Ein junger Mann scheitert im Jurastudium, fälscht Spitzen-Examensnoten, macht Karriere – bis alles zusammenbricht. Sein Strafprozess endet, Fragen bleiben: Wie gut kann sich die auf Noten fixierte Arbeitswelt vor Täuschung schützen?
Wann diese Geschichte begonnen hat, ist gar nicht so leicht zu sagen. Als der Jurastudent Matthias G. an der Münchner Uni zu keinen Klausuren mehr kam, als er seine Staatsprüfung nicht ablegte, als er exmatrikuliert wurde, als er kein Referendariat absolvierte? Oder als er mit Word seine Zeugnisse für das erste und zweite Staatsexamen fälschte (Spitzennoten: 12,48 und 11,64 Punkte)? Als er seine Zulassung zur Anwaltschaft erfolgreich beantragte, als er sich bei einer renommierten Großkanzlei bewarb, er dort mit seiner Arbeit Erfolg hatte und sogar gute Bewertungen bekam? Oder aber als durch eine Unachtsamkeit Jahre später alles auffliegt? Fest steht: Die Geschichte ist nun jedenfalls vorbei.
Das Strafverfahren gegen G. wurde im Dezember 2024 beendet. Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft München haben ihre Berufung zurückgenommen, es bleibt damit bei dem Urteil des Amtsgerichts München aus dem Jahr 2020. Damals wurde G. wegen Betrugs in vier Fällen, versuchten Betrugs in zwei Fällen sowie Urkundenfälschung in 22 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt. Diesen Vorgang bestätigte die Pressestelle des Landgerichts München I nun, damit ist das Amtsgerichts-Urteil rechtskräftig. G. muss nicht ins Gefängnis.
Ein Nicht-Jurist als Top-Absolvent
Über mehr als vier Jahre hatte G. in der Welt von namhaften Großkanzleien, Unternehmen und bei der bayerischen Versicherungskammer als Jurist gearbeitet – Stellen für absolute Top-Absolventen. Ein Weg der nach einer sehr deutschen Version von Suits klingt. G. bekam Jobs mit Einstiegsgehältern von 95.000 Euro Jahresbrutto, schnell verdiente er schon 123.000 Euro brutto im Jahr. Den Weg hatten ihm zwei Spitzenexamen geebnet, gleich zweimal Prädikatsergebnisse. Juristische Arbeitgeber wissen: Nur wenige Prozent der Nachwuchsjuristen eines Jahrgangs – gerade in Bayern – erreichen solche Ergebnisse. Nur waren die Examenszeugnisse von G. mit Microsoft Word zusammengebastelt – inklusive Tippfehler und einem verhängnisvollen Datum.
G. war nach dem sechsten Semester Jurastudium an der LMU München exmatrikuliert worden. Klausuren hat er, wenn er sich überhaupt zu einer Anmeldung durchringen konnte, nicht bestanden. Es ist die Geschichte eines Mannes, der Anerkennung suchte, ein irgendwie glückliches Leben führen wollte und sich Stück für Stück in seine Lügenkonstruktion verstrickte. Das wurde bei der mündlichen Verhandlung 2023 vor dem Landgericht München deutlich. Wenn man G. zuhörte, dann erschien seine Geschichte weniger als Story eines skrupellosen Hochstaplers, sondern vielmehr die eines jungen Menschen, auf den die wachsenden Erwartungen seines Umfelds mehr und mehr Druck ausübten.
Seine Misserfolge und Untätigkeit überspielte er mit Lügen, die weckten aber immer nur neue Erwartungen. Wollte er sein Lügengebäude aufrechterhalten, musste er nachlegen. Denn jemand, der Jura studiert, auf den wartet irgendwann auch mal das Examen.
Was in den Hochstaplerjahren zwischen 2015 und 2020 vorgefallen ist, ist unstreitig. G. hat umfassend bis ins Detail ausgesagt, auch zu seiner Motivation. Wo in der Verhandlung beim Landgericht doch noch Nachfragen auftauchen, antwortete G. geradezu hilfsbereit im Gerichtssaal, so als ginge es um jemanden anderes und nicht um ihn.
Und vielleicht hat es sich mittlerweile für ihn sogar so angefühlt: Diese Jahre bis zur Aufdeckung seiner Lügen nannte er eine "Abartigkeit", "eiskalt" habe er sich selbst gemacht, um das Lügenleben so lange auch gegenüber seinem Umfeld auszuhalten, "Ich will wieder ich sein". Klar, das sind Sätze, die auch nach dramatisch guter Verteidigung klingen könnten. Aber so sah es nicht aus, wenn in der Verhandlungspause G. den Tränen nahe war. Er wollte offenbar dieses Kapitel abschließen, am besten so schnell wie möglich.
Ein verhängnisvolles Datum
Sein Fall hat aber auch eine strukturelle Dimension. Wenn man seinen Schilderungen folgt, wie einfach er die Fälschungen herstellte und damit immer wieder durchkam, muss man sich auch die Frage stellen, ob sich ein Rechtssystem, das so viel objektive Aussagekraft mit den Examensnoten verbindet, eigentlich ausreichend selbst vor Täuschung schützt. Ob es nicht regelmäßig stichprobenartige Abfragen bei den Prüfungsämtern geben sollte? Dann wäre diese Geschichte schon früh zu Ende gewesen.
Als Vorlage für sein zweites Examenszeugnis diente G. Ende 2015 das Zeugnis eines Bekannten. In Word fertigt er sich nach diesem Vorbild ein eigenes Dokument an. Das druckt er aus und scannt es wieder ein, um die Qualität des Dokuments zu verschlechtern. Am Ende sieht das Ergebnis nach einem nicht so guten Scan aus.
Bemerkenswert: G. unterlaufen sogar noch Tippfehler, in dem Dokument steht "Gesellchaftsrecht" statt "Gesellschaftsrecht", in der Notenskala fehlt eine "0". Und noch ein folgenschwerer Fehler unterläuft ihm, der am Ende zu seiner Aufdeckung führen wird: Als Prüfungstermin für das Zweite Examen trägt G. den 25. Mai 2015 ein. G. wusste, so hat er es vor Gericht wiederholt, dass um diese Zeit herum die Prüfungen stattfanden, allerdings ohne ihn. Um ein geeignetes Datum zu finden, hatte er den Kalender in Windows genutzt, ein Klick rechts unten, und einen Montag ausgesucht. Was der Windows-Kalender ihm nicht anzeigte: Es war der Pfingstmontag, ein Feiertag, Prüfungen finden an diesem nicht statt. Bei einer späteren Bewerbung im Sommer 2019 fällt das schließlich auf, die Kanzlei fragt beim Prüfungsamt nach. Im November 2019 stehen Polizei und Staatsanwaltschaft bei G. vor der Tür.
Juristische Arbeit im Hintergrund
Die zweite strukturelle Frage lautet: Wie kann jemand ohne fundierte juristische Ausbildung als Mitarbeiter in einer Großkanzlei und der Rechtsabteilung großer Unternehmen jahrelang nicht auffallen? Eine mögliche Erklärung zeichnete sich im Prozess ab – sie dürfte für alle, die mit dieser Arbeitswelt vertraut sind, keine allzu große Überraschung sein.
Zu einer Zeit, als Kanzleien mal wieder händeringend guten Nachwuchs suchen, elektrisieren die überragenden Noten von G. die HR-Abteilungen und Anwälte. Ein Partner erzählt, wie er sich mit der Kanzlei eher bei G. bewarb als umgekehrt. Der Partner erinnert sich an einen Satz von G. nach der Zusage, der für ihn im Nachhinein natürlich anders klinge: "Das ist ein Sechser im Lotto, bei Ihnen arbeiten zu dürfen", soll G. gesagt haben.
Dass er nicht aufgeflogen ist, dürfte viel auch mit der überschaubar anspruchsvollen Aufgabe zu tun gehabt haben und mit einer fachlichen Einarbeitung: Die Berufsanfänger in Großkanzleien kennen sich regelmäßig in der Bandbreite des Rechts aus, für ihren Einsatz etwa im Gesellschaftsrecht oder im Immobilienrecht müssen sie aber ohnehin einen Crashkurs in der Kanzlei durchlaufen. Viel von dem, was sie für ihre tägliche Arbeit brauchen, lernen sie dort. Berufsanfänger in diesen Bereichen arbeiten zunächst im Hintergrund, prüfen Verträge, erstellen Einschätzungen für ihre Chefs. Kontakt zu Mandanten oder Auftritte vor Gericht kommen kaum vor. Diese Rolle im Hintergrund war G. offenbar auch ganz recht. Bei seinen Bewerbungen habe er darauf geachtet, nur Stellen anzuvisieren, bei denen er nicht vor Gericht hätte auftreten müssen, wie er später vor Gericht zugab.
Auf seinem Karriereweg wirkten seine exzellenten Examensnoten offenbar wie ein Schutzschild: Unsicherheiten und Fehler im Arbeitsalltag erklärte man sich in einer der Kanzleien mit überheblicher Nachlässigkeit des Berufsanfängers. So konnte G. jahrelang unbemerkt in den Büros von Großkanzleien und Unternehmen juristisch "überleben".
Welchen Schaden hat er angerichtet?
Wie gut seine Arbeit dabei war, das ist auch eine Frage, die juristische Bedeutung in seinem Verfahren hatte. Eine Frage die auch das zwischenzeitlich mit dem Fall befasste Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) beschäftigte. Wie lässt sich eigentlich der von G. angerichtete Schaden beziffern?
Für eine Verurteilung wegen Betrugs muss ein Vermögensschaden festgestellt werden. Das AG hatte dafür Grundsätze aus der Rechtsprechung zu Beamten übertragen. Dies mit der Begründung, dass Anwälten in ihrer Funktion eine ähnliche besondere Vertrauensstellung zukäme. "Auch genießt der Stand der Rechtsanwälte eine hohe Vertrauenswürdigkeit, da diese nicht nur Interessenvertreter, sondern auch Organe der Rechtspflege sind", heißt es im Urteil des AG. Das Gericht ordnete die Einziehung von rund 325.000 Euro an. Die Argumentation: Wem die fachlichen Qualifikationsnachweise fehlen, der hätte den Job nie bekommen. Entsprechend sei der Schaden in Höhe des gesamten gezahlten Jahresgehalts anzusetzen.
Im Rahmen der Einziehung hatten die LG-Richter aber in eine andere Richtung argumentiert: Der Beschuldigte habe zwar mehrere Großkanzleigehälter erlangt, der Wert seiner Arbeitsleistung sei aber davon abzuziehen. Hintergrund sei § 73 d Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB). In der Norm ist geregelt, dass grundsätzlich Aufwendungen des Täters bei der Bestimmung des Erlangten abzuziehen sind. Das Gericht nahm an, dass der Wert der Arbeitskraft des Beschuldigten den Großkanzleigehältern entsprach. Also Schaden doch gleich null?
Das BayObLG sah darin einen Widerspruch. Es ließ aber die Rechtsfrage zur Übertragbarkeit der Rechtsprechung zu den Beamten offen und schickte den Fall an eine andere Kammer des LG München I zurück.
Die Freiheitsstrafe von zwei Jahren lag an der entscheidenden Grenze, wo sie nach Würdigung der Gesamtumstände noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§ 56 Abs. 2 StGB).
Die Staatsanwaltschaft München hatte ebenfalls mit Berufung und Revision versucht, den Fall klären zu lassen. Offenbar wollte der Freistaat an diesem Fall dranbleiben. Schließlich geht es auch um die eigenen Sicherungsmechanismen. So konnte G. mit seinen Zeugnissen auch erfolgreich bei der Rechtsanwaltskammer München seine Anwaltszulassung beantragen. Die Staatsanwaltschaft hatte gefordert, die Bewährungsstrafe zu einer Vollzugsstrafe zu verschärfen. Generalprävention und Abschreckung? Kurz vor einer erneuten Verhandlung beim LG kam es jetzt zu der beiderseitigen Rücknahme der Berufung.
G. hat inzwischen eine Ausbildung zum Elektriker absolviert. Vor Gericht sagte er 2023, er habe sein Ding gefunden. Er hat sich bei den Geschädigten entschuldigt, er hat freiwillig Sozialstunden geleistet. Privat sei vieles zerbröckelt. Am Ende der Verhandlung 2023 sagte, es gehe ihm nun besser, er fühle sich als der, der er sein will.
Gefälschte Examenszeugnisse: . In: Legal Tribune Online, 06.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56535 (abgerufen am: 17.03.2025 )
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