von Nutzungsrechten (GEMA) hälftig (VG Wort) bzw. nach einem bestimmten Schlüssel (GEMA) zwischen den Urhebern und den Verlagen aufgeteilt.
Die Entscheidungen, die der EuGH schon letztes Jahr vorgezeichnet hatte, bedeuten erhebliche Mehreinnahmen für die Kreativen; eine Berufsgruppe also, die sie zum größten Teil weiß Gott nötig hat. Schmerzlich sind die Urteile insbesondere für kleine oder schlecht laufende Verlage, die durch die nun anstehenden Nachzahlungen in finanzielle Schieflage geraten können – auch wenn, soweit bekannt und allen Untergangsprophezeiungen der Branchenverbände zum Trotz, noch kein Verlag deshalb hat schließen müssen. Ohnehin ist die Bundesregierung den Verlagen sogleich beigesprungen, um die Folgen der Urteile so gering wie möglich zu halten.
Es geht aber gar nicht nur um Gerechtigkeitsfragen. Dass den Verlegern, die schließlich keinen kleinen Beitrag zur Verbreitung der Werke leisten, auch ein Teil der vereinnahmten Abgaben zustehen sollte, kann man mit guten Gründen so sehen. Die bisher wie selbstverständlich durch VG Wort und GEMA betriebene, Kritik der Urheber brüsk beiseiteschiebende Verteilungspraxis nach Gutsherrenart hat durch die Urteile jedoch ihre gerechte Strafe erhalten.
Die Allianz aus Verlagen und Verwertungsgesellschaften ist gescheitert, der Aufstand der Zwerge hat gesiegt – das freut Constantin van Lijnden. Anderer Ansicht: die Verlage und Verwertungsgesellschaften.
3/8: Heiko Maas will kein neues Gesetz
Ja, richtig gelesen: Heiko Maas (SPD) überraschte Mitte Dezember mit der Mitteilung, dass er keine neuen Gesetze für nötig halte, und zwar gegen Fake News. Im ARD-Morgenmagazin sagte der Bundesjustizminister, "Die gesetzlichen Rahmenbestimmungen reichen eigentlich aus". Man müsse diese nur mal ausschöpfen.
Man mag verwirrt sein, weil er nur einen Tag später der Süddeutschen Zeitung mit Bezug zu Facebook sagte, man müsse "natürlich auch über Bußgelder nachdenken, wenn andere Maßnahmen nicht greifen" und wir bislang davon ausgingen, dass Bußgelder aufgrund von Gesetzen verhängt werden. Noch ratloser ließ uns zurück, dass zeitgleich laut dem Magazin Der Spiegel Stimmen aus der SPD das soziale Netzwerk verpflichten wollen, eine immer erreichbare "Rechtsschutzstelle" für die "Opfer von Fake News" einzurichten. Wir glaubten bislang auch, dass Verpflichtungen durch Gesetze geschaffen werden.
Aber wir möchten doch festhalten, dass Heiko Maas sich mit seinem Satz vom 15. Dezember offenbar zumindest gegen die zu dem Zeitpunkt aus der CDU erhobene Forderung stellen wollte, die Verbreitung von falschen Informationen im Netz durch einen neuen Straftatbestand zu sanktionieren.
Auch die Forderung, das Presserecht auf soziale Netzwerke anzuwenden, haben wir von ihm bislang ebenso wenig gehört wie Pläne wie die aus dem Hause de Maizière für ein Abwehrzentrum gegen Desinformation. Das möchten wir ebenfalls honorieren. Selbst wenn es nur einen Tag andauerte, dass der Justizminister sich gegen neue Gesetze aussprach, die regeln, was entweder längst geregelt oder nicht regelbar ist: Das war schön.
Das findet Pia Lorenz. Anderer Ansicht: wohl der Innenminister, der ein resolutes Vorgehen gegen Fake News angekündigt hat. Und vielleicht auch Heiko Maas selbst – 24 Stunden später.
4/8: W-LAN-Verschlüsselung: Das Neuland richtig beschützen
Eine Entscheidung, die verglichen mit ihrer Tragweite viel zu wenig Aufmerksamkeit erfuhr, ist erst im November gefallen. Nachdem der BGH bereits klargestellt hatte, dass eine W-LAN-Verschlüsselung vor der Störer-Haftung für illegale Up- und Downloads über den eigenen Anschluss schützen kann, präzisierte er im Herbst: Das W-LAN-Passwort nach Werkseinstellungen genügt den Sicherheitsansprüchen.
Die Bundesrichter waren der Auffassung, dass der in den Router-Werkseinstellungen üblicherweise verwendete 16-stellige WPA2-Schlüssel hinreichend schützt. Viele Haushalte nutzen den meist auf der Rückseite des Routers angegebenen und voreingestellten Code zur Sicherung ihres W-LANs. Die Entscheidung ist damit sehr bedeutend – und höchst verbraucherfreundlich.
Das findet: Marcel Schneider. Anderer Ansicht: niemand. Könnte auch nur jemand sein, der keine Eltern hat, denen er sonst erklären müsste, wie sie das WLAN-Passwort neu vergeben.
5/8: Noch nicht perfekt, aber immerhin: Die Musterfeststellungsklage
Wo wir schon bei Verbraucherfreundlichkeit sind: Es muss ja nicht alles gleich perfekt sein, und auch, dass der gute alte Volkswagen-Konzern uns alle erst mal so enttäuschen musste, ist nicht schön. Doch immerhin bekommen wir jetzt die Sammelklage – so jedenfalls der Plan.
Die Übertragung der Klagebefugnis in die Hände bestimmter Verbände soll das rationale Desinteresse der Betroffenen – dass sich aufgrund des geringen Streitwerts ein Gang zum Gericht nicht zu lohnen scheint – überwinden, ohne einer Klageindustrie den Weg zu ebnen.
Das findet Tanja Podolski. Anderer Ansicht: Eigentlich niemand. Klar gibt es Gegenargumente. Die berühmten amerikanischen Verhältnisse, die Überlastung der Justiz usw. Aber wir finden: Das klingt ganz vernünftig.
6/8: YouTube und Gema einigen sich
Und noch einmal Urheberrecht, diesmal aber mit anderen Akteuren. Der gefühlte Jahrzehnte (und tatsächliche sieben Jahre) währende Streit zwischen YouTube und der GEMA fand im November sein ziemlich überraschendes und ausgesprochen erfreuliches Ende. Details der Einigung, insbesondere die Höhe der Summe, die YouTube pro Klick auf ein von der GEMA verwaltetes Lied zahlt, ist zwar nicht bekannt, tut aus Konsumentensicht aber auch wenig zur Sache. Wichtig ist für die Nutzer nur, dass die Sperrtafel unseligen Angedenkens endlich der Geschichte angehört.
Die hat im Laufe der Jahre zwar selbst zu einigen ganz interessanten Gerichtsentscheidungen geführt, aber auf den Unterhaltungswert dieser Nebenkriegsschauplätze kann man gut verzichten, wenn nun auch hierzulande Musikvideos endlich wieder normal abrufbar sind, findet Constantin van Lijnden. Andere Ansicht: Dailymotion und Vimeo, die bisher oft als Alternative für von der GEMA verwaltete Lieder dienten, und denen nun vermutlich einiger Traffic aus Deutschland flöten geht.
7/8: Radwege für Erwachsene mit Kindern
Klar, das kann man auch anders sehen. Doch für alle Menschen, die schon mal gemeinsam mit Kindern unter acht Jahren Fahrrad gefahren sind, ist diese Änderung der Straßenverkehrsordnung eine Wohltat: Seit dem 14. Dezember dürfen Rad fahrende Kinder auf dem Gehweg von einer Aufsichtsperson auf dem Fahrrad begleitet werden.
Bisher mussten Aufsichtspersonen den Fahrradweg oder die Straße benutzen, während Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr mit ihrem Fahrrad den Bürgersteig befahren mussten. Das führt häufig zu Problemen – das Kind fährt auf dem Gehweg, der Erwachsene begleitet auf der Straße. Dadurch werden die Kommunikation sowie der Sichtkontakt zum Kind - und damit die Aufsicht - erschwert.
Nun dürfen die Aufsichtspersonen mit auf den Gehweg – allerdings nur so lange, wie die Kinder verpflichtet sind, den Gehweg zu nutzen, also bis zur Vollendung des achten Lebensjahres. Kinder bis zum vollendeten zehnten dürfen auch noch den Bürgersteig befahren, dann allerdings ohne die Begleitung eines Erwachsenen. Der muss übrigens mindestens 16 Jahre alt sein – und auf Fußgänger müssen beide weiter besondere Rücksicht nehmen.
Das findet: Tanja Podolski. Anderer Ansicht: alle Menschen, die in kinderreichen Stadtvierteln wie Berlin Prenzlauer Berg oder Köln-Sülz schon ohne die erwachsenen Radfahrer kaum mehr einen Fuß auf die Gehwege bekommen.
8/8: Juristen helfen Flüchtlingen
Am 26. April dieses Jahres konnte LTO bekannt geben, gemeinsam mit vielen Unterstützern aus der Branche 50.000 Euro für Flüchtlinge gesammelt zu haben. Die Aktion, die eine Idee des britischen Anwalts Sean Jones nach Deutschland holte, basierte darauf, dass jeder den Wert einer "billable hour" spenden sollte.
Und das taten nicht nur Anwälte, Kanzleien und Unternehmen, sondern auch viele unterschiedliche Berufsträger aus der juristischen Branche, auch zahlreiche private Unterstützer spendeten. Ebenso zum Erreichen des Spendenziels haben mittelbar auch die 5.415 Teilnehmer der LTO Young Professionals Survey 2016 beigetragen: Für jeden vollständig beantworteten Fragebogen hat die Wolters Kluwer Deutschland GmbH, zu der LTO gehört, einen Euro in den Spendentopf eingezahlt.
Die Summe wurde aufgeteilt zwischen Save the Childen, die damit Projekte in und um Syrien sowie Familien auf ihrer Flucht durch Europa unterstützt haben, und dem Bündnis Aktion Deutschland hilft, das Integration hierzulande vor allem durch Sprachkurse in Flüchtlingseinrichtungen fördern will.
Es wird sicherlich eine andere Ansicht geben. Aber wir finden: Das war schön.
Der andere Jahresrückblick: Das war schön 2016 . In: Legal Tribune Online, 29.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21613/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag