17 Staatsrechtler plädieren für ein Verbotsverfahren: Das habe so gute Erfolgsaussichten, dass der Bundestag einen Verbotsantrag stellen sollte. Die Kanzlei Höcker hat für die AfD reagiert. Zweifel hat auch ein anderer Verfassungsrechtler.
Die AfD ist rechts und sie ist extrem, aber ist sie rechtsextrem genug, um sie als Partei zu verbieten? Zu dieser Frage kann jede:r eine Meinung haben, aber verbindlich beantworten kann sie nur das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). So steht es in Art. 21 Abs. 4 Grundgesetz (GG). Die Hürden für ein Parteiverbot sind hoch. Es können nur solche Parteien als verfassungswidrig eingestuft und verboten werden, die "nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden".
Diese Voraussetzungen halten 17 deutsche Staatsrechtler im Fall der AfD für gegeben. In einer "rechtswissenschaftlichen Stellungnahme" an den Innenausschuss und den Rechtsausschuss des Bundestags, die in der vergangenen Woche bekannt wurde, kommen sie zu dem Schluss, "die Anstrengung eines Parteiverbotsverfahrens" sei "nicht ins Belieben der Antragsberechtigten gestellt, sondern politische Aufgabe und Verantwortung".
Der von der AfD beauftragte Rechtsanwalt Dr. Christian Conrad (Höcker Rechtsanwälte) kritisiert die Verfasser:innen dieser Stellungnahme nun in einem "Kurzgutachten" scharf. Laut dem Schreiben, das LTO vorliegt, haben es sich die Verfasser:innen der Stellungnahme zu einfach gemacht, diese sei "ergebnisorientiert", maßgebliche Rechtsprechung werde "ausgeblendet". Conrad, der die AfD auch in prominenten Gerichtsverfahren vertritt, geht sogar so weit, den Jurist:innen "bewusste Desinformation" vorzuwerfen. "Die Stellungnahme gestaltet sich daher entgegen der beschriebenen Intention nicht als wissenschaftliche Hilfe, sondern als Instrument politischer Aktivisten, welches offensichtlich die Abgeordneten in eine bestimmte Richtung beeinflussen soll". Kern der Kritik: Die Stellungnahme der 17 basiert auf unzureichender Information – nämlich nur der öffentlich verfügbaren. Was ist dran an dieser Kritik? Und was hält ein unbeteiligter Verfassungsrechtler davon?
Unentschiedene Abgeordnete beeinflussen
Unmittelbar adressiert ist Conrads Schreiben an den AfD-Bundesvorstand. Nach LTO-Informationen will der Parteivorstand die Analyse in dieser Woche an die Vorsitzenden des Innen- und Rechtsausschusses verschicken – mit der Bitte um Verteilung an die Abgeordneten. Inhaltlich ist das Papier als Antwort auf die Stellungnahme verfasst, es geht direkt auf die Formulierungen der 17 Jurist:innen ein. Die wollen ihrerseits wohl Einfluss auf die Bundestagsabstimmung über einen aktuellen fraktionsübergreifenden Antrag nehmen. So wie die “Antwort” im Auftrag der AfD.
Den Antrag an das BVerfG, die Verfassungswidrigkeit der AfD nach Art. 21 Abs. 2 GG festzustellen, können nach § 43 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) nur Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung stellen. Aus dem Bundestag könnte ein solcher Impuls vor der Bundestagsneuwahl am 23. Februar noch kommen. Der scheidende CDU-Abgeordnete Marco Wanderwitz und 112 Mitstreiter:innen unterstützen einen entsprechenden Antrag zum Antrag, also einen Antrag an den Bundestag, einen Antrag auf Parteiverbot beim BVerfG zu stellen. Abgestimmt werden soll noch vor der Neuwahl am 23. Februar, bis dahin verbleiben einschließlich der laufenden noch sechs Sitzungswochen. Auswirkungen auf die Wählbarkeit der AfD hätte die Antragstellung in Karlsruhe nicht, allerdings drückt Wanderwitz wohl deshalb aufs Gas, weil sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag nach der Wahl voraussichtlich weiter zugunsten der AfD verschieben werden und es daher noch schwieriger werden könnte, die für den Antrag erforderliche einfache Stimmenmehrheit zu organisieren.
Ob die Abgeordneten sich eher von Argumenten der Partei, um deren Verbot es geht, überzeugen lassen als von einer Stellungnahme von 17 Rechtsprofessor:innen, ist fraglich. Inhaltlich aber legt Conrad seinen Finger in einige Wunden.
Hauptkritikpunkt des AfD-Anwalts ist, die Stellungnahme der 17 Professor:innen sei vorschnell. "Eine gewissenhafte Prüfung kann in der vorliegenden Stellungnahme ersichtlich nicht gesehen werden", so Conrad. Um nachzuweisen, dass die AfD als Gesamtpartei "darauf ausgeht", im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG "die FDGO zu beeinträchtigen", reiche die Auswahl an Zitaten von AfD-Bundes- und Landespolitikern, die die 17 Staatsrechtler:innen ihren zwölfseitigen juristischen und rechtspolitischen Ausführungen in einen 19-seitigen Anhang beigefügt hat, nicht aus.
Auch unbeteiligter Verfassungsrechtler hält Antrag für verfrüht
Das sieht auch der Berliner Verfassungsrechtler Prof. Dr. Christoph Möllers so, er gehört nicht zu den Unterzeichnern der Stellungnahme: "Ich denke nicht, dass man die Chancen mit dem augenblicklichen Wissensstand ernsthaft abschätzen kann", so Möllers zu LTO. Er kennt die hohen Anforderungen nur zu gut, hat den Bundesrat beim im Ergebnis erfolglosen zweiten NPD-Parteiverbotsverfahren vor dem BVerfG vertreten.
Allein verfassungsfeindliche Inhalte zu verbreiten, reicht nicht für ein Parteiverbot. Es muss eine Handlungsdimension hinzukommen, der Partei müssen Aussagen zurechenbar sein, die auf Aktivitäten zur Beseitigung wesentlicher Verfassungsgrundsätze gerichtet sind. Im NPD-Verfahren hat das BVerfG 2017 dazu formuliert, das Darauf-Ausgehen setze "ein planvolles Handeln voraus, das im Sinne einer qualifizierten Vorbereitungshandlung auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder auf die Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist”.
Ist der Antrag nicht hinreichend substantiiert, lehnt ihn das BVerfG ab. Das würde zwar nicht ausschließen, später erneut ein Verfahren anzustoßen, das Signal wäre aber erst einmal das eines Freispruchs der AfD. Und mit Langzeitfolgen für die nachrichtendienstliche Überwachung: Nach der BVerfG-Rechtsprechung müssten etwaige V-Leute aus den Führungsebenen der Partei abgezogen werden, und zwar schon mit dem Beschluss des Bundestags, einen Verbotsantrag zu stellen.
Die Frage, ob die Belege reichen, wird schon auf der Ebene der Antragstellung relevant. In der Stellungnahme heißt es, "die Anstrengung eines Parteiverbotsverfahrens" sei "nicht ins Belieben der Antragsberechtigten gestellt, sondern politische Aufgabe und Verantwortung". Conrad kritisiert, die Verfasser:innen suggerierten hier eine (rechtliche) Pflicht, den Verbotsantrag zu stellen, und wertet dies als "weiteren Versuch der politischen Einflussnahme". Nach der Rechtsprechung des BVerfG stehe es sehr wohl im Belieben von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung, ob ein Verbotsantrag gestellt wird. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Das BVerfG spricht von "pflichtgemäßem Ermessen", nicht von Belieben, zudem sprechen die 17 Staatsrechtler:innen nicht von einer Rechtspflicht, sondern von "politischer Aufgabe und Verantwortung".
Wie geht man mit mehrdeutigen Äußerungen um?
Die eigentliche Vorfrage dürfte lauten, ob vor der Entscheidung über den Antrag bislang eine "gewissenhafte Prüfung" stattgefunden hat oder nicht. So verlangen es verfassungsrechtliche Kommentatoren. Offenbar mit einigem Aufwand haben die Verfassungsrechtler:innen auf 19 Seiten Zitate von AfD-Bundes und -Landespolitikern gesammelt. Es scheint auch das Material zu ergänzen, um das es in den Gerichtsverfahren beim Verwaltungsgericht Köln und Oberverwaltungsgericht NRW ging. Dort wehrt sich die AfD gegen die Einstufung als Verdachtsfall und Beobachtung durch den Verfassungsschutz, Conrad vertritt sie.
In der Belegsammlung der Verfassungsrechtler:innen finden sich etliche rassistische, queerfeindliche oder anderweitig diskriminierende Aussagen von AfD-Bundes- und Landespolitiker:innen. Diese Angriffe auf die Menschenwürde und den Gleichheitsgrundsatz machen zwar deutlich, warum das BfV die Partei seit 2019 beobachtet. Dafür reichen tatsächliche Anhaltspunkte für eine “verfassungsfeindliche Bestrebung”. Das mag unter weiteren Voraussetzungen auch die Beobachtung der Gruppierung erlauben. Aber von dort ist es noch ein weiter Schritt zur Verfassungswidrigkeit und dem Verbot der Gesamtpartei. Eine verfassungsfeindliche Bestrebung zu verkörpern oder eine Partei zu sein, die darauf ausgeht, die Verfassungsordnung zu beseitigen sind, sind zwei unterschiedliche Qualitäten. Auch wenn sich eins aus dem anderen entwickeln kann.
Die Gerichtsverfahren beim VG und OVG bieten einen Vorgeschmack, womit es die Antragssteller zu tun bekommen, die ein Verbotsverfahren anstrengen wollen. Anders als im NPD-Verbotsverfahren kommt man hier nicht darum herum, Einzelaussagen aus der AfD auszuwerten, um die Verfassungsfeindlichkeit zu begründen.
So sind es die 17 Verfassungsrechtler:innen in ihrer Stellungnahme auch angegangen. Dabei begegnete ihnen ein Problem, was sie "Plausible deniability" nennen. Damit ist die Strategie der AfD-Politiker:innen gemeint – und zwar Mehrdeutigkeit als bewusster Ausweg, die für die AfD schädliche Interpretationsmöglichkeit später abzustreiten. Eine Aussage lässt sich bei wohlwollender Auslegung verfassungskonform und bei anderer Auslegung verfassungsfeindlich verstehen. Die Jurist:innen halten diese Strategie für durchschaubar. "Stellt man jedoch eine Vielzahl von Aussagen in einen Gesamtzusammenhang, setzt sich ihr ideologischer Kern wie ein Mosaik zusammen", heißt es in der Stellungnahme. Dann handle es "sich nicht mehr um Einzelfälle von Zweideutigkeit, sondern um strategisch gesetzte Zweideutigkeit, die sich zur verfassungsfeindlichen Eindeutigkeit verdichtet".
Wie geht man mit einer Masse an mehrdeutigen Äußerungen um? Das ist mit Blick auf das öffentlich verfügbare Material die entscheidende Frage. AfD-Anwalt Conrad meint, dass die 17 Profs die Meinungsfreiheit hier nicht gebührend berücksichtigen würden. "Bei mehrdeutigen Äußerungen haben Behörden und Gerichte sanktionsrechtlich irrelevante Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen, bevor sie ihrer Entscheidung eine zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung zugrunde legen wollen", zitiert Conrad aus einem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts aus August 2024.
"Remigration" erneut im Fokus
Nur handelt es sich hierbei eigentlich um den Maßstab für die Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG, nicht für ein Parteiverbot nach Art. 21 GG. Das sei zu differenzieren, betont Verfassungsrechtler Möllers. Bei der BVerwG-Entscheidung, die Conrad in seinem "Kurzgutachten" zitiert, handelt es sich um den Eilbeschluss zum Verbot des rechten Compact-Magazins durch Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Dieses Verbot erging auf Grundlage des Vereinsrechts. Das maßgebliche Grundrecht ist hier die Vereinigungsfreiheit, Art. 9 GG. Der Grund, warum das BVerwG hier auch die Maßstäbe von Art. 5 GG berücksichtigt, besteht darin, dass durch das Verbot eines Presseunternehmens auch die Meinungs- und Pressefreiheit tangiert sind. Bei der Bestimmung, ob das Unternehmen durch seine Medieninhalte gegen die verfassungsmäßige Ordnung agitiert, spielt daher Art. 5 GG mit rein. Im Rahmen der Prüfung eines Parteiverbots gelten diese Maßstäbe aber nicht, sagt Möllers. "Verfassungsrechtlich ist eine Partei ja kein Verein. Deswegen kann man aus den Vereinsverbotsverfahren wenig für Parteiverbote erfahren." Maßgeblich sei "nicht die Rechtsprechung eines anderen Gerichts zu einem anderen Fall", sondern die NPD-Urteile des BVerfG, so Möllers. In den NPD-Verfahren hätten die Maßstäbe der Meinungsfreiheit keine maßgebliche Rolle gespielt.
Doch auch wenn im Rahmen von Art. 21 GG in der Gesamtschau andere Maßstäbe gelten, wird man im Einzelfall Äußerungen von AfD-Politiker:innen nicht überinterpretieren dürfen. Das wird im Fall des Begriffs der "Remigration" deutlich. Dies beschreibt Martin Sellner, der Gründer der rechtsextremen Identitären Bewegung, in seinem gleichnamigen Buch als politisches Ziel, das dadurch erreicht werden soll, bestimmte Personen dazu zu bringen, in ihre "Heimatländer" zurückzukehren. Adressiert sind dabei auch "nicht assimilierte Staatsbürger". Diskutiert wurden entsprechende Strategien auch auf dem sog. Potsdamer Treffen, über das Correctiv im Januar unter dem Titel "Geheimplan gegen Deutschland" berichtete.
Dieser wurde vielfach so interpretiert, dass auf dem Treffen auch über die Ausweisung deutscher Staatsbürger diskutiert worden sei – obwohl der Bericht diese Tatsache so nicht eindeutig behauptet. Wegen dieser Fehlinterpretation ist der ebenfalls beim Treffen anwesende Jurist Ulrich Vosgerau, dabei auch vertreten von Höcker, u.a. gegen NDR und ZDF erfolgreich vorgegangen. Erstaunlicherweise argumentieren nun auch die 17 Staatsrechtler:innen mit dieser Fehlinterpretation. Darauf weist Conrad in seinem Schreiben ebenso hin wie auf die Remigrationsdefinition auf der AfD-Homepage. Hiernach stoße die Abschiebung deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund "auf unsere entschiedene Ablehnung". Um nachzuweisen, dass die AfD doch mehr im Schilde führt, wird mehr nötig sein als ein Verweis auf den Correctiv-Bericht oder Sellners Buch.
Juristischer Schlagabtausch auf Wiedervorlage
Zusätzliche Erwartungen verbinden die Verfassungsrechtler:innen mit einer für 2024 gerüchteweise angekündigten Hochstufung der AfD zur gesichert rechtsextremistischen Bestrebung durch den Verfassungsschutz. Der Verweis soll untermauern, dass es sich aus ihrer Sicht bei der AfD um eine verfassungsfeindliche Bestrebung handelt. Was wiederum den Handlungsdruck auf die Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag erhöhen soll, einen Verbotsantrag voranzubringen.
Eine solche Hochstufung ist bislang aber nicht bekannt geworden. Zunächst wollte das BfV offenbar die Begründung durch das OVG NRW im Sommer 2024 noch abwarten. Ob und wie zeitnah die Hochstufung jetzt bevorsteht und was daraus abzuleiten ist, scheint gänzlich offen. Die Verfassungsschutzbewertung nicht einfach machen dürfte indessen die dynamische Lage. Der Bundesvorstand der AfD hatte zuletzt angekündigt, das Verhältnis zu seiner Jugendorganisation JA neu ordnen zu wollen. Also einer Gruppe, die der Verfassungsschutz bereits als gesichert rechtsextremistisch einstuft. Der Ausgang dieser Umstrukturierung dürfte auch Folgen für die Bewertung der Bundes-AfD haben.
Die Stellungnahme und das Gutachten fallen zudem in eine Zeit des vorzeitigen Endes der Legislatur, und einsetzenden Wahlkampfs. Auch wenn sich vor der Neuwahl keine Mehrheit für den Verbotsantrag mehr abzeichnet, bleiben die Argumente aus Stellungnahme und Gegengutachten relevant. Sie werden dann die neue Regierung ab Frühjahr wieder beschäftigen.
Gutachten an den Bundestag: . In: Legal Tribune Online, 04.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56033 (abgerufen am: 24.01.2025 )
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