Gesetz zur allgemeinen Corona-Impfpflicht für Erwachsene: Keine Beu­ge­haft für Impf­ver­wei­gerer

Interview von Hasso Suliak

11.02.2022

Nach dem Willen einer Ampel-Parlamentariergruppe soll ab 1. Oktober für Erwachsene eine bis Ende 2023 befristete Corona-Impfpflicht gelten. Ungeimpften droht ein Bußgeld. Verfassungsrechtlich nicht unproblematisch, warnt Michael Kubiciel.

Die sog. 18plus-Abgeordnetengruppe, die auch von Bundeskanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach unterstützt wird, hat ein Gesetz vorgelegt, das nahezu alle Erwachsenen dazu verpflichtet, sich impfen zu lassen. "Die derzeit bestehende Impfquote reicht (…) nicht aus, um den erwarteten, sehr schnellen und starken Anstieg der Erkrankungszahlen und die damit bestehende Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems und ggf. weiterer Versorgungsbereiche in den kommenden Herbst- und Wintermonaten einzudämmen", heißt es in dem Entwurf. Impfverweigerer müssen dann zwar mit Bußgeldern, nicht aber mit Erzwingungshaft ("Beugehaft") rechnen, wenn sie das Bußgeld nicht zahlen. Art.4 des Gesetzes lautet: "Die Anordnung von Haft zur Durchsetzung von Maßnahmen nach diesem Gesetz ist ausgeschlossen."

LTO: Herr Professor Kubiciel, nach einem Gesetzentwurf, der bis auf wenige Ausnahmen (z.B. für Schwangere) eine allgemeine Corona-Impfpflicht von Erwachsenen vorsieht, droht Impfverweigerern ein Bußgeld, eventuell sogar mehrfach. Was halten Sie davon?

Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel:  Zunächst ist es wichtig, dass nach der langen Debatte um die Verhältnismäßigkeit der Impfpflicht als Primärnorm auch über die Sanktionsseite gesprochen wird. Auf dieser stellen sich ganz eigene verfassungsrechtliche Fragen. Nach meinem Eindruck sind diese bislang noch nicht in ausreichendem Maße beantwortet, obwohl hier nicht wenige Probleme entstehen können.

"Verfassungsrechtliche Mindeststandards einhalten"  

Halten Sie die Bußgeld-Lösung gegenüber einer strafrechtlichen Sanktion für vorzugswürdig?

Ja, schon mit Blick auf die Systematik des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist es richtig, dass nicht das Strafrecht als Durchsetzungsmittel verwendet wird, sondern das Ordnungswidrigkeitenrecht. Zudem gilt hier z.B. das Opportunitätsprinzip, d.h. nicht jeder Verstoß muss - gar sofort - zu Ermittlungen und einer Strafe führen. Allerdings gelten auch für "OWis" verfassungsrechtliche Mindeststandards.

(c) Prof. Dr. Dr. h.c. Kubiciel

Welche sind das?

Mit Blick auf die Ausgestaltung des Gesetzes das Tatprinzip, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Bestimmtheitsgrundsatz. Im Bußgeldverfahren muss der oder dem Betroffenen zudem rechtliches Gehör gewährt werden, auch dazu gibt es verfassungsrechtliche Rechtsprechung. Zudem wäre es klug, wenn dem Einzelnen noch einmal konkret ein niedrigschwelliges Impfangebot gemacht wird. Erst bei Verstreichenlassen auch dieser Möglichkeit sollte dann das Bußgeld verhängt werden. Dies trüge dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Sanktionierung Rechnung.

"Nicht geimpft zu sein, ist kein Grund für eine Sanktion"

Bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs wurde darüber diskutiert, ob ein Bußgeld nur einmalig verhängt werden darf oder mehrfach – ggf. auch gedeckelt bis zu einem bestimmten Höchstbetrag. Auch mit Blick auf das Verbot einer Doppelbestrafung: Welche Lösung befürworten Sie?

Es gilt das Tatprinzip, d.h. Anknüpfungspunkt einer Sanktion ist ein Verhalten, also ein Tun oder Unterlassen, nicht der Status bzw. das Sosein eines Menschen. Nicht geimpft zu sein ist also kein Grund für eine Sanktion.  

Indes reicht für eine Sanktionierung auch der Verstoß gegen eine Handlungspflicht, anders gewendet: ein Unterlassen. Allerdings muss man sich dann entscheiden, ob der Gesetzgeber am Unterlassen der Impfung anknüpft oder am Unterlassen des Nachweises der Impfung. Das klingt auf den ersten Blick merkwürdig, hat aber Folgen.

"Ausgangssperre durch die Hintertür schwer vertretbar"

Welche Folgen meinen Sie?

Wenn der Gesetzgeber an der Unterlassung der Impfung anknüpft, hat das den Vorteil, dass eine Person für die Verletzung der Pflicht zur Impfung nur einmal sanktioniert werden kann. Dem "ne bis in idem" Prinzip – also: das Verbot der doppelten Bestrafung für eine Tat - würde damit in jeder Hinsicht Rechnung getragen.

Knüpft man hingegen an den fehlenden Impfnachweis an, könnte theoretisch immer dann eine Sanktion drohen, wenn die Person den Nachweis auf Verlangen nicht führen kann. Hier drohen Konflikte mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Daher ist es sicher sinnvoll, wenn die Kontrolle der Nachweise nicht zufällig und damit wiederholt geschieht, sondern in einem strukturierten Verfahren. Es muss also klar sein, wann eine Behörde bzw. deren Vertreter einen Nachweis verlangen kann: in besonderen Situationen oder immer im öffentlichen Raum? Letzteres halte ich für schwer vertretbar, da dann theoretisch bei jedem Verlassen der Wohnung ohne Impfnachweis eine Sanktion droht. Das wäre eine Ausgangssperre durch die Hintertür.

Botschaft "Gefängnis für Impfverweigerer" unerwünscht

Im 18plus-Entwurf findet sich ein neuer § 53c IfSG, der die Anordnung von Erzwingungshaft und Ersatzzwangshaft zur Vollstreckung der Bußgeldentscheidung ausschließt. In den Verhandlungen zum Gesetzentwurf hatte jedoch das BMJ darauf hingewiesen, dass an den Ausschluss der Erzwingungshaft mit Blick auf Gleichbehandlungsgebot nach Art.3 GG strenge Anforderungen zu stellen sind. Traut sich der Gesetzgeber im Fall der Covid-Impfpflicht nicht, das Gesetz stringent und konsequent anzuwenden?

Die Erzwingungshaft kann in der Regel gegen Betroffene angeordnet werden, die zahlungsfähig, aber nicht zahlungswillig sind. Ein zahlungsunfähiger Geldbußenschuldner kann dagegen die Erzwingungshaft abwenden, wenn er seine Zahlungsunfähigkeit belegt. Diese Regelung gilt grundsätzlich für alle Geldbußen bzw. Ordnungswidrigkeiten, auch solche im Straßenverkehr.  

Für Personen, die ihren Impfstatus nicht nachweisen können oder wollen und die auch zahlungsfähig sind, auf eine Erzwingungshaft zu verzichten, ist verfassungsrechtlich in der Tat nicht ganz trivial. Der Gesetzgeber muss begründen, weshalb Personen ohne Impfnachweis nicht zugemutet werden, soll, was anderen ohne weiteres auferlegt wird – auch bei Bagatellordnungswidrigkeiten.  

Ich kann mir das eigentlich nur politisch erklären: Der Akzeptanz des Gesetzentwurfes wäre es vermutlich nicht zuträglich, wenn die Überschrift so mancher Zeitung lautet: "Gefängnis für Impfverweigerer". Allerdings gäbe eine solche Überschrift die Rechtslage nur unvollständig und verzerrt wieder.  

Jetzt muss der Gesetzgeber aber in der Tat sehr gut begründen, warum er eine Regelung schafft, die die Bußgeldempfänger im Kontext Impfpflicht privilegiert und damit z.B. den Falschparker schlechterstellt.  

"Eine Rechtspflicht muss umgesetzt werden"

Apropos Akzeptanz: Die Debatten um die Umsetzung der Corona-Impfpflicht für die medizinischen und Pflegeberufe halten Viele für kein gutes Vorzeichen für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Glauben Sie, dass Deutschland ein solches Gesetz bekommen wird?   

Das ist eine politische Frage. Klar ist aber, dass die Durchsetzung und Durchsetzbarkeit von vornherein mitbedacht werden muss. Denn eine Rechtspflicht muss umgesetzt werden, sonst macht sich der Staat unglaubwürdig. Gerade in Zeiten wie diesen wäre das problematisch.  

Interessanterweise ist es aber so, dass auch eine nicht-sanktionsbewehrte Impfpflicht rechtliche Folgen an anderen Stellen hätte. Denn wer einer rechtlichen Pflicht zur Impfung nicht nachkommt, handelt nicht bloß unklug, unsolidarisch oder was auch immer. Er verhält sich rechtswidrig - und das könnte Auswirkungen im Arbeitsrecht, Sozialrecht und Versicherungsrecht haben, die wir gegenwärtig noch gar nicht abschätzen können. Auch darüber sollte man noch einmal rechtzeitig nachdenken: Führt ein Gesetz zu solchen weitereichenden Folgen, nimmt man sie hin oder sollte man diese einhegen?  

Herzlichen Dank für das Gespräch

Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel leitet den Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Straf- und Strafprozessrecht, Medizin- und Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Augsburg.

Zitiervorschlag

Gesetz zur allgemeinen Corona-Impfpflicht für Erwachsene: Keine Beugehaft für Impfverweigerer . In: Legal Tribune Online, 11.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47507/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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