Für Bundesjustizminister Heiko Maas ist das AfD-Programm "in Teilen verfassungswidrig". Für dieses Etikett sei es im Wortlaut zu vage, meint Robert Hotstegs. Das sähe anders aus, wenn die AfD die Lösungsvorschläge konkret fassen würde.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz macht Wahlkampf – auch in Form von Gastbeiträgen - mal für die LTO, mal für die Frankfurter Rundschau. Dort hatte er klar Position zum Parteiprogramm der Alternative für Deutschland (AfD) bezogen. Anhand von einzelnen Ausschnitten suchte Maas zu belegen, dass das Programm jedenfalls in diesen Teilen verfassungswidrig sei und mit der AfD möglicherweise sogar "Verfassungsfeinde vor den Toren des Parlaments" stünden.
Leicht macht es die AfD den Juristen nicht, zu dieser Einschätzung zu kommen. Denn die Partei hält es mit ihrer auch sonst gewählten Kommunikationsstrategie: Sie hat aufgeschrieben, was sie nicht will. Doch was sie stattdessen beschließen möchte, lässt sie im vagen, verweilt beim "wenn – dann bzw. aber" – doch ihre konkreten Absichten nennt die AfD nicht.
EU-Austritt, wenn…
So heißt es im Wahlprogramm, Deutschland solle die Europäische Union (EU) verlassen. Man wolle zurückkehren zu einer Organisation von Staaten, die ihre Souveränitätsrechte nicht unumkehrbar abgeben. Das jederzeitige Austrittsrecht zu nutzen sei daher notwendig. "Sofern eine solche Konzeption mit den derzeitigen Partnern der EU nicht einvernehmlich auszuhandeln ist, ist Deutschland gezwungen, dem Beispiel Großbritanniens zu folgen und aus der bestehenden EU auszutreten", heißt es wörtlich.
Ähnlich formuliert es das Programm hinsichtlich der Europäischen Zentralbank (EZB). Diese sei für Betriebsrenten und die private Altersvorsorge "tödlich": "Auch deshalb muss Deutschland aus der Eurozone austreten, sofern nicht unverzüglich Änderungen in die Tat umgesetzt werden." Maas hat also recht, wenn er sagt, die AfD wolle das Rad der Zeit und vor allem auch die bisherige Integration der EU zurückdrehen und umkehren.
Sowohl die Präambel als auch Art. 23 Grundgesetz (GG) enthalten ein unabdingbares Bekenntnis zur europäischen Integration und zur EU. Gerade Art. 23 Abs. 1 GG macht dabei deutlich, dass die Bundesrepublik aufgerufen ist, die EU zu entwickeln. Gleichzeitig gibt die Verfassung Leitplanken vor, hinter der eine Entwicklung nicht zurückfallen darf. Demokratie und Rechtsstaat sind hierbei nur zwei von mehreren Kriterien. Unabdingbar für einen verfassungsgemäßen Austritt wären also eine Neuorganisation, die eine Integration in die EU fördern sowie den verfassungsrechtlichen Grundsätzen von Demokratie und Rechtsstaat genügen würde.
Hinsichtlich der EU-Mitgliedschaft erscheint es nur als eine Frage der Zeit, bis die Partei ihre Forderungen für unerfüllt erklären würde und den Austritt forderte. Wahlberechtigte, die mit diesem Szenario liebäugeln und damit argumentieren, man könne die Verfassung schließlich wieder ändern, mögen den Blick auf Großbritannien und die wirtschaftlichen Effekte richten – im Ergebnis auch für den Einzelnen.
Euro-Ende, wenn…
Gleiches gilt für die Einführung des Euro. Auch hier fordert die AfD, anders als noch zu ihren Gründungszeiten, nicht den unabdingbaren Ausstieg. Sie fordert den Austritt aus der Eurozone, wenn sich die EZB-Zinspolitik nicht ihren Forderungen anpasse.
Damit ist der radikalen Forderung wieder ein "wenn und aber" vorgeschaltet. Das ist taktisch durchaus klug. In dieser Formulierung verkündet die AfD den Anhängern Optionen, Möglichkeiten, Alternativen eben. Sie kratzt an den gültigen Staatszielen und der in Art. 88 GG geschützten Unabhängigkeit der EZB. Aber sie kratzt eben nur, sie verstößt mit ihrer wenn–und-aber-Taktik nicht gegen die Maßgaben des GG.
2/2: Mehr Waffen, doch wie…
Ähnlich unklar bleibt die Partei bei anderen, von Maas aufgegriffenen Themen. Sie fordert: "Der Erwerb des Waffenscheins für gesetzestreue Bürger ist zu erleichtern." Sie hält dies für einen Beitrag zur Stärkung der inneren Sicherheit.
Ob die Sicherheit wirklich durch eine Erhöhung der Anzahl von Schusswaffen verbessert werden kann, darf bezweifelt werden, die Todeszahlen aus den USA jedenfalls zeigen keine positiven Effekte. Dennoch ist die Forderung nach einfacherem Waffenzugang nicht verfassungswidrig. Auch frühere, zuletzt verschärfte Vorschriften des Waffengesetzes standen auf dem Boden des GG. Auf ältere Rechtszustände zurückzugreifen und damit den Erwerb von Waffenscheinen und Waffen wieder zu vereinfachen, widerspricht daher den Erkenntnissen über die Effekte von leichtem Zugang zu Waffen durch Bürger, nicht aber dem GG.
Geschützt würde dieser Staat übrigens nach dem AfD-Programm nicht nur durch bewaffnete Bürger, sondern auch durch eine zentralisierte Bundespolizei. Denn auch das ist eine der martialischen Forderungen: die Länderpolizeien sollen in die Bundespolizei überführt werden, diese soll aufgerüstet werden, sie soll sich in Struktur, Besoldung und Rechtsbindung aus dem Föderalismus lösen – der ist ebenfalls festgelegt im GG.
Die AfD und die Religion
Ein wenig deutlicher wird die AfD beim Thema Islam. Diesen lehnt die Partei unverhohlen ab, eine Differenzierung zwischen einem radikalen Islam und integrierten Gläubigen nimmt sie nicht vor: "Das Minarett lehnt die AfD als islamisches Herrschaftszeichen ebenso ab wie den Muezzin-Ruf, nach dem es außer dem islamischen Allah keinen Gott gibt."
Und so fordert die Partei, dem Grundrecht auf Religionsausübung "Schranken zu setzen durch staatliche Gesetze, die Menschenrechte und unsere Werte". Derartige Beschränkungen sind möglich – ihre Grenzen setzt wiederum die deutsche Verfassung. Bei Unklarheiten entscheidet das Bundesverfassungsgericht (BVerfG).
Und dann noch das BVerfG
Mit dessen Urteilen kann man einer Meinung sein oder nicht – auch das ist in Deutschland durch die Verfassung geschützt. Bei der AfD klingt diese Meinungsäußerung so: "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2015, nach dem ein generelles Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen verfassungswidrig sei, betrachtet die AfD als ein Hindernis für eine erfolgreiche Integrationspolitik."
Wie also diese Partei Religionsausübung zukünftig steuern will und auf welcher Rechtsgrundlage sie Minarette oder Muezzin-Rufe verhindern möchte, sagt sie nicht. Gäbe sie hier eine Lösung preis, müsste dies fast zwangsläufig zu einem Verfassungsverstoß führen.
Auch, welche Schlüsse die Partei aus der Ablehnung des BVerfG-Urteils für das Leben in Deutschland ziehen möchte, wird nicht erklärt. Will sie ein BVerfG mit dieser Rechtsprechung insgeheim womöglich abschaffen? Sein Bestehen allerdings ist auch durch das GG geschützt. Und nur um das mal gesagt zu haben: Auch das GG kann man ändern – es ist allerdings die Grundlage des gesamten Staatssystems in Deutschland.
3/3: Koordination der Bevölkerungsentwicklung
An unsägliche nationalsozialistische Familienpolitik erinnert fühlte sich Maas schließlich im Abschnitt "Familienförderung und Bevölkerungsentwicklung" des AfD-Programms. Dort heißt es u.a.: "Das 'Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend' ist in ein 'Bundesministerium für Familie und Bevölkerungsentwicklung' umzuwandeln, das Bevölkerungsentwicklung nach wissenschaftlichen Kriterien koordiniert und fördert."
Rückfragen kann das Programm naturgemäß nicht beantworten. Welche Koordination, welcher Kriterien gemeint sein soll und worin womöglich eine Förderung bestehen könnte, verrät es nicht. Nur, dass "Maßnahmen zur mittelfristigen Erhöhung der Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung unverzichtbar (sind), auch um unsere Sozialversicherungssysteme zu stabilisieren", schreibt die AfD.
Unklar ist schon, wer "einheimisch" ist, aber vor allem, wie diese Maßnahmen aussehen sollen. So bleibt Raum für beängstigende Assoziationen.
Ende der errungenen Freiheiten
Maas hat mit seinem Beitrag Politik gemacht – und den Punkt getroffen. Zwar kleidet er die Auseinandersetzung nicht in eine juristisch detaillierte Ausarbeitung. Das hilft ihm über die Klippe, dass die AfD die gedruckten Worte so gewählt hat, dass sie in den einzelnen Punkten auf dem Boden des GG stehen könnten.
Die Partei deutet ihre Lösungen nur an. Klar wird: es wäre ein Alternativ-Deutschland, in dem viele der heute errungenen Freiheiten keine Bedeutung mehr hätten. Familienplanung würde dem Staat obliegen, ein staatliches Familienbild würde das eigene ersetzen. Glaube darf nur der Glaube sein, der dem Staat genehm ist. Der Islam wäre es dann per se nicht, eine Unterscheidung zwischen Religion und Gläubigen findet nicht statt. Der christliche Kirchenbau würde toleriert, im Land der Kirchtürme dürften aber keine Minarette entstehen. Nirgendwo.
Insofern ist Maas Beitrag wohl nicht als streng-juristische Prüfung zu verstehen, die über das Ziel hinaus schießt, sondern als eine Auslegung, die auch die Systematik des AfD-Wahlprogramms insgesamt deutet. Er hätte als Bundesjustizminister ein Parteifinanzierungs-Ausschluss-Verfahren einleiten können. Er hat dies nicht getan. Dabei gab es weitsichtige Mahner wie Prof. Dr. Joachim Wieland, Rektor der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer: Er hatte öffentlich auf das Risiko der Verfassungswidrigkeit des Programms hingewiesen. Die Veröffentlichung von Maas kann man nur als Appell verstehen, mit der eigenen Wahlstimme ein Statement zu setzen: für diese freiheitlich-demokratische Grundordnung, die nicht in Stein gemeißelt ist und sich fortentwickeln darf, die aber keinen Rückschritt braucht.
Der Autor Robert Hotstegs ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der Hotstegs Rechtsanwaltsgesellschaft, Düsseldorf. Er ist parteilos und berät und vertritt vor allem Einzelpersonen und Bürgerinitiativen u.a. zu kommunalverfassungs- und verfassungsrechtlichen Fragen. Er ist Lehrbeauftragter der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW.
Robert Hotstegs, Verfassungswidrigkeit der AfD: Ein Alternativ-Deutschland ohne Freiheiten . In: Legal Tribune Online, 19.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24583/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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