Wenige Monate vor der Wahl wird die Alternative für Deutschland zum Schrecken der etablierten Parteien, vor allem die Union befürchtet enorme Stimmenverluste an die Euro-Skeptiker. Wirtschaftsrechtler Michael Brück erklärt im LTO-Interview, wie der Ausstieg aus der Währungsunion funktionieren soll, wie die Partei Familien fördern will und was dran ist an den Gerüchten über rechte Tendenzen.
Update d. Red (03.11.2016): Prof. Dr. Michael Brück ist nach eigenen Angaben nicht einmal 6 Wochen nach dem Interview mit LTO, am 12. Juni 2013, wieder aus der AfD ausgetreten. Noch deutlich vor der Abwahl von Gründer und Ex-Parteichef Bernd Lucke aus dem Parteivorstand und dem Austritt eines großen Teils der Wirtschaftsliberalen habe er nicht mehr daran geglaubt, "dass die AfD in absehbarer Zukunft eine für das bürgerliche Publikum wählbare Alternative zwischen wertorientiertem Konservativismus und Wirtschaftsliberalität wird", sagte er gegenüber LTO.
Die Partei sei zu diesem Zeitpunkt intern äußerst zerstritten gewesen, "zu viele nationalistische Wirrköpfe und intrigante Möchtegern-Karrieristen prägten das Bild", so Brück. Er habe die Orientierung an der gemeinsamen Sache, der Ablehnung der Euro-Rettungspolitik mit konstruktiver Kritik an der EU vermisst, aus der ein "wünschenswertes Korrektiv zur Politik der Bundesregierung hätte entstehen können".
In dieser Einschätzung fühlt Brück sich, auch durch den Austritt von Bernd Lucke und anderer Wirtschaftsliberaler, bis heute bestätigt. Die diffuse Nähe zum Russland Putins sowie die teils anti-westliche und anti-europäische Haltung, die sich in der AfD breit gemacht hätten, sei gerade für Christdemokraten traditioneller Prägung keine akzeptable Haltung.
LTO: Herr Professor Brück, Sie haben schon die Wahlalternative 2013 unterstützt und sind nun Mitglied und einer der Hauptunterstützer der Alternative für Deutschland (AfD) sowie Mitglied von deren Bundesschiedsgericht. Die Partei versetzt vor allem die Union in Angst und Schrecken, das Handelsblatt prognostizierte am Dienstag 19 Prozent bei der Bundestagswahl.
Brück: Es gibt andere Prognosen und Umfragen, die unser Potenzial als noch höher einstufen. Der Kreis derer, die langsam merken, dass die Euro-Rettungsorgie wahrscheinlich nicht die richtige Politik ist, wird immer größer.
LTO: Die Partei will das Euro-Währungsgebiet geordnet auflösen und nationale Währungen wiedereinführen. Unterstützen Sie als Wirtschaftsrechtler diese Forderung? Ist der Euro am Ende? Oder hatte er gar nie eine Chance?
Brück: Er hatte deshalb von Anfang an keine Chance, weil er nicht unter ökonomisch sinnvollen Bedingungen, sondern als politische Konzessionsentscheidung gegenüber den Franzosen eingeführt wurde, um die Wiedervereinigung zu sichern. Dafür zahlen wir heute einen hohen Preis.
LTO: In den ausufernden Rettungsversuchen realisieren sich also nur Risiken, die von Beginn an gesetzt waren?
Brück: So ist es. Ich will nicht sagen, dass das damals auch allen hätte bewusst sein müssen – aber es gibt ja durchaus auch Leute, die von Anfang an davor gewarnt haben. Denken Sie an die seinerzeitigen Kläger gegen den Euro wie Joachim Starbatty oder den Publizisten Arnulf Baring, der beinahe hellseherische Fähigkeiten beweis, als er schon 1997 durchaus zu Recht sagte, dass der Euro dazu führen würde, dass die Deutschen das best- und meistgehasste Volk in Europa werden würden. Er prognostizierte, dass wir uns als Sparmeister Europas aufführen und den anderen Ländern das Sparen beibringen würden. Und exakt dort sind wir momentan.
Wir von der AfD wenden uns gegen den Euro, weil wir glauben, dass die Währung zur Spaltung innerhalb der EU führt und jedenfalls in ihrer jetzigen Form integrationsfeindlich ist. Dementsprechend halten wir die derzeitige Politik für antieuropäische. Wir sind dafür, dem Integrationsprozess eine Chance zu geben, indem man einen falschen Integrationsschritt revidiert.
"Für den Austritt aus dem Euro auch Deutschlands wirtschaftlichen Einfluss einsetzen"
LTO: Wie wäre denn ein Austritt aus dem Euro rechtlich überhaupt möglich? Könnte Deutschland den Euro einseitig "kündigen"?
Brück: Geregelt ist das so nicht. Ob das Unionsrecht abschließend ist oder man völkerrechtliche Prinzipien anwenden muss, ist nicht ganz eindeutig. Aber wir gehen ohnehin davon aus, dass man das nicht ohne einen Konsens auf europäischer Ebene schaffen kann. Es wird nicht mehr lange dauern, bis der Druck etwa in Spanien zu groß wird.
LTO: Sie sprechen von einem Konsens. Laut Webseite der AfD sollte Deutschland aber das Austrittsrecht notfalls erzwingen – indem es weitere Hilfskredite des ESM mit seinem Veto blockiert. Wie findet ein Rechtsanwalt und Professor für Bürgerliches, Wirtschafts- und Steuerrecht die Forderung, ein rechtlich gar nicht vorgesehenes Austrittsrecht per Blockade zu erzwingen?
Brück: Das soll nicht so geschehen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland Haftungsrisiken aussetzen würde. Allerdings sollte man den Einfluss, den Deutschland aufgrund seines wirtschaftlichen Gewichts in der Eurozone hat, natürlich auch so einsetzen, dass man zu einer vernünftigen Lösung für alle Beteiligten kommt.
LTO: Unterstellen wir, Deutschland träte aus der Währungsunion aus: Wie soll es dann weitergehen? Hat die AfD einen Plan? Oder eine Vision?
Brück: Es gibt verschiedene Szenarien. Vorstandssprecher Bernd Lucke zum Beispiel favorisiert einen Austritt südeuropäischer Staaten aus der Währungsunion. Bekanntlich schlägt George Sorros vor, Deutschland solle austreten. Diesem Szenario kann ich auch viel abgewinnen. Man muss die verschiedenen Szenarien abwägen, es gibt kein Patetnrezept. Wir müssen den Weg wählen, der möglichst vielen Menschen in der Eurozone nutzt. Wie gesagt: Alles könnte jedenfalls nur konsensual mit unseren Partnern passieren, einen einseitigen Austritt gegen den Willen aller anderen kann und wird es nicht geben – nicht zuletzt, weil es juristisch wohl gar nicht möglich ist.
LTO: Wäre der nächste Schritt der Austritt aus der Union?
Brück: Nein, wir wollen uns nicht aus dem europäischen Integrationsprozess verabschieden. Wir sagen nur, dass sich die Integration an bestimmten Stellen aus politischen Motiven zu schnell in die falsche Richtung entwickelt hat. Es stünde der EU übrigens gut an, diese Einsichtsfähigkeit auch zu zeigen, das würde ihre Glaubwürdigkeit wieder deutlich verbessern.
2/2: "Das Subsidiaritätsprinzip muss wieder ernst genommen werden"
LTO: Aber die AfD hält nur die Währungsunion für gescheitert?
Brück: Natürlich. Man muss sich allerdings die Frage stellen, wie eine vernünftige Integration auf europäischer Ebene in Zukunft aussehen kann, wenn es keine Währungsunion mehr gibt. Und dabei muss man beantworten, wie viel Integration wir eigentlich wollen.
LTO: Und wie viel Integration will die AfD?
Brück: Vor allem wünschen wir uns mehr Ehrlichkeit gegenüber der Bevölkerung, die derzeit beim europäischen Integrationsprozess überhaupt nicht mitgenommen wird. Das Bundesverfassungsgericht hat ja auch in seiner Entscheidung zum Lissabon-Vertrag klar gemacht, dass bei einer weiteren Übertragung von wichtigen Souveränitätsrechten wohl eine Volksabstimmung nötig werden wird. Die Einführung von Elementen der direkten Demokratie halten wir zumindest für grundlegende gesellschaftliche Fragen ohnehin für richtig.
LTO: Was wären solche grundlegenden Fragen? Und inwieweit sind Forderungen nach Volksabstimmungen auf nationaler Ebene realistisch vor dem Hintergrund, dass ja bereits jetzt viele Kompetenzen nach Brüssel abgewandert sind?
Brück: Alle Fragen, die unsere staatliche Gemeinschaft in ihren Spielregeln des Zusammenlebens und unsere demokratischen Rechte insbesondere betreffen, sind grundlegend. Man wird hier natürlich Kompetenzen von Brüssel wieder zurückfordern. Unseres Erachtens sollten nicht nur keine weiteren Gesetzgebungskompetenzen übertragen, sondern insbsondere dort zurück gefordert werden, wo das Subsidiaritätsprinzip in der Vergangenheit verletzt wurde.
LTO: In welchen Bereichen zum Beispiel?
Brück: In vielen Fällen wie der Krümmung der Gurke und dem Durchmesser von Äpfeln ist es schlicht nicht notwendig für einen funktionierenden Binnenmarkt, Regelungen auf europäischer Ebene zu schaffen. Dies steht ja nur exemplarisch für die Tatsache, dass heute um die 80 Prozent der Gesetzgebungsinitiativen auf europäischer Ebene starten. Die Frage nach der Notwendigkeit ist in der Vergangenheit zu wenig gestellt worden. Das Subsidiaritätsprinzip steht schon lange in den Verträgen, ist aber nicht richtig ernst genommen worden. Dieser Fehler muss korrigiert werden.
"Familien- statt Ehegattensplitting – auch für eingetragene Lebenspartnerschaften"
LTO: Für welche Positionen außerhalb der Währungs- und Europapolitik steht die AfD? Nach eigenen Angaben unter anderem "für den Schutz der Familie als Keimzelle der Gesellschaft". Was genau bedeutet das? Wie steht sie zum Beispiel zur derzeit viel diskutierten Gleichstellung Homosexueller?
Brück: Wir wollen eine gezielte Förderung der Familien. So möchten wir auch ein Familiensplitting einführen. Die Förderung soll dort ansetzen, wo Kinder sind. Wenn Sie nun das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sukzessivadoption hinzunehmen, ergibt sich daraus auch die Einbeziehung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften, die Kinder haben.
LTO: Wie steht die AfD zur Frauenquote, wie zum Betreuungsgeld? Was hat die Partei vor, damit Frauen zukünftig eine größere Rolle in der Wirtschaft spielen?
Brück: Es gibt noch keine parteiweite Positionierung zu diesen Fragen. Wir sind ja gerade zwei Wochen alt. Wir haben bislang einige gesellschaftliche Fragen herausgegriffen, die wir für besonders wichtig halten. Dazu gehört, und das geht in der öffentlichen Diskussion manchmal zu sehr nter, neben der Eurorettung, die wir für falsch halten, auch das Thema der Rechtsstaatlichkeit. Auch die EU soll eine Rechtsgemeinschaft sein. Dann müssen deren Normen und Gesetze eingehalten werden, was bei der No-bail-out-Klausel zum Beispiel nicht der Fall war.
Es schockiert uns, dass man die demokratischen Spielregeln verletzt, sich bei der Zypern-Hilfe nicht an die Regeln des ESM hält und die Abgeordneten zur Abstimmung über hochkomplexe Themen jagt, über die sie sich gar nicht angemessen informieren und beraten können innerhalb der kurzen Frist, die man ihnen dazu gibt. Gegen diese Entwicklung wollen wir uns wenden. Das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip müssen beachtet werden – auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene.
"Nie rechten Parolen begegnet"
LTO: Unabhängig vom Parteiprogramm ist es kein Geheimnis, dass mehrere Mitglieder und Förderer der AfD mit rechten Gruppen in Verbindung gebracht werden. Halten Sie es zum Schutz gegen eine Radikalisierung der Partei von rechts für ausreichend, dass ehemalige NPD- und DVU-Mitglieder nicht aufgenommen werden? Wie will die Partei sicherstellen, dass sie von derartigen ehemaligen Mitgliedschaften überhaupt erfährt?
Brück: Ehemalige Mitglieder extremer Parteien werden bei uns nicht aufgenommen. Wir fragen beim Beitritt danach und prüfen dies. Wer das angibt, kommt nicht rein, wer falsche Angaben macht, wird nachträglich aus der Partei ausgeschlossen. Das ist auch Aufgabe der Schiedsgerichte der Partei.
Es gibt einen Selbstreinigungsmechanismus, den wir auch sehr ernst nehmen. Und nach vielen Treffen, an denen ich teilgenommen habe, kann ich Ihnen versichern, dass mir zu keinem Zeitpunkt rechte Parolen oder Leute begegnet sind, die sich unangemessen geäußert hätten. Im Gegenteil, es geht bei der AfD sehr gesittet zu.
Wir haben Zulauf von allen möglichen Parteien aus dem demokratischen Spektrum, auch ehemalige Mitglieder der SPD und der Linken sind vertreten. Wo liegt das Problem, wenn eine aus der Mitte der Gesellschaft entstehende bürgerliche Kraft eine Ausstrahlwirkung über die gesamte politische Landschaft entfaltet? Dass wir eine besondere Wirkung nach rechts hätten, kann ich schlicht nicht bestätigen.
LTO: Herr Professor Brück, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Prof. Dr. Michael J.J. Brück, LL.M. ist Rechtsanwalt und Attorney at Law (New York) bei Sidley Austin LLP am Standort Frankfurt. Bis Ende 2012 lehrte er als Professor für Bürgerliches Recht, Wirtschafts-, Handels- und Steuerrecht an der German Graduate School of Management and Law in Heilbronn und war seit November 2006 Akademischer Direktor für Wirtschaftsrecht.
Das Interview führte Pia Lorenz.
Prof. Dr. Michael J.J. Brück, LL.M., AfD-Mitglied zum Parteiprogramm: "Die derzeitige Europolitik ist antieuropäisch" . In: Legal Tribune Online, 29.04.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8625/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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