Reform der StPO: Ein Pakt gegen Straf­ver­tei­diger?

von Hasso Suliak

26.04.2018

Schneller und effizienter: Politiker von CDU/CSU und der DRB wollen Änderungen in der Strafprozessordnung, die verhindern sollen, dass Prozesse durch anwaltliches Handeln unnötig in die Länge gezogen werden. Strafverteidiger sind empört.

Die volle Breitseite bekam die Anwaltschaft am Mittwoch auf einem Kongress der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Ausrichtung der künftigen Innen- und Rechtspolitik im Bundestag zu spüren. Vertreter von Union und Deutscher Richterbund (DRB) warfen Anwälten vor, Strafverfahren durch das exzessive Stellen von Beweis- und Befangenheitsanträge systematisch zu verschleppen. Prozesse würden sich durch das Verhalten vieler Anwälte unerträglich in die Länge ziehen, im schlimmsten Fall seien die Tat dann irgendwann verjährt oder das Verfahren platze, weil die Richter das Pensionsalter erreicht hätten.

Deutliche Worte mussten sich die Strafverteidiger insbesondere seitens des Vorsitzenden des DRB, Jens Gnisa, gefallen lassen: Die Haltung der Verteidiger habe sich "teilweise" geändert, beklagte Gnisa. Einige sähen sich nicht mehr als Organe der Rechtspflege, sondern eher als Gehilfen. Verfahren zu torpedieren und in die Verjährung laufen zu lassen, sei "nicht Aufgabe des Rechtsanwaltes", so der DRB-Vorsitzende. Für Gnisa, auch Direktor des AG Bielefeld, ist das Maß offenbar voll: Man müsse mit der Anwaltschaft jetzt über eine "vernünftige Verteidigerkultur" reden.*

Gefallen wird dem DRB-Vorsitzenden vor diesem Hintergrund sicherlich das, was die Unionsfraktion in dieser Legislaturperiode rechtspolitisch anpacken will. Der sogenannte "Pakt für den Rechtsstaat", der maßgeblich auf Betreiben von CDU/CSU Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat, soll nach dem Willen der Konservativen neben personellen Aufstockungen auch Hand an einige Verfahrensrechte in der Strafprozessordnung (StPO) legen. Und auch wenn die rechtspolitische Sprecherin der Unions-Fraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, in einem Nachsatz hinterherschiebt, dass die geplanten Maßnahmen selbstverständlich "unter Wahrung aller Verfahrensrechte" realisiert würden: Die von der CDU/CSU anvisierten Änderungen dürften in den Kernbereich der Strafverteidiger- und Nebenklagerechte eingreifen.

Gegen den Missbrauch von Verfahrensrechten

Konkret geht es um die "vier Bs", an die die größte der beiden Regierungsfraktionen und Vertreter von unionsregierten Ländern heran wollen: Beweis – und Befangenheitsanträge, Besetzungsrüge und die Bündelung der Nebenklage. Alle diese Instrumente sollen möglichst so geändert werden, um Strafverfahren effizienter zu gestalten und zu beschleunigen.

"Wir müssen Vorsorge dafür treffen, dass Verfahrensrechte nicht missbräuchlich dafür benutzt werden, um rechtsstaatliche Verfahren zu torpedieren", so Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) im Gespräch mit LTO. Gerichten müssten insbesondere Instrumente an die Hand gegeben werden, um zweckwidrigen Befangenheits- und Beweisanträgen konsequent entgegentreten zu können. Wichtig sei zudem, über Besetzungsrügen gleich am Anfang eines Verfahrens rasch und abschließend zu befinden. Es könne nicht sein, dass ein Gericht gezwungen sei, sehenden Auges monate- oder gar jahrelang unter dem Damoklesschwert einer späteren Urteilsaufhebung wegen einer möglicherweise fehlerhaften Besetzung zu verhandeln.

Ein besonderes Augenmerk sei auf Mammutverfahren zu legen, die - auch und gerade im Interesse der Opfer - handhabbar bleiben müssten. In Verfahren mit einer Vielzahl von Nebenklägern müssten deshalb Regelungen gefunden werden, um die Interessen von Opfern gebündelt zu vertreten. Auf die Kritik an den Strafverteidigern angesprochen, sagte der CSU-Minister zu LTO: "Die Mehrzahl der Anwälte nimmt ihre Aufgabe als Organ der Rechtspflege sehr ernst." Gleichwohl nehme man aber auch anwaltliche Konfliktstrategien wahr, die dem Geist eines rechtsstaatlichen Verfahrens nicht immer entsprächen. Dazu zählten auch Methoden sogenannter Litigation-PR, bei der es Anwälten auch um die mediale Beeinflussung von Prozessen gehe. Die große Koalition habe sich mit dem "Pakt für den Rechtsstaat" im Koalitionsvertrag zu Recht darauf verständigt, einige dieser Schwachstellen anzugehen.

Strafverteidiger weisen Kritik zurück

Inwieweit die SPD die von der Union gewünschten Änderungen in der StPO mitträgt, ist noch offen. Die entsprechenden Passagen im Koalitionsvertrag lassen im Detail einigermaßen Spielraum. Dem SPD-geführten BMJV dürfte indes nicht sonderlich viel daran gelegen sein, sich auf einen Konfliktkurs mit den Anwaltsvereinigungen zu begeben.

Zumal diese schon jetzt aufgebracht sind: "Behauptungen, Prozesse würden breitflächig durch Beweisanträge und Befangenheitsanträge verschleppt, sind wohlfeil und harren ebenso eines empirischen Belegs wie die Behauptung gewandelter Verteidigerkultur", so Rechtsanwalt Stefan Conen, Vorsitzender der Berliner Strafverteidigervereinigung, zur LTO.  Der Anwalt weist darauf hin, dass "der Gesetzgeber Richtern erst jüngst nochmals erweiterte Möglichkeiten an die Hand gegeben, Fristen für Beweisanträge zu setzen und auch schon davor gab es die Möglichkeit sowohl Befangenheits- als auch Beweisanträge wegen Verschleppungsabsichten abzulehnen". Bezogen auf den vom DRB-Vorsitzenden angemahnten Dialog über eine "vernünftige Verteidigerkultur" stellt Conen klar: "Verteidigerorganisationen sind und haben sich jederzeit dialogbereit gezeigt und bringen sich rechtspolitisch ein. Ein solcher Dialog könne aber nicht allein auf der Basis gefühlter Wahrheiten stattfinden und nicht unter der Prämisse, dass Verteidigung ihrer Beistandsfunktion im Zweifel abzuschwören habe."

Auch der Präsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Ulrich Schellenberg, kritisierte gegenüber LTO die Schelte für die Strafverteidiger: "Offenkundig wird die Bedeutung der Strafverteidigung von Einigen unterschätzt". Beschuldigte und Angeklagte sähen sich "gut ausgestatteten Ermittlungsbehörden" gegenüber, so Schellenberg. Sie bräuchten Schutz und jemanden, der ihre Rechte wahrnehme. Übersehen werden dürfe auch nicht die Kontrollfunktion der Verfahrensgarantien gegenüber der Justiz. "Sie helfen zu besseren und gerechteren Urteilen zu kommen", meinte der DAV-Präsident. "Wer wie der DRB-Vorsitzende dies verkennt und in Strafverteidigern nur Gegner sieht, verkennt die Realität und den Wesenskern der Strafverteidigung." Es sei dringend notwendig, dies in Gesprächen zu erläutern.

Ende einer Kommunikation nach "Brieftaubenart"

Etwas harmonischer dürfte es dagegen zwischen den Koalitionspartnern bei der personellen Komponente des "Paktes für den Rechtsstaat" vonstattengehen: Politiker von Union beklagten am Mittwoch in Berlin, dass die Überlastung der Justiz auch ursächlich dafür sei, dass heute viel zu viele Strafverfahren nach dem Opportunitätsprinzip eingestellt würden.

Bundesinnenminister Horst Seehofer stellte in seiner Eröffnungsrede auf dem Kongress klar, dass bei den von der Koalition beschlossenen 2.000 neuen Stellen für die Justiz nicht nur um Richter- und Staatsanwaltschaftsstellen gehe, sondern auch um "Folgestellen", also Arbeitsplätze in der Justizverwaltung. Hier seien jetzt Bund und Länder gefragt, diese Stellen zügig zu besetzen. Der Rechtsstaat, so Seehofer, habe gegenüber den Bürgern an dieser Stelle ein Versprechen seiner Handlungsfähigkeit zu erfüllen. Dies gelte auch im Hinblick auf eine Ausstattung der Justiz mit moderner Technik.

Die Praxis, Aktenbündel zwischen Polizei und Justiz nach "Brieftaubenart" hin und her zu schieben, müsse ein Ende haben.  Laut Seehofer werde im BMJV das Thema Digitalisierung allerdings noch "zu defensiv" ausgelegt. Es gehe um eine moderne Informationsarchitektur mit "klar definierten Zugriffsrechten", so Seehofer. Das Justizministerium habe aber in diesem Zusammenhang nur die elektronische Strafakte im Blick.

*Anm. der Red.: Äußerungen des DRB-Vorsitzenden wurden auf Hinweis des DRB nachträglich präzisiert (27.4.18, 17.22 Uhr).

Zitiervorschlag

Hasso Suliak, Reform der StPO: Ein Pakt gegen Strafverteidiger? . In: Legal Tribune Online, 26.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28315/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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